Zum Inhalt springen

Tyr

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 3. Mai 2007 um 16:55 Uhr durch Alexander Leischner (Diskussion | Beiträge) (Umfassende Etymologie und Herkunft). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Týr, hier mit beiden Armen unversehrt dargestellt, wird oft mit dem Kriegsgott Mars gleichgesetzt (Island, 18. Jh)

Der gemeingermanische Gott *Teiwa[1](Tiwaz) ist aus den altisländischen Schriften der Edda unter der altnordischen Namensform Tyr allgemein am bekanntesten und gebräuchlichsten[2] . Ähnlich lautende Formen sind die im altenglischen Tiw,Tig und althochdeutsch Ziu, Tiuz.

Umfassende Etymologie und Herkunft

Dieser Name bedeutet eigentlich „göttlich“ und entspricht lateinisch divus, er ist nahe verwandt, aber nicht identisch, mit dem indogermanischen Himmelsgott altgriechisch Zeus, lateinisch Iuppiter und dem alten Wort für den Taghimmel[3]. Tyr ist nach der Edda der einhändige Kriegs- und Rechtsgott (Souverän[4]) der germanischen Mythologie[5]. Ferner ist die altnordische Form des Runennamens der t-Rune (vom gemeingermanischen *tīwaz; im gotischen Alphabet ist tyz der Name des Buchstaben "T").


Der Name ist urverwandt mit griechisch Zeus (neugriechisch Δίας, Dias o. Thias). Nach einer Theorie von Friedrich Max Müller sind aus dem indogermanischen „Vatergott“ der germ. Ziu, der griechisch „Zeus“ Ζεύς πατήρ (Zeus patér), der römische Jupiter (von Diēspiter, Gott-Vater), der vedisch-ai. Dyaúh pitá[6] und der illyrische Δει-πάτυρος (Dei-pátyros)[7]. Doch kann man alle diese Formen auf das Wort dyaus zurückführen, das er als „Erscheinung“ oder „Strahlung“ auffasste. Dieses Wort führt auf deva, deus und theos (griechisch: θεός) als Begriffe für Gott.[8]

Tiwaz/Tyr war bei den Indogermanen und, bis hinein zur Völkerwanderungszeit, in Mitteleuropa der ursprüngliche Himmelsgott und Hauptgott. Der frz. Religionswissenschaftler Dumezil hat auf die Strukturparallele zur Figur des Scaevola in der altrömischen Heldensage hingewiesen. Eine Ähnlichkeit besteht auch zu dem irischen Nuada mit der „Silberhand“[9]. Er wurde aber durch das Aufkommen und der Verbreitung des Wodankultes von Nordwestdeutschland her, und der Vereinigung und Bildung zu Großstämmen aus den westgermanischen Stämmen (Sachsen, Franken u. bedingt die Friesen), bis zum skandinavischen Norden von diesem verdrängt[10], noch im 6. Jahrhundert wurde in Norwegen Tiuz vor allen anderen Göttern geopfert und als höchster Gott verehrt[11]. Diese Umbrüche führten dann im neunten und zehnten Jahrhundert zu einem Umbau des nordgermanischen Götterhimmels, und das Ergebnis der hochmittelalterlichen Sammlungen der Edda spiegeln das Ursprüngliche Bild Tiwas/Tyr's nur noch schwach wieder[12] und sind nicht tatsächlich zu verstehen[13].

Der Gott Ziu wird in den althochdeutschen Quellen sonst nicht ausdrücklich erwähnt, eine Glosse zum sogenannten Wessobrunner Gebet nennt aber die Allemannen Cyowari (wohl: Verehrer des Cyo), ihre Hauptstadt sei Ciesburc (Augsburg); mit diesem Cyo ist wohl Ziu gemeint, falls es sich nicht um eine Verschreibung von „Raetiuvari“ („Anwohner von Raetien“) und „Raetiesburc“ handeln sollte. Augsburg (Augusta Vindelicorum) war Hauptstadt der römischen Provinz Raetien, hatte in der Geschichte des schwäbischen Stammesgebiets schon früh eine bedeutende Position und zeitweise den Rang der schwäbischen Hauptstadt inne. Besonders stark war die kultische Verehrung Tyr's bei den Sueben, die später auch in den Allemannen aufgingen.

Saxnot

Tiwaz/Tyr ist höchstwahrscheinlich mit dem sächsischen Saxnot identisch. Das sächsische Taufgelöbnis, das in einer Fuldaer Handschrift des 9. Jahrhunderts überliefert ist, ermöglicht, die Namen der wohl wichtigsten von den Sachsen verehrten Götter kennenzulernen. Es lautet: „Ich widersage allen Werken und Worten des Teufels, Thuonar, Wodan und Saxnot und allen Unholden, die ihre Gefährten sind“. Donar und Wodan sind gemeingermanische Götter; hier hingegen erscheint der Himmelsgott Tiwaz als Saxnot. Die Gottheit erhält die Bennenung nach dem Volk, ähnlich wie das Kurzschwert- Hiebmesser „Sax“ genannt wird, und nur mit den Sachsen verbunden und für sie in der Namensform wohl identitätsstiftend war. In dieser Konstelation ist Tiwas/Tyr so nur in der sächsischen Vorstellungswelt anzutreffen.

Tyr in der isländisch-nordischen Mythologie

Nach den eddischen Schriften der Lieder-Edda wird der Riese Hymir als Vater Tyr's genannt[14], aber abweichend davon wird in der Prosa-Edda Odin als solcher genannt (Frigg als Mutter). Er galt als der Beschützer des Things, der Stammesversammlung. Sein Symbol ist das Schwert, mit dem er sich selbst ins Schlachtengetümmel stürzt. Um den Fenriswolf durch eine magische Fessel binden zu können, sieht sich Tyr genötigt, dem gefährlichen Wolf die eigene Hand als Pfand ins Maul zu halten (vgl. Fenriswolf) [15]. Als der Wolf jedoch merkt, dass die Götter ihn gefesselt halten wollen, beißt er Tyr die Hand ab, und dieser muss fortan mit der linken Hand kämpfen. Im Ragnarök tötet Tyr Garm, den Höllenhund, wobei er aber selbst zu Tode kommt[16].

Der Wochentag Dienstag

Im westgermanischem Bereich hat neben Tiwaz offensichtlich auch noch die Nebenform dieses Götternamens existiert, die in einer friesisch-lateinischen Inschrift des 3. Jahrhunderts n.Chr. als Mars Thingsus belegt ist und auf die der deutsche Wochentagsname Dienstag (zu älterem dingesdach) zurückgeht. Die althochdeutsche Übersetzung des römischen Wochentagnamens dies Marti (Tag des Mars) lautete Ziostag (alemannisch Ziestag, heutiges Schweizerdeutsch Ziischtig, schwäb. Zeischdig) und bestätigt damit auch für den Kontinent die für die Skandinavier und Angelsachsen belegte Gleichsetzung des römischen Kriegsgottes Mars mit dem germanischen Tiwaz (vgl. auch engl. „Tuesday“ (Tiu) und franz. „Mardi“, Mars).[17]

Quellen und Fußnoten

  1. A.Bach:Die Geschichte der deutschen Sprache- I. Vorgeschichte der deutschen Sprache, 3. Das Gemeingermanische §29, 2 : „Als ältestes germ. Sprachdenkmal, das gegen 300 v. Chr. entstanden sein könnte, hat die Inschrift eines 1812 in Negau in Südsteiermark gefundenen Helmes zu gelten. Sie lautet: „harigasti *teiwa“ . Man schwankt u.a., ob in harigasti ein Personenname steckt und in teiwa der Göttername Ziu oder ob das erste Wort ein Göttername und das letztere das Appelativum in der Bedeutung „Gott“ ist. Die Inschrift ist in nordetruskischer Schrift überliefert.“
  2. HERDER:Lexikon der germanischen und keltischen Mythologie, Stichwort→ Tyr
  3. Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache - Stichwort→ Dienstag S.199
  4. G.Dumézil:* Mythes et dieux des Germains - Essai d'interprétation comparative, Paris 1939 - Referenz bei U.Diedrichs: Mythologischen Wörterbuch, zum Stichwort → Tyr
  5. U.Diedrichs: Die Prosa-Edda in der Übertragung von Gustav Neckel: Gylfis Betörung; S.143 „..und so ist er einhändig und gilt nicht als Friedensstifter unter den Menschen.“
  6. J.Grimm:Deutsche Mythologie, S.140
  7. A.Bach:Gesch. d. dt. Spr. I. Vorgesch. d. dt. Spr., 1. Das Indogerm. §19,1 ergänzt mit der illyr. Wortgleichung.
  8. Kluge:Stichwort → Gott; „ ..ursprünglich offenbar ein Neutrum, dann übertragen auf den christlichen Gott... Vermutlich Abstraktbildung mit ableitenden -t- zu ig. *g(h)eu- gießen (besonders bei Opferhandlungen) [Vergleiche mit ai. u. avest. zeigen ebenfalls gießen u. opfern an].. Urprünglich also Gießen,Opferung, dann übertragen auf den Gott, zu dessen Ehre das Opfer stattfindet.“
  9. G.Dumézil: Lokistudie (dt. 1959) „Wir wissen heute wer Tyr ist:...neben Odin repräsentiert er den anderen Aspekt der zweigeteilten Souveränität....in der röm. Sage um Mucius Scaevola u.a. indoeurop. Überlieferungen müsse der „Gott“ der sebst für das Recht zuständig ist, zur Bewahrung der kosmischen Ordnung einen Verrat begehen und das Recht brechen - er verliert dadurch seine Schwurhand
  10. W.Golther: Handbuch der gemanischen Mythologie, Kapitel 9: Die nordische Mythologie, ihr Verhältnis zur deutschen und gemeingermanischen: „Thor und Freyr entwickelten sich selbständig bei Norwegern und Schweden aus urgermanischen Göttergestallten, aus Donar und Tiuz. Wodan aber wanderte als Fremdling aus Deutschland in den Norden, worauf die Überlieferung selber hinweist.“
  11. Prokopius: Der gotische Krieg 2,15 ; von den Thuliten, d.h. den Skandinaviern
  12. W.Golther:„Im Volke (Norweger u. Schweden) leben Thor und Freyr, die nur selten und wohl nur unter den höfischen skaldischen Einfluss Odin neben sich dulden. Die nordische Literaturgeschichte....zur Erkenntnis geführt.... das ..Eddalieder der Skaldenpoesie zuzurechnen seien, nicht als uralte schlichte Volksballaden gelten dürfen“
  13. Rudolf Simek: Mittelerde – Tolkien und die germanische Mythologie; München: C.H. Beck, 2005, S.11: „Sowohl die Archäologie als auch neuerdings die Literaturwissenschaften haben zeigen können, daß uns die Quellen deswegen ein so uneinheitliches, nur schwer zu homogenisierendes Bild geben, weil die germanische Religion regional, sozial und chronologisch außerordentlich stark differenziert war, so daß wir eigentlich eher von ,germanischen Religionen’ sprechen müßten. Die Quellen müssen daher heute ganz anders und viel kritischer verwendet werden, als man das damals, bald nach der erstmaligen Herausgabe vieler literarischer mittelalterlicher Texte konnte“
  14. U.Diedrichs: „Germanische Götterlehre“ - DieLieder-Edda in Felix Genzmer's Übertragung: Das Hymirlied; S.63 Strophen 4-11
  15. U.Diedrichs: Die Prosa-Edda in der Übertragung von Gustav Neckel: Gylfis Betörung; S.143 „Es gibt einen Asen namens Tyr...Er bewies Tapferkeit, als die Asen den Fenrirwolf verlockten,...bis sie ihm zum Pfande die Hand des Tyr ins Maul legten...da biß er die Hand ab.“
  16. U.Diedrichs: Die Prosa-Edda in der Übertragung von Gustav Neckel: Gylfis Betörung; S.173
  17. Kluge: Stichwort→ Dienstag S.199

Literatur

  • Adolf Bach: Die Geschichte der deutschen Sprache - Hochschulwissen in Einzeldarstellungen - Verlag Quelle & Meyer, Heidelberg 1965 8.Auflage
  • Ulf Diedrichs: Germanische Götterlehre mit mythologischen Wörterbuch - Eugen Diedrichs Verlag, München 1983 5. Auflage 1993 ISBN 3-424-00746-3
  • Georges Dumézil: Mythes et dieux des Germains - Essai d'interprétation comparative, Paris 1939 - Epochemachende Arbeit des Religionshistorikers: „Die germanischen Mythen und die Dreifunktionalität der indo-europäischen Welt.
  • Wolfgang Golther: Handbuch der germanischen Mythologie; Wiesbaden: Marixverlag, 2004; ISBN 3-937715-38-X ; (überarbeiteter Nachdruck der Ausgabe von Leipzig: S. Hirzel, 18951)
  • Jacob Grimm: Deutsche Mythologie K. W. Schütz- Verlag, Coburg. ISBN 3-87725-133-1 (Überarbeiteter Reprint der Originalausgabe der 2. überarbeiteten Auflage von 1844, nach dem Exempar des Verlagsarchives von 1943)
  • HERDER Lexikon - Der germanischen und keltischen Mythologie ISBN 3-451-04250-9
  • Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Verlag De Gruyter 24.Auflage 2002 ISBN 978-3-11-017473-1
  • Rudolf Simek: Mittelerde – Tolkien und die germanische Mythologie; München, C.H. Beck 2005 ISBN 978-3406528378
  • Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie; Stuttgart (Kröner) 1984 ISBN 3-520-36801-3

Antike Autoren als Quelle

Siehe auch