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Tall Zira'a

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Der Tall Zira´a (oder: Tell Zera´a im jordanisch-arabischen Dialekt; arab. "Hügel der Landwirtschaft") ist eine bedeutende historische Siedlungsstätte im heutigen Dreiländereck Jordanien, Syrien und Israel. Auf diesem Tall sind archäologisch über 5000 Jahre Menschheitsgeschichte zu erkunden.

Der wirtschaftliche Erfolg und der Fleiß der Bewohner haben durch die Jahrtausende im Wadi auf einer Fläche von 25 km² reichlich Spuren hinterlassen. Mehr als hundert Fundstätten menschlicher Besiedlung vom Beginn der Sesshaftwerdung im Neolithikum (Beginn: 9300 v. Chr.) bis in die islamische Zeit legen beredtes Zeugnis von der bedeutenden Geschichte dieser Region ab. Kanäle, Wassermühlen, Zisternen, Ölpressen, Weinkeltern, Wachtürme, Grabanlagen offenbaren, dass das Wadi der Altertumsforschung vielfältige Betätigungsfelder bietet.

Über die Ausgrabungen auf dem Tall erzählt auch das Kinderbuch "Das Geheimnis des Tells" (www.das-geheimnis-des-tells.de).

Der Tall

Der Tall Zira´a ist ein kreisrunder Siedlungshügel. Er misst an seiner Basis 240 m x 240 m und auf seinem Plateau 160 m x 160 m. In seinem Zentrum befindet sich eine artesische Quelle. In jüngster Vergangenheit wurde er nur noch landwirtschaftlich genutzt, wie auch sein Name sagt. Der Tall erhebt sich eindrucksvoll (je nach Himmelsrichtung 22 bis 45 m) über die ihm umgebende Landschaft und beherrscht das gesamte Wadisystem des Wadi al-´Arab im nördlichen Ostjordanland.

Archäologische Bedeutung

Am Tall Zira´a kann erstmalig die Geschichte Nordjordaniens von der frühen Bronzezeit bis in die islamische Zeit – und damit ein Zeitraum von mehr als fünf Jahrtausenden - an einem einzigen Siedlungsplatz nachvollzogen werden. Der Siedlungshügel liefert daher nicht nur einen Einblick in die frühbronzezeitliche Stadtkultur, sondern auch in die Periode der Re-Urbanisierung nach dem Niedergang städtischer Lebensweise gegen Ende der Frühbronzezeit. Die städtische Kultur der mittleren und späten Bronzezeit ist hier im nordjordanischen Bereich zum ersten Mal durchgängig greifbar. Nach biblischen und außerbiblischen Mitteilungen wird diese Zeit meist pauschal als „kanaanäische Epoche“ bezeichnet. Am Tall Zira´a ist der tief greifende Einschnitt nachzuvollziehen, der im Zuge des durch die Seevölker in Palästina ausgelösten Zerfalls des spätbronzezeitlichen Stadtstaatensystems entstand. Der Neubeginn nach diesem schwerwiegenden Umbruch veränderte die Siedlung auf dem Tall Zira´a während der Eisenzeit I völlig.

Der biblische Zeitraum

Als sich während der klassisch alttestamentlichen Zeit weiter südlich die territorialen Königtümer Ammon, Moab und (etwas später) Edom herausbildeten, gehörte das Gebiet um den Tall Zira´a in den Einflussbereich des von Samaria aus regierten Reiches Israel. Während dieser Zeit – der Eisenzeit IIA/B – haben die israelitischen Könige nach Aussage der Bibel (1 Kön 4,13) „sechzig große Städte, ummauert und mit eisernen Riegeln“ in Gilead beherrscht. Gilead heißt im Alten Testament und in neuassyrischen Texten das Ostjordanland nördlich des Jabbok (vgl. auch Num 32,39-42; Dtn 3,13-15; Jos 13,29-31; Jdc 10,3–5; 1 Chr 2,21-23). Nach der Eroberung der Region durch die Aramäer (im 9. Jh. v. Chr.) oder durch die Neuassyrer (im 8. Jh. v. Chr.) wurde das gesamte Gebiet nur noch von dörflichen Siedlungen geprägt.

In hellenistischer Zeit änderte sich das Siedlungsbild noch einmal vollständig. Das Wadi al-´Arab mit seinen Siedlungen wurde zum Umland der hellenistischen Gründung Gadara, die in römischer Zeit dem Zehnstädtebund (Dekapolis) angehörte und zu großer Blüte kam. Selbst die römische Straßenführung richtete sich gegen die topografischen Gegebenheiten zum neuen Zentrum des Großraums – nach Gadara – aus. Das Ende dieser blühenden Stadt kam durch ein verheerendes Erdbeben im 8. Jh. n. Chr. Hinzu kamen die grundlegenden politischen Veränderungen in frühislamischer Zeit. Das Wadi al-´Arab gewann aufgrund seiner ausgezeichneten Bedingungen für die Landwirtschaft nun wiederum an Bedeutung, doch blieb diese regional begrenzt. Im Auf und Ab des islamischen Mittelalters und der osmanischen Zeit blieb der Tall Zira´a eine ausgezeichnete dörfliche Siedlungsstätte.

Forschungsgeschichte

Als der deutsche Ingenieur, Gottlieb Schumacher, 1885 das Ostjordanland erkundete und dabei auch das Wadi al-´Arab durchstreifte, war er seit der Kreuzfahrerzeit der erste Europäer, der diese Region erneut betrat. Doch hatte sich das über viele Jahrtausende prosperierende Tal seit der osmanischen Zeit stark verändert. Die Beduinen berichteten Schumacher, dass das Wadi zu einem „beliebte(n) Zufluchtsort für allerlei Flüchtlinge und verbrecherisches Gesindel“ verkommen sei. Es war nahezu entvölkert. Im Zuge der Staatsgründung Israels und des 6-Tage Krieges im Jahr 1967 wurden Teile des Tales zum militärischen Sperrgebiet. Das Gebiet um Gadara wurde im Dreiländereck von Jordanien, Syrien und Israel zum nordwestlichen Ausläufer des haschemitischen Königreiches. Das über Jahrtausende in alle Richtungen offene Durchgangsgebiet war nun von wesentlichen Bereichen seines natürlichen Umfeldes abgeschnitten. Erst im Zuge des 1993 zwischen Jordanien und Israel geschlossenen Friedensvertrages wurde es wieder allgemein zugänglich. Doch die Forscher, die nun dort tätig wurden, fanden ein dramatisch verändertes Tal vor: Das reichlich im Wadi entspringende Wasser wurde inzwischen für die Wasserversorgung der Großstadt Irbid verwendet und die immergrünen Rastplätze für Zugvögel waren ausgetrocknet. Erst mit dem Bau des Wadi al-´Arab-Stausees – der einige prähistorische Siedlungsstätten unter sich begrub – erhielt das Tal ein wieder fruchtbares, eindrückliches Ambiente.

Archäologische Erkundungen (Gadara Region Project)

Die erste Ausgrabungskampagne fand im Frühjahr 2003 statt. Die dabei erzielten Ergebnisse berechtigten zu so großem Optimismus, dass das Biblisch-Archäologische Institut Wuppertal (BAI) und das Deutschen Evangelischen Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes, zugleich Forschungsstelle des Deutschen Archäologischen Instituts, Amman (DEI) im Jahr 2004 eine Kooperation eingingen, um das Projekt in den folgenden Jahren gemeinsam in größerem Stil fortzusetzen. Dieser erfolgreichen Arbeit schloss sich 2006 auch das DEI Jerusalem an. Das Projekt steht seit 2004 unter der gemeinsamen Leitung von Prof. Dr. Dr. Dieter Vieweger und Dr. Jutta Häser. Jeweils im Frühjahr und im Sommer finden Ausgrabungen statt.

Das Ausgrabungsareal Iwurde im Nordwesten des Tall Zira´a angelegt. Die Voruntersuchungen hatten hier besonders gute Bedingungen für die Freilegung einer langen stratigrafischen Abfolge und die Aussicht auf bedeutende Architekturreste festgestellt. Auch die topografischen Voraussetzungen schienen an dieser Stelle besonders geeignet. An diesem Platz war der natürliche Schutz der Bewohner nicht so groß wie an den anderen Flanken des Talls. Lediglich 22-25 m Höhenunterschied verbleiben in diesem Bereich bis zum Fuß des Hügels. Aus diesem Grund war damit zu rechnen, dass die ehemaligen Bewohner hier eine Siedlungsbefestigung angelegt hatten. Dies ließ auch die geophysikalische Prospektion annehmen. Außerdem war zu vermuten, dass sich an dieser Stelle ein Zugang zu den Unterstädten befand, die westlich und nördlich am Fuß des Hügels lagen. Ein weiterer Aspekt, der auf eine dichte Wohnbebauung hoffen lassen konnte, waren die klimatischen Verhältnisse. An diesem Teil des Siedlungshügels treffen ab der Mittagszeit bis in den Abend hinein die thermisch bedingten, vom Mittelmeer kommenden, auflandigen Winde auf den Tall und schaffen ein besonders angenehmes Wohnklima.

Bis zum Frühjahr 2007 wurden im Areal I bereits 1000 m² Ausgrabungsfläche geöffnet. Die Grabungstiefe erreicht derzeit 4 m. Die archäologische Erkundung ist damit bis in die jüngste Phase der Spätbronzezeit vorgedrungen. Aus rein logistischen und besonders aus Sicherheitsgründen ist die Ausgrabung älterer Strata erst nach der vollständigen Freilegung des erreichten spätbronzezeitlichen Horizontes auf der gesamten Fläche und dem Abbau aller Stege möglich. Da die Ausgrabung am Hang liegt, konnten in den hangseitigen Außenbereichen aber bereits ältere Architekturreste, die bis in die Frühbronzezeit (3500-3000 v. Chr.) reichen, erfasst werden.

Während der Frühjahrskampagne 2006 wurde im Norden des Tall Zira´a ein zweites Grabungsareal angelegt. Dort wurden bis zum Frühjahr 2007 400 m2 geöffnet. Das prominent gelegene Areal II ist eine der höchstgelegenen Flächen auf dem Plateau des Talls. Außerdem wird es von Nordost bis Nordwest durch einen 44 m hohen Steilabfall geschützt. Aufgrund seiner hervorgehobenen Lage werden hier Repräsentativbauten erwartet.

Im Sommer 2007 wird ein drittes Areal geöffnet, das ein großes römisch-byzantinisches Bauwerk, vermutlich eine Villa (klassischer oder orientalischer Prägung?) erkunden soll. Die im Hof dieses ausgedehnten Baukomplexes befindliche Villa besitzt eine Zisterne von 12 m Länge, 6 m Breite und 5,75 m lichter Höhe.

Literatur (in Auswahl)

  • C. Steuernagel: Der ´Adschlun, in: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 49 (1926), S. 80-83.
  • D. Vieweger: Der Tell Zera´a im Wadi el-´Arab. Die Region südlich von Gadara. Ein Beitrag zur Methodik des Tell-Surveys,In: Das Altertum 48 (2003), S. 191-216.
  • J. Häser/D. Vieweger: Preliminary Report on the Archaeological Investigations of the Wadi al-´Arab and the Tall Zar´a, 2003 and 2004,in: Annual of the Department of Antiquities of Jordan 49 (2005), S. 135-146
  • J. Häser/D. Vieweger: Das „Gadara Region Project“, in : Nordjordanien, Frühjahrskampagne 2005 auf dem Tell Zera´a, Jahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts 11 (2006) im Druck.
  • J. Dijkstra/M. Dijkstra/Vieweger/K. Vriezen: Regionaal Archaeologisch Onderzoek Nabij Umm Qes (Ant. Gadara) De Opgravingen op Tell Zera´a en de Ligging van Laatbrons Gadara, in: Phoenix 51/1 (2005), S. 5-26.
  • J. Häser/D. Vieweger: Der Tell Zera´a im Wadi el-´Arab. Das „Gadara Region-Project“ in den Jahren 2001 bis 2004, in: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 121 (2005a), S. 1-30.
  • J. Häser/D. Vieweger: Neueste Entdeckungen auf dem Tell Zera´a (Jordanien),in: Welt und Umwelt der Bibel (2005b), S. 62-64.
  • J. Häser/D. Vieweger: Das „Gadara-Region Project“ – Der Tall Zirā´a in den Jahren 2005 und 2006,in: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 123 (2007) im Druck.