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Nachhaltigkeit

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Definition

"Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen (Verkürzte Definition Brundlandbericht)".

Nachhaltigkeit (engl. sustainability) wird meist synonym mit nachhaltige Entwicklung (engl. sustainable development) verwendet. Die obige Defintion wurde von der Brundland-Kommission 1987 als Terminus eingeführt. Sie stellt im gewissen Sinne eine Kompromissformel dar, um die damals unüberwindbaren Gegensätze Umwelt und Entwicklung (Wachstum) in Einklang zu bringen.

Erstmals vewendet wurde der Begriff "sustainable development" in der Bibel der Umweltbewegung der Studie Global 2000 (1981, Time to Act S. 137 ff..) - die Ergebnisse dieser Studie sind in den Brundland-Bericht eingegangen. Wissenschaftlich liegen seine Ursprünge in den Forschungen von Meadows und Forrester (1972).

Mit dem Rio Erdgipfel 1992 wurde Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung als normatives, internationales Leitprinzip für der Staatgemeinsschaft, der Weltwirtschaft, der Weltzivilgesellschaft, der Politik, etc. anerkannt und z.B. in der Rio Deklaration und derAgenda 21 verwendet. Auf der örtlichen Ebene ist der Begriff durch die Lokale Agenda 21 Bewegung bekannt geworden.

Seit dem Weltgipfel zur nachhaltigen Entwicklung (Johannesburg 2002) wurde ein Pardigmenwechsel zur Nachhaltigkeitsstrategie vollzogen, d.h. Nachhaltigkeit als strategische Aufgabe verstanden. Außerdem sind die Milleniums Ziele der UN fester Bestandteil der Umsetzung. Die Kluft zwischen Wort und Tat liegt insbesondere an fehlenden Finanzierungsmittel - hierzu müssen bis 2015 980 Mrd.US$ zusätzlich bereitgestellt werden. Diese Mittel zu aktivieren hat sich die Global Marshall Plan Initiative verschrieben.

Schlüsselprinzipen der Nachhaltigkeit

Zwei Konzepte sind für die Umsetzung und das richtige Verständnis nachhaltiger Entwicklung / Nachhaltigkeit von zentraler Bedeutung. Die Erfüllung der Grundbedürfnisse(aller Menschen) und die Einhaltung der Grenzen der Tragfähigkeit des globalen Ökosystems. Die Brundlanddefinition ist mit zwei Schlüsselprinzipen verbunden, die erst die übliche Definition verständlich und vollständig machen:

"Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. It contains within it two key concepts:

  • 1. The concept of “needs”, in particular the essential needs of the world`s poor, to wich overriding priority should be given; and
  • 2. The idea of limitations imposed by the state of technology and social organization on the environment ability to meet present and future needs (Brundland)".

Die "Idee der Grenzen" verweist auf den wissenschaftlichen (Systemforschung) Sinn der Nachhaltigkeit im Sinne von aufrechterhaltbar, Aufrechterhaltbarkeit:

" Zustand eines Systems, das sich so verhält, dass es über unbeschränkte Zeiträume ohne grundsätzliche oder unsteuerbare Veränderungen (Zusammenbruch) [...] existenzfähig bleibt und vor allem nicht in den Zustand der Grenzüberziehung gerät" (vgl. Meadows: Die neuen Grenzen des Wachstums. 1992: S. 298 ).

Operationalisiert wurde das wissenschaftliche Verständnis durch die Managementregeln der Nachhaltigkeit bzw. anderer Konzepte (s.u.).

Konkretisiert wurde der Begriff Nachhaltigkeit in den Dokumenten des Rio-Johannesburg Prozess wie z.B. der Agenda 21, der Klimarahmen-Konvention, des Aktionsplan von Johannesburg, etc.

Übersetzungs- und Begriffsprobleme

Der ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammende Begriff wurde nach der deutschen Veröffentlichung des Brundlandsberichts als eine Übersetzungsvariante für engl. Sustainability bzw. sustainable development verwendet. Andere gängige Übersetzungsvarianten sind Dauerhaftigkeit (Brundland), Zukunftsfähigkeit (Wuppertal Institut), Zukunftsbeständigkeit (ICLEI) und Aufrechterhaltbarkeit (Meadows/Sytemforschung). Mit der Übersetzung hat der Begriff einen neuen Inhalt bekommen, wobei es hier unzählige Interpretationen gibt.

Dieser neue Begriffsinhalt unterscheidet sich von der ursprünglichen fortwirtschaftlichen Konzeption aber auch von der umgangssprachlichen Verwendung. Wobei meist die Zeitdimension Langfristigkeit die Schnittmenge ist.

Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft

Erstmals wurde Nachhaltigkeit um 1700 vor dem Hintergrund einer zunehmenden Holznot postuliert. In der "Sylvicultura Oeconomica, oder Hausswirthliche Nachricht und Naturmässige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht" von 1713 (ISBN 3-86012-115-4) strebt der Oberberghauptmann in Kursachsen, Hans Carl von Carlowitz (1645-1714) eine "continuierliche, beständige und nachhaltende Nutzung" an.

Einen Wald (hinsichtlich der Holznutzung) nachhaltig zu bewirtschaften erfordert, in einem Planungszeitraum nicht mehr Holz einzuschlagen, als im gleichen Zeitraum nachwächst.

Ursprünglich war Nachhaltigkeit ein rein wirtschaftliches Prinzip zur dauerhaften Sicherung kontinuierlicher Holzlieferungen für die darauf angewiesenen Montanbetriebe. Von Carlowitz erkannte aber bereits die ethischen und ästhetischen Werte des Waldes. Ein weiterer Verfechter des nachhaltigen Waldbaus war Johann Heinrich Cotta. Im Laufe des 19. Jahrhunderts und bis zu den 1920er Jahren wurde der Begriff über die reine Massennachhaltigkeit hinaus erweitert - beispielsweise in den Forderungen von Karl Gayer (1882), Alfred Möller (1923) und Hans Lemme (1939).

Umgangsprache

Die Eigenschaft nachhaltig ist seit längerem im allgemeinen Sprachgebrauch verankert - z.B. als nachhaltige Besserung.Bedingt durch seine Popularität hat die Aussagekraft des Begriffes abgenommen. Der Begriff wird häufig ohne ein tatsächliches Verständnis seiner Hintergründe benutzt ("Nachhaltigkeit der Kursentwicklung [von Aktien]"). Dies gilt sogar für den politischen Bereich z.B. den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel.

Nachhaltig als adjektiv - Verwendungen

Oft finden wir auch Begriffe wie nachhaltige Stadtentwicklung,nachhaltige Landwirtschaft, nachhaltiger Tourismus, nachhaltiges Wachstum, etc. Damit ist gemeint, das das Objekt wie z.B. Stadtentwicklung im Sinne der Brundlanddefintion und des Rio-Johannesburg Prozess verstanden wird.

Nachhaltigkeit in der deutschen Diskussion

In Deutschland wurde die Diskussion ab 1995 wesentlich durch die gemeinsame Studie von Misereor und BUND beeinflusst: "Zukunftsfähiges Deutschland - Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung" (1996), welche durch das Wuppertal Institut durchgeführt wurde.Im Zentrum dieser wichtigen Studie stand die Operationalisierung der Nachhaltigkeit (Umweltraum-Konzept), die Ableitung langfristiger Nachhaltigkeitsziele, die Entwicklung von Leitbildern und Übergangsszenarien.

In der Folge wurde die politische Diskussion durch mehrere Enquête-Kommissionen des Deutschen Bundestages geführt. Am 21. Februar 2001 wurde der Rat für Nachhaltige Entwicklung berufen.

In der Wissenschaft entwickelte sich eine Vielzahl von Arbeitsschwerpunkten. Sie reichen heute von der einzelwirtschaftlichen Betrachtung des "Betrieblichen Umweltschutzes" über Funktionszusammenhänge wie "Nachhaltige Mobilität", "Nachhaltigen Konsum" oder "Nachhaltige Investition" bis hin zur Betrachtungen weltweiter Zusammenhänge wie "Globale Nachhaltigkeit und WTO" und ähnlicher Entwicklungspolitik.

Seid 2001 gibt es auch eine eigene Nachhaltigkeitswissenschaft (Sustainability Science).

Nachhaltigkeitsstrategien

Nationale Nachhaltigkeitsstrategien

Im April 2002 verabschiedete die Bundesregierung unter dem Titel "Perspektiven für Deutschland" ihre Strategie für eine Nachhaltige Entwicklung. Darin sind für die vier Handlungsfelder Energie und Klimaschutz, Verkehr, Landwirtschaft sowie Globale Verantwortung Maßnahmen genannt. Im Herbst 2004 soll ein Fortschrittsbericht über das Erreichte Rechenschaft ablegen.

In Österreich wurde 2002 auf nationaler Ebene die Österreichische Strategie zur nachhaltigen Entwicklung (http://www.nachhaltigkeit.at) beschlossen.

Regionale Nachhaltigkeitsstrategien

Der Freistaat Bayern hat bereits 1998 eine Agenda 21 als regionale Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. In Johannesburg 2002 wurde ein Netzwerk von Regionalregierungen für nachhaltige Entwicklung (Network of Regional Governments for Sustainable Development)gegründet.

Kommunale Nachhaltigkeitsstrategien

In jüngster Zeit haben auch Städte wie Neumarkt oder Ingolstadt, eine kommunale bzw. Lokale Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt, welche eine Weiterentwicklung der Lokale Agenda 21 darstellt.

Managementregeln der Nachhaltigkeit

Die grundlegenden Managementregeln (i.S. von Hermann Daly) besagen im wesentlichen:

  • Die Nutzung erneuerbarer Naturgüter (z.B. Wälder oder Fischbestände) darf auf Dauer nicht größer sein als ihre Regenerationsrate. Andernfalls ginge die Ressource zukünftigen Generationen verloren.
  • Die Nutzung nichterneuerbarer Naturgüter (z.B. fossile Energieträger) darf nach Möglichkeit und auf Dauer nicht größer sein als die Substitution ihrer Funktionen (Beispiel: denkbare Substitution fossiler Energie träger durch Wasserstoff aus solarer Elektrolyse).
  • Die Freisetzung von Stoffen und Energie darf auf Dauer nicht größer sein als die Anpassungsfähigkeit der natürlichen Umwelt (Beispiel: Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre oder von säurebildenden Substanzen in Waldböden).

Heuristische Modelle

Das Drei-Säulen-Modell geht von der Vorstellung aus, dass Nachhaltigkeit durch das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, sozialen und wirtschaftlichen Zielen, die den o.g. Nachhaltigkeitsprinzipien entsprechen, erreicht werden könne. Dabei können diese drei Dimensionen unterschiedlich gewichtet werden. Kritisch betrachtet ist das Drei-Säulen-Modell nicht mit den Schlüsselprinzipen der Brundlanddefinition kompatibel.

Man unterscheidet zwischen "schwacher" und "starker" Nachhaltigkeit:

  • Von schwacher Nachhaltigkeit redet man, wenn man davon ausgeht, dass es egal ist, in welcher Dimension Kapital erhalten bleibt bzw. geschaffen wird. So wäre es im Rahmen schwacher N. z.B. akzeptabel, wenn Naturressourcen und damit Naturkapital erschöpft würden, wenn dem dafür angemessene Mengen geschaffenes Humankapital oder Sachkapital gegenübersteht. Vereinfacht ausgedrückt: Es ist okay, wenn ein Wald abgeholzt wird, wenn daraus genügend Papier hergestellt wird.
  • Starke Nachhaltigkeit bedeutet, dass Naturkapital nur sehr beschränkt bzw. gar nicht ersetzbar durch Human- oder Sachkapital ist. Ein Beispiel dafür ist das "Leitplankenmodell". Ihm zufolge bilden die ökologischen Parameter, die langfristig stabile Lebensbedingungen auf der Welt sichern, einen Entwicklungskorridor, der unbedingt zu beachten sei. Nur innerhalb dieses Korridors bestehe ein Spielraum zur Umsetzung wirtschaftlicher und sozialer Ziele.

Siehe auch

Agenda 21, Stabilität, Verschleiß, Abnutzung, Synergien, Zerstörung, nachhaltige Entwicklung, Nachhaltigkeitsbeihilfe, Aldo Leopold, Rat für Nachhaltige Entwicklung

Literatur

  • Arbeitsgruppe Nachhaltige Entwicklung an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft/Institut für interdisziplinäre Forschung (FEST) (Hrsg.): Indikatoren nachhaltiger Entwicklung in Deutschland - Ein alternatives Indikatorensystem zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Heidelberg 2004
  • Birnbacher, Dieter: Verantwortung für zukünftige Generationen. Stuttgart 1988
  • Brandt, Christian: Sustainable Development und Responsible Care. Die chemische Industrie auf dem Weg in eine grüne Zukunft? In: Chemie in unserer Zeit 36(4), 214 - 224 (2002)
  • Daly, Herman E.: Sustainable Development, Grundzüge einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung. In: Oikos 1992, 1-4
  • Hampicke, Ulrich: Ökologische Ökonomie. Opladen 1992
  • Harborth, Hans-Jürgen: Dauerhafte Entwicklung statt globaler Selbstzerstörung - eine Einführung in das Konzept des "sustainable development". Berlin
  • Rademacher, Franz Josef: Der Global Marshall Plan. 2004
  • Stappen, Ralf Klemens:Die Global Marshall Plan Initiative und der Rio-Johannesburg Prozess. Strategische Optionen für die Umsetzung. Franz von Assisi Akademie 2004
  • Patzig, Günther: Ökologische Ethik - innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Göttingen 1983
  • Wallner, Dr. Heinz Peter und Michael Narodoslawsky: Die Inseln der Nachhaltigkeit, Verlag NP, Österreich.