Zinskritik
Zinskritik fasst zweierlei Arten Kritik zusammen, zum einen, Kritik am Nehmen von Zinsen (Ethisch-Moralische Kritik), und zum anderen ökonomische Bedenken zum Geldwesen. Zinskritik beschränkt sich dabei nicht immer auf den reinen Geldzins, sondern kann Kritik an jeder Form von Rendite (Kapitaleinkommen) darstellen.
Die Ethisch-Moralische Zinskritik sieht im Nehmen von Zinsen eine Bereicherung ohne Gegenleistung, da mit ausreichend Kapitalertrag jemand wohlhabend leben könnte, ohne irgendeine Dienstleistung zu erbringen, und dennoch sein Vermögen zu vergrössern, also auf Kosten von anderen zu Leben.
Die Ökonomische Zinskritik sieht im Zinsmechanismus, oder vielmehr im Geldsystem, die Ursache für Inflations- und Wachstumszwang, und hält den Zins für einen primären Faktor bei Wirtschaftskrisen und Massenarbeitslosigkeit.
Ethisch-Moralische Zinskritik
Im Altertum, als Geld eine relativ neue Sache war, wurde von den Intellektuellen der Zeit der Zins kontrovers diskutiert. Altertümliche Texte erklären daher oftmals nicht, weshalb Zinsen "böse" sind - Zu dieser Zeit war das Konzept "Zins = Böse" eine Selbstverständlichkeit unter den damaligen Intellektuellen, wie auch dem gemeinen Volk.
Bis zur Industrialisierung waren die allermeisten Menschen hauptsächlich Selbstversorger und hatten nur in Ausnahmefällen genug Geld um einen Zins zu erhalten. Durch die erhöhte Arbeitsteilung seit der Industrialisierung und der damit einhergehenden größeren Abhängigkeit und Verwendung von Geld, ist fast jedes Mitglied der industrialisierten Welt nun gleichzeitig Zinsnehmer und Zinsgeber, was der moralischen Zinskritik viel von ihrer Beliebtheit genommen hat.
Aristoteles
Aus Aristoteles' "Politik" 1. Buch, 1258b:
- "So ist der Wucher (gemeint ist Zins) hassenswert, weil er aus dem Geld selbst den Erwerb zieht und nicht aus dem, wofür das Geld da ist. Denn das Geld ist um des Tausches willen erfunden worden, durch den Zins vermehrt es sich dagegen durch sich selbst."
Jüdisch-Christliches Verbot
Aspekte zum Zins in Religionen werden im Artikel Zinsverbot ausführlicher behandelt.
Im alten Testament wird Juden das Nehmen von Zinsen untereinander verboten, "Fremden" gegenüber hingegen erlaubt. Christen wurde im Mittelalter durch Päpstliche Erlasse das nehmen von Zinsen generell verboten.
Aus dem Lukasevangelium, 6:35:
- „Doch liebt eure Feinde, und tut Gutes, und leiht, ohne etwas wieder zu erhoffen, und euer Lohn wird groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.“
Islamisches Verbot
Zu mehr Informationen zum Zinsverbot im Islam, siehe Islamic Banking
In einigen Staaten wird die Shariah so ausgelegt, dass jegliches Nehmen von Geldzinsen Wucher entspricht, und damit verboten ist. Kapitaleinkommen werden damit aber nicht generell verboten, beim Investment Banking wird vor allem Risikokapital (Eigenkapital, bsp. Aktien, englisch Stock) vermittelt, das Rendite über Gewinnbeteiligung produziert, anstelle wie im Westen üblich, hauptsächlich Festverzinsliche Wertpapiere (Fremdkapital, Darlehen, englisch Bonds).
Nationalsozialismus
Im Nationalsozialismus wurde von Gottfried Feder die Brechung der Zinsknechtschaft gefordert. Darunter verstand Feder, dass das deutsche Volk sich in einem kontinuierlichen Abhängigkeits- und Ausbeutungszustands durch die "Zionistische Weltverschwörung" befinde.
Ökonomische Kritik
Für ausführlichere Informationen, siehe Freiwirtschaft
Idealerweise wäre Geld niemals an sich knapp, da Geld, anders als Arbeitskraft und Ressourcen, in beliebiger Menge von einer Zentralbank herausgegeben werden kann, einzig die negativen Effekte einer Inflation müssen dabei berücksichtigt werden. Durch die Liquiditätsprämie und den daraus folgenden Zinsmechanismus erhält das Geld aber zusätzlichen Wert als einzigartiges Lagermittel ohne Durchhaltekosten anstelle eines Tauschmittels. Das Verhalten der Liquiditätspräferenz trifft auf alle Geldbesitzer zu, und führt zu einer künstlichen Knappheit an Geldmitteln.
Die Ökonomische Kritik am Zinswesen stammt hauptsächlich von Silvio Gesell und John Maynard Keynes. Diese sehen in den fehlenden Durchhaltekosten, und der Liquiditätspräferenz des Menschen die Ursache für den Zins und beschreiben, wie in einer Volkswirtschaft in der Geld keine Durchhaltekosten hat, entweder Deflationskrisen auftreten mit Massenarbeitslosigkeit, oder Stagflation, eine andauernde, hohe, vom Staat gemachte Inflation mit vergleichsweise wenig Arbeitslosigkeit.
Die (Geld-)Wirtschaft ist unter diesen Annahmen also prinzipiell nicht stabil, da durch die Zinsmechanik die Nachfrage an Geld und Investitionsmöglichkeiten exponentiell und unabhängig von realem Wachstum ansteigt. Wirtschaftliches Wachstum erlaubt es, trotz niedriger Inflation, dem Problem der Massenarbeitslosigkeit und sozialem Ungleichgewicht vorzubeugen. Der Wachstumszwang zur Erhaltung der Wirtschaftlichen Stabilität und der Vermeidung von sozialen Problemen zieht aber einen immer grösseren Raubbau an Mensch und Natur nach sich und kann laut des Club of Rome (siehe auch: Die Grenzen des Wachstums) keine dauerhafte Lösung bieten.
Gegenkritik (Klassisch)
Klassische und Neoklassische Wirtschaftswissenschafter verstehen im Zins (und allgemein, Kapitaleinkommen) einen Allokationsmechanismus, also einen Mechanismus der Messungen erlaubt und daher Entscheidungshilfe bietet: Eine Kühlschrankfabrik am Nordpol vermöchte womöglich tatsächlich kostendeckend arbeiten, dennoch wäre die niedrigere Rendite ein Indiz und Anreiz dafür, dass eine andere Investition sinnvoller wäre - für die Allgemeinheit ebenso wie für die Investoren.
Die Renditeniveaus in unterschiedlichen Sparten (Bsp. Flugzeuge, Autos, Informationstechnologie) sind ein Indikator für die Knappheit im Volkswirtschaftlichen Sinn. Ein allgemeines Verbot von Zinssätzen ungleich Null würde also erschweren, diese Knappheit zu finden und zu beseitigen. Desweiteren besagen die Erfahrungen aus dem Islamic Banking, dass Nullzinsgebote schlichtweg umgangen werden - Kapital kann aufgrund der Liquiditätspräferenz eine Rendite fordern, und ohne Investition keine Wirtschaftliche Entwicklung. Dies läßt die Vermutung zu, dass selbst die Schwächsten einer Gesellschaft in einer Wirtschaft ohne Nullzinsgebot schlussendlich wirtschaftlich besser gestellt sind als in einer Wirtschaft, die das Nehmen von Zinsen bzw Kapitaleinkommen effektiv verbietet und verfolgt.
Ein hypothetischer Investor der aus rein altruistischen Motiven handelte, müßte das Renditeniveau zuhilfe nehmen um herauszufinden, wo er am nachhaltigsten die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern, also der langfristigen Reduzierung der wirtschaftlichen Knappheit, bekämpft. Die Vorstellung, dass pur egoistisches und rein altruistisches Handeln sich bei besserem Wissen um die Umstände immer ähnlicher sehen, beziehungsweise der Investor, der angelockt von hohen Kapitaleinkommen die Knappheit der Allgemeinheit da beseitigt, wo sie am allergrößten ist, und so unfreiwilig Altruistisch (Gemeinnützig) handelt, ist ein zentrales Element von Adam Smith's Unsichtbarer Hand und der klassischen liberalen Ethik.
Einer reinen Neutralisierung der Liquiditätsprämie, wie sie beispielsweise eine Umlaufsicherung anstrebt, widerspricht aber keiner dieser Ansätze.