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Imperialismustheorie

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Imperialismustheorien wurden im 20. Jahrhundert entwickelt. Damit versuchten Wissenschaftler bzw. Revolutionäre, die Entstehung und den Verlauf kolonialer oder anderer wirtschaftlicher und politischer Expansionen, vor allem europäischer Staaten, später auch der USA oder seltener der Sowjetunion zu erklären. Im sozialistischen Selbstverständnis sollte die jeweilige Theorie eine der Grundlagen revolutionärer Praxis werden.

Anfänge der Imperialismustheorien

Die wohl erste Imperialismustheorie verfasste Hobson 1902 ("Imperialismus"), der die Suche nach neuen Kapitalanlagemöglichkeiten als Grundlage des Imperialismus sah. Ausschlaggebend für seine Imperialismustheorie waren wohl die Burenkriege (1902) und führten beim linksliberalen Demokrat Hobson zu einer empathischen Verurteilung des Imperialismus. In seiner volkswirtschaftlichen Analyse des Imperialismus knüpft er an Mills an, wonach die Produktionsgesetze zwar unveränderlich sind, die Distribution dieser aber am sozialen Willen liegt. Damit ließe sich dann auch die Unterkonsumtionsproblematik beheben, in dem man den Arbeitern einfach mehr Geld umverteilt, damit sie auch besser konsumieren können. Durch die ideale Verteilung verfällt dann auch der Expansionszwang des Kapitalismus. Auf ihn stützten sich R. Hilferding 1910 und W. I. Lenin 1916/1917.

Wichtige Imperialismustheorien

Lenin

Lenins Imperialismustheorie ist nach einem marxistischen Ansatz aufgebaut. Seiner Meinung nach werde die gesamte Politik durch das Finanz- und Monopolkapital beherrscht, d. h., dass die Produktion und das Kapital konzentriert sind und mit ihrer Wirtschaftskraft die Politik lenken (Stamokap= staatsmonopolistischer Kapitalismus). Außerdem sei der Imperialismus für die Großkonzerne lebensnotwendig um das Sinken der Profitrate zu verhindern. Er könne nur durch die Abschaffung des Kapitalismus beseitigt werden. Lenin sah den Imperialismus als das fünfte und letzte Stadium des Kapitalismus an. Hierbei handelt es sich um einen monokausalen Erklärungsansatz.

Ein Zitat Lenins aus seinem Buch "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus": Würde eine möglichst kurze Definition des Imperialismus verlangt, so müsste man sagen, dass der Imperialismus das monopolistische Stadium des Kapitalismus ist. Eine solche Definition enthielte die Hauptsache, denn auf der einen Seite ist das Finanzkapital das Bankkapital einiger weniger monopolistischer Großbanken, das mit dem Kapital monopolistischer Industriellenverbände verschmolzen ist, und auf der anderen Seite ist die Aufteilung der Welt der Übergang von einer Kolonialpolitik, die sich ungehindert auf noch von keiner kapitalistischen Macht eroberte Gebiete ausdehnt, zu einer Kolonialpolitik der monopolistischen Beherrschung des Territoriums der restlos aufgeteilten Erde. (1917)

Rosa Luxemburg

Luxemburgs 1913 in ihrem Hauptwerk "Die Akkumulation des Kapitals" veröffentlichte Imperialismustheorie betont die Gefahr für den Weltfrieden durch den Konkurrenzkampf der kapitalistisch verfassten Nationen untereinander. Nur die Ausdehnung der Ökonomie in noch nicht kapitalistische Gebiete, kann demnach den Niedergang des Kapitalismus verzögern. Langfristig setzten sich weltweit kapitalistische Verhältnisse durch, die entweder durch die sozialistische Revolution beendet werden oder krisengeschüttelt durch einen ökonomischen und politischen Zusammenbruch, letztendlich immer im Krieg enden.

Wolfgang Mommsen

Wolfgang Mommsen gab hingegen 1969 einen pluralistischen und nicht-marxistischen Erklärungsansatz. Er betonte die ideologische Komponente des Imperialismus ohne die ökonomischen Antriebskräfte auszublenden. Mommsen sah den europäischen Imperialismus als die äußerste Form nationalistischen Denkens an. Er stellte klar, dass die Idee der "Nation" ursprünglich mit der Demokratie verbunden war. Ab 1885 sei dann ein pathetischer Imperialismus hervorgetreten, so dass es zu einem antiliberalen Verständnis von "Nation" gekommen sei. Als Gründe für den Imperialismus nannte er den "Pseudohumanismus" und das religiöse Sendungsbewusstsein (z.B. Cecil Rhodes) der Europäer und das Bestreben der Großmächte, Weltmachtstatus zu erlangen.

Hans-Ulrich Wehler

Auch Hans-Ulrich Wehler formulierte 1969 eine nicht-marxistische Imperialismustheorie: Seiner Meinung nach seien nicht die außenpolitischen Absichten für den Imperialismus ausschlaggebend gewesen, sondern die innenpolitischen (Primat der Innenpolitik). Dabei seien die innenpolitischen Probleme - etwa die Emanzipationsforderungen des Proletariats - durch außenpolitische Ambitionen überspielt worden. Erfolge sollten die Arbeiterschaft an den Staat binden. Außerdem sollte der Imperialismus die Soziale Frage lösen, womit Wehler die Theorie des Sozialimperialismus aufgestellt hatte.

In den 1970er Jahren kam durch den westdeutschen Historiker Hans-Ulrich Wehler eine weitere einflussreiche Theorie hinzu, die Theorie des sogenannten Sozialimperialismus. Wehler sieht im Imperialismus den Versuch der Herrschenden, ein gleichmäßiges Wirtschaftswachstum herbeizuführen und die inneren sozialen Spannungen nach außen abzulenken:

"In der Expansion nach außen glaubte [der Sozialimperialismus], ein Heilmittel zu finden, das den Markt erweiterte, die Wirtschaft sanierte, ihr weiteres Wachstum ermöglichte, die Gesellschaftsverfassung damit ihrer Zerreißprobe entzog und die inneren Machtverhältnisse aufs neue stabilisierte."

Hans-Ulrich Wehler: Bismarck und der Imperialismus. Köln, 1972. S. 114-115. Zitiert nach Askani, Bernhard u.a.: Anno 3. Braunschweig, 1996. S. 185.

John A. Hobson

mangelhafte Verteilung des Kapitals in der Gesellschaft führt zu:

  1. Unterkonsumption der breiten Masse (Produktion übersteigt die Konsumkraft wegen mangelnder Kaufkraft)
  2. Kapitalüberschuss bei einer kleinen Minderheit

aus 2.) folgt der Kapitalexport

  • Investoren fordern zum Schutz ihrer Anlagen die Machtmittel des Staates
  • Imperialistische Vergrößerung des Staatsgebietes
  • Wettlauf rivalisierender Imperien
  • Gefährdung des Friedens
  • Förderung des Militarismus

Lösungsmöglichkeiten: Sozialreform - Lohnerhöhung der Arbeiter - Abschöpfung des Kapitalüberschusses der Reichen

"Überall erscheinen übergroße Produktionskräfte, übergroße Kapitalien, die nach Investition verlangen. Sämtliche Geschäftsleute geben zu, daß der Zuwachs an Produktionsmitteln in ihrem Lande die Zunahme der Konsumption [des Verbrauchs] übertrifft, daß mehr Güter hervorgebracht als mit Gewinn abgesetzt werden können, daß mehr Kapital vorhanden ist, als lohnend angelegt werden kann. Diese ökonomische Sachlage bildet die Hauptwurzel des Imperialismus ... . Imperialismus ist das Bestreben der großen Industriekapitäne [der Großindustriellen], den Kanal für das Abfließen ihres überschüssigen Reichtums dadurch zu verbreitern, daß sie für Waren und Kapitalien, die sie zu Hause nicht absetzen oder anlegen können, Märkte und Anlagemöglichkeiten im Ausland suchen."

John A. Hobson: Der Imperialismus. hrsg. von H.-Chr. Schröder. Köln/Berlin, 1968. S. 92, 95ff. Zitiert nach Askani, Bernhard u.a.: Anno 3. Braunschweig, 1996. S. 183.

Noch heute ist die Diskussion über dieses Thema unter Experten nicht abgeschlossen.

Literatur

  • Hobson, John (1902): "Der Imperialismus"
  • Luxemburg, Rosa (1912): "Die Akkumulation des Kapitals"
  • Lenin, W.I. (1917): "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus"

Aktuelle Diskussion

  • Stefan Bollinger (2004): Historische Grundlagen für eine aktuelle Kritik. Wien: Promedia Verlag

Frank Deppe/Stefan Heidbrinck/David Salomon/Stefan Schmalz/Stefan Schoppengerd/Ingar Solty(2004): Der neue Imperialismus. Heilbronn: Distel Verlag

Neue Ansätze zur Entwicklungstheorie

Winter, Johannes, Die Entwicklungspolitik im Wandel der Zeit, Weltpolitik.net/Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin

Siehe auch