Colonie Alsen

Colonie Alsen bezeichnet die im grünen Berliner Ortsteil Wannsee vom Berliner Bankier Wilhelm Conrad (1822–1899) 1863 gegründete Sommervillenkolonie am nördlichen Ufer des Kleinen Wannsee und westlichen Ufer des Großen Wannsee. Von den prachtvollen Villen dieser nobelsten Berliner Kolonie, die eingebettet in eine Parklandschaft eine einzigartige Kulturlandschaft der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik darstellte, sind heute leider nur einige Häuser erhalten, so dass das damals entstandene Gesamtkunstwerk der Anlage nur noch erahnt werden kann.
Geschichte
Conrad, begeisterter Naturfreund und Wassersportler, hatte die recht kühne Idee der Errichtung einer Landhauskolonie am Wannsee, wo man in guter Gesellschaft die Sommermonate in der Natur und auf dem Wasser verbringen konnte. Der Wannsee lag damals noch weit außerhalb der Stadt Berlin, und somit stellte das Vorhaben ein ziemliches Wagnis dar. Conrad, leitender Direktor der preußischen Privatbank "Berliner Handelsgesellschaft" begann 1863 im Dorf Stolpe – gelegen an der die königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam verbindenden Reichsstraße 1 – mit dem Kauf des Gasthofs "Stimmings Krug" an der Königsstraße und auch dorffernerem Wald- und Heidegebiet den Ankauf von Landbesitz. Bald umfasste der Grundbesitz ca. 320 Morgen.
Für die Parzellierung des Landes und Erstellung eines Straßen- und Bebauungsplans konnte Conrad Gustav Meyer (1816–1877) gewinnen - Berlins Städtischen Gartenbaudirektor und Schüler Peter Joseph Lennés. Ab 1868 begann er mit dem Verkauf der Grundstücke. Erste Käufer waren überwiegend Mitglieder des exklusiven Herrenclubs "Club von Berlin" dem auch Conrad zugehörte, gutbetuchte Geschäftsleute, Industrielle, Bankiers, Künstler und Wissenschaftler, die geschäftlich und auch privat miteinander verkehrten. Mit seinem eigenen Sommersitz, der "Villa Alsen" ließ Conrad 1870 das erste Gebäude der Colonie entstehen. 1872 lebten dann bereits 64 Bewohner in 12 Villen.
Gustav Meyers Konzept entwickelte sich zu einem gelungenen und einmaligen Gesamtkunstwerk – entsprechend der Zeit gewissermaßen das bildungsbürgerliche Gegenstück zum nicht weit entfernten Landschaftspark Klein-Glienicke des Prinzen Carl von Preußen, der von Lenné und Schinkel ab 1816 geschaffen wurde.
1872 erhielt die Kolonie den Namen "Colonie Alsen". Conrads Schwager [Louis Max Napoleon von Colomier|[General von Colomier]] soll zur Namesgebung Alsen angeregt haben, da ihn die Wannseelage an die Ostseelandschaft der Insel Alsen erinnerte. Damit nahm die Kolonie – im Sinne der damals typischen nationalistisch-patriotischen Einstellung – Bezug auf den Dänischen Krieg mit dem 1864 kriegsentscheidenen preußischen Sieg des Norddeutschen Bundes auf der Insel Alsen, an dem General von Colomier maßgeblich beteiligt war.
Die Zinkkopie des Flensburger Löwen, die 1874 (ältere Angaben 1869) am erhöht liegenden Bergpark aufgestellt wurde, erinnert an dieses Ereignis. Heute steht der 2005 restaurierte Löwe direkt über dem Wannseeufer am Heckeshorn, wo die Kolonie in den Berliner Forst Düppel übergeht.
Um die Kolonie verkehrstechnisch günstig an Berlin anzubinden, kam Conrad die Idee eine eigene Eisenbahnverbindung von Berlin nach Wannsee zu bauen – die Wannseebahn. Auch dies zweite kühne Projekt als "Wahnsinnsbahn, die auf Conrädern läuft" oder "Bankierszug" von den Berlinern verspottet, realisierte er erfolgreich – sicherlich mitbedingt dadurch, dass er selbst Vorsitzender des Aufsichtsrats der Berlin-Potsdam-Magdeburger-Eisenbahngesellschaft war. Die ersten Züge fuhren am 1. Juni 1874 erst teilweise noch auf der Potsdamer Bahnstrecke. 1891 war dann die ganz eigene Streckenführung – mit Anschluß von der "Stammbahn" ab Zehlendorf nach Wannsee (heute S-Bahnlinie S1) - fertiggestellt. Sie führte weiter bis Neubabelsberg, wo sie wieder übergehend in die Stammbahn, die Verbindung nach Potsdam herstellte. Durch einen günstigen Vororttarif zog die Wannseebahn auch viele Ausflügler an, und gehört bis heute zu den beliebten Berliner Ausflugslinien. Das ursprüngliche Bahnhofsgebäude im Stil des Historismus wurde 1927/28 durch den noch heute bestehenden Bau von Richard Brademann im Stil des "Expressionismus" und "Neuen Bauens" ersetzt.
Die Villenkolonie war mit ihren repäsentativen Villen, Traumhäusern, "Schlössern", prächtigen Gartenanlagen, Segelclubs und Vereinen reger Mittelpunkt des illusteren Lebens des am klassischen Bildungsideal orientierten Großbürgertums.
Auch der "Neue Friedhof Wannsee" gehört zur Kolonie, neben manch anderem Prominenten fand auch Conrad selbst in einem Ehrengrab der Stadt Berlin seine letzte Ruhe.
Ab 1900 wurden viele Villen der Kolonie mit Zentralheizung und Doppelfenstern ausgestattet, und damit für die überwiegende Zahl der Eigentümer zum Dauerwohnsitz. Der Zuzug stagnierte als neue Villenvororte in Nikolassee, Schlachtensee und Dahlem entstanden.
In den 30er Jahren sahen sich dann viele der jüdischer Bewohner zur Emigration gezwungen. Bis 1941 wurden Besitzer jüdischer Herkunft vertrieben, enteignet oder ermordet. Ihr Besitz ging in die Hände prominenter Nazis über und/oder wurden für nationalsozialistische Einrichtungen genutzt.
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges kam es schließlich noch zu Kriegsschäden etlicher Villen und Häuser, da der "Volkssturm" hier mit Hilfe von NS-Truppenteilen – als eine letzte Bastion – das Vordringen der Roten Armee in die Stadt Berlin aufhalten sollte.
Viele der verwaisten oder geplünderten Villen dienten nach Kriegsende als Krankenhäuser und Freizeiteinrichtungen der Alliierten oder wurden zu Schullandheimen umgestaltet. Eine weitere "Zerstörung" der Villenkolonie und des Dorfs Stolpe kam durch den Bauboom und die damit verbundenen "Bausünden" der 70er Jahre zustande. So hat auch die "Villa Alsen" – Wilhelm Conrads Sommersitz dem Bau einer Appartementanlage und eines Hotels weichen müssen.
Einzelne Villen
"Villa Alsen" - Königsstraße 4 - Wilhelm Conrads Landhaus, 1870 von Julius Hennicke und Hermann von der Hude im klassizistischen Stil erbaut. 1970 abgerissen und durch Appartementanlage und Hotel ersetzt.
"Villa Liebermann" - Colomierstraße 3 - 1909 in Zusammenarbeit mit dem Bauherrn und Maler Max Liebermann von dem Architekten Peter Baumgarten entworfen. Liebevoll und sensibel mit großem persönlichen Engagement restauriert bildet das Haus heute als Museum wieder eine beeindruckende künstlerische Einheit von Architektur, Gartenanlage, Orginalgemälden und einer Dokumentation des Lebenswegs des Künstlers und seiner Familie.
Landhaus des Verlegers Carl Langenscheidt - Colomierstraße 1-2 - Carl Langenscheidt (1870–1952), Sohn des Verlagsgründers Gustav Langenscheidts ließ sich 1899 ein Landhaus im Fachwerkstil von Bodo Ebhardt (1865–1945) errichten. 1901 kam ein Stallgebäude mit Kutscher und Bedienstetenwohnung hinzu. Das Anwesen befindet sich noch in Familienbesitz.
"Haus Springer" des Verlegers Ferdinand Springer - Am Großen Wannsee 39/41 Vater Julius Springer gründete den Springer Verlag für wissenschafftlich-technische Literatur 1901 durch Architekt Alfred Messel - Werksteinbau mit steilem Mansarddach in Pfannendeckung und schindelverkleideten Giebeln .
"Villa Herz"- Am Großen Wannsee 52/54 - "Romantisches Märchenschloß" von Wilhelm Martens für den Fabrikanten Paul Herz im neoromanische-burgenhaften Stil erbaut.
Villa Marlier - "Haus der Wannseekonferenz" - Am Großen Wannsee 56/58 - Hier fand am 20. Januar 1942 die "Wannseekonferenz" statt, deren Inhalt die Organisation und Koordinierung der Deportation und Vernichtung der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas war.
"Villa Arons" – Am Großen Wannsee 5 – 1875 von Julius Hennicke und Hermann von der Hude errichtete Villa für den Bankier Heinrich Leo. 1880 von dem Bankier Barthold Arons erworben, dessen Sohn Bruno Ahrends ein Landhaus auf das miterworbene Nachbargrundstück baute
Literatur
- Ingo Krüger: Landhäuser und Villen in Berlin & Potsdam Nr.2 - Kleiner Wannsee. Aschenbeck & Holstein Verlag, Delmenhorst und Berlin 2004
- Ingo Krüger: Landhäuser und Villen in Berlin & Potsdam Nr.3 Grosser Wannsee. Colonie Alsen, Villa Liebermann; Aschenbeck & Holstein Verlag, Delmenhorst und Berlin 2005
- Ganz Berlin - Spaziergänge durch die Hauptstadt, Hinnerk Dreppenstedt, Klaus Esche (Hrsg.), Verlag nikolai, ISBN 3-89479-139-X, (2004)
- Klaus-Dieter Wille: 43 Spaziergänge in Zehlendorf und Wilmersdorf. Berliner Kaleidoskop Band 25 - Verlag Bruno Hessling, Berlin