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Geschichte des Antisemitismus bis 1945

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Dieser Artikel befasst sich mit einer besonderen Form der Judenfeindlichkeit. Dort findet man eine Übersicht über andere Formen.

Antisemitismus bezeichnet eine Judenfeindlichkeit, die sich auf rassistische, nicht mehr religiöse Vorurteile stützt. Es handelt sich um eine Diskriminierung von Juden nicht (nur) wegen ihrer Religionszugehörigkeit, sondern vor allem wegen ihrer Abstammung.

Diese Form kam im 19. Jahrhundert auf und ist von Antijudaismus zu unterscheiden: Damit meint man die religiöse, besonders die christliche Judenfeindschaft, die besonders im Mittelalter vorherrschte.

Umgangssprachlich werden beide Formen oft gleichgesetzt: Antisemitismus dient als Oberbegriff für alle negativen Impulse gegen Juden. Heute bezieht man ihn auf ein breites Spektrum judenfeindlicher Tendenzen, die mit bestimmten typischen, stets wiederkehrenden Mustern auftreten:

Antisemiten schreiben allen Juden übergroßen Einfluss und Machtstreben in der Welt zu. Sie rechnen auch „Halb“- oder „Viertel“-Juden zum Judentum. Sie legitimieren ihre Vorurteile mit sozialen, ökonomischen, nationalen, politischen, ethnischen und religiösen Argumenten, die sie verallgemeinern: Sie lasten kritisierbare Handlungen einzelner Juden oder jüdischer Organisationen "den" Juden an. Sie sind meist gegen Kritik resistent: Wer ihre Vorurteile kritisiert, beweist für sie schon, dass er dem Einfluss "der" Juden erlegen ist.

Diese hermetische Weltsicht unterscheidet ihren Rassismus von anderen, so dass Forscher ihn zunehmend als eigenständiges Phänomen betrachten. Sie versuchen die Mechanismen zu begreifen, mit denen verschieden motivierte Judenfeindschaft immer wieder entsteht. So ist Antisemitismus „ein gesellschaftliches Phänomen ..., das als Paradigma (Beispiel) für Bildung von Vorurteilen und politische Instrumentalisierung daraus konstruierter Feindbilder dient.“ (Wolfgang Benz) In diesem Sinne stellt der Artikel es dar.

Nach den Erfahrungen des Dritten Reiches wurde offener Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland als Straftat eingestuft. Antisemitische Äußerungen können als Volksverhetzung gewertet und strafrechtlich verfolgt werden.

Der Begriff

Das Wort "antisemitisch" als Gegensatz zu "semitisch" tauchte in Deutschland erstmals etwa 1860 auf. Damals stellte der jüdische Gelehrte Moritz Steinschneider den französischen Historiker und Philologen Ernest Renan wegen seiner „antisemitischen Vorurteile“ zur Rede.

Schon 1865 bürgerte sich der Begriff in ein Staatslexikon ein, um eine dem "typisch" Jüdischen entgegengesetzte Haltung zu kennzeichnen.

Die Wortschöpfung "Antisemitismus" wird meist dem politischen Autor Wilhelm Marr zugeschrieben. Dieser verwendete sie erstmals 1873 als Alternative zu „Judenhass“, um seiner Ablehnung der Juden eine rassistische Begründung zu geben. Damit übernahm er indirekt die säkularen rassistischen Ideen von Arthur de Gobineau, die dieser 1853 in seinem Aufsatz über „die Ungleichheit der Rassen“ dargelegt hatte.

Öffentlich eingebürgert wurde das Wort ab 1879. Marr kündete ausgerechnet in der „Allgemeinen Zeitung des deutschen Judentums“ ein „antisemitisches Wochenblatt“ an und gründete ein Jahr darauf die „Antisemiten-Liga“: die erste Gruppierung, die sich dem Kampf gegen eine angebliche jüdische Bedrohung Deutschlands verschrieb. Ihr erklärtes Ziel war die Vertreibung der Juden aus Deutschland.

Marrs Buch "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum" (1879) wurde sehr populär. Gruppen völkisch-rassischer Judengegner definierten Juden nun als "Semiten", um die "Judenfrage" als Rassenproblem zu propagieren. Bald wurde dieser Begriff immer häufiger unreflektiert für Juden verwandt und in andere Kreise und Sprachen übernommen. Auch Juden übernahmen ihn.

Er bezeichnete anfangs jedoch nur eine Sprachfamilie, die nicht nur Juden, sondern auch Araber mit verwandten Sprachen umfasste. Der Begriff „Antisemitismus“ dagegen wurde ausschließlich zur Kennzeichnung einer strikt antijüdischen Grundhaltung verwendet. Er diente dazu, „die Juden“ als eine besondere „Rasse“ zu brandmarken, um sie ideologisch besser ins Visier nehmen zu können.

Geschichte

Der rassistische Antisemitismus entstand nach der Französischen Revolution von 1789. Dort galt als Nation die Masse des Volkes, des „Dritten Standes“ im Unterschied zu Adel, Klerus und Königtum.

Diese demokratische Sicht wurde außerhalb Frankreichs, besonders in Deutschland, bald von einer völkischen Definition überlagert: „Nation“ bezeichnete nicht den Rechtsstatus einer Mehrheit, sondern eine gemeinsame "Abstammung" aller. Der Begriff grenzte nun nicht gegen die eigenen oberen Stände, sondern gegen Napoleons Eroberungen und die französischen Besatzer ab. Das richtete sich in vielen Ländern Europas dann gegen die Angehörigen aller als fremd oder feindselig empfundenen Völker. Nationalisten verbanden eine Reihe besonderer positiver und negativer Eigenschaften mit diesen und behaupteten damit einen angeblichen Nationalcharakter.

Der religiös motivierte Antijudaismus verlor seit der Aufklärung immer mehr Überzeugungskraft. Beeinflusst vom völkischen Nationalismus und der modernen Wissenschaft, wandelte er sich ab etwa 1850 zum Antisemitismus. Dieser argumentierte scheinwissenschaftlich und sah Juden nicht mehr als Religionsgemeinschaft, sondern als eigenständige „Rasse“ und "Volk" mit eigener Abstammung. Diesem wurden bestimmte negative Eigenschaften zugeordnet, so dass es als Fremdkörper in den europäischen Nationen erschien.

Solcher Einordnung konnte sich ein Jude - zumindest theoretisch - früher durch Übertritt zum Christentum entziehen. Dann war er vor weiterer Verfolgung relativ geschützt. Nur bei Zwangstaufen behielten andere Christen Vorbehalte gegen ihn.

Der rassistische Antisemitismus verschloss diese Tür, da er jeden als Juden definierte, der von Juden - Vorfahren mit jüdischer Religion - abstammte: egal ob und wie lange er oder seine Vorfahren schon Christen waren. Die Religionszugehörigkeit spielt für Antisemiten also nur eine indirekte Rolle: Sie machen Judesein zu einem unentrinnbaren pseudobiologischen Merkmal.

Daneben entwickelten sich damals ebenso pseudo-wissenschaftlich begründete Ablehnungen auch anderer Minderheiten, die nach völkischer Definition als "Fremde" eingestuft wurden.

"Semiten" und "Arier"

Der Begriff "Semiten" stammt aus der schon historisch orientierten Theologie des späten 18. Jahrhunderts. Er geht zurück auf Sem, den Namen des ältesten der drei Söhne Noahs (Genesis 9, 18). Die sogenannte "Völkertafel" in der Bibel (Genesis 10) erklärt eine Reihe damals bekannter Stämme und Ethnien als Nachfahren dieser Söhne. Sie teilt sie nach Herkunft und geografischen, aber nicht nach sprachlichen und schon gar nicht nach rassischen Merkmalen ein.

Dennoch übernahm die Sprachwissenschaft den Begriff "Semiten" für eine bestimmte Sprachfamilie, die mit den biblischen Nachkommen Sems nicht identisch war. Kurz darauf übernahm auch die Völkerkunde den Begriff, obwohl die Völker "Sems" nach ihren Kriterien keine geschlossene Gruppe bildeten.

Zugleich entstand der Begriff Arier für eine andere Sprachfamilie und wurde in die allgemeine Terminologie der Geisteswissenschaften eingebürgert. „Semiten“ und „Arier“ wurden einander auch als Volksgruppen gegenüber gestellt.

Verschiedenartigkeit wurde bald verschieden gewertet. „Arier“ und „Semiten“ wurden anderen Volksgruppen gegenüber herausgehoben. Aber alle positiv verstandenen Werte wurden „Ariern“ zugeschrieben, „Semiten“ wurden dagegen nur negativ charakterisiert. „Arier“ galten als zur Herrschaft über die Welt berufene Bevölkerungsgruppe, "Semiten" als ihre zur Unterlegenheit bestimmten Konkurrenten. Mit Berufung auf Gobineau wurden beide Gruppen dann überdies als biologische Abstammungseinheit („Rasse“) bezeichnet.

Funktion und Verbreitung im Kaiserreich

In den Umbrüchen im Reich von 1871 sollte Patriotismus die zerrissene bürgerlich-liberale Gesellschaft zusammenhalten: Die Widersprüche bei ihrer Herausbildung wurden den Juden angelastet. Ihnen wurde als "Semiten" oft ein Mangel an „wahrem Deutschtum“ unterstellt.

Auf den Börsenkrach 1870 folgte 1873 ein Gründerkrach: Diese Pleitewelle lasteten abstiegsbedrohte Kaufleute, Bauern und Bürger zunehmend den Juden an. Sie setzten deren "Materialismus" mit den bürgerlichen Ideen der französischen Revolution und dem Kapitalismus gleich. Dabei unterstützte sie eine vermehrte publizistische Propaganda der Antisemiten-Liga. So gewann diese im Kontext der ökonomischen Krise an Zulauf.

Ab 1881 erschienen regelmäßig "Zwanglose Antisemitische Hefte", und 1885 tauchte erstmals der Gegenbegriff des "Semitismus" auf. Diesen zu bekämpfen wurde nun zum Ausdruck für eine fundamentale Ablehnung aller bürgerlichen Prinzipien und Erscheinungsformen. Wer "national" war, war damit gegen Juden und zugleich gegen alles "Moderne": Aufklärung, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Kulturaustausch, individuelles Glücksstreben.

Die "Antisemiten-Petition" von 1880/81, die Marrs Gruppe veröffentlichte, wurde bereits von 250.000 Bürgern unterzeichnet. Sie enthielt antisemitische Standardforderungen z.B. nach Ausschluss der Juden von öffentlichen Ämtern, und half, das Schlagwort "Antisemitismus" im ganzen Deutschen Reich zu verbreiten. Dieser wurde wie sein Gegenbegriff zum Sammelbegriff für alle Arten und Ausprägungen judenfeindlicher politischer Haltungen und Handlungen.

Auf diesem Hintergrund kam es zum "Berliner Antisemitismusstreit". Zu dessen Protagonisten gehörte der konservative, preußische Historiker Heinrich von Treitschke. Er prägte den verhängnisvollen, später von den Nationalsozialisten übernommenen Satz: "Die Juden sind unser Unglück." Ihm trat vor allem der Historiker Theodor Mommsen entgegen, der sich scharf gegen die allgemeine Judenfeindschaft wandte.

Bis 1890 erschienen im Kaiserreich an die 500 Schriften zur „Judenfrage“. Ab 1890 wurde der Begriff der „Rasse“ immer stärker zur einheitsstiftenden Idee: So forderte z.B. Paul Lagarde die Einheit von „Rasse und Volk“, natürlich unter Ausschluss des Judentums.

Liberale Gleichstellungsparteien wurden als „Judenschutztruppe“ verhöhnt. Weitere antisemitische Parteien entstanden:

- 1889 die Deutschsoziale Partei, vom ehemaligen Offizier Max Liebermann von Sonnenberg gegründet;

- 1890 die Antisemitische Volkspartei, vom kurhessischen Archivar Otto Boeckel gegründet. Dieser ließ sich als erster Reichstags-Abgeordneter als "Antisemit" eintragen. 1914 verbanden sich diese beiden Parteien zur Deutschvölkischen Partei.

Bei den Reichstagswahlen 1890 erreichten die Antisemiten knapp 3% der Stimmen (16 Mandate). Obwohl ihr Anteil danach rückläufig war, blieben viele Vereine und Verbände fortan antisemitisch eingestellt, u.a. Landwirte, Angestellte, Studenten, Burschenschaften, der Alldeutsche Verband, der Reichshammerbund, das angesehene Offizierskorps.

1899 forderte Houston Stewart Chamberlain als Erster die „Reinheit der arischen Rasse“ gegen „Vermischung“. Das Hamburger Programm der Vereinigten Antisemitenparteien ließ die Katze aus dem Sack und forderte die „völlige Absonderung“ und zuletzt die unabwendbare „Vernichtung“ der Juden als „Weltfrage“ des 20. Jahrhunderts.

Jüdische Reaktionen

1879 erklärte der jüdische Historiker Harry Breßlau, dass "Juden" und "Semiten" nicht identisch seien. Er werde das Wort "Jude" weiterhin verwenden, aber nur für die Herkunft, nicht die Religionszugehörigkeit von Juden: „Um jedes Missverständnis auszuschließen, bemerke ich, dass ich diejenigen im Sinne dieser Erörterungen als Juden betrachte, deren beide Eltern als Juden geboren sind.“ Damit reduzierte er Judesein seinerseits auf die Abstammung und trennte diese von der Religionszugehörigkeit.

Diese Säkularisierung der Begriffe begünstigte die Gleichsetzung von Juden mit einer angeblichen "Rasse" von "Semiten" nur umso mehr. 1895 definierte der Brockhaus „Semitismus“ als „Bezeichnung für das ausschließlich vom ethnologischen Standpunkt aus betrachtete Judentum“.

Auch der jüdische Arzt Leon Pinsker versuchte, das Umsichgreifen des rassistischen Wahns aufzuhalten. Er sprach in seinem Aufsatz „Autoemanzipation“ 1882 von „Judäophobie“ wie von einer Geisteskrankheit. Ihm war das Erscheinungsbild vertraut, wonach sich gegenseitig verstärkende „Gewissheiten“ eine mentale Störung anzeigten.

Auf die vermehrte Propaganda und Parteienbildung der Antisemiten reagierten religiöse Juden und judenfreundliche Christen 1891 mit der Gegengründung des "Vereins zur Abwehr des Antisemitismus". 1893 bildeten Kreise des liberalen Bürgertums in Berlin den "Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens". Doch diese hatten auf die generelle Entwicklung kaum Einfluss und dienten mehr der Selbstvergewisserung, doch irgendwie zur bürgerlichen Gesellschaft zu hören.

Die verzweifelten Versuche, im Kaiserreich Anerkennung und Gleichberechtigung zu gewinnen, führten folgerichtig viele Juden dazu, sich freiwillig an die Front meldeten, als der 1. Weltkrieg ausbrach. Sie wurden oft für besondere Tapferkeit ausgezeichnet und glaubten, dass ihre Eisernen Kreuze sie vor weiteren Verfolgungen schützen könnten.

Nach seinem Sturz lastete Kaiser Wilhelm II die Kriegsniederlage jedoch den "jüdischen" Führern der Arbeiterbewegung an und forderte die "Ausrottung" der Juden. Ein Weltkriegsgefreiter hatte zugehört und setzte dies 20 Jahre später in die Tat um.

Vom Antisemitismus zum Nationalsozialismus

Zum Ende des 19. Jahrhunderts belegte der Begriff "Antisemitismus" vor allen Dingen eine parteipolitisch orientierte Zielsetzung gegen einen vermeintlich übergroßen jüdischen Einfluss.

Nach den ersten Veröffentlichungen von Charles Darwin (Jahreszahl, Quelle, Beleg) kamen pseudo-biologische Argumentationsketten auf, auf die sich Antisemiten zunehmend beriefen. Sie deuteten Darwins Evolutionstheorie rassistisch, um damit ihren Judenhass zu begründen. Man redete fortan nicht mehr von verderblichen gesellschaftlichen Einflüssen des Judentums, sondern von der "Zersetzungskraft jüdischen Blutes". Man argumentierte nun also immer stärker gegen die "Vermischung" der "Rassen" und legte damit gedanklich eine "Radikallösung" nahe. Das war die entscheidende Zuspitzung, die dem Nationalsozialismus den Boden bereitete.

Adolf Hitler übernahm den Antisemitismus nach eigener Aussage von dem Wiener Bürgermeister und Publizisten Karl Lueger. 1924 verfasste er in der Münchner Festungshaft sein autobiografisches und programmatisches Buch "Mein Kampf": Darin bekannte er sich offen zum Antisemitismus und kündete seine Strategie an, ihn politisch und militärisch durchzusetzen, um die Vernichtung der Juden zu erreichen.

Dieses Ziel verfolgten die Nationalsozialisten unter ihrem Regime mit nie zuvor gekannter Schärfe und Konsequenz: Ihre Maßnahmen führten über die Nürnberger Gesetze, die "Reichskristallnacht", Berufsverbote, Enteignung, Ghettoisierung bis zur Planung und Durchführung der so genannten "Endlösung der Judenfrage" (Holocaust). Diese industriell organisierte Vernichtung des europäischen Judentums - im jüdischen Selbstverständnis "Shoa" (Brandopfer) genannt - forderte über 6 Millionen Opfer.

Zwar wandten sich die Nationalsozialisten im Mai 1943 per Dekret vom Begriff "Antisemitismus" ab. Der Nazi-Ideologe Rosenberg initiierte eine neue offizielle Sprachregelung, die darauf zielte, den neugewonnenen arabischen Verbündeten gegenüber nicht den Eindruck zu erwecken, man "werfe Araber mit den Juden in einen Topf".

Doch das hatte keinerlei Bedeutung mehr in Bezug auf die geschaffenen Tatsachen: Der Judenmord ging unvermindert weiter und wurde sogar noch intensiviert. Die nationalsozialistische Ideologie und Politik zielte von Anfang bis Ende auf die völlige Ausrottung des Judentums. Damit war eine rassistische Abwertung "semitischer" und anderer Völker verbunden, auch wenn diese nicht primäres Objekt einer Vernichtungsstrategie waren. Das deutsche Nazi-Regime steht daher für den mörderischsten Antisemitismus der Geschichte.

Angesichts dieser historischen Entwicklung besteht keine Möglichkeit mehr, einem "juden-" oder "araberfreundlichen" Antisemitismus zu huldigen. Jede Spielart dieser Ideologie muss als konstituierendes Element der nationalsozialistischen Ideologie betrachtet und unbedingt bekämpft werden.

Antisemitismus in der Gegenwart (siehe Judenfeindlichkeit (heute))

Seit 1945 traten rassistische Begründungen für eine prinzipielle Ablehnung der Juden zurück. Als in sich geschlossene pseudowissenschaftliche Theorie ist "Antisemitismus" kaum noch zu finden.

Dennoch gibt es auch heute Denk- und Handlungsmuster, die man als "antisemitisch" einstufen muss: sei es indirekt als "Vergangenheitsentsorgung" und Geschichtsklitterung, sei es direkt als Gewaltakte gegen Juden als Juden und ihre Einrichtungen.

Nach 1945 begann der Kampf um die Deutungshoheit über die Verbrechen der Nazis. Zuerst wurden sie verdrängt oder den finsteren Plänen weniger führender Nationalsozialisten zugeschrieben.

Etwa ab 1960 erschien die Tradition der Holocaustleugnung. Die "Auschwitzlüge" wurde in den 60-ger Jahren im Zusammenhang mit Wahlerfolgen der NPD propagiert (aber unter Strafe gestellt, stimmt das?). Ihr Ziel ist der "Nachweis", dass der Judenmord (die Shoah im jüdischen Selbstverständnis) eine Erfindung "der Juden" sei, um Deutschland als Tätervolk zu brandmarken und politisch-finanzielle Reparationen zu "erpressen". Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erregte Fred Leuchter und sein Report (Datum, Quelle, Inhalt?). Zu den prominenten Holocaust-Leugnern Europas zählt auch Robert Faurisson.

Heute versuchen Antisemiten in der Regel, ihren Antisemitismus zu verharmlosen, indem sie ihn als Antijudaismus, Antizionismus oder allgemeine Kapitalismuskritik tarnen. Trotz dieser Differenzierung zeigen Antisemitismus, -judaismus und -zionismus historisch und aktuell oft weitreichende Berührungspunkte.

An der Benennung zeigt sich die Einordnung: Daher ist dies ein zentraler Streitpunkt in der Antisemitismus-Debatte.

Antisemitismus in der Linken

Antisemitische Positionen werden aber durchaus nicht nur von der rechten Szene vertreten, sondern auch von der Linken. Die Vorstellung von einem internationalen, jüdischen Kapitalismus ist nicht nur in rechts-, sondern auch in linksradikalen Kreisen verbreitet. Der historische Umbruch innerhalb der bundesdeutschen radikalen Linken kann hier im Ausbruch des Sechstagekriegs gesehen werden. In der Folge verknüpften sich antiimperialistische Ideologieversatzstücke mit einem spezifisch deutschen "sekundären Antisemitismus", der immer wieder Parallelen von der israelischen "Besatzungsmacht" zu den Nationalsozialisten zog. Es kam zu Aufrufen wie "Boykottiert Israel" (so zum Beispiel lange Zeit auf einer Häuserfront der besetzten Hamburger Hafenstraße zu bewundern), was viele Leute an das "Deutsche, kauft nicht bei Juden" der Nazis erinnerte. Bei Flugzeugentführungen durch terroristische, deutsche linksradikale Gruppen (RZ) kam es gar zu "Selektionen" von israelischen Passagieren. 1991 beteiligten sich deutsche Militante - darunter das mutmaßliche RAF-Mitglied Andrea Klump - an einem Bombenanschlag in Budapest auf russische Juden. Bis heute operiert ein Teil der antiimperialistischen Linken immer wieder mit Versatzstücken des "klassischen" Antisemitismus bei ihrer Verurteilung der israelischen Sicherheitspolitik. In der globalisierungskritischen Bewegung kommt - von bürgerlichen bis hin zu radikalen Gruppen - oftmals eine personalisierende und strukturell antisemitische "Kapitalismuskritik" zum Einsatz. ("raffendes" versus "schaffendes" Kapital, die so auch im Parteiprogramm der NSDAP zu finden war ("Brechung der Zinsknechtschaft")) Auch der Antisemitismus in der Linken hat weit zurückreichende Wurzeln. Schon im 18. Jahrhundert haben Sozialisten genauso wie Konservative antisemitische Ressentiments benutzt, um gegen den verhassten Manchesterliberalismus zu polemisieren. Ein bekannter Vertreter für diesen Antisemitismus von links war Wilhelm Marr.

Antisemitismus im Nahen Osten

Auch im Nahostkonflikt kommen Elemente des europäischen Antisemitismus zum Tragen, so finden sich z.B die Protokolle der Weisen von Zion sowohl in der Charta der Hamas als auch als TV-Adaption im ägyptischen Fernsehen. Stereotypen aus dem europäischen Antisemitismus durchziehen große Teile der antiiisraelischen Propaganda, so werden Juden in Karikaturen als Schlangen oder Spinnen dargestellt. Das Phänomen des arabischen Antisemitismus sollte aber nicht ausschließlich als Import und Fortsetzung des westlichen Antisemitismus gesehen werden, da es sich auch aus anderen Quellen speist.

Literatur

  • Bein, Alex: Die Judenfrage. Biographie eines Weltproblems, 2 Bände, Stuttgart 1980.
  • Wolfgang Benz /Angelika Königseder (Hrsg.), Judenfeindschaft als Paradigma: Studien zur Vorurteilsforschung, Berlin 2002.
  • Bergmann, Werner: Geschichte des Antisemitismus, München 2002.
  • Bronner, Eric Stephen: Ein Gerücht über die Juden: die >>Protokolle der Weisen von Zion<<, Berlin 1999.
  • Walter Boehlich (Hrsg.), Der Berliner Antisemitismusstreit, Frankfurt a. M. 1965.
  • Greive, Hermann: Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutschland, Darmstadt 1983.
  • Hitzig,Ferdinand: Art. Semitische Völker und semitisches Recht, Bluntschli / Brater, Band. 9 (1865.
  • Kampe, Norbert: Studenten und "Judenfrage" im Deutschen Kaiserreich. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1988 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 76).
  • Ley,Michael: Kleine Geschichte des Antisemitismus, München 2003.
  • Nipperdey, Thomas / Rürup, Reinhard: Antisemitismus, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Band 1, Stuttgart 1972.
  • Pulzer, Peter G. J.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867-1914,Gütersloh 1966.
  • Weil,Gustav: Art. Semitische Völker, Rotteck/Welcker, 3. Aufl., Band. 13 (1865).
  • Moishe Postone: Nationalsozialismus und Antisemitismus - Ein theoretischer Versuch. In: Diner, Dan (Hrsg.): Zivilisationsbruch : Denken nach Auschwitz. Frankfurt am Main, 1988, S.242-254.
  • Abraham Leon: Die jüdische Frage. Eine marxistische Darstellung. Essen, 1995
  • Jean Paul Sartre: Überlegungen zur Judenfrage (1944). Reinbek bei Hamburg, 1994.
  • Klaus Hödl: Die Pathologisierung des jüdischen Körpers. Antisemitismus, Geschlecht und Medizin im Fin de Siècle. Wien, 1997.
  • Volkov, Shulamit: Antisemitismus als kultureller Code, Verlag C. H. Beck, München 2000 (zweite Auflage)
  • Zumbini, Massimo Ferrari: Die Wurzeln des Bösen, Frankfurt a. M. 2003

Nach 1945

  • Joachim Perels: Antisemitismus in der Justiz nach 1945?. In: "Beseitigung des jüdischen Einflusses ..." / Fritz-Bauer-Institut (Hg.) - Frankfurt [u.a.]. - S. 241 - 252. - (Jahrbuch ... zur Geschichte und Wirkung des Holocaust ; 1998/99
  • S. Jäger/M. Jäger: Medienbild Israel. Zwischen Solidarität und Antisemitismus. LIT Verlag, Münster 2003.
  • Tobias Jaecker: Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September. Neue Varianten eines alten Deutungsmusters. LIT Verlag, Münster 2004.

ANTISEMITICA

Siehe auch

Vordenker des Nationalsozialismus, Rassentheorien, Manchesterliberalismus, Judenzählung


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