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Lokalanästhesie

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Die Lokalanästhesie (v. griech.: αισθησισ = Wahrnehmung, an- = nicht + lat.: locus = Ort) ist eine Form der Anästhesie, syn.: Regionalanästhesie. Sie bewirkt die zeitweilige, umkehrbare Funktionshemmung von ausgewählten Nerven. Sie führt dabei zu Empfindungslosigkeit, Schmerzfreiheit und Hemmung der aktiven Beweglichkeit in Teilen (Regionen) des Körpers.

Die Lokalanästhesie ermöglicht auf anderem Wege als die Narkose unangenehme (z.B. schmerzhafte) medizinische Prozeduren, wie Operationen und verschiedene Untersuchungen.

Geschichte (Auswahl)

Der Beginn der modernen Lokalanästhesie ist mit den Namen C. Koller, W. St. Halstedt und A. Bier verbunden.

1884

Die gerade 40 Jahre alte und noch unentwickelte Narkose bot dem operierenden Augenarzt Carl Koller (1857-1944) entscheidende Nachteile. Auf der Suche nach einer Alternative gab ihm Sigmund Freud den Rat, es mit Cocain unter örtlicher Anwendung zu versuchen.

Im folgenden Selbstversuch erkannten Freud und Koller, dass Cocain bei Verkostung die Zunge betäubt. Nach erfolgreichen Tierversuchen wendete Koller das Mittel für seine Augenoperationen am Menschen an. Er träufelte Cocain-Lösung auf das Auge auf, wobei das Mittel von selbst in das Auge eindrang (Oberflächenanästhesie). Koller gilt als der Vater der Lokalanästhesie.

um 1900

Der Chirurg William Steward Halsted (1852-1922) spritzte Cocain in unmittelbare Nähe von Nerven und unterbrach damit deren Leitungsfunktion (Leitungsblock). Mit hoher wissenschaftlicher Produktivität gelang es ihm, die Zugangswege zu den unterschiedlichsten Nerven zu erkennen.

Im Laufe ihrer Selbstversuche wurden Halsted und einige seiner Mitarbeiter sogar Cocain-abhängig. Es gelang Halsted aber, seine Abhängigkeit zu besiegen. Im Laufe seiner weiteren erfolgreichen Karriere entfernte er sich von der Lokalanästhesie, entwickelte einigen chirurgische Operationsmethoden (z.B. eine Methode der Brustamputation nach Rotter/Halsted), die er aber nur noch in Allgemeinanästhesie ausführte.

1898

Der Chirurg August Bier (1861-1949) führte die Spinalanästhesie ein. Er ließ sich von seinem Assistenten O. Hildebrandt 2 ml einer 1%igen Cocain-Lösung rückenmarksnah (also in Strukturen der Wirbelsäule) injizieren.

Der Versuch gelang insofern, als dass die erwünschte Wirkung eintrat. Die beiden Wissenschaftler testeten den Effekt u. a. von Hammerschlägen gegen das Schienbein (von Bier), kräftigen Massagen der Hoden (auch von Bier!), wobei dieser keinen Schmerz verspürte. Bier und Hildbrandt feierten den Erfolg mit einem kräftigen Trinkgelage.

Am nächsten Tag litten Bier und sein Assistent an extremen Kopfschmerzen, die sie auf den Alkoholgenuss zurückführten. Nach heutigem Wissen ist bekannt, dass sie am sogenannten postpunktionellen oder postspinalem Kopfschmerz litten, einem Problem dass gelegentlich nach rückenmarksnahen Anästhesien (Spinalanästhesie) beobachtet wird. Es handelt sich um eine unangenehme Begleiterscheinung dieser Methode, die am häufigsten bei Frauen zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr auftritt. Synonym wird der Begriff "Liquorverlustsyndrom" benutzt, der die Ursache der Kopfschmerzen beschreiben soll. Mit der Verwendung von wesentlich dünneren Nadeln zur Punktion des Liquorraums ist diese Komplikation in der heutigen Zeit selten geworden.

Ziele und Wirkungen

Schmerzauschaltung
Die Lokalanästhesie verfolgt vorrangig das Ziel der Schmerzausschaltung durch Unterbrechung der Schmerzleitungsfunktion von Nerven (afferente Fasern).
Empfindungsausschaltung
Durch Funktionsunterbrechung bestimmter A-Fasern erfolgt eine Ausschaltung von Berührungs- und Vibrationsempfindung (afferente Fasern, Nomenklatur von Nervenfasern siehe Nerv)
Lokale Lähmung
Bestimmte Nerven leiten Bewegungsinformationen vom Gehirn zur Willkürmuskulatur (motorische efferente Fasern). Die Funktionsunterbrechung dieser Nerven bewirkt eine Ausschaltung der aktiven(!) Beweglichkeit (Lähmung) der betreffenden Muskeln.

Mittel

Die Lokalanästhesie kann durch

  1. Kälte (z. B. durch Einsprühen mit Chloräthylspray) oder
  2. durch Applikation eines Lokalanästhestikums

erzeugt werden.

Lokalanästhetika

Die Lokalanästhestika lassen sich in zwei Gruppen unterteilen:

1. Aminoester

z. B. Procain, Tetracain (führen gelegentlich zu allergischen Reaktionen)

2. Aminoamide

z. B. Lidocain, Bupivacain, Ropivacain

Methoden

Oberflächenanästhesie
Das Lokalanästhetikum wird auf die Körperoberfläche aufgebracht (z. B. in das Auge eingeträufelt, s. C. Koller). Von vornherein sind dazu nur Schleimhäute geeignet. Durch geeignete Verfahren können einige Mittel aber auch die normale Haut durchdringen (Pflaster, Elektrophorese).
Infiltrationsanästhesie
Das Lokalanästhestikum wird direkt im Operationsgebiet eingespritzt (injiziert). Damit werden aber auch die Eigenschaften des zu operierenden Gewebes verändert, außerdem werden relativ große Mengen an Lokalanästhetikum benötigt.
Leitungsanästhesie
Das Lokalanästhestikum wird im Verlauf des gewünschten Nervs und in einer gewissen Entfernung vom Operationsgebiet injiziert. Dadurch unterbleibt eine Gewebebeeinflussung des OP-Gebietes (s. Infiltrationsanästhesie). Außerdem können gegenüber der Infiltrationsanästhesie bei Einsparung von Anästhetikum größere Gebiete anästhesiert werden. (Beispiele sind die Armplexusanästhesie mit Ausschaltung von N. radialis, N. medianus, N. ulnarins und N. muculocutaneus für OPs an Hand und Arm, sowie der 3in1-Block für OPs am Bein mit Ausschaltung folgender Nerven: N. femoralis, N. cutaneus femoris lateralis und N. obturatorius).
Spinal- und Periduralanästhesie (PDA)
Das Lokalanästhetikum wird rückenmarksnah injiziert. Bei der Spinalanästhesie (syn.: Lumbalanästhesie) erfolgt die Injektion direkt in den Subarachnoidalraum, bei der Periduralanästhesie in den Periduralraum, die Dura wird also hier nicht verletzt. Mit geringsten Mengen können (besonders bei der Spinalanästhesie) große Körpergebiete anästhesiert werden. Die Spinalanästhesie ist z.B. zur Ausschaltung des gesamten Unterkörpers für OPs ab Leistenregion abwärts geeignet. Für beider Verfahren gibt es Kathetertechniken, die längere Therapiezeiträume ermöglichen.
Bier'sche Venananästhesie (auch Bier-Block, iv-Regionalanästhesie)
Das Lokalanästhetikum wird in eine Vene einer nicht durchbluteten Gliedmaße gespritzt. Die Einschränkung der Durchblutung erfolgt durch eine Blutsperre. Das Verfahren ist für Operationen an Arm und Bein geeignet.