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Dezisionismus

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Dezisionismus ist eine politische und juristische Theorie, die die Entscheidung und den Entscheider in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt. Sie hält weniger den Inhalt einer Entscheidung für wichtig, als die Entscheidung an sich. Ihr zufolge kann es keine allgemein verbindlichen Begründungen für Werte oder moralische Positionen geben. Daher sei die Entscheidung von Menschen für diese oder jene Handlung letztlich willkürlich und nicht mit den Mitteln logischer Analyse oder anhand ethischer Kriterien zu rechtfertigen.

Der Terminus „Dezisionismus“ ist von „Dezision“ – (lat.) Entscheidung (→Wiktionary) – abgeleitet. Der Begriff wurde insbesondere von Carl Schmitt in die rechtstheoretische und politische Diskussion eingebracht.

Dem Dezisionismus liegt die im Kern schon im mittelalterlichen Universalienstreit formulierte Anschauung zugrunde, daß ethische und moralische Postulate keine „platonischen“ ewigen Wesenheiten sind, die wir zu erkennen und anzuerkennen haben, sondern geistige Vorstellungen, für oder gegen die entschieden werden kann und muß: ‚Das Gute ist das Gute, weil Gott es in seiner Allmacht so wollte. Er hätte auch anders entscheiden können, sonst wäre er nicht allmächtig.’

Daran anknüpfend betonte Thomas Hobbes, daß die gesellschaftliche Geltung jeder Norm auf der Entscheidungsmacht beruht. Diese wies er dem Staat zu in der Erwartung, durch staatliche Entscheidung die Gefahr religiöser Bürgerkriege zu bannen: ‚Autoritas, non veritas facit legem’ entzog jedem die Legitimation, der für „seine Wahrheit“ andere zu todeswürdigen Ketzern oder Verbrechern erklärte.

Der wertfreie, rein wissenschaftliche 'deskriptive Dezisionismus' Panajotis_Kondylis besagt, daß im zwischenmenschlichen Leben ausnahmslos alle ethischen, moralphilosophischen und rechtstheoretischen Forderungen auf der Entscheidung konkreter Menschen für oder gegen ihre Geltung beruhen. Es gibt keine höheren Mächte oder Instanzen, die uns die Last der Entscheidung wie auch die Freiheit zur Entscheidung abnehmen.

Die dezisionistische Grundthese wurde geistesgeschichtlich in sehr unterschiedlich ambitionierten Theorien als Baustein verwendet. Das war möglich, weil sie eo ipso wertfrei ist und selbst in antagonistische Weltbilder integriert werden kann. Dabei treten immer dann Selbstwidersprüche auf, wenn die Theorie dezisionistisch ansetzt, aber ungewollt normative Komponenten enthält. Eine existentialistische oder voluntaristische Theorie, die etwa besagt: "Alle Normen gelten erst qua Entscheidung für sie, also sollen wir entscheiden", enthält einen Widerspruch in sich, weil die dezisionistische These (Alles ist Entscheidungssache) mit der normativen Komponente (".. also sollen wir entscheiden") unvereinbar ist.

Zu den Vielen, die dezisionistische Grundannahmen in ihren Theorien anwandten, gehört Carl Schmitt. Seine Anschauungen beruhen auf einem primär katholischen Weltbild, dessen Glaubensinhalte Schmitt als Wahrheiten voraussetzt und keiner dezisionistischen Entscheidung aussetzt. Erst und nur im Rahmen dieser Glaubenspostulate benutzt er dezisionistische Argumente und verachtet ihm im Anschluß an Donoso Cortes die kompromißbereite „diskutierende Klasse" mit ihrem Liberalismus und Parlamentarismus, weil es aus Glaubenssicht widersinnig ist, über feststehende Wahrheiten zu diskutieren oder sie einem Kompromiß auszusetzen. Die klassische, auf Hobbes zurückgehende Formel des Dezisionismus lautet laut C. Schmitt: „Auctoritas non veritas facit legem.“ (Die Autorität, nicht die Wahrheit, schafft das Gesetz – die Formel stammt von Thomas Hobbes, vgl. dazu den Artikel zur Rechtsphilosophie). Später (1934) wandte Schmitt seine dezisionistische Theorie in seiner Rechtfertigung der NS-Herrschaft an – es hieß nun bei Schmitt: „Der Führer schafft das Recht“ und „Der Führer schützt das Recht“.

Konkret erscheint der Dezisionismus in verschiedenen Kontexten: dem rechtstheoretischen, dem moralphilosophischen und dem sozialwissenschaftlichen Kontext.

In der juristischen Diskussion besagt der Dezisionismus, daß rechtliche Normen niemals auf menschlicher Setzung entzogenen "übergesetzliche" Normen beruhen, sondern ausschließlich auf einem Rechtssetzungsakt eines konkreten, menschlicher Gesetzgebers, also letztlich auf willkürlicher freier Entscheidung. Der Dezisionimus steht daher dem Vorwurf ausgesetzt, letztendlich subjektiv und willkürlich zu sein. Es ist aber keineswegs Inhalt dezisionistischer Theorie, Gesetze sollten willkürlich gesetzt werden, sondern nur die Feststellung, daß es faktisch so ist. Carl Schmitt wandte sich damit gegen Anschauungen, die meinten, dass die Jurisprudenz als Wissenschaft eine rechtstheoretische Lückenlosigkeit herstelle, wonach sich jeder Einzelfall eindeutig unter bestimmte rechtliche Normen subsumieren lasse. Vielmehr zeigte Carl Schmitt in seinen frühen Schriften die Schwächen der juristischen Methodenlehre auf und versuchte die gängigen Auslegungsmethoden zu erschüttern. Ein richterliches Urteil sei also eine willkürliche Wahl zwischen verschiedenen Alternativen. Aber auch die anzuwendende Norm selber versteht Carl Schmitt als nichts anderes als die in einem Gesetzgebungsverfahren zustande gekommende Dezision.

Kritikern zufolge verkürze der juristische Dezisionismus den Begriff des Rechts auf einzelne Regeln. Vielmehr müsse man das Recht als Einheit aus Regeln und zugrunde liegenden Rechtsprinzipien begreifen. Der Rechtsanwender müsse nur anhand der Regeln und Prinzipien eine Entscheidung finden, die sich mit den Mitteln einer juristischen Argumentation begründe lasse.

In der moralphilosophischen Diskussion besagt der Dezisionismus, dass jeder Versuch der Moralbegründung in letzter Hinsicht auf ihrerseits nicht weiter begründbare Entscheidungen rekurrieren müsse. Er trifft sich damit mit der von dem Schmitt-Schüler Ernst-Wolfgang Böckenförde aufgestellten These, wonach der moderne Rechtsstaat auf Voraussetzungen beruhe, die er selbst nicht zu garantieren vermag (sog. Böckenförde-Diktum).

In der soziologischen und politologischen Diskussion (insbesondere Habermas) ist der Dezisionismus weniger an C. Schmitt orientiert. Er bezeichnet hier eine Rollentrennung zwischen Experten und Entscheidern. Wissenschaftler sollten die Entscheidung über Ziele und Mittel des Handelns der Politik überlassen und sich selbst darauf beschränken, Wissen zur Zielerreichung zur Verfügung zu stellen.

Literatur