Elektronisches Dokumentenmanagement
Um die Vielzahl von Dokumenten, die in großen Firmen anfallen, effizienter verwalten zu können, werden diese, so sie nicht bereits elektronisch z.B. als E-Mail vorliegen, eingescannt und mit einem EDV-Verfahren verwaltet. Dabei sind das zentrale Verwaltungssystem, das kurz EDM-System für Elektronisches Dokumentenmanagementsystem genannt wird, und die darin gespeicherten Dokumente dezentral zugreifbar, mit dem Vorteil, dass das Dokument im Unternehmen jeweils nur einmal vorzuliegen braucht.
Begriffsabgrenzung
Moderne EDM-Systeme bieten heute fast immer Workflow-Komponenten mit an. Das sind Funktionen mit denen die Dokumente oder Dokumenten-Sets automatisch von Bearbeiter zu Bearbeiter bzw. von Bearbeitungsschritt zu Bearbeitungsschritt weitergeleitet werden. Und ebenso schließen auf der anderen Seite Workflow-Management-Programme und andere betriebswirtschaftliche Software z.B. für Customer Relationship Management oder Product Lifecycle Management wie auch CAD-Systeme (Computer Aided Design, Programme für das Erstellen Technischer Zeichnungen) immer öfter EDM-Komponenten mit ein.
Desweiteren gibt es eine Ähnlichkeit zu Suchmaschinen, wie etwa den aus dem Internet bekannten Systemen "Alta Vista" oder "Google". EDM-Systeme schließen Suchfunktionalität immer mit ein, oft ist sie aber nicht derart ausgefeilt wie bei den professionelleren Internet-Suchmaschinen oder auf einen bestimmten inhaltlichen Bereich zugeschnitten. EDM-Systeme bieten dagegen viele andere, zusätzliche Funktionalitäten, die reine Suchmaschinen-Programme nicht mit abdecken.
Eine weitere recht ähnliche Software-Kategorie sind Content-Management-Systeme, mit denen v.a. Intranet- oder Internetseiten in großen Firmen-Homepages verwaltet werden. Mit den Funktionen vieler heutiger EDM-Verfahren (v.a. Web-Schnittstelle) sind grundlegende Content-Management-Funktionen ebenfalls realisierbar.
Schließlich gibt es noch den Begriff der EAI-Software (Enterprise Application Integration). Ein EDM-System ist insofern ein Beispiel für ein EAI-System, da es zumeist mit Schnittstellen zu wichtigen anderen Software-Anwendungen ausgestattet ist, wie zu den Editoren für die Änderung der verschiedenen verwalteten elektronischen Dokumentenformate oder zum Zwecke des Dokumentenaustausches zu E-Mail-Programmen oder anderen wichtigen Business-Applikationen, wie den zahlreichen Produkten der SAP AG.
Nutzen
- Sicherstellen der leichten Wiederauffindbarkeit von Dokumenten (Suchmaschine, Verschlagwortung, Vergabe eindeutiger Dokumente-Identifikatoren)
- Sicherstellen der langfristigen Lesbarkeit von Dokumenten (durch automatische Konvertierung in aller Voraussicht nach "zeitlose" Dateiformate wie TIF oder PDF)
- Sicherstellung der gesetzlichen Archivierungsfristen (teils bis zu 30 Jahren)
- Verwaltung von Bearbeitungsständen (Versionen)
- Unterstützung der Dokumentenerstellung (Vorlagenverwaltung, Dokumentbeauftragungs-Workflow, Lese-Schreib-Synchronisation bei Dokumentenerstellung im Team, Prüf-Worflow, Freigabe-Workflow, Verteil-Workflow, Archivierungs-Workflow)
- Automatisierung von Geschäftsprozessen mit Dokumenten
- Sicherstellen eines Zugriffsberechtigungskonzeptes (Informationssicherheit und Datenschutz)
- Protokollieren sämtlicher Manipulationen an den Dokumenten und der Weiterleitungen der Dokumente
- Verhindern vermeidbarer Speicherplatzkosten, die oft durch Mahrfachablage von Dokumenten entsteht (auf den E-Mail-Servern, auf Projekt-, Abteilungs- und Benutzerlaufwerken)
- Verhindern von Unklarheiten über die Gültigkeit von Dokumentenständen und Konflikten durch parallele Änderungen
- Verhindern von Doppelarbeit und Doppelablage
Technologie
EDM-Systeme sind komplexe Systeme aus Datenbankservern mit den Dokumentendaten, File-Servern auf denen Dokumente im Bearbeitungszustand gehalten werden (genannt "Vaults"), mehrstufigen Archivierungssystemen auf denen Dokumente im Endzustand gespeichert werden, Konvertierungsservern, die diesen Endzustand im Langzeitdateiformat herstellen und Kommunikationsservern, die die Transaktionen an das Zentralsystem auf Netzwerkprozessebene verwalten.
Zum Zugriff auf das Zentralsystem gibt es Client-Programme auf der Grundlage von Client-Server-Technologie oder neuerdings Web-Technologie, die dezentral auf den Netzwerk-PCs der Benutzer letztere in deren Internet-Browser laufen, die Nutzeranfragen über das Netzwerk weiterleiten und die Systemantworten über das Netzwerk empfangen und dem Nutzer anzeigen.
Betriebswirtschaftliche Betrachtung
Aufgrund dieser komplexen Technologie sind Hardwareanschaffungen, Softwarelizenzen aber vor allem Betrieb und Betreuung für derartige Systeme extrem teuer. Nicht unterschätzt werden dürfen vor allem auch die hohen Administrationsaufwände für Benutzerrollen, -rechte, Schlagwort-Wörterbüchern (Klassifikationssysteme) u.ä.
Oftmals hängen an einem umfassenden EDM-System auch weitere personal-erfordernde Dienste, wie Vorlagenmanagement-Abteilung, Scan-Abteilung, zentrales Druck- und Druckverteil-Zentrum, formale Prüfdienste, Dokumenten-Import und -Export-Dienste (elektronische Kundenschnittstelle), System-Hotline in bis zu 3 Level.
Der wesentliche Vorteil der leichteren und langfristigeren Wiederauffindbarkeit wird nicht allein durch das elektronische System sichergestellt, sondern durch die Aufstellung und Pflege von Schlagwort-Wörterbüchern (Klassifizierungssysteme, Thesauren) und die entsprechende Verschlagwortung bei der Ablage/beim Speichern von Dokumenten.
Dieses und die durch die Systemkomplexität im Vergleich zu der Dokumentenablage auf einfachen File-Servern im Firmennetzwerk mindestens um Faktor 2 langsamere Ablage von Dokumenten verursacht Mehraufwände bei allen Mitarbeitern die ihre Dokumente mit einem EDM-System ablegen.
Diese Mehraufwände kommen durch eingesparte Suchaufwände wieder herein, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass nicht auf jedes in einem Unternehmen einmal abgelegte Dokument noch einmal zugegriffen werden muss.
Der eigentliche Mehrwert der Verwendung eines EDM-Systems entsteht vor allem, wenn Dokumente nach langer Zeit aufgrund gesetzlicher Erfordernisse wiederaufgefunden werden müssen und durch das Wiederauffinden entsprechende finanzielle Sanktionen vermieden werden können, die für ein Unternehmen erheblich sein können. Ein anderer Fall ist, dass durch das Auffinden eines alten Dokumentes eine kostenintensive Doppelentwicklung vermieden werden kann.
Da die meisten Unternehmen für solche Langzeit-Risiken nicht pauschal Rückstellungen treffen, ist der sog. Return-Of-Investment für den Einsatz von EDM-Systemen kaufmännisch teils nur schwer vermittelbar.
Desweiteren ergeben sich kaufmännisch ebenfalls schwer zu quantifizierende Qualitätsvorteile, die vor allem auch in den Kundenbeziehungen zur Geltung kommen.
Weitere betriebswirtschafliche Herausforderungen stellen die hohen Fix-Kosten für Softwarelizenzen und Betrieb und Betreuung einerseits und die beträchtlichen Kosten pro Anwender für arbeitsplatz-/prozessspezifische Konfiguration, Training und für das "interne Marketing" der Einführung der EDM-Anwendung und der genannte Arbeitszeiteinsatz pro Anwender dar.
Während die Kosten mit steigender Anwenderzahl stetig zunehmen, sinkt mit steigender Systemanwendung im Unternehmen das Risiko der Nicht-Auffindbarkeit wichtiger Dokumente. Dagegen sind die Kosten bei geringster Anwenderzahl zwar auf den ersten Blick relativ am niedrigsten, wegen der hohen Fix-Kosten jedoch weiterhin erheblich und es steht diesen erheblichen Kosten dann so gut wie kein Nutzen gegenüber.
Bewertung
Oftmals stoßen zentrale EDM-Systeme heute noch an Grenzen, bei mobilen Mitarbeitern mit internationaler Geschäftstätigkeit. Hierfür wären "Koffer-Packen"- und "Synchronisations"-Funktionen mit z.B. projektweisen Kopien von Dokumentenbeständen auf Laptops als EDM-Funktionalität dringend erforderlich.
Desweiteren bieten die meisten EDM-Systeme zwar die Funktion an, elektronisch navigierbare Relationen zwischen im System abgelegten Dokumenten zu erstellen, jedoch fehlt es an Verwaltungsmöglichkeiten für modular zusammengebaute Dokumente, bei denen z.B. ein Dokument als Teil eines anderen angezeigt wird (vgl. Funktionalität der Hyperlinks, OLE, eingebettete Grafiken u.ä.). Oftmals sind solche Beziehungen bei aus einem EDM-System heraus geöffneten Dokumenten durch die entsprechende Applikation dann nicht mehr auflösbar. Die Abhilfe mit der Arbeitsanweisung an die Mitarbeiter, auf derartige Modularisierungen zu verzichten, bringt dann wieder einige Nachteile mit sich, die der Einsatz von EDM eigentlich beseitigen soll, nämlich Doppelarbeit und Doppelablage gleicher Dokumente(nmodule) und Probleme bzgl. der Aktualität socher Mehrfachinstanzen.
Ein weiteres wesentliches Problem stellt oftmals die Pflege und die Schulung der Schlagwort-Wörterbücher (auch Klassifizierungssysteme oder Thesauri genannt) dar. Die für die Pflege des Thesaurus zuständige Organisationseinheit ist oft mit den inhaltlichen Bedeutungen der Schlagworte und damit mit der Sicherstellung von Einordnungsrichtigkeit und Redundanzfreiheit überfordert. Sie gibt deshalb den Anträgen auf neue Ablage-Begriffe zu leichtgebig nach. Andererseits überblicken die Antragsteller aus den Geschäftsprozessen oft nicht den bestehenden Aufbau der Schlagwortstruktur. Die Folge ist dann sehr oft ein babylonisches Gewirr an Schlagwortsystematiken und -redundanzen, das den Vorteil der leichten Wiederauffindbarkeit von Dokumenten in einem EDM-System nach inhaltlichen Kriterien schnell grundsätzlich in Frage stellen kann.
Selbstlernende Systeme mit Ähnlichkeitsvektoren und/oder neuronalen Netzen, mindestens aber die Möglichkeit der Volltextsuche wären hier die Lösung. Solche Technologien werden heute aber noch nicht bei allen EDM-Systemen angeboten bzw. führen bei einer zu großen Menge von Dokumenten zu einer dem Anwender nicht mehr zumutbaren Beeinträchtigung der Performanz seiner Suchanfragen, weshalb solche Möglichkeiten in der Konfiguration des EDM-Systems oftmals deaktiviert werden, auch wenn sie prinzipiell vorhanden sind.
Der Einsatz von Workflow-Management-Komponenten muss mit einem entsprechenden konventionellen Ressourcen-Management einhergehen. Die schnelle, elektronische Weiterleitung der Arbeitsschritte nützt nichts, wenn im Prozess Flaschenhälse an Arbeitskapazität den Bearbeitungsfluss immer wieder zum Halten bringen. Immerhin bietet die Transparenz durch Workflow-Protokolle die Gelegenheit zum Auffinden solcher Flaschenhälse. Regelrechte berichtsmäßige Auswertungen verbieten sich in Deutschland jedoch durch entsprechende Arbeitnehmerschutz-Vorschriften.
Bei höheren Geschäftsprozessen dürfen Workflows auf keinen Fall zu starr programmiert werden, da sonst die konventionelle Abarbeitung z.B. per Klärungen durch gemeinsame Sitzungen klar im Vorteil ist und durch das EDM-System nicht unterstützt werden kann.
Überhaupt ist es schwierig die Verwendung von EDM-Systemen bei allen Anwendern durchzusetzen, das gilt für die Anwendung elektronischer Workflows wie für die umständlichere Ablage von Dokumenten. In vielen Unternehmen ist die Arbeitslast pro Mitarbeiter durch Rationalisierungsmassnahmen heute derart verdichtet, dass den Mitarbeitern Mehraufwände für administrative Tätigkeiten kaum als dauerhaft durchhaltbar erscheinen.
Oft werden die implementierten Berechtigungskonzepte auch als zu offen empfunden. Man kann durch Offenheit den Nutzen vergrößern, aber auch verkleinern, wenn zu große Offenheit die Mitarbeiter abschreckt ihre Dokumente mit dem EDM-System abzulegen.
Absolute Voraussetzung ist deshalb, dass das Unternehmensmanagement, d.h. die Führungskräfte auf allen Ebenen, voll hinter der flächendeckenden Verwendung eines EDM-Systems mindestens für alle wesentlichen Dokumente steht. Das Management muss sich der oben beschriebenen betriebswirtschaflichen Auswirkungen bewusst sein und diese entsprechend verantworten und konsequent vertreten. Ein Vorantreiben des Systemseinsatzes durch die EDV-Abteilung allein reicht nicht aus.
Die Begleitung mindestens der EDM-Einführung durch fachkundige Berater erscheint unerlässlich. Die Quote, dass aufgrund eines oder mehrerer der dargestellten Probleme der Return Of Investment durch den Einsatz von EDM-Systemen nicht erreicht werden kann liegt bislang im höheren zweistelligen Prozentbereich.