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Penicilline

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Datei:Penicillin strukturen.png
Strukturformel des Penicillins

Penicillin ist eines der ältesten Antibiotika und gehört der Gruppe der β-Lactam-Antibiotika an. Die Summenformel des Penicillins lautet R-C9H11N2O4S, wobei "R" für eine variable Seitenkette steht. Neben der Bakterien abtötenden Wirkung hat es auch eine Wirksamkeit als Gegenmittel bei Vergiftungen mit Amanitin, einem Gift der Knollenblätterpilze.

Geschichte

Die Entdeckung

Im September 1928 entdeckte der schottische Bakteriologe Sir Alexander Fleming bei seinen Bakterienkulturen eine durch den Schimmelpilz Penicillium notatum verunreinigte Probe, die er zunächst wegwerfen wollte. Es fiel ihm jedoch auf, dass rings um den Schimmelpilz eine Zone lag, in der keine Bakterien wuchsen. Er interessierte sich für das Phänomen und stellte weitere Versuche an. Dabei fand er heraus, dass der Pilz eine Substanz produziert, die gegen eine Reihe von Bakterienarten tödlich wirkt, insbesondere auf gram-positive Bakterien.

Diese weit verbreitete Geschichte trifft die Wahrheit teils: Fleming hatte schon lange vor der Entdeckung für therapeutische Zwecke gefunden, dass Pilze Bakterienwachstum hemmen können. Er nutzte es unter anderem, um Kunstwerke auf Nährböden zu gestalten. Erst einige Jahre nach der Feststellung fiel ihm ein, dass dies auch medizinisch nutzbar sein könnte [1]. Bemerkenswert war aber, dass die Substanz - Penicillin genannt - die weißen Blutkörperchen nicht angreift und für Tiere ungiftig ist. Im Mai 1929 veröffentlichte er seine Ergebnisse im British Journal of Pathology und in der Zeitschrift Lancet. Dabei deutete Fleming auch vorsichtig an, dass Penicillin sich als Medikament eignen könnte. Dafür erhielt er 1945 zusammen mit Sir Ernst Boris Chain und Lord Howard Walter Florey den Nobelpreis für Medizin.

Frühere Arbeiten

Schon die Nubier verwendeten ein Bier mit antibakteriellen Wirkstoffen. Die Alten Ägypter versorgten Entzündungen mit aus Getreide gebrauten Heiltränken. In der Antike und im Mittelalter legten Chirurgen schimmelige Lappen auf Wunden, um Infektionen vorzubeugen.

Fleming war nicht der erste neuzeitliche Wissenschaftler, der entdeckte, dass Schimmelpilze Bakterienwachstum hemmen können: Schon 1870 hatte John Burden Sanderson einen Zusammenhang zwischen Schimmelpilzen und Bakterienwachstum erkannt. 1884 behandelte Joseph Lister den Abszess einer Krankenschwester mit einem Penicillium-Schimmelpilz, veröffentlichte die Ergebnisse jedoch nicht. 1896 führte Ernst Duchesne einen erfolgreichen Tierversuch mit Ratten durch. Alle diese Erkenntnisse blieben jedoch ohne Resonanz in der wissenschaftlichen Welt.

Weitere Entwicklung

Auch Flemings Veröffentlichungen fanden zunächst kaum Beachtung. Erst im Zweiten Weltkrieg erzielte das Penicillin den Durchbruch. Dabei spielte eine Rolle, dass die Sulfonamide, von denen ein Wirkstoff unter dem Handelsnamen Prontosil® das erste praktisch eingesetzte Antibiotikum war, in Deutschland hergestellt und von deutschen Firmen patentiert waren, so dass sie für die Kriegsgegner nach Kriegsausbruch nicht mehr in der gleichen Weise verfügbar waren. Erst in der weiteren Forschung stellten sich die Vorzüge des Penicillins gegenüber dieser Wirkstoffklasse heraus. Die Deutschen setzen jedoch bis Kriegsende weiterhin auf Sulfonamide.

1939 interessierten sich Howard Walter Florey und Ernst Boris Chain für das Penicillin. Chain gelang es, Penicillin aus der Kulturflüssigkeit, in der man die Schimmelpilze züchtete, zu extrahieren und zu reinigen. Am 24. August 1940 fand ein Tierversuch an 50 Ratten statt, die mit einer tödlichen Dosis Streptokokken infiziert wurden. Die Hälfte von ihnen erhielt Penicillin, und nur eine aus dieser Gruppe starb. Die Ratten, die kein Penicillin erhielten, starben innerhalb weniger Stunden.

Am 12. Februar 1941 wurde der erste Patient mit dem gewonnenen Penicillin behandelt. Es handelte sich um einen 43-jährigen Londoner Polizisten, der sich beim Rasieren geschnitten und durch Infektion der Wunde eine Blutvergiftung erhalten hatte. Nach fünf Tagen Behandlung war das Fieber verschwunden. Die Penicillinvorräte waren jedoch aufgebraucht, und die Behandlung musste abgebrochen werden. Nachdem der Mann einen Monat später verstarb, wurde klar, dass eine erfolgreiche Behandlung mit Penicillin erfordert, auch über den symptomatischen Zeitraum hinaus Dosen zu verabreichen.

Erst als Florey in die USA flog, um dort für Penicillin zu werben, wurde das allgemeine Interesse an Penicillin geweckt, besonders beim amerikanischen Militär. Zunächst suchte man nach einem Pilzstamm, der mehr Penicillin produziert. Dazu sammelte die amerikanische Luftwaffe Bodenproben von möglichst vielen Flugplätzen weltweit. Der ergiebigste Stamm, Penicillium chrysogenum, wurde jedoch auf einer verschimmelten Melone vor dem Forschungsinstitut entdeckt.

Industrielle Produktion

Ab 1956 wurde in den USA und in Kanada Penicillin in großem Maßstab hergestellt. Gewöhnlicher Mais, in Wasser eingeweicht, von den Amerikanern corn steep liquor genannt, erwies sich als ideales Nährmedium für den Pilz. Bis zum Kriegsende boten 12 US-amerikanische und zwei kanadische Firmen Penicillin an. Es blieb hauptsächlich verwundeten Soldaten vorbehalten, denn die Produktionsmenge reichte noch nicht aus, um auch alle zivilen Patienten damit zu behandeln.

Auch nach dem Krieg reichte die Produktion nicht für alle Patienten. Besonders in Europa war die Nachfrage groß. Es entwickelten sich Schmuggel und Schwarzhandel mit Penicillin, was auch Thema des Films Der dritte Mann ist.


Die Sterblichkeitsrate an Infektionskrankheiten lag 1910 bei 35 Prozent. Sie sank bis 1990 auf vier Prozent (allerdings auch wegen allgemeiner Infektionsvorsorge wie verbesserter Hygiene und besserer Ernährungslage).


Ab 1942 wurde auch bei den Farbwerken Hoechst an Penicillin geforscht. Die Forscher mussten sich dabei auf die knappen Veröffentlichungen Flemings stützen. Hoechst hatte auch nicht den ergiebigen Chrysogenum-Stamm zur Verfügung. Eine Probe dieses Stamms schickte erst 1950 im Rahmen einer Zusammenarbeit der US-Konzern Merck nach Deutschland.

Im Oktober 1944 wurden die ersten Injektionspräparate hergestellt. Die deutschen Produktionsmengen lagen jedoch um Größenordnungen unter denen der Amerikaner.

Pharmazie

Penicillin wird gewöhnlich in zwei verschiedenen Formen verwendet: Benzylpenicillin oder Penicillin G, das injiziert werden muss, und Phenoxymethylpenicillin oder Penicillin V, das säurestabil ist und in Tablettenform zur Verfügung steht. Das recht enge Wirkungsspektrum von Penicillin V veranlasste die Suche nach Derivaten, die gegen eine größere Zahl verschiedener Infektionserreger wirksam sein sollten. Der erste Schritt war die Entwicklung von Ampicillin, das eine gute Wirksamkeit gegen grampositive und gramnegative Erreger aufweist und relativ preiswert zu haben ist. Ein weiterer Fortschritt war das gegen das bakterielle, Antibiotika abbauende Enzym β-Lactamase resistente Flucloxacillin, das man deshalb gegen β-Lactamase-produzierende Bakterien wie Staphylokokken eingesetzen kann.

Penicillin und seine Derivate wirken bei der Zellteilung der Bakterien abtötend (bakterizid). Sie verhindern durch Bindung ihres dann geöffneten β-Lactam-Rings an das bakterielle Enzym D-Alanin-Transpeptidase die vollständige Ausbildung neuer Zellwände und behindern so die Zellwandsynthese (speziell das Quervernetzen der Peptidoglycane), ohne die die Bakterien meist schnell absterben. Die Wirkung von Penicillin lässt also (individuell) wachsende Bakterien absterben, nicht aber nicht-wachsende: Schon ausgereifte („erwachsene“) Bakterien beeinflusst das Antibiotikum nicht mehr, da ihre Zellwand schon vollständig ausgebildet ist und für Penicillin kein Angriffspunkt mehr sein kann. Diese Bakterien werden aber fast immer durch die körpereigene Immunabwehr der Patienten oder bei ihrem nächsten Vermehrungszyklus, wenn sie wieder neue Zellwandbestandteile erzeugen müssen, vom Antibiotikum vernichtet - daher muss Penicillin auch eine gewisse Folgezeit nach Abklingen der Symptome weiter verabreicht werden. Penicillin kann also nur wirken, wenn die Bakterien in ihrem Wachstum ansonsten unbehindert sind; so soll Penicillin nicht zusammen mit Medikamenten verabreicht werden, die die Bakterien an der Vermehrung hindern, da man sonst therapeutisch selbst den Ansatzpunkt der Penicillin-Wirkungsweise versperrt.

Bevor man Penicillin als Antibiotikum verabreicht, sollte genau geklärt werden, um welchen bakteriellen Erreger es sich handelt. Penicillin wirkt nicht gegen gramnegative Bakterien, die über ihrer Zellmembran noch eine zusätzliche äußere Membran besitzen. Diese macht den Angriff des Penicillins unmöglich, da es in die Ausbildung der darunter liegenden Peptidoglycanschicht eingreifen muss. Daher ist der Einsatz von Penicillin nur bei grampositiven Bakterien sinnvoll.

Zahlreiche klinisch vorkommende Bakterien sind heute bereits gegen Penicillin resistent, was dazu führt, dass ständig neue β-Lactam-Antibiotika entwickelt werden müssen. Besonders kritisch ist allerdings zu bewerten, dass es auch häufig zu sogenannten Kreuzresistenzen kommt, so dass Keime, die einmal eine Resistenz gegen Penicilline entwickelt haben, auch gegen andere β-Lactam-Antibiotika (z. B. Cephalosporine) unempfindlich werden.

Ein weiterer, nicht gering zu schätzender Nachteil des Penicillins und seiner Derivate liegt in der recht häufigen Allergie der Patienten gegen diese Medikamente (bei einem von 7000 Patienten). Die allergischen Reaktionen können dabei von leichter Hautrötung bis zum anaphylaktischen Schock reichen.

Die resistenten Mutationen würden eigentlich keinen Schaden anrichten, da sie nur in geringem Maße auftreten. Wirkt jedoch das Penicillin auf die anderen, nicht resistenten Bakterienzellen und eliminiert diese, so kann sich eine resistente Bakterienzelle viel besser fortpflanzen und wird damit zur Gefahr, da die Zelle ihre Mutation an die Folgegenerationen weitervererbt. Dies ist nicht auf einen Bakterienstamm begrenzt, da die einzelnen Bakterienarten sich untereinander austauschen und somit auch Resistenzgene weitertragen können.

Siehe auch

Quellen

  1. Bernard Dixon: Der Pilz, der JFK zum Präsidenten machte – 95 Geschichten aus der Mikrobiologie, Spektrum Akademischer Verlag, ISBN 3827403987