Sexueller Missbrauch von Kindern
Sexueller Missbrauch von Kindern bezeichnet willentliche sexuelle Handlungen mit, an oder vor Kindern. Typischerweise spielt dabei ein Macht- oder Wissensgefälle zwischen dem Täter und seinem kindlichen Opfer eine zentrale Rolle. Als Kind werden nach deutschem Strafrecht Personen definiert, die das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. In Deutschland ist Sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176 StGB strafbar.
Begriffsbestimmung
Für den sexuellen Missbrauch von Kindern als Begriff ist der Missbrauch zentral.
Sexueller Missbrauch von Kindern ist stets eine Verletzung der von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen ungestörten Gesamtentwicklung des Kindes und damit seiner Möglichkeit zur Entwicklung sexueller Selbstbestimmungsfähigkeit. Im deutschen Recht wird die Einwilligungsfähigkeit des Kindes in sexuelle Handlungen, mithin die sexuelle Autonomie des Kindes generell verneint. Ab welchem Alter eine solche Selbstbestimmung sicher vermutet oder vorausgesetzt wird, ist stark kulturabhängig. Beispielsweise wird in den meisten Kulturen das heiratsfähige Alter mit einer gewissen sexuellen (nicht notwendig sozialen) Autonomie verknüpft sein. In der Psychologie wird in diesem Zusammenhang unterschieden zwischen einfacher Zustimmung (simple consent) und wissentlicher Zustimmung (informed consent). Hier geht es darum, ob eine Person so weit in der Lage ist, die Folgen der betreffenden Zustimmung/Handlung abzusehen, dass man überhaupt von Zustimmung sprechen kann: es setzt ein umfassendes Begreifen des Geschehens und seiner Folgen voraus. Die juristisch relevante Alters- und Reifestufe wird im Begriff des Schutzalters gefasst. Aus Sicht von Bretz et al. (1994) wird die Beteiligung von noch nicht ausgereiften Kindern und Jugendlichen an sexuellen Aktivitäten als sexueller Missbrauch von Kindern definiert, denen sie nicht verantwortlich zustimmen können, weil sie noch nicht in der Lage sind, sie in ihrer Tragweite zu erfassen.
Diese Kulturabhängigkeit wird von Fürsprechern der Pädophilie häufig dazu verwendet, sexuellen Missbrauch von Kindern zu relativieren und als hinnehmbar darzustellen. Unabhängig von Kulturvarianten basiert eine solche Betrachtung auf positiven Annahmen (wir wollen es beide und haben uns lieb) und lässt die spezifische Traumatisierbarkeit von Kindern außer Acht.
Arten sexuellen Missbrauchs
Es kann aus Sicht der Psychologie zwischen verschiedenen Missbrauchsformen unterschieden werden. Hierzu gehören der Missbrauch:
- ohne körperlichen Kontakt (bspw. Ansehen von Pornofilmen)
- mit körperlichen Kontakt (bspw. gegenseitiges Berühren)
- nicht penetrativ (bspw. gegenseitiges Berühren von Geschlechtsteilen)
- mit penetrativem Kontakt (bspw. oraler Geschlechtsverkehr)
- mit Paraphilien (bspw. Sadismus)
- ritualistischer Missbrauch
Folgen sexuellen Missbrauchs
Die Auswirkungen sexueller Missbrauchserlebnisse auf die Entwicklung von Kindern sind von den Begleitumständen der Tat sowie der anderer Risikofaktoren in der Entwicklung (z. B. Vernachlässigung und körperliche Misshandlung) abhängig. Sexueller Missbrauch kann bereits im frühen Kindesalter beginnen und über Jahre weiterbestehen.
Die unmittelbaren Auswirkungen von sexuellem Missbrauch (Inzest und Pädophilie) auf ein Kind sind sehr unterschiedlich. Etwa die Hälfte der betroffenen Kinder scheinen keine negativen Auswirkungen zu haben. Hier werden allerdings sämtliche sexuellen Kontakte, auch Kontakte, die allgemein als nicht so schwerwiegend gelten miteinbezogen. Als erschwerende Umstände, welche die Folgen eines Missbrauches erschweren können, können der Missbrauch von nahen Bezugspersonen oder die Dauer des Missbrauches als auch mangelde Unterstützung im familiären Umfeld des Kindes nach einem Missbrauch gelten. [1].
Missbrauchte Kinder können Angststörungen, Depressionen, ein geringes Selbstwertgefühl sowie Verhaltensstörungen entwickeln. Psychische Auffälligkeiten in der Folge sexuellen Missbrauchs können enthemmtes triebhaftes Verhalten bei Kleinkindern mit ungewöhnlich aktivem Interesse an den eigenen Genitalien oder denen anderer Kinder, Distanzlosigkeit gegenüber Fremden, nicht altersgemäße sexuelle Aktivitäten mit Gleichaltrigen, exzessive Masturbation, spielerische Imitation und Nachvollziehen der Tat, Exhibieren und sexuell provozierendes Auftreten sein sowie ein erhöhtes Risiko, erneut Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden. Diese Auffälligkeiten können bereits im Vorschulalter auftreten. Im Schulkind- und Jugendalter zeigen sich häufig zusätzlich eine Blockierung und Angst in der Sexualentwicklung, funktionelle Sexualstörungen, Promiskuität und Prostitution, sexuell aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern, ausgeprägte Angst, homosexuell zu sein sowie eine gestörte Geschlechtsrollenidentität.
Wenn die unmittelbare Krise vorüber ist, brauchen viele Kinder weiterhin professionelle Hilfe. Häufig entwickelt sich eine Posttraumatische Belastungsstörung. Hier hängt die Beeinträchtigung der Opfer oft von der Schwere der Tat ab. Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem bei Dissoziativen Identitätsstörungen, Essstörungen sowie Borderline-Persönlichkeitsstörungen in der Kindheit sexueller Missbrauch vorlag. Dies bedeutet nicht, dass Personen, bei denen diese Störungen diagnostiziert wurden, zwangsläufig sexuell missbraucht wurden. Ebenso wie es nicht bedeutet, dass jeder, der in der Kindheit sexuell missbraucht wurde, eine dieser Störungen entwickeln muss. Hier ist lediglich ein statistischer Zusammenhang zu erkennen, der besagt, dass schwere Traumata in der Kindheit, wie sexueller Missbrauch, eine dieser Störungen verursachen können [2] [3]. Als Folgen sexuellen Kindesmissbrauchs gelten außerdem die folgenden:
- Integrationsstörung: Jeder Mensch ist darauf angewiesen das, was ihm widerfährt, irgendwie gedanklich einzuordnen und zu verarbeiten. Einem sexuell unreifen Kind sind die Handlungen des Erwachsenen beim sexuellen Übergriff unverständlich: Es versteht, kurz gesagt, die Welt nicht mehr und kann das Geschehen in seine Welt und seine Geschichte nicht integrieren.
- Vertrauensbruch: Ein Kind lebt gewissermaßen davon, dass es seinen Eltern Vertrauen entgegenbringt. Dieses Vertrauen ist für das Kind die einzige Quelle von Sicherheit in einer ansonsten durchaus unsicheren und gefährlichen Welt. Wird dieses Vertrauen von den Eltern durch Handeln, Hinnehmen oder Ignorieren verraten, so zerbricht für das Kind die Basis jeglicher Sicherheit.
- Unausweichbarkeit: Ein Erwachsener kann sich, auch wenn die Situation noch so schrecklich ist, zumindest emotional distanzieren („das bin nicht ich“, „das ist nicht meine Welt“). Ein Kind kann das nicht. Es kennt nur die eine Welt, die seiner Familie. In dieser Welt wurde es verraten und missbraucht und hat keine Ausweichmöglichkeit außer den Welten, die schon Produkt psychischer Störungen sind.
Als Konsequenz ergibt sich, dass das Geschehen partiell vergessen wird, es aber aufgrund seiner einschneidenden Bedeutung nicht vollständig vergessen werden kann. Spätfolgen daraus resultierender Traumata sind daher häufig Amnesien und tiefsitzende, schlecht diagnostizierbare Persönlichkeitsstörungen (speziell DIS und Borderline).
Prävention
Außer immer neuen Hinweisen in den Medien, wie Eltern ihre Kinder schützen und wie Kinder sich gegen Missbrauch wehren können, gibt es Therapiemöglichkeiten für Pädophile (mit der NEIGUNG zu Kindern), die selbst nicht oder nicht mehr übergriffig werden wollen. Insbesondere sei hier ein Projekt an der Berliner Charité zu erwähnt, das im Rahmen einer Studie Gruppentherapien für wenige hundert Pädophile ermöglicht. Seit Anfang 2006 läuft der erste Durchgang, 2007 soll ein weiterer mit der derzeitigen „Kontrollgruppe“ durchgeführt werden. Ziel ist es, die Betroffenen zu befähigen, verantwortlich mit ihrer Neigung umzugehen. Dadurch soll auch der Leidensdruck auf Seiten dieser potentiellen Täter reduziert werden, da sie sich durchaus ihrer Gefährlichkeit bewusst sein können.
Gesetzeslage einzelner Länder
Literatur
- Gabriele Amann u. Rudolf Wipplinger (Hrsg.): Sexueller Missbrauch: Überblick zu Forschung, Beratung und Therapie; ein Handbuch. 3., überarb. und erw. Aufl., dgvt-Verlag, Tübingen 2005, ISBN 3-87159-044-4.
- Günther Deegener: Kindesmissbrauch. Erkennen, helfen, vorbeugen. 3., aktual. u. erw. Aufl., Beltz Verlag, Weinheim u. Basel 2005, Beltz-Taschenbuch - 884, ISBN 3-407-22884-8.
- Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.), bearb. von Monika Schröttle: Sexueller Missbrauch von Kindern: Dokumentation der Nationalen Nachfolgekonferenz „Kommerzielle Sexuelle Ausbeutung von Kindern“ vom 14./15. März 2001 in Berlin. Verlag Leske & Budrich, Opladen 2001, ISBN 3-8100-3376-6. (Kongressdokument)
- Luise Hartwig, Gregor Hensen: Sexueller Missbrauch und Jugendhilfe: Möglichkeiten und Grenzen sozialpädagogischen Handelns im Kinderschutz. Juventa-Verlag, Weinheim u.a. 2003, Schriftenreihe: Grundlagentexte soziale Berufe, ISBN 3-7799-0735-6.
- Kristian Ditlev Jensen: Ich werde es sagen – Geschichte einer missbrauchten Kindheit. Aus dem Dänischen v. Walburg Wohlleben, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-608-93644-0. (Orig.-Ausg.: Det bliver sagt. Gyldendal, Kopenhagen 2001)
- Beate Besten: Sexueller Mißbrauch und wie man Kinder davor schützt. Orig.-Ausg., 3., neubearb. Aufl., Beck Verlag, Schriftenreihe: Beck'sche Reihe - 445 , München 1995, ISBN 3-406-39333-0.
- Maike Gerdtz: Auch wir dürfen NEIN sagen! : sexueller Missbrauch von Kindern mit einer geistigen Behinderung; eine Handreichung zur Prävention. Verlag Winter, Heidelberg 2003, Schriftenreihe: Edition S, ISBN 3-8253-8311-3.
- Bessel A. van der Kolk (Hrsg.): Traumatic stress : Grundlagen und Behandlungsansätze ; Theorie, Praxis und Forschungen zu posttraumatischem Streß sowie Traumatherapie. Verlag Junfermann, Paderborn 2000, Schriftenreihe: Reihe Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaft - 62, ISBN 3-87387-384-2.
- Dirk Bange: Die dunkle Seite der Kindheit. Sexueller Mißbrauch an Mädchen und Jungen. Ausmaß, Hintergründe, Folgen. 2., überarb. Aufl., Volksblatt Verlag, Köln 1994, ISBN 3-926949-04-X.
- Ursula Enders (Hrsg.): Zart war ich, bitter war’s. Handbuch gegen sexuellen Missbrauch. 1. Aufl., vollst. überarb. und erw. Neuausg., Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, ISBN 3-462-02984-3.
Siehe auch
Weblinks
- Zentrale Informationsstelle zur Prävention von sexueller Gewalt
- Bundesarbeitsgemeinschaft Prävention & Prophylaxe e. V.
- Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen Begriffsbestimmung, Formen, Häufigkeit, Folgen
- Juristische Informationen auf www.kinderschreie-rechtliches.de, auch mit
- Links und Adressen zu allgemein und rechtlich beratenden Einrichtungen
- Kontakt- und Informationsstelle für Opfer von seelischer, körperlicher und sexueller Gewalt
- Informationen der ehemaligen Aktion Netz gegen Kinderporno, auch mit
- Liste der online-Meldestellen - Stand: 05.2003
- Berliner Charité – Projekt „Kein Täter werden“
- ↑ Kühnle, 1998. Zitiert nach: Hautzinger (Hrsg.): Davison und Neale (2002): Klinische Psychologie Seite 501 f. Weinheim BelzPVU. ISBN 3621274588
- ↑ Resch et al. (1999) Entwicklungspsychopathologie des Kindes- und Jugendalters - Ein Lehrbuch, PVU, Weinheim
- ↑ Hautzinger (Hrsg.): Davison und Neale (2002): Klinische Psychologie. Weinheim: BelzPVU. ISBN 3621274588