Soziophysik
Die Soziophysik ist ein Anfang der 1990er Jahre aufgekommenes interdisziplinäres Forschungsfeld, dessen Schwerpunkt auf der Beschreibung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher (Econophysics), kultureller und politischer Phänomene durch physikalische und mathematisch-statistische Methoden liegt.
Generell liegt einem solchen Ansatz die Überlegung zugrunde, dass komplexe gesellschaftliche Systeme aus einer großen Anzahl voneinander unabhängig agierender Akteure bestehen, diese jedoch nicht völlig frei in ihren Handlungen sind, sondern vielmehr rationalen Überlegungen folgen und/oder durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen in ihren Handlungen eingeschränkt werden. In der Physik wird ein solches System als Vielteilchensystem betrachtet, welches bestimmten Zwangsbedingungen unterliegt und kann etwa mit den Mitteln der Statistik untersucht werden. Indem solche Systeme abstrahiert und mit den Werkzeugen der Physik und Mathematik untersucht werden, lassen sich Aussagen über Strukturen und Symmetrien in gesellschaftlichen Systemen finden und aufzeigen.
Ein Beispiel für ein soziophysikalisches Problem ist das Wachstum von Städten. Während beispielsweise Mathematiker wie Pareto-Gesetzmäßigkeiten in Bezug auf die Verhältnisse von Stadt- zu Landbevölkerung formuliert haben, beschäftigen sich Soziophysiker etwa mit der räumlichen Anordnung und der territorialen Ausdehnung urbaner Bereiche. Dabei wurde beobachtet, dass Verkehrsnetze in Städten auf großen Skalen betrachtet fraktale Strukturen aufweisen.
Die zeitliche Analyse von Verkehrsdaten auf europäischen Autobahnnetzen in Verbindung mit dem massiven Einsatz von Computersimulationen haben beispielsweise Aufschluss über Entstehung und Ausdehnung von Verkehrsstaus liefern können. Diese Erkenntnisse wurden als Grundlage zur Behebung von Verkehrsstaus herangezogen.
Gerade die Computersimulation hat in Verbindung mit der Soziophysik mögliche kollektive Verhaltensmuster einer großen Anzahl sich wechselseitig beeinflussender Individuen beschreiben können (sog. "Agenten" und "zelluläre Automaten"). Die Soziophysik macht hier Anleihen in der Mathematik der Spieltheorie.
Im Bereich der Wirtschaftsphysik (Econophysics, dieser Begriff hat sich durchgesetzt, da die ersten Ansätze auf diesem Gebiet aus dem englischen Sprachraum stammen) versucht man zum Beispiel durch Zeitreihenanalysen von Börsenkursen tieferliegende Gesetzmäßigkeiten zu finden. Dabei ist die Econophysics keine bloße Erweiterung der Wirtschafts- oder Finanzmathematik, da das Ziel einer solchen Betrachtung ein anderes ist. In der Econophysics geht es um die Beschreibung relativ komplexer, dynamischer und oft auf nicht-linearer Systeme durch einfachere Modelle. Im Gegensatz zu den reinen Wirtschaftswissenschaften macht sich die Econophyic jedoch das reichhaltige Instrumentarium der Mathematik und Physik zunutze, um Probleme möglichst umfassend beschreiben zu können. Die Econophysics nimmt dabei für sich jedoch keinesfalls in Anspruch, alle gegenwärtigen Probleme in der Wirtschaftstheorie lösen zu können oder gar zukünftige Ereignisse (etwa Börsenkurse) vorausberechenen zu können.