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Bündnispolitik Otto von Bismarcks

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Die Bündnispolitik Otto von Bismarcks ist eines der wichtigsten Elemente seines gesamtes politischen Wirkens. Um die Bündnispolitik zu beschreiben, muss man zuerst das veränderte Ziel deutscher Politik nach der Reichsgründung erklären. Bismarck formulierte das Ziel so:

"Das Ziel muß eine politische Gesamtsituation sein, in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden."

Mit Hilfe dieser Bündnisse sollte der Kriegsfall möglichst ausgeschlossen werden. Um Europa die Furcht vor weiterer deutscher Expansion zu nehmen, erklärte Bismarck das Reich für "saturiert", d. h. Deutschland sah von weiteren Gebietsansprüchen ab. Interessant ist folgender Adressentwurf, der im März 1871 im Reichstag zur Verabschiedung vorlag:

"(..) Das neue Reich ist dem selbsteigenen Geiste des Volkes entsprungen, welches, nur zur Abwehr gerüstet, unwandelbar den Werken des Friedens ergeben ist. (..) Die Tage der Einmischung in das innere Leben andrer Völker werden, so hoffen wir, unter keinem Vorwand und in keiner Form wiederkehren."

Anfänge

Nach dem Sieg über Frankreich im Jahr 1871 wollte Reichskanzler Bismarck das Deutsche Reich außenpolitisch absichern und Frankreich isolieren. Dieses Ziel erreichte er mit dem Beitritt des Deutschen Reichs zum Dreikaiserabkommen. Obwohl dieser Schritt in erster Linie der Friedenssicherung dienen sollte, war es von deutscher Seite auch von entscheidender Wichtigkeit, Russland von einem Bündnis mit Frankreich fernzuhalten.

1878 erklärte sich Bismarck, um sich den anderen europäischen Staaten als vertrauenswürdig zu erweisen, als "ehrlicher Makler" bereit, den Friedensverhandlungen zwischen den streitenden Parteien des Russisch-Türkischen-Krieges vorzusitzen. Der Russisch-Türkische-Krieg war ausgebrochen, weil es 1876 zu türkischen Übergriffen auf Christen auf dem Balkan gekommen war. 1877 hatte Russland dem Osmanischen Reich den Krieg erklärt, der, laut Zar Alexander II., "keine Eroberungen bezweckte, sondern allein die Besserung des Loses der Christen in der Türkei".

Doch trotz dieser Beteuerungen waren englische Kriegsschiffe in das Krisengebiet gefahren und auch Österreich-Ungarn hatte dem Zarenreich mit Krieg gedroht, da beide Staaten einen zu großen Machtgewinn Russlands auf dem Balkan fürchteten. Der Frieden, den Russland mit dem unterlegenen Osmanischen Reich ausgehandelt hatte, stellte harte Bedingungen. Deswegen erzwangen London und Wien eine Revision.

Berliner Kongress

Dieser sogenannte Berliner Kongress fand in Deutschland statt, weil Deutschland auf dem Balkan kein Interesse verfolgt, "welches auch nur die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert wäre" und insofern allen Beteiligten als Mittler geeignet scheint. Dass die europäischen Mächte darauf einwilligten, verdeutlicht die Anerkennung, die das neue Deutsche Reich zu diesem Zeitpunkt bei den europäischen Großmächten

Gleichgewichtspolitik

Gemäß der neuen Politik wollte Bismarck auf dem Berliner Kongress die Grundlagen der Gleichgewichtspolitik legen.

Da aber Russland trotz des siegreichen Krieges als Ergebnis des Berliner Kongresses den Zugang zur Ägäis aufgeben musste, machte Zar Alexander II. Bismarck dafür verantwortlich und glaubte, dass Bismarck sich bei den Verhandlungen nicht neutral verhalten hatte. In einem Brief an Bismarck hielt er es für seine Pflicht, da "die Haltung der verschiedenen deutschen politischen Vertreter in völligem Widerspruch zu den Überlieferungen freundschaftlicher Beziehungen steht, die seit mehr als einem Jahrhundert die Politik unserer beiden Regierungen geleitet hatten und die durchaus ihren gemeinsamen Interessen entsprachen (..) Ihre Aufmerksamkeit auf die traurigen Folgen zu lenken, die dies für unsere freundnachbarlichen Beziehungen nach sich ziehen könnte".

siehe auch: Ohrfeigenbrief

Zweibund

Aus dieser Bedrohung heraus schloss Bismarck im Jahre 1879 mit Österreich-Ungarn den "Zweibund", das erste von weiteren Bündnissen, die noch folgen sollten. Der Zweibund sah vor, dass bei einem Angriff Russlands auf einen Vertragspartner der andere mit gesamter Streitmacht zur Hilfe kommen soll; bei Angriff einer anderen Macht soll zumindest wohlwollende Neutralität geübt werden. Der Zweibund wurde 1882 durch Italien zum Dreibund erweitert.

Neutralitätsabkommen

Kaum war der Zweibund abgeschlossen, versuchte Bismarck wieder engere Beziehungen zwischen Berlin und Petersburg zu knüpfen. Da Alexander erkannte, dass der Zweibund seinen Handlungsspielraum einengte und dass es zweckmäßig sei, sich mit den beiden Mächten zu verständigen, stimmte er einem Neutralitätsabkommen Russlands mit Deutschland und Österreich-Ungarn zu. In diesem 1881 unterzeichneten Dreikaiserbund wurde vereinbart, dass, falls einer der drei Staaten in einen Krieg mit einer der dem Bündnis nicht angehörenden Macht verwickelt werden sollte, die beiden anderen Vertragspartner ihr gegenüber eine wohlwollende Neutralität einzunehmen hatten. Außerdem würden Deutschland und Österreich England in einem Krieg gegen Russland nicht unterstützen, umgekehrt hatten Russland und Österreich-Ungarn Deutschland in einem Krieg gegen Frankreich wohlwollende Neutralität zu gewähren. Dies schloss gleichzeitig ein russisch-französisches Bündnis aus.

Mittelmeerentente

1887 förderte Bismarck den Abschluss der Mittelmeerentente zwischen England, Italien und Österreich-Ungarn. Diese sah vor, den Status quo im Mittelmeer zu erhalten. Geduldet wurden die englische Expansion in Ägypten und die italienische Expansion in Libyen. Das Deutsche Reich förderte die Entstehung der Mittelmeerentente, um England an den Dreibund heranzuführen. Weiterhin sollte die Türkei vor dem russischen Expansionsstreben geschützt werden.

Rückversicherungsvertrag

Den Abschluss des Bismarckschen Bündnissystems bildete der Rückversicherungsvertrag. Dieser 1887 abgeschlossene geheime Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Russland enthielt ein Neutralitätsabkommen für den Fall eines österreichisch-ungarischen Angriffs auf Russland oder eines französischen Angriffs auf Deutschland.

Kolonialabkommen

Dieses 1890 geschlossene Abkommen Deutschlands mit Großbritannien stellte für letzteres eine Anbindung an Bismarcks Bündnispolitik dar. Ein direktes Bündnis wollte dieser jedoch nicht eingehen. Vorteilhaft war das Abkommen auch für die Durchsetzung der Kolonialpläne Großbritanniens.

Vorhaben

Dieses komplizierte Bündnissystem diente dazu, den Bündnisfall und damit den Krieg zu vermeiden. So sagte er:

"Wir müssen so situiert sein, dass ein Schwert das andere in der Scheide hält."

Ein weiteres Mittel, um Krieg zu vermeiden, war Bismarcks langer Verzicht auf die Erwerbung von Kolonien. So erklärte er noch 1881: "So lange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik. Wir haben eine Flotte, die nicht fahren kann, und wir dürfen keine verwundbaren Punkte in fernen Weltteilen haben, die den Franzosen als Beute zufallen, sobald es losgeht."

Schon 1871 lehnte Bismarck ein Angebot der Franzosen, Cochinchina –also etwa das heutige Vietnam– an das Deutsche Reich abzutreten, mit den Worten ab:

"O! O! Cochinchina! Das ist aber ein sehr fetter Brocken für uns; wir sind aber noch nicht reich genug, um uns den Luxus von Kolonien leisten zu können."

Bismarck glaubte damals, dass die Ausgaben in keinem Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Nutzen der Kolonien stünden.

Sinneswandel

Der spätere Sinneswandel und der dann doch stattfindende Erwerb von Kolonien lässt sich dadurch erklären, dass 1884 Wahlen anstanden und der Reichskanzler die Kräfte im Parlament stärken wollte, die seine Politik unterstützten. Da auch in der Bevölkerung eine prokoloniale Stimmung herrschte, hoffte Bismarck mit seiner Kolonialpolitik die Nationalliberalen, die sich für den Erwerb von Kolonien einsetzten, zu stärken und damit die Sozialdemokraten zu schwächen. Außerdem wollte Bismarck von innenpolitischen Problemen ablenken und "den Deutschen ein neues Ziel setzen, für das sie sich begeistern können." Wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise zu der Zeit wollte man sich auch neue Rohstoff- und Absatzmärkte erschließen.

siehe auch: