Tabakindustrie
Die Tabakindustrie umfasst Unternehmen, die Zigaretten, Zigarren, Rauchtabak, Schnupftabak, Kautabak, Snus oder Bidis herstellen. Dieser Wirtschaftszweig wird stark dominiert durch weltweit tätige Konzerne oder Betriebe mit einem staatlichen Monopol.
Weltweit waren 1999 ungefähr zwei Millionen Personen in der Zigarettenindustrie und den Zulieferfirmen beschäftigt. Über zwei Drittel aller Arbeitsplätze befanden sich in China, Indien und Indonesien. Die drei größten multinationalen Tabakkonzerne hatten 2003 etwas mehr als 100.000 Arbeitnehmer.
Unternehmen
Tabakkonzerne
Die größten weltweit tätigen Tabakkonzerne:
Unternehmen | Sitz | Umsatz (2005) | Zigarettenstückzahl (2003) |
Altria (Philip Morris) | US | 63 Mrd US-$ | 736 Mrd. |
Japan Tobacco | JP | 40 Mrd US-$ | 423 Mrd. |
Imperial Tobacco (Reemtsma) | GB | 21 Mrd US-$ | 101 Mrd. |
British American Tobacco | GB | 17 Mrd US-$ | 792 Mrd. |
Altadis | ES, FR | 16 Mrd US-$ | 100 Mrd. HALLO |
Gallaher Group | GB | 15 Mrd US-$ | k.A. |
Reynolds American | US | 8 Mrd US-$ | k.A. |
Regional tätige Konzerne:
- China National Tobacco Co. (CNTC; China)
- PT Gudang Garam (Indonesien)
- Tekel (Türkei)
- ITC (Indien)
- Fortune Tobacco Co. (Philippinen)
- House of Prince (Dänemark)
- Heintz van Landewyck (Luxemburg)
Zulieferunternehmen
- Hauni Maschinenbau AG
- GD aus Bologna
- Heinrich Burghart GmbH
- Rhodia Acetow GmbH
- Focke & Co
Justizverfahren
Seit den 50er-Jahren wurden in fast 40 Staaten Haftungs- und Strafprozesse gegen die Tabakindustrie geführt, die meisten davon in den USA. Diese Prozessflut hält weiter an. Zur Zeit sind beispielsweise gegen Philip Morris in den USA über 400 Fälle hängig, während Philip Morris International in allen anderen Staaten in etwas über 150 Fällen als Beklagte Prozesse führen muss.
Justizverfahren von Behörden
Master Settlement Agreement (1998)
US-Bundesstaaten führten in den 1990er Jahren zahlreiche Schadenersatzprozesse gegen die Tabakindustrie. 1998 einigten sich 40 US-Bundesstaaten, der District of Columbia und fünf US-amerikanische Territorien mit der US-Tabakindustrie auf ein Master Settlement Agreement [1]. Im Hauptpunkt verpflichtete sich die US-Tabakindustrie, den Klägern während 25 Jahren mehr als 200 Milliarden US Dollars zu leisten. Ebenfalls willigte sie ein, ihre Werbung nicht mehr an Jugendliche zu richten. Dafür verzichteten die Bundesstaaten auf die Einreichung weiterer Klagen.
US-Regierung gegen US-Tabakindustrie (1999 - 2006)
Die US-Regierung machte 1999 gegen die US-Tabakindustrie (u.a. Philip Morris USA, R.J. Reynolds Tobacco, Brown&Williamson Tobacco) eine Zivilklage am U.S.District Court, Washington D.C., anhängig. Sie stützte sich auf ein Gesetz (sog. "Rico Act", "Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act) von 1970, das damals zur Bekämpfung der Mafia erlassen wurde. Die Dokumente der Tabakindustrie [2] sollten beweisen, dass die angeklagten Firmen seit Anfang der 1950er Jahre eine Art kriminelles Kartell gebildet haben, um ihre Kunden zu täuschen. Alle Gewinne und Zinsen, insgesamt 280 Milliarden US-Dollar, welche die Tabakindustrie seit den 1950er Jahren gemacht hatte, verlangte die US-Regierung zurück.
Der Prozess wurde am 21. September 2004 eröffnet. Die Zulässigkeit der Gewinnabschöpfung wurde am 4. Februar 2005 vom United States Court of Appeals for the District of Colombia Circuit in einem Zwischenurteil verneint. Gegen dieses Urteil verlangte die US-Regierung beim Supreme Court of the United States am 18. Juli 2005 eine Revision. Sie wurde am 17. Oktober 2005 vom Supreme Court abgewiesen, weil der "Rico Act" nicht rückwirkend angewendet werden dürfe.
Die Bundesrichterin Gladys Kessler bestätigte am 17. August 2006 in ihrem 1'742 Seiten umfassenden Urteil, dass Rauchen von Zigaretten Krankheit und Tod verursache. Trotz firmeninterner Anerkennung dieser Tatsachen, habe die Tabakindustrie während Jahrzehnten systematisch die schädlichen Nebenwirkungen der Zigaretten in der Öffentlichkeit bestritten, verzerrt dargestellt und verharmlost. Deshalb ordnete sie ein Verbot an, wonach ab dem 1. Januar 2007 in den USA irreführende Bezeichnungen wie "mild" oder "light" auf der Verpackung oder in der Werbung nicht mehr verwendet werden dürfen. Zusätzlich müssen die eingeklagten Firmen über die Schädlichkeit ihrer Produkte in den Medien die Öffentlichkeit informieren und die Prozesskosten übernehmen. Auf eine Verhängung von Geldbussen verzichtete sie, weil dies der Supreme Court bereits in einem früher erlassenen Urteil als unzulässig erklärt hatte.
Gegen dieses Gerichtsurteil wollen einzelne verurteilte Firmen Berufung einlegen. Der Prozess wird aktuell [3] und als Zusammenfassung [4] dokumentiert.
Vereinbarung EG mit Philip Morris International (2004)
Die Europäische Gemeinschaft und 10 EG-Mitgliedstaaten hatten verschiedene Klagen gegen Philip Morris International (PMI) wegen Zigarettenschmuggel geführt. Auf der anderen Seite strengte PMI gegen die Europäische Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof ebenfalls ein Verfahren an. Alle bestehenden Rechtsstreitigkeiten wurden am 9. Juli 2004 mit dem Abschluss einer mehrjährigen Vereinbarung über ein wirksames System zur Bekämpfung von Zigarettenschmuggel und Zigarettenfälschungen beendet.[5] Die Vereinbarung sieht Zahlungen von PMI vor. Ihre Höhe hängt von verschiedenen Faktoren ab und könnte über 1250 Millionen US-Dollar in einem Zeitraum von 12 Jahren betragen.
Am 5. Oktober 2006 haben sich die zehn Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission (im Namen der Europäischen Gemeinschaft) auf die genaue Aufteilung dieser Zahlungen geeinigt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte PMI bereits 325 Millionen Dollar bezahlt. [6]
Justizverfahren in Europa von Privatpersonen
Erst seit wenigen Jahren werden auch an europäischen Gerichten Schadenersatzklagen von Rauchern oder ihren Angehörigen eingereicht.
- Die erste Klage eines Rauchers in Deutschland gegen Reemtsma auf Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen Gesundheitsschädigung wurde 2003 vom Landesgericht Arnsberg abgewiesen. Das Oberlandesgericht Hamm wies die Berufung des Klägers 2004 ebenfalls ab.
- Ente Tabacchi Italiani (ETI, heute BAT Italia) wurde im März 2005 durch die Zivilkammer des Römer Appelationshofes zu Schadenersatzleistung verurteilt. Das Gericht verurteilte den Zigarettenhersteller zur Zahlung von 200.000 Euro an die Angehörigen eines 1991 verstorbenen Rauchers. Sie hatten geklagt, weil ETI vor Einführung der Warnhinweise auf Zigarettenpackungen nicht ausreichend über die Risiken des Rauchens informiert habe.
- Das Römer Arbeitsgericht sprach im Mai 2005 den Angehörigen einer verstorbenen Passivraucherin 400.000 Euro zu. Sie hatte während 7 Jahren beim Bildungsministerium im gleichen Büro wie drei starke Raucher gearbeitet. Ihre Gesuche, sie auf einen rauchfreien Arbeitsplatz zu versetzen, wurden mehrmals abgelehnt. Das Gericht anerkannte, das Passivrauchen genau so wie Rauchen Krebs verursachen kann und hieß deswegen ihre Klage gut.
- Im Schadensersatzprozess „McTear v Imperial Tobacco“ verlangte die Witwe eines 1993 an Lungenkrebs verstorbenen Rauchers, der 1964 mit Rauchen begonnen hatte, 500'000 Pfund Schadenersatz. Sie machte geltend, der Zigarettenhersteller habe es in rechtswidriger Weise unterlassen auf die Gesundheitsgefahren des Rauchens hinzuweisen. Das oberste Zivilgericht von Schottland, der„Court of Session“ in Edinburgh, wies die Klage am 31. Mai 2005 in einem 1'121 Seiten umfassenden Urteil ab. Ein Hauptargument des Gerichts war, dass jede urteilsfähige Person bei ausreichender Informationslage über ihre Handlungen frei entscheiden könne. Deshalb müsse sie auch die rechtliche Verantwortung für ihr Tun vollumfänglich selbst übernehmen.
Lobbyismus
Über den Lobbyismus der Tabakindustrie war bis in die 1990er Jahre wenig bekannt. Über in der Öffentlichkeit nicht bekannte Einflüsse auf Personen aus Politik, Wirtschaft und Medien wurde spekuliert, doch fehlte es an Zeugen oder Dokumenten, die dies beweisen konnten. Dies änderte sich erst 1994, als Stanton Glantz, University California, in den Besitz von 10.000 internen Dokumenten der Tabakkonzerne Brown & Williamson und BAT kam. 1998 wurde die US-Tabakindustrie zudem im Verlauf eines Haftungsprozesses zur weiteren Herausgabe von Dokumenten gezwungen. Die US-Öffentlichkeit war empört, als sie von den nicht veröffentlichten Forschungsresultaten über die Gefahren des Rauchens und Passivrauchens sowie der Nikotinabhängigkeit erfuhr.
Bisher musste die Tabakindustrie über 40 Millionen Seiten Dokumente öffentlich zugänglich machen. Sie sind so umfangreich, dass sie noch nicht alle ausgewertet werden konnten. Es lässt sich trotzdem aufzeigen, dass die wichtigsten Ziele der Tabakindustrie die Einflussnahme auf die Steuergesetzgebung, die Verhinderung eines Werbe- und Sponsoringverbotes für Tabakprodukte und das Verharmlosen der Gesundheitsgefährdung durch Passivrauchen waren.
Das Vorgehen der Tabakindustrie war in allen Staaten ähnlich: Politiker, Wissenschaftler und Journalisten wurden durch Aufträge, Beraterverträge, Einladungen zu Konferenzen und Sponsoring von Anlässen dafür belohnt, dass sie sich für die Anliegen der Tabakindustrie instrumentalisieren ließen.
Der Einfluss der Tabakindustrie auf die schweizerische[7] und deutsche Politik in den 1980er- und 1990er-Jahren konnte aufgrund dieser Dokumente analysiert und belegt werden.
Die Bezahlung von Wissenschaftlern wurde in der sog. „Affäre Rylander“ offengelegt. [8]. Von einer Ermittlungskommission der Universität Genf, Schweiz, wurde 2004 festgestellt, dass ihr emeritierter Wissenschafter, R. Rylander, nicht als ein von der Tabakindustrie unabhängiger Forscher betrachtet werden kann, da er in seiner Rolle als Consultant dauerhafte und weitestgehend geheim gehaltene Verbindungen mit ihr unterhielt.[9] Ein kantonales Strafurteil gegen zwei Wissenschafter, welche der Ehrverletzung von Rylander bezichtigt wurden, hatte das Schweizerische Bundesgericht bereits 2003 aufgehoben.[10]
Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit
Im November 2005 wurde der Reader's Digest Europe Health Survey 2005 [11]) publiziert. In 13 Ländern wurde nach der Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit von 15 Industrien gefragt. Die Tabakkonzerne landeten im 15. und letzten Rang mit 6 % der Antwortenden, welche diese Industrie als völlig oder ziemlich vertrauenswürdig und ehrlich einstuften.
Die Rangliste: Apotheken 65 %, Fluggesellschaften 34 %, Autoindustrie 29 %, Krankenversicherungen 26 %, Banken und Finanzinstitute 26 %, Pharmaindustrie 25 %, Supermärkte 25 %, Medien/Presse 21 %, Ferienreisen-Veranstalter 20 %, Nahrungsmittelindustrie 18 %, Lebensversicherungen 18 %, Telefongesellschaften 18 %, Ölkonzerne 8 %, Alkoholindustrie 7 %, Tabakkonzerne 6 %.
Die deutsche Tabakindustrie hat sich in einer freiwilligen Selbstbeschränkungsvereinbarung gegenüber dem Bundesministerium für Gesundheit (BMGS) verpflichtet, in der Nähe von Schulen und Jugendeinrichtungen keine Tabakwerbung zu präsentieren, und keine Tabakwarenautomaten aufzustellen. Sämtliche diese Vereinbarung verletzenden Tabakwarenautomaten sollten bis Ende 1997 von den Automatenaufstellern abgebaut werden. Dennoch verstoßen auch im Jahr 2004 im gesamten Bundesgebiet noch Tausende Zigarettenautomaten gegen diese Vereinbarung.
Siehe auch
- Verband der Cigarettenindustrie (VdC)
- Verordnung über Tabakerzeugnisse Auflistung vieler Zusatzstoffe
Weblinks
- Haftungsprozess: Tabakindustrie auf der Anklagebank
- Manipulation Sammlung von Berichten über die Tabakindustrie
- Webseite mit allen öffentlich zugänglichen Dokumenten der Tabakindustrie
- WHO-Tabakatlas
- Die Tabakindustriedokumente I - Chemische Veränderungen an Zigaretten und Tabakabhängigkeit
- Krebskompass: Tabakindustrie verführt Kinder und Jugendliche
- Fotoarchiv Reemtsma im Museum der Arbeit, Hamburg. Fotodokumente zu Tabakanbau und -verarbeitung von 1920 bis in die siebziger Jahre
- Deutsches Ärzteblatt 104 (2007), S. 652-655. Artikel über die Verschwörung der Tabakindustrie gegen Wissenschaft und Konsumenten unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Verbandes der Cigarettenindustrie (VdC).
Quellen
- ↑ http://www.naag.org/backpages/naag/tobacco/msa/msa-pdf/1109185724_1032468605_cigmsa.pdf
- ↑ http://www.library.ucsf.edu/tobacco/litigation/
- ↑ http://www.tobacco-on-trial.com/
- ↑ http://www.econ.uni-hamburg.de/IRdW/zivil/Materialien/Prozessbeobachtung_Rauchen/body_prozessbeobachtung_rauchen.html
- ↑ http://europa.eu.int/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/04/882&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en
- ↑ http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/06/1314&format=HTML&aged=0&language=de&guiLanguage=de
- ↑ http://repositories.cdlib.org/ctcre/tcpmi/Swiss2001/
- ↑ http://www.prevention.ch/rylanderpm.htm
- ↑ http://www.fumercafaitdumal.ch/topic4812.html
- ↑ http://www.prevention.ch/ryjutf170403.htm
- ↑ http://www.rdeuropehealth.com