Argentinien-Krise
Der Ausdruck Argentinien-Krise bezeichnet die letzte große Wirtschaftskrise in Argentinien zwischen 1998 und 2002, deren Auswirkungen bis in das Jahr 2005 zu spüren waren.
Zwischen 1998 und 2002 ging es mit der argentinischen Wirtschaft in mehreren Schritten bergab. Die beiden Höhepunkte der Krise waren einerseits eine starke Rezession 1998/99 und der Kollaps des Finanzsystems 2001/02, der zum Rücktritt des Präsidenten Fernando de la Rúa und einer Periode von großer politischer Instabilität führte. In der Zeit der Krise sank das Bruttoinlandsprodukt Argentiniens um insgesamt 21 %. Die sozialen Folgen waren verheerend: Am Höhepunkt der Krise (Mitte 2002) stieg die Armutsrate auf 57 %, die Arbeitslosenrate erreichte 23 %. Seit Mitte 2002 erholt sich die Wirtschaft des Landes wieder, sie befindet sich seit 2003 wieder auf Wachstumskurs (Wachstum 2003: 8,9 %, 2004: 8,8 %).
Vorgeschichte und Ursachen der Krise
Argentinien, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Ländern der Welt gehört hatte, hatte seit der Absetzung von Juan Perón 1955 eine sehr instabile Phase durchgemacht. Es kam zu ständigen Regierungswechseln, die sich auch in einer sehr instabilen Wirtschaftspolitik mit stark wechselnden Ideologien niederschlugen. Die Folge waren zahlreiche Wirtschaftskrisen, die wiederum zu kurzfristig angelegten Stabilisierungsprogrammen führten, die jedoch die instabile Situation meist noch verschärften und hohe soziale Kosten verursachten. Somit wird oft von einem langsamen Abstieg Argentiniens von der ersten in die dritte Welt gesprochen.
Die Wirtschaftskrise um die Jahrtausendwende kann insgesamt als Folge dieser generell instabilen Situation angesehen werden. 1983 war zwar die politische Instabilität durch die endgültige Etablierung der Demokratie überwunden worden, die wirtschaftliche Instabilität − hohe Inflationsraten und daraus resultierend harte Sparprogramme wie der Plan Austral − dauerte jedoch noch bis 1991 an, als Argentinien seine Währung mit einem festen Wechselkurs an den US-Dollar band und damit die Inflation vorerst stoppen konnte. Schon nach wenigen Jahren zeigten sich jedoch die ersten Nachwirkungen dieses Stabilisierungsprogramms monetaristischer Ausrichtung: Die Preise argentinischer Produkte verteuerten sich auf dem Weltmarkt und führten zu einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit und im Endeffekt einer negativen Handelsbilanz und einer starken Erhöhung der Auslandsverschuldung.
Obwohl mit den Ex-Präsidenten Carlos Menem und Fernando de la Rúa sowie dem Wirtschaftsminister Domingo Cavallo für einige Massenmedien die Schuldigen an der Krise schon früh "feststanden", ist die Krise durch das Zusammenwirken mehrerer komplexer Effekte zustandegekommen. Hier wären zu nennen:
Hohe Schuldenrate
Schon in der Militärdiktatur des Prozess der Nationalen Reorganisation 1976−83 war wegen einer negativen Handelsbilanz sowie Spekulation und Kapitalflucht die Verschuldung Argentiniens rapide angestiegen und konnte sich danach nur kurzzeitig stabilisieren. In der Regierungszeit Menems stieg sie ebenfalls wegen der fast immer negativen Handelsbilanz zwar moderat, aber konstant auf etwa 55% des Bruttosozialprodukts Argentiniens.
Überbewertung des Peso gegenüber dem US-Dollar
1991 hatte der damalige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo zunächst den Austral, dann, nach dessen Einführung, den Peso an den US-Dollar gekoppelt. Der fixe Wechselkurs betrug 10.000 Austral je US-Dollar bzw. 1 Peso je US-Dollar. Diese Maßnahme führte zunächst zu einem erfolgreichen Rückgang der Inflation, die während der Hyperinflations-Krise 1989 dreistellige Werte im Monat erreicht hatte. Dennoch blieb eine ein- bis zweistellige Restinflation erhalten, die die argentinischen Produkte auf dem Weltmarkt verteuerte. Dies führte vor allem in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zu einer Importschwemme und einer negativen Handelsbilanz, die durch Neuverschuldung ausgeglichen werden musste. Heute wird kritisiert, dass Argentinien die 1:1-Parität möglichst noch vor 1998 durch einen flexiblen Wechselkursmechanismus hätte ersetzen sollen, wodurch die Krise wohl nicht so drastisch ausgefallen wäre. Verschärft wurde dieser Effekt noch durch den starken Dollar Ende der 90er Jahre.
Konsequenzen anderer südamerikanischer Krisen
1995 hatte Mexiko nach der so genannten Tequila-Krise seine Währung abgewertet, dasselbe passierte 1998 in Brasilien. Das hatte zur Folge, dass die Produkte dieser Länder auf dem Weltmarkt deutlich billiger wurden, mit verheerenden Folgen für die exportorientierten argentinischen Wirtschaftsbereiche. Zudem lagerten einige argentinische Betriebe und internationale Konzerne ihre Produktion daraufhin nach Brasilien aus, was die Arbeitslosenrate weiter erhöhte.
Mangelndes Vertrauen in das Finanzsystem
Wegen der wechselhaften Geschichte der argentinischen Wirtschaft waren die Argentinier misstrauisch gegenüber dem Bankensystem geworden. Dies führte zu Panikreaktionen besonders nach dem neuen Bankengesetz Ende 2001 und der darauf folgenden Abwertung 2002, was die Wirtschaft noch weiter zurückwarf.
Denationalisierung der Wirtschaft
Eine Privatisierungswelle Anfang der 90er Jahre, bei der viele Staatsbetriebe zum Teil unter Wert verkauft wurden, führte dazu, dass weite Teile der argentinischen Wirtschaft vom Ausland abhängig wurden. Dies machte das Land anfällig für Spekulation und Kapitalflucht, ein Phänomen, das Ende 2001 maßgeblich zur Bankenkrise beitrug.
Geschichte der Krise
Die Rezession 1998/99 und die Stagnation 2000
1997 und 1998 fiel das argentinische Nachbarland Brasilien in eine tiefe Krise, was eine drastische Abwertung der dortigen Währung auf etwa die Hälfte ihres ursprünglichen Wertes zur Folge hatte. Die Auswirkungen auf Argentinien zeigten sich bald. Zum einen ist Brasilien Argentiniens wichtigster Wirtschaftspartner (beide Länder sind Teil des Wirtschaftsbündnisses Mercosur), so dass die Brasilienkrise große negative Effekte auf den argentinischen Außenhandel hatte. Zum anderen gewann Brasilien durch die Abwertung einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber Argentinien.
In der Folge kam es zu steigenden Importen aus Brasilien. Zudem wurden argentinischen Produkte auf dem Weltmarkt zunehmend durch brasilianische ersetzt und viele Betriebe lagerten ihre Produktion nach Brasilien aus. Schließlich verringerten sich die Investitionen aus dem Ausland wegen schlechter Prognosen für die gesamte Region.
Diese Umstände führten 1999 zu einer Rezession von 4%. Im Jahr 2000 konnte sich die Wirtschaft von der Krise noch nicht erholen, sie stagnierte trotz eines Milliardenkredits (Blindaje genannt) des IWF und privater Banken. Der IWF hat vor allem gefördert, dass amerikanisches Gen-Soja großflächig angebaut wird und dadurch Kleinbauern vertrieben wurden, der Schuldenberg durch ständige Nachkäufe von neuem, nicht wieder anbaubarem Saatgut weiter wuchs und damit eine Selbstständigkeit und ein Schuldenabbau verhindert wurde. Inzwischen wird in Argentinien zu 98% genmanipuliertes Soja amgebaut, was für den Export bestimmt ist, aber keinerlei Steuereinnahmen für Argentinien mit sich bringt, da die Investoren ausländische Firmen sind und die Gesetze diesbezüglich umgebaut wurden.
Als Auswirkung der Rezession nahm die Arbeitslosigkeit zu, ca. 300.000 Bauern wurden landlos. Das führte zu immer mehr Protesten und Demonstrationen. Die Proteste wurden bald zentralisiert und es entstanden verschiedene Protestorganisationen. Die Protestler nannten sich Piqueteros und wurden nach 2001 zeitweise zu einem wichtigen Machtfaktor in der argentinischen Politik.
Ebenso stieg als Auswirkung die Zahl der Unterbeschäftigten und damit vor allem der Angestellten in der informellen Wirtschaft. Großes Aufsehen in den Medien erlangten die Cartoneros, Menschen, die im Müll nach recycelbaren Materialien, meist Papier und Karton, suchten und diese dann verkauften. Trotz dieser Wiedergeburt des Recycling gab es nur lokale Initiativen zur Mülltrennung, in einigen Städten wie z.B. in Córdoba wurden die Cartoneros jedoch in Kooperativen zusammengeschlossen und fest von der Stadt mit dem Recycling beauftragt, so dass die zunächst sehr informelle und teilweise mafiaähnlich organisierte Tätigkeit in einen geregelteren Rahmen geführt werden konnte.
Ein besonderes Phänomen dieser Phase war die Einführung von Schulden-Bonds in mehreren Provinzen und auch durch den Nationalstaat (deren Bonds hießen LECOP). Mit diesen wurden staatliche Angestellte und Beamte - zum Teil zu über 50% des Lohnvolumens - bezahlt. Sie hatten das Aussehen von Geldscheinen und wurden in den meisten Geschäften als Zahlungsmittel angenommen, wenn auch oft ein Aufpreis berechnet wurde. Sie bestimmten zum Höhepunkt der Krise 2001/02 einen beträchtlichen Teil des Zahlungsverkehrs Argentiniens.
Weiterhin entstanden zu dieser Zeit viele Tauschringe, die zum Teil eine freiwirtschaftliche Ideologie (zinslose Wirtschaft) verfolgten, meist jedoch einzig und allein dem Austausch von Lebensmitteln und Dienstleistungen zum Zweck des Erringens eines Ausgleichs für die fallenden Gehälter dienten. Sie wurden ab 2001 zu einem wahren Massenphänomen, fast jedes Stadtviertel jeder Stadt hatte zu dieser Zeit einen eigenen Tauschring. Der Dachverband Red Argentina de Trueque gab 2001 eine eigene Währung, den Crédito, heraus, die sogar teilweise zum Immobilienkauf benutzt werden konnte.
Abwertungsgerüchte und die kurze Cavallo-Ära (Januar bis November 2001)
Wegen der Stagnation der Wirtschaft und der unverändert negativen Handelsbilanz wurden die Stimmen lauter, die eine Abwertung forderten. Dem trat die Regierung mit einem energischen Nein entgegen, da man Angst hatte, Opfer von Kapitalflucht und Spekulationsattacken zu werden. Im Nachhinein stellen viele Kritiker fest, dass eine geordnete, geplante Abwertung die Krise deutlich abgeschwächt hätte
Der nach mehreren verschlissenen Vorgängern ins Amt des Wirtschaftsministers gehobene Domingo Cavallo hatte einen Plan, um geordnet aus der 1:1-Bindung an den Dollar herauszukommen. Diese Bindung sollte durch einen komplizierten Mechanismus ersetzt werden, der den Wert des Pesos sowohl an den US-Dollar als auch an den deutlich tiefer stehenden Euro koppeln sollte. Anstatt der Bindung an eine Währung hätte der Peso an einen Währungskorb gebunden werden sollen. Dies wurde zunächst für den Außenhandel unter Wahrung der 1:1-Parität für andere Finanztransaktionen eingeführt, was eine Abwertung von 5-8% bedeutete. Nach dem neuen Mechanismus setzte sich der Wert des Peso zu 50% aus dem Wert des Euro und zu 50% aus dem Wert des US-Dollars zusammen. Dies bedeutete zum Beispiel:
- wenn ein Euro 0,83 US-Dollar wert ist, dass der Wert des Peso 0,5*0,83+0,5*1=0,915 je US-Dollar beträgt;
- wenn ein Euro 1,08 US-Dollar wert ist, dass der Wert des Peso 0,5*1,08+0,5*1=1,04 je US-Dollar beträgt;
Dieser neue Wechselkurs hätte dann für alle Finanztransaktionen eingeführt werden sollen, wenn der Wechselkurs des Euro zum US-Dollar 1 beträgt, d. h. 1 Euro=1 US-Dollar=1 Peso. Allerdings hätte dies nur dann echte Vorteile gebracht, wenn der Euro - der zu dieser Zeit sehr niedrig stand - die Parität mit dem US-Dollar erreicht hätte und dann wieder gesunken wäre. Heute ist klar, dass der Euro nach Erreichung der Parität weiter gestiegen ist. Das neue Wechselkursregime hätte demnach nur weitere Nachteile für die argentinische Wirtschaft gebracht, wenn man bedenkt, dass der größte Teil des argentinischen Außenhandels mit Dollar-Ländern und nicht mit Euro-Ländern getätigt wird. Deshalb hatten Kritiker des Cavallo-Plans vorgeschlagen, auch den brasilianischen Real mit in den Währungskorb zu nehmen, da der größte Teil des argentinischen Außenhandels mit Brasilien abgewickelt wird.
Mitte 2001 sah es so aus, als könnte die Wirtschaft des Landes mit einem blauen Auge davonkommen, das Wirtschaftswachstum rutschte in ein leichtes Plus.
Womöglich der endgültige Auslöser für den weiteren Niedergang könnte die weltweite Wirtschaftsdepression nach dem 11. September 2001 gewesen sein, der das Vertrauen der Anleger in die Märkte weltweit und in Krisenstaaten wie Argentinien insbesondere schwinden ließ.
Kapitalflucht, Bankenchaos und Abwertung (November 2001 bis April 2002)
Als Cavallo Ende November 2001 äußerte, das vom IWF vorgegebene Haushaltsziel nicht zu erreichen, führte dies zu einer Weigerung des IWF, eine vorgesehene 1,25 Mrd. USD-Tranche an Argentinien zu überweisen. Diese Schreckensnachricht führte zu einem drastischen Vertrauensverlust für den Staat und so zu einer raschen Kapitalflucht, die das Bankensystem in eine tiefe Krise stürzte. Um ein komplettes Chaos zu verhindern, führte Cavallo Anfang Dezember das so genannte Corralito ein, das eine Obergrenze von 250 Peso die Woche für das das Abheben von Bargeld von Girokonten vorsieht. Der Hintergrund war, einen Umtausch der Währung in Dollar zu verhindern, da sonst das Bankensystem Giro- und Sparkonten nicht mehr hätte auszahlen können.
Das Corralito verschlimmerte jedoch die Vertrauenskrise in die Wirtschaft im In- und Ausland und rief den Zorn der Mittelklasse hervor, der sich zuerst durch einen Generalstreik am 13. Dezember und schließlich am 19. und 20. Dezember 2001 in einer Folge massiver, teils gewalttätiger Demonstrationen (Cacerolazo) mit insgesamt 28 Toten äußerte. Dieses Klima führte zum Rücktritt von Domingo Cavallo und tags darauf auch von Fernando de la Rúa.
Übergangsweise übernahm das Präsidentenamt der Peronist Adolfo Rodríguez Saá. In seiner nur fünf Tage währenden Amtszeit verärgerte er mit überstürzten Maßnahmen nicht nur seine Parteikollegen, sondern auch das Volk. Auslöser für seinen Rücktritt am 30. Dezember 2001 war jedoch die Weigerung einiger Provinzgouverneure, ihn in seinem Wirtschaftskurs zu unterstützen, der unter anderem eine radikale Rationalisierung des Staates sowie die Schaffung einer Zweitwährung (des so genannten Argentino) beinhaltete. Der entscheidende Schritt, den Saá ging, war aber die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit (Staatsbankrott) gegenüber den Gläubigern des Landes, und diese war auch das einzige Element seines Wirtschaftsprogramms, das von seinen Nachfolgern beibehalten wurde.

Sein Nachfolger wurde der Präsident der Abgeordnetenkammer, Eduardo Camaño, der jedoch nur 2 Tage im Amt blieb. Der Peronist Eduardo Duhalde wurde am 1. Januar 2002 zum Präsidenten gewählt und trat sein Amt am folgenden Tag an. Die Wirtschaftsexperten in seinem Umkreis entschieden sich eindeutig für eine Abwertung des Peso. Zunächst wurde die Öffnung der Banken landesweit an mehreren Tagen untersagt, um Panik-Dollarkäufe zu unterbinden. Der Umfang der Abwertung wurde auf 28% festgesetzt (1,40 Peso = 1 Dollar), jedoch galt dieser "offizielle" Kurs nur für den Außenhandel. Im Innenhandel ließ man den Kurs frei schwanken ("freier Dollarkurs").
Der Erfolg der Abwertung war ernüchternd. Der "freie Dollarkurs" stieg infolge von massiven Panikkäufen schon innerhalb weniger Tage über zwei Pesos. Dies veranlasste die Regierung, den "offiziellen" Kurs abzuschaffen, was weitere Panikkäufe zur Folge hatte und den Kurs weiter nach oben trieb.
In der Zwickmühle vor allem wegen der fatalen Folgen der Abwertung des Peso für die Banken, entschied man sich für eine rigide Maßnahme, die bald als Corralón bekannt wurde. Sie bestand darin, alle Konten über einem bestimmten Grenzwert in festverzinsliche Sparbücher umzuwandeln, deren Rückgabetermine bis 2010 gestreckt wurden. Besonders problematisch erwies sich die Situation der unter der Regierungszeit Menems eingeführten Konten in Dollar, da diese sich ja im Wert vervielfacht hätten. So entschied man sich, Dollarkonten als Pesokonten mit Wert 1 zu 1,40 zu betrachten und erst im Laufe von mehreren Monaten, im Falle von hohen Werten sogar mehreren Jahren zurückzugeben. Schulden konnte man dagegen zunächst mit dem Kurs 1:1 zurückzahlen. Diese so genannte asymmetrische Pesifizierung beschäftigte die argentinischen Gerichte lange Zeit, die Folge war letztendlich, dass ein neues Anleihen-Programm namens Plan BODEN eingeführt wurde und auch die Schulden im Verhältnis 1:1,4 plus einem Inflationsindex, dem CER, umgerechnet wurden.
Alle diese Maßnahmen führten zu einem weiteren Vertrauensschwund, so dass der Kurs des Dollars im April 2002 bald auf etwa 3,50 Pesos anstieg. Die Zentralbank konnte den Kurs jedoch durch Pesokäufe bald auf etwa 2,80 Peso senken.
Wirtschaftliche Unsicherheit (April bis August 2002)
In den folgenden Monaten bastelte die Regierung fieberhaft an Lösungen für die Krise. Um die Bevölkerung zu beruhigen, wurde eine Sozialhilfe von 100, später 150 Pesos für arbeitslose Familienoberhäupter eingeführt (der sogenannte Plan Jefes y Jefas de Hogar), angesichts der Inflation war dies jedoch eher ein symbolischer Betrag. Der Kurs des Peso schwankte in der Zeit weiter und stieg Mitte des Jahres wieder auf beinahe 4 Pesos, wo er jedoch wegen massiver Stützmaßnahmen der Zentralbank stagnierte.
Die Situation der Banken sorgte für weitere Unsicherheit. Am Ende setzte sich der Plan Bonex II oder Plan BODEN durch, welcher die Konten in Dollar in eine weite Palette festverzinslicher Wertpapiere mit einer Laufzeit von 5-10 Jahren (Boden) umwandelte.
Der Corralón sorgte in dieser Zeit dafür, das breite Teile der Wirtschaft wie etwa der Immobilienmarkt und die Automobilindustrie regelrecht abgewürgt wurden. So kam es in den ersten Monaten 2002 zu einer Rezession von 12%.
Ausklang der Krise und zaghafte Erholung (August 2002 bis Juli 2003)


Nach der Mitte des Jahres gab es zum ersten Mal Anzeichen einer Erholung der Wirtschaft. Der Dollar-Kurs stabilisierte sich auf dem Niveau von etwa 3,80 Pesos, was etwas mehr Sicherheit in die Pläne der Unternehmen brachte.
Ende 2002 ging es mit der Wirtschaft dann endgültig wieder aufwärts, die positiven Seiten der Abwertung (konkurrenzfähigere Preise auf dem Weltmarkt) machten sich deutlich bemerkbar. Anfang 2003 wurden das Corralito, das Corralón sowie im Laufe des Jahres die meisten Ersatzwährungen auf Basis von Schuldenbonds (z.B. LECOP) abgeschafft, was den Konsum wieder deutlich ankurbelte. Dennoch kündigte Präsident Duhalde Neuwahlen an, um die staatlichen Institutionen wieder mit Legitimität zu versehen.
Im Mai 2003 gewann Néstor Kirchner, der dem linken Flügel der Peronistischen Partei angehört, die Präsidentenwahl in der zweiten Runde, da sein Gegenkandidat Carlos Menem nicht zur Stichwahl antrat. Er verschaffte sich mit mehreren Aktionen ein "Macher-Image", behielt aber den wirtschaftlichen Kurs seines Vorgängers im Wesentlichen bei. Das Wirtschaftswachstum blieb konstant und erreichte im Jahr 2003 8,9 %.
Energiekrise (2004)
Seit Ende 2003 / Anfang 2004 gibt es immer wieder Energieengpässe, die ihre Ursachen in dem relativ starken Wirtschaftswachstum, den sehr hohen Rohölpreisen und in fehlenden Investitionen in die Energieinfrastruktur haben.
So haben die Energieversorger schon mehrmals in Buenos Aires und anderen Städten einigen Stadtteilen den Strom abgeschaltet. Dies betraf nicht nur Privathaushalte, sondern auch Produktionsstätten.
Um diesen Engpässen entgegen zu wirken, hat man teilweise drastische Gegenmaßnahmen eingeleitet. So werden private Haushalte beim Gas- und Stromverbrauch mit Zuschlägen bis zu 100% bestraft, wenn sie nicht bestimmte Sparquoten im Vergleich zum Vorjahr einhalten.
Mitte 2004 haben zudem acht der 23 Provinzen wieder damit begonnen, auf die Winterzeit umzustellen, nachdem in den 80er Jahren nicht mehr von der Sommerzeit zur Winterzeit gewechselt wurde. Es handelte sich um die Provinzen Mendoza, San Juan, Tucumán, La Rioja, Chubut, San Luis, Catamarca, Santa Cruz und Tierra del Fuego. Tucumán hat die Umstellung allerdings nach kurzer Zeit wieder rückgängig gemacht.
Außerdem wurden die Erdgasexporte nach Chile um 40% zurückgefahren, was wiederum zu Energieproblemen in Chile führt.
Anfang September 2004 stabilisierte sich die Lage auf dem Energiemarkt wieder, vor allem aufgrund der langsam wieder ansteigenden Temperaturen und den Auswirkungen der Energiespar-Aktionen.
Ab dem zweiten Quartal 2004 wurden mehrere Verträge mit Energieunternehmen unterzeichnet sowie eine staatliche Erdölgesellschaft gegründet, um so eine ähnliche Situation für das Jahr 2005 zu verhindern.
Der Konflikt mit den privaten Gläubigern (2002/05)
Ein großer Teil der Schulden Argentiniens wird von privaten Gläubigern reklamiert. Da Argentinien nach der Abwertung 2002 ohne ein extremes Sparprogramm nicht in der Lage gewesen wäre, den Zahlungen gegenüber den privaten Gläubigern nachzukommen, wurden Pläne für ein Umschuldungsangebot (canje) erarbeitet. Gegenüber den multilateralen Gläubigern wie Weltbank, IWF, usw. beglich Argentinien hingegen stets seine Verpflichtungen in voller Höhe (wenn auch teilweise mit zeitlicher Verzögerung).
Im Jahr 2004 wurden den Vertretungen der Gläubiger mehrmals Vorschläge unterbreitet, die einen Kapitalschnitt von 75%, später 65% vorsahen. Sie stießen zunächst besonders bei den ausländischen Gläubigern, die mehr als 55% des Schuldenvolumens reklamieren, allgemein auf Ablehnung und trübten auch Argentiniens Verhältnis mit dem IWF. Durch mehrere diplomatische Missionen gelang es jedoch Argentinien, die meisten Gläubigergruppen zu überzeugen, Widerstand gab es bis zum Ende noch von den deutschen und vor allem von den italienischen Gläubigern.
Der Prozess der Umschuldung sollte ursprünglich Ende November 2004 beginnen, begann aber nach Verzögerungen erst am 12. Januar 2005 und sah einen Kapitalschnitt von nur noch durchschnittlich 50% vor, der durch die Einführung von drei neuen Bonds erreicht wurde, aus denen die Gläubiger mit Einschränkungen auswählen konnten. Die seit 2002 aufgelaufenen überfälligen Zinsen der notleidenden Anleihen wurden von Argentinien entgegen den Bedingungen nicht anerkannt, so dass der tatsächliche Verlust für die früheren Kreditgeber Argentiniens deutlich höher als offiziell angegeben ist.
Die drei Bondtypen sind:
- der Bono Par ohne Kapitalschnitt
- der Bono Cuasi Par mit einem Kapitalschnitt von 30%
- der Bono de Descuento mit einem Kapitalschnitt von 70%
Allen drei gemeinsam ist, dass sie wesentliche Verschlechterungen der rechtlichen Position der Gläubiger beinhalten. Unter anderem ist im Gegensatz zu den früheren Anleihen kein deutscher Gerichtsstand mehr gegeben, wenn Argentinien erneut seine Schulden nicht mehr bedienen sollte, das heißt es werden dann Klagen nach argentinischer Rechtsordnung und Gerichtsstand anzustrengen sein.
Gezeichnet wurden Bono Par sowie Bono Cuasi Par, die auf 15 Mrd. US-Dollar (Par) bzw. 23,4 Mrd. Cuasi Par) US-Dollar beschränkt waren. Anleger, die über diesen Kontingenten zeichneten, erhielten den Bono de Descuento zugeteilt.
Während der Bono Par nur niedrige Zinsen und eine sehr lange Laufzeit bietet, hat der Bono de Descuento den höchsten Zinssatz und die kürzeste Laufzeit. Weiterhin wird ein Teil der Bonds an die Inflationsrate gebunden, aber in Pesos, nicht mehr in US-Dollar berechnet. Nach Angaben der Zeitung Clarín waren dies nach dem Ende des Umschuldungsangebots etwa 40% der Bonds.
Der damalige argentinische Wirtschaftsminister Roberto Lavagna betonte mehrmals, dass dies das letzte und einzige Angebot sein werde, das Argentinien den Gläubigern machen würde. Als erste Gruppe traten die argentinischen Gläubiger in das Angebot ein, von denen ein Großteil Schuldentitel über die argentinischen Rentenkassen (AFJP) hielt.
Mitte Februar 2005 wurden die Verhandlungen für abgeschlossen erklärt. Bis zum Ende des Zeitraums für die Umschuldung am 25. Februar 2005 hatten 76,15% der Gläubiger das Angebot angenommen.
Nach dem Ende des Umschuldungsangebots gab es vereinzelte Stimmen, sowohl von Gläubigergruppen als auch vom IWF, die eine erneute Umschuldungsofferte forderten. Die argentinische Regierung betonte jedoch mehrmals, dass sie diesen Forderungen nicht nachkommen werde.
Ausblick
Seit Mitte 2003 blieb das Wirtschaftswachstum konstant hoch, was vor allem auf die positiven Effekte der Abwertung zurückzuführen ist, die den Export stärkte und die Importsubstitution durch die argentinische Industrie förderte. Seit 2004 wächst auch das Geschäft mit Importen wieder stark an - es handelt sich also um eine allgemeine Normalisierung der wirtschaftlichen Aktivität .
Dennoch ist die Krise vermutlich noch nicht ganz überwunden. Armutsrate (31,4 %, Stand: 1. Halbjahr 2006) und Arbeitslosigkeit (11,1 %, Stand: 3. Quartal 2005) bleiben trotz eines konstanten Rückganges weiterhin hoch, und es ist noch nicht abzusehen, ob die teilweise entwicklungshemmenden, neofeudalistischen Strukturen in der argentinischen Wirtschaft und in der Politik von der Regierung Kirchner überwunden werden können. Für Besorgnis sorgt weiterhin die sehr große Ungleichheit zwischen den Regionen, so liegt die Armutsrate zwischen 5 % in Ushuaia und 56 % in Resistencia.[1]
Entscheidend ist auch die Frage, wie die aktuellen Streitigkeiten zwischen Argentinien, dem IWF und den privaten Gläubigern gelöst werden, auch wenn hier derzeit nach der Umschuldung im Februar 2005 eher optimistische Stimmen die Oberhand haben und Argentinien von einem großen Teil der G8-Staaten, unter anderem von Deutschland unterstützt wird.
Es kann durchaus sein, dass die Argentinien-Krise, die schon überwunden schien, noch weiter geht. Insbesondere die Inflationsrate des Jahres 2005, die laut Schätzungen bei etwa 12 % liegen wird (letzter Jahresvergleich November 2005: 11,1 % laut INDEC), sorgt derzeit für Beunruhigung. Sie wird bisher vor allem durch kurzfristige Abkommen zwischen der Regierung Kirchner und dem Handelssektor bekämpft.
Das Wirtschaftswachstum lag 2005 wie in den Vorjahren mit 9,1 % weit über den Schätzungen des Statistikamtes. Für 2006 wird eine ähnliche Zahl prognostiziert, da im 1. Halbjahr dieses Jahres ebenfalls ein Wachstum von über 9 % registriert wurde.
Die Aussichten für die nächsten Jahre gehen allgemein von einem Fortschreiten des Wachstums der Wirtschaft Argentiniens aus. Der Wirtschaftsexperte Héctor Valle, Direktor der argentinischen Stiftung für Forschung und Entwicklung Fide, erwartet auch für die weiteren Jahre ein Wachstum zwischen 6 und 9 Prozent [2], während das Wirtschaftsministerium mit 4 % für 2007 etwas pessimistischer ist [3].
Literatur
- Ulrich Brand (Hrsg.), Stefan Armborst (Übersetzer): Que se vayan todos. 2003, ISBN 3-93-593619-2
- Cornelius Huppertz: Korruption in Argentinien. Eine netzwerkanalytische Erklärung der Finanzkrise. In: Schriften zur internationalen Politik. Band 8. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2004, ISBN 3-83-001359-0
- Christoph Jost: Argentinien: Umfang und Ursachen der Staatsverschuldung und Probleme der Umschuldung. in: Auslandsinformationen. 11/2003. Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin, ISSN 0177-7521 (zum Herunterladen: [1])
- Ralf Kronberger: Emerging Markets - Der Fall Argentinien. In: Aktuelle Unterlagen, Wirtschaft und Gesellschaft. 39/2002. Arbeitsgemeinschaft für Wirtschaft und Schule, Wien (zum Herunterladen:[2])
- Jutta Maute: Hyperinflation, Currency Board, and Bust: The Case of Argentina, (Hohenheimer Volkswirtschaftliche Schriften) (Paperback), Peter Lang Publishing; 1st edition (September 2006), ISBN 0820487082
- Peter Birle, Sandra Carreras (Hrsg.): Argentinien nach zehn Jahren Menem. Wandel und Kontinuität. Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-89-354586-7
- Rainer Schweickert: Neue Krise – alte Probleme. In: Brennpunkt Lateinamerika. 17/2002. Institut für Iberoamerika-Kunde, Hamburg, ISSN 1437-6148 (zum Herunterladen: [3])
- o.A.: A survey of Argentina. In: The Economist Ausgabe vom 15. Juni 2004. Economist Group, London, ISSN 0013-0613
Weblinks
- Argentinien - Drei Jahre nach dem Crash SWR2, 2005
- http://www.indec.gov.ar - Argentinisches Statistikamt (spanisch und englisch)
- http://www.bcra.gov.ar - Argentinische Zentralbank (spanisch und englisch)
- http://www.bolsar.com/ - Argentinische Börse (spanisch und englisch)
Siehe auch
Quellen
- ↑ Daten: Artikel in La Voz del Interior, nach Erhebungen des Statistikamtes INDEC
- ↑ Interview mit Valle
- ↑ Artikel in der Zeitung Clarín