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Hauptstadtfrage der Schweiz

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Der Streit, ob die Schweiz eine Hauptstadt haben soll oder nicht ist so alt, wie der Bundesstaat selbst. Er endete in einem eidgenössischen Kompromiss: Die Hauptstadt der Schweiz wird nicht Haupt-, sondern Bundesstadt genannt und ist nur de facto, jedoch nicht de jure Hauptstadt.

Im Entwurf der Bundesurkunde von 1832 fand sich die Idee einer zentralen Hauptstadt, in der die Bundesversammlung, Bundesrat und die wesentlichen Bundesbehörden angesiedelt werden sollten. Diese Kompromissidee scheiterte am Widerstand sowohl zentralistischer, als auch radikal föderalistischer Kreise. So wurde die Frage nach der Hauptstadt der Schweiz in der BV von 1848 an den Gesetzgeber delegiert: In Art. 108 wurde festgehalten, dass der "Sitz der Bundesbehörden", d.h. Bundesrat, Bundesversammlung und Bundesverwaltung, der Gesetzgebung durch die Bundesversammlung unterstehe.

Seit 1803 wechselte der so genannte "Vorort der Schweiz", d.h. der Regierungs- und Parlamentssitz, in einem jährlichen, später in einem zweijährlichen Rhythmus. Im November 1848 konnten sich die Räte darauf einigen, das Rotationsprinzip abzuschaffen. Offen blieb, welche Stadt oder welcher Ort denn nun zur Hauptstadt werden sollte. Die Frage, ob eine Kantonshauptstadt gleichzeitig Bundesstadt werden konnte, wurde heiss diskutiert. Sogar die Neugründung einer Stadt als Regierungs- und Parlamentssitz wurde in Betracht gezogen. Am 28. November 1848 wurde im National- und Ständerat über die Hauptstadtfrage abgestimmt. Zur Auswahl standen schliesslich drei Städte: Zürich, Bern und Luzern.

Zürich Bern Luzern
Vorteile Zürich verfügte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts über sehr gute Infrastrukturen und einen kosmopolitischen Charakter. Bern, mit seiner Nähe zur Romandie, liegt kulturell gesehen zentraler als Zürich. Auch militärische Argumente sprachen für Bern als Hauptstadt. Zudem versprach Bern dem Bund, die benötigten Arbeitsräume gratis zur Verfügung zu stellen. Luzern liegt im Zentrum der Schweiz. Durch seine Wahl als Hauptstadt, so wurde argumentiert, hätte die negative Einstellung der Innerschweiz gegenüber dem neuen Bundesstaat verbessert werden können.
Nachteile Die Idee, das bereits starke Zentrum weiter zu stärken, widersprach der föderalistischen Idee. Insbesondere föderalstische Kreise aus der Ost- und Westschweiz opponierten gegen Zürich als Hauptstadt. Bern verfügte zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die für eine Hauptstadt nötigen Infrastrukturen. So kurz nach dem Sonderbundskrieg war es schwierig, für einen der separatistischen Kantone des Sonderbundes genügend Sympathien aufzubringen. Auch war die Bevölkerung des Kanton Luzern dem neuen Staat gegenüber negativ eingestellt (Luzern stimmte nur sehr knapp für die BV von 1848).

Die Wahl fiel bereits im ersten Wahlgang auf Bern. Als Ausgleich erhielten die beiden Verliererstädte die Eidgenössische Technische Hochschule (Zürich) bzw. das Eidgenössische Versicherungsgericht (Luzern). Im neu geschaffenen Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) wurde in Art. 58 Bern als Amtssitz des Bundesrats und seiner Departemente bestätigt. Der Sitz der Bundesversammlung ist im Parlamentsgesetz in Art. 32 festgelegt.

Bei den kantonalen Wahlen im Jahr 1850 fand im Kanton Bern ein konserverativer Umschwung statt. In der Folge verlangte die Eidgenossenschaft Bestimmungen zum Schutz der Bundesbehörden und erliess 1851 das Garantiegesetz. 1875 wurde eine Übereinkunft zwischen Bundesrat und Berner Gemeinderat die "Leistungen der Stadt Bern an den Bundessitz" schriftlich festgelegt.

Im Rahmen der Regionalisierung seit den 1990er Jahren wurden die Bundesbehörden mehr und mehr dezentralisiert und mehrere Bundesämter von Bern in andere Städte und Regionen verlegt (insbesondere die Randregionen).

Um der besonderen Stellung der Stadt Bern besser gerecht zu werden und ihren Status zu definieren, wandten sich im Jahre 2002 der Regierungsrat des Kantons Bern und der Gemeinderat der Stadt Bern an die Bundesbehörden. In der Folge wurde eine tripartite Arbeitsgruppe eingesetzt, welche die bundesstadtspezifischen Fragen klären sollte. Diese Arbeitsgruppe kam zum Schluss, dass die Neuregelung des Bundesstadtstatus notwendig ist. Diese Neurregelung soll in einem Bundesgesetz und einer Bundesstadt-Vereinbarung erfolgen. Die Bundeskanzlei hat anfangs 2004 mit der Erarbeitung eines Entwurfes für ein Bundesgesetz über den Status der Stadt Bern als Bundesstadt begonnen.