Zum Inhalt springen

Apostasie im Islam

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 3. Mai 2007 um 19:07 Uhr durch Helmut Welger (Diskussion | Beiträge) (Der Fatwa-Ausschuss der Azhar über die Tötung von Apostaten). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Apostasie im Islam, meist Ridda oder Irtidad genannt, (arabisch ردة ridda, ارتداد irtidâd) bezeichnet den Abfall vom Islam und wird nach islamischem Recht (Schari'a) mit dem Tode bestraft.

Islamisches Recht

Derjenige, der vom Islam abgefallen ist, wird Murtadd (Apostat) genannt. Nach dem klassischen islamischen Recht ist die Todesstrafe die allgemein akzeptierte und in der Sunna des Propheten verankerte Strafe für Apostaten. Dabei beziehen sich die verschiedenen Rechtsschulen auf überlieferte Aussagen des Propheten Mohammed, Hadith, wie: „tötet denjenigen, der seine Religion wechselt“. Diese für die Verurteilung eines Apostaten maßgebliche Anweisung des Propheten wird schon im Muwatta' des Malik ibn Anas im 8.Jahrhundert und in den kanonischen Hadithsammlungen der Traditionswissenschaft einstimmig überliefert. Seltener werden Koranstellen zur Untermauerung des Todesurteils herangezogen, etwa 9:11-12 oder 16:106.

Der o.g. Prophetenspruch bezieht sich ausschließlich auf den Austritt aus dem Islam, denn die Schari'a kümmert sich nicht um den Religionswechsel der Angehörigen der anderen monotheistischen Religionen. Selbst in Fällen, in denen der Austritt aus dem Islam keine strafrechtlichen Konsequenzen haben sollte, drohen in vielen islamischen Ländern zivilrechtliche Folgen, die im klassischen islamischen Recht begründet sind:

  • Die Ehe zwischen dem Apostaten und dem muslimischen Ehepartner wird aufgelöst (z.B. Nasr Hamid Abu Zaid),
  • die gemeinsamen Kinder bleiben Muslime und sind vom muslimischen Elternteil zu erziehen,
  • erbrechtliche Ansprüche eines Apostaten/Apostatin sind durch irtidâd islamrechtlich erloschen,
  • das Vermögen des Apostaten wird vom Staat eingezogen.

Mit Ausnahme der hanafitischen Rechtsschule ist auch die Apostatin zu töten; Schwangere aber erst nach der Niederkunft. Für Frauen ist bei den Hanafiten lebenlange Freiheitsstrafe vorgesehen. Dies beruht auf der Argumentation, dass Frauen die Umma (muslimische Gemeinschaft) nicht bewaffnet bekämpfen.

In der frühislamischen Geschichte bezeichnete die Ridda das Abfallen der arabischen Stämme Zentralarabiens von der Religion, die unmittelbar mit der Verweigerung der Zakat-Zahlungen an den ersten Kalifen Abu Bakr nach dem Tod des Propheten Mohammed verbunden war. Die abgefallenen Stämme wurden daraufhin gezwungen, den Islam anzunehmen. In jener Zeit waren auch einige nach der islamischen Tradition „falsche Propheten“ in Zentralarabien aktiv. Für die historische Bedeutung der Ridda spricht die Tatsache, dass islamische Historiographen des 8. Jahrhunderts diese Ereignisse in den sog. Ridda-Büchern (kutub al-ridda) nach älteren, überwiegend mündlichen Überlieferungen verarbeitet haben.

Heutige Situation in verschiedenen Ländern

Im Sudan, Jemen und Iran sowie in Saudi-Arabien, Qatar, Pakistan, Afghanistan, Somalia und in Mauretanien kann Abfallen vom Islam noch heute mit dem Tode bestraft werden, und es werden vereinzelt auch Hinrichtungen durchgeführt, so etwa im Jahre 2000 bei einem somalischen Staatsbürger. Der Gelehrte Mahmud Muhammad Taha wurde im Sudan am 18. Januar 1985 offiziell wegen erwiesener Apostasie hingerichtet.

Muslime im Iran, die zu einer anderen Religion konvertieren, gelten als der Apostasie schuldig und werden mit der Todesstrafe oder mit lebenslanger Haft bestraft. Frauen werden eher mit lebenslanger Haft bestraft. [1][2] Im Jahre 2002 wurde der Hochschullehrer Haschem Aghadschari im Iran wegen Apostasie zum Tode verurteilt, weil er gesagt hatte, die Muslime sollen islamischen Geistlichen nicht „wie Affen“ folgen. [3]

In anderen muslimischen Ländern, in denen heute nicht mehr offiziell der Tod auf den Abfall vom Islam steht, wird der Mord an einem Murtadd oft nicht geahndet, da solch ein Mord von weiten Teilen der Bevölkerung gebilligt wird.

2005 wurde in Ägypten ein Mann, der zum Christentum übertrat, zwangsweise in die psychiatrische Anstalt eingewiesen und später auch von der Polizei gefoltert. [4] Ägypten ist ansonsten ein Land, das den Mord an Apostaten streng verfolgt, wie das Schicksal des Schriftstellers Faradsch Fauda zeigt, dessen Mörder hingerichtet wurden.

2006 drohte in Afghanistan Abdul Rahman wegen Konversion zum Christentum die Todesstrafe, bis das Verfahren, laut offiziellen Angaben, wegen Verfahrensmängeln vor der Prozesseröffnung eingestellt wurde. Er wurde für geisteskrank erklärt, reiste nach Italien aus und erhielt dort Asyl.

In Libyen wird ein Abfall vom Islam mit dem sofortigen Verlust der Staatsbürgerschaft sanktioniert.

Nach der Verfassung Malaysias sind alle ethnischen Malaien von Geburt an Muslime. Ein Abfall vom Islam ist nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich und erfordert viel Zeit und Geduld. Die Verfassung verbrieft Religionsfreiheit, so dass der Weg nicht vollständig versperrt ist. Zunächst ist ein "Borang Keluar Islam" (Formular zum Austritt aus dem Islam) auszufüllen und über einen längeren Zeitraum der Beweis anzutreten, wirklich nicht mehr zum Islam zurückkehren zu wollen (i.a. ca. zwei Jahre). Hierzu finden regelmäßig Gespräche mit einem Iman statt. Schließlich muss ein Sharia-Gericht entscheiden. Da dieser Weg sehr mühselig ist, wird er vergleichsweise selten genutzt.

Auch in Deutschland müssen Apostaten vom Islam mit Morddrohungen rechnen, beispielhaft ist die Situation für die Mitglieder des Zentralrates der Ex-Muslime.

Der Fatwa-Ausschuss der Azhar über die Tötung von Apostaten

Rechtsgutachten

Ein Rechtsgutachten (fatwa) des Fatwa-Ausschusses der Azhar, der renommiertesten Institution des sunnitischen Islam, über die Tötung von Apostaten aus dem Jahr 1978. Übersetzung des Originaldokumentes aus dem Arabischen:

"al-Azhar. Fatwa-Ausschuss.
Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes.
Frage des Herrn Ahmad Derwisch; er hat diese Frage durch Herrn (Name nicht sichtbar), deutscher Staatsangehörigkeit, vorgelegt:
Ein Mann muslimischen Glaubens und ägyptischer Staatsangehörigkeit heiratete eine Frau christlichen Glaubens und deutscher Staatsangehörigkeit. In Übereinstimmung der Eheleute trat der genannte Muslim in die christliche Religion ein und schloss sich dem christlichen Glauben an.
1 - Was ist das Urteil des Islams über den Status dieser Person mit Hinblick auf die islamischen Strafen?
2 - Werden seine Kinder als Muslime oder als Christen angesehen? Was ist das Urteil?"

Die Antwort:

"Alles Lob gebührt Gott, dem Herrn der Welten. Segen und Friede sei mit dem Siegel der Propheten, unserem Herrn Muhammad, seiner Familie und allen seinen Gefährten.
Hiermit erteilen wir Auskunft: Da er vom Islam abgefallen ist, wird er zur Reue aufgefordert. Zeigt er keine Reue, wird er islamrechtlich getötet.
Was seine Kinder betrifft, so sind sie minderjährige Muslime. Nach ihrer Volljährigkeit, wenn sie im Islam verbleiben, sind sie Muslime. Verlassen sie den Islam, werden sie zur Reue aufgefordert. Zeigen sie keine Reue, werden sie getötet.
Und Gott der Allerhöchste weiß es am besten.
Siegel des Ausschusses. Der Vorsitzende des Fatwa-Ausschusses in der Azhar.
(gez. unleserliche Unterschrift). Datum: 23. September 1978
Siegel mit Staatswappen: Die Arabische Republik Ägypten. Al-Azhar. Der Fatwa-Ausschuss in der Azhar."

Meinungen britischer Muslime zur Apostasie

Bei einer repräsentativen Meinungsumfrage unter 1003 britischen Muslimen waren 36 Prozenten der 16-24-Jährigen der Meinung, dass Muslime, die sich einem anderen Glauben zuwenden, getötet werden sollten. Auch sagen dies 19 Prozent der über 55-Jährigen. [5]

Siehe auch

Sachthemen

Personen

Literatur

  • Frank Griffel: Apostasie und Toleranz im Islam. Die Entwicklung zu al-Gazâlîs Urteil gegen die Philosophie und die Reaktion der Philosophen. Brill, Leiden 2000, ISBN 9004115668
  • R. Peters, G.J.J. de Vries: Apostasy in Islam. In: Die Welt des Islams. 17/1976–1977, S. 1–25
  • Yohanan Friedmann: Tolerance and Coercion in Islam. Interfaith Relations in the Muslim Tradition. Cambridge University Press, Cambridge 2003, ISBN 0521827035
  • Ibn Warraq: Leaving Islam: Apostates Speak Out
  • The Encyclopaedia of Islam. Supplement. Fasc.9-10. S. 692-695, Brill, Leiden 2004, ISBN 90-04-13214-7

Quellen

  1. Asylgutachten Amnesty International Deutschland Deutschland
  2. Spiegel online vom 5. Juni 2006
  3. Profile: Hashem Aghajari, BBC, July 9, 2003
  4. Meldung, IGFM, 5. Juli 2005
  5. Junge britische Muslime wenden sich verstärkt dem Islam zu