Rajputen
Die Rajputen waren bzw. sind eine Volksgruppe in dem heutigen indischen Bundesstaat Rajasthan (früher: Rajputana). Im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit verfügten sie über einigen Einfluß auf die Geschichte und Kultur Indiens. Auch heute unterscheiden sie sich kulturell noch deutlich von allen anderen Volksgruppen des Landes, bilden eine eigene Kaste. Man schätzt sie auf 12 Millionen Menschen. Sie sind fast ausnahmeslos Hindus.
Geschichtliches
Die Vorfahren der Rajputen kamen im 6. Jahrd. im Gefolge der Weißen Hunnen nach Indien. Sie vermischten sich mit den bereits in Rajasthan und Gujarat ansässigen Stämmen, die gleichfalls wenig hinduisiert waren. Am Ende des 8. Jahrhunderts waren sie Tributfürsten der Pratihara-Dynastie, die damals Anspruch auf die alte Hauptstadt Kanauj am Ganges erhob und auch gegen die Moslems in Sindh kämpfte. Der Pratihara-Staat ging Ende des 10. Jhrdt. zugrunde und die Rajputen tauchten unter diesem Namen in der Geschichte auf.
Ihre Kennzeichen waren besondere Beachtung der Kastengesetze, der rituellen Reinheit (Feueropfer) und ritterlicher Verhaltensweisen, die in weiten Teilen Indiens nachgeahmt wurden. Sie gliederten sich in mehrere Clans (bzw. deren Fürstentümer) und waren über komplizierte (Heirats-)geflechte miteinander verwandt. Einem ihrer Clans wird die Gründung Delhis im Jahr 736 zugeschrieben. Der Kunstgeschmack ihrer Fürsten prägte auch die mittelalterliche Tempelarchitektur und Plastik.
Allerdings führte ihre ritterliche und kastengebundene Engstirnigkeit auch zu einem kulturellen Nachteil der Hindus gegenüber den benachbarten Völkern. Im nationalen Charakter der Inder setzte sich nach Darstellung des islamischen Gelehrten Alberuni (11. Jhrdt.) die Überzeugung durch, dass sie samt ihren Fürsten, ihrer Religion und ihrer Wissenschaft unvergleichlich seien und keine Impulse von außen benötigten. Insbesondere war die Kriegsführung eine Aufgabe bestimmter Kasten, die ihre Gefolgschaft rekrutierten und keine Aufgabe der Nation oder der Religionsgemeinschaft. Das führte zur Katastrophe, zuerst durch den Eroberer Mahmud von Ghazna, dann Muhammed von Ghur.
Unter dem Fürsten Prithviraja III. (von Delhi) traten die vereinigten Rajputenheere 1191/2 den afghanischen Türken bei Tarain im Raum Delhi gegenüber. Prithviraja war keine Niete - er raubte seine Braut aus dem feindlichen Kanauj und hat zum Andenken sein eigenes Ritterepos namens Prithvi Raj Rasau erhalten. Aber die (Doppel-)schlacht ging schließlich verloren, Prithviraja fiel und die Moslems überschwemmten innerhalb weniger Jahre Nordindien.
Trotzdem mußten alle islamischen Herrscher, die Sultane von Delhi genauso wie die Großmoguln die Fürsten und Festungen der Rajputen (z.B. Chitor 1303, 1568) besiegen, wenn sie im Land regieren wollten. Und diese Kämpfe wurden immer wieder mit großer Grausamkeit geführt. Stand eine Festung vor dem Fall so verbrannten die Rajputen erst ihre Frauen, bevor sie selbst mit der Waffe in der Hand fielen.
Der Mogulkaiser Akbar (reg. 1556-1605) machte nach seinem Sieg von Chitor die Rajputenclans zu seinen Verbündeten, indem er Heiraten mit den Rajputenprinzessinnen initierte und ihre Vertreter in höchste Staatsämter (Minister, Generäle, Gouverneure) aufsteigen ließ. Dazu trat seine religiöse Toleranz und die Abschaffung der religiösen Steuern, so dass er ein wirksames Gegengewicht zum muslimischen Hochadel hatte. Als der streng religiöse Moslem Aurangzeb diese Politik wieder aufgab, beschleunigte er den Machtverfall seiner Dynastie erheblich. Und zwar versuchte er, die Fürstentümer aufzusplittern und zum Islam konvertierte Prinzen einzusetzen, was die Rajputen gegen ihn aufbrachte.
Im frühen 19. Jahrhundert unterstellten sich die Rajputen britischer Oberhoheit und ihre Fürstenstaaten blieben selbständig.
- Hermann Kulke/Dietmar Rothermund: Geschichte Indiens, Stuttgart 1982