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Anscheinsvollmacht

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Die Anscheinsvollmacht schützt den Dritten in seinem Vertrauen, der ihm gegenüber als Bevollmächtigter Auftretende sei bevollmächtigt im Namen eines andern rechtsgeschäftlich tätig zu werden.

Der Dritte erhält gestützt auf die Anscheinsvollmacht einen Erfüllungsanspruch gegenüber dem Vertretenen, obwohl dieser dem angeblichen Bevollmächtigten keine Vollmacht erteilt hat.

Voraussetzungen

Die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit der Dritte einen Erfüllungsanspruch gegenüber dem vermeintlichen Vollmachtgeber erhält, sind die folgenden:

1. Der vermeintliche Vollmachtgeber muss dem angeblichen Bevollmächtigten, bewusst oder unbewusst, eine Stellung eingeräumt haben, aus welcher der Dritte schließen durfte, dass der als Bevollmächtigter Handelnde zum betreffenden Rechtsgeschäft tatsächlich bevollmächtigt sei.

Maßgeblich für die Frage, ob dem angeblichen Bevollmächtigten eine auf Bevollmächtigung deutende Stellung seitens des angeblich Vertretenen eingeräumt wurde, ist ausschließlich, wie der angebliche Bevollmächtigte das Verhalten des vermeintlichen Vollmachtgebers nach Treu und Glauben deuten durfte und musste.

2. Der Dritte muss beim Abschluss des Vertretergeschäftes gutgläubig gewesen sein. Das heisst, der Dritte darf beim Abschluss des Vertretergeschäftes weder Kennnis vom Fehlen der Vollmacht gehabt haben, noch darf er aufgrund der Umstände Anlass zu Zweifeln an der Vertretungsbefugnis des angeblich Bevollmächtigten gehabt haben.

3. In der Lehre und Rechtsprechung, vor allem in Deutschland, werden die Voraussetzungen auch anders gefordert. So verlangen die deutsche Lehre und Rechtsprechung in der Regel eine gewisse Häufigkeit des Auftretens des angeblichen Vertreters namens des Vertretenen sowie, zusätzlich, dass der Vertretene dieses Auftreten schuldhaft nicht verhindert hat.

Auf die Häufigkeit des Auftretens des angeblichen Vertreters kann es jedoch nicht ankommen. Erstmaliges Auftreten genügt, sofern der Vertretene dem angeblichen Vertreter eine Stellung eingeräumt hat, aus welcher der Dritte auf Bevollmächtigung schließen durfte.

Abgrenzungen

Die Anscheinsvollmacht ist effektiv keine Vollmacht, sondern eine Rechtsfigur, die den gutgläubigen Dritten schützt, sofern die erwähnten Voraussetzungen erfüllt sind, obwohl der sich fälschlich als Bevollmächtigter Gerierende gar keine Vollmacht besitzt.

Die Anscheinsvollmacht unterscheidet sich damit von der sogenannten Duldungsvollmacht, welche eine effektive Vollmacht ist, die dadurch entsteht, dass der Vollmachtgeber es wissentlich duldet, dass jemand als sein Bevollmächtigter auftrittt, sodass der Bevollmächtigte (nach deutschem Recht auch der Dritte) nach Treu und Glauben annehmen durfte, er sei tatächlich bevollmächtigt.

Unter dem Begriff Anscheinsvollmacht wird in Lehre und Rechtsprechung im übrigen nicht immer dasselbe verstanden. Oft wird unter Anscheinsvollmacht eine besondere Form der Duldungsvollmacht, also eine echte Vollmacht verstanden, die dadurch zustandekommt, dass der Vollmachtgeber es unbewusst duldet, dass jemand als sein Vertreter agiert, sodass dieser sich nach Treu und Glauben als bevollmächtigt halten darf. Die Anscheinsvollmacht wie sie im vorliegenden Artikel verstanden wird, wird dann etwa Rechtsscheinvollmacht, Vollmacht kraft Rechtsscheins oder einfach Gutglaubensschutz genannt. Trotz unterschiedlichster Terminologie ist der Schutz des gutgläubigen Dritten in seinem Vertrauen auf das Bestehen einer Vollmacht unter den oben genannten Voraussetzungen in der Regel unbestritten.

Gesetzliche Grundlagen

Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Anscheinsvollmacht gibt es im Schweizerischen Recht nicht. Es gibt dort lediglich die Vollmachtskundgabe (zu der u.a. auch das Ausstellen einer Vollmachturkunde gehört), bei deren Vorliegen der Dritte in seinem Vertrauen auf diese Vollmachtskundgabe auch dann geschützt wird, wenn die Vollmacht nicht, nicht mehr oder anders besteht, als kundgegeben. Die Kundgabe kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen. Ein Erklärungsbewusstsein des Kundgebenden ist nach schweizerischer Rechtsauffassung nicht erforderlich. Entscheidend ist, ob der Dritte das Verhalten des vermeintlich Kundgebenden nach Treu und Glaube als Vollmachtskundgabe verstehen durfte und musste (Vertrauensprinzip).

In Analogie zu diesem gesetzlichen Tatbestand der Vollmachtskundgabe hat das Bundesgericht in einer reichen Praxis das Vertrauen des gutgläubigen Dritten auch in allen anderen Fällen geschützt, in denen der vermeintliche Vollmachtgeber dem vermeintlichen Bevollmächtigten eine Stellung einräumt, mit welcher nach Treu und Glauben die Vollmacht für bestimmte Rechtsgeschäfte verbunden ist.

In Deutschland, wo der Schutz des Vertrauens in einen (schuldhaft) veranlassten Rechtsschein als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt ist, ist der Schutz des Dritten als Haftung für veranlassten Rechtsschein konzipiert. Das Schweizerische Recht kennt, jedenfalls gemäss der wohl noch herrschenden Auffassung, keinen allgemeinen Schutz des Vertrauens Gutgläubiger beim Vorliegen von Rechtsmängeln, sondern schützt den guten Glauben nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen, die jedoch analogiefähig sind.

Abweichende Auffassungen

Von einem Teil der Lehre wird die Anscheinsvollmacht abgelehnt. Dieser Teil der Lehre ist überwiegend noch in überholten willenstheoretischen Auffassungen verhaftet, gemäss welchen es für die Frage, ob ein Vertretergeschäft zustandegekommen ist, ausschliesslich auf den Willen des Vollmachtgebers ankommt. Erwägungen des Vertrauensschutzes spielen bei diesem Teil der Lehre keine Rolle.