Benutzer:Kiri272/Zivilschutzanlage Sonnenberg
Zivilschutzanlage Sonnenberg
Die in den 1970-er Jahren eingerichtete Zivilschutzanlage Sonnenberg ist ein einmaliges Zeitzeugnis des Kalten Krieges: zwei Autobahntunnelröhren hätten 20'000 Personen Schutz und eine elementare Infrastruktur geboten. In einer in den Berg gebauten, siebenstöckigen Kaverne wären das Kommando des Zivilschutzes sowie ein Notspital etc. untergebracht gewesen. Damit stellte die Zivilschutzanlage Sonnenberg weltweit eine der grössten Anlagen dieser Art dar. Im Jahr 2006 wurde die Aufnahmekapazität und die Ausstattung massiv abgebaut.
Inhaltsverzeichnis
Gründe/Hintergründe für den Bau der Anlage Ursprüngliche Ausstattung der Zivilschutzanlage Sonnenberg Daten zur Anlage Im Ernstfall: Das Leben im Berg Die Übung "Ameise" Die Anlage heute Gründe/Hintergründe für den Bau der Anlage In der Schweiz erhielt der Zivilschutz durch den Kalten Krieg in den 1950er Jahren starken Auftrieb. 1963 nahm das Parlament das neue Bundesgesetz über den Zivilschutz ohne Gegenstimmen an. Es bestimmte, dass in Zukunft für alle Einwohner Schutzplätze zur Verfügung stehen mussten. In der Stadt Luzern fehlten 1969 Schutzraumplätze für 29'000 Personen. Im April desselben Jahres stimmte der Grosse Rat von Luzern dem Ausbau des Sonnenbergtunnels für Zwecke des Zivilschutzes zu. Unter dem Motto „Jedem Luzerner seinen Schutzplatz!“ genehmigte die Einwohnergemeinde am 1. Juni 1969 schliesslich den Beschluss.
Ursprüngliche Ausstattung der Zivilschutzanlage Sonnenberg
Die beiden Autobahntunnelröhren unter dem Sonnenberg wurden so ausgebaut, dass darin Schutzraumplätze für rund 20'000 Personen geschaffen werden konnten. Anschliessend an die Lüftungszentrale in der Tunnelmitte wurde eine siebenstöckige Kaverne in den Berg gebaut, in welcher neben Waschanlagen, Toiletten, Notküchen und technischen Anlagen auch ein Kommandoposten und ein Notspital eingerichtet wurden. Ausserdem verfügte die Anlage über einen Postdienst, eine Seelsorge, einen Leichenraum und einen Rechts- und Sicherheitsdienst mit eigenen Arrestzellen sowie ein komplett eingerichtetes Radiostudio.
Der Lüftungsschacht für die Tunnelbelüftung, welcher im Luzerner Gigeliwald aus der Erde ragt, ist am Fuss sogar mit einem Bombenauffangtrichter versehen, um auch einem Treffer im Umkreis von weniger als einem Kilometer begegnen zu können. Zudem sind alle lebenswichtigen elektrischen Installationen der Zivilschutzanlage mit einem Stahlmantel ausgestattet, der als Faraday'scher Käfig vor dem starken elektromagnetischen Impuls einer Nuklearexplosion schützen soll.
Der Schutzgrad der Anlage war so berechnet, dass sie ungefähr dem 66fachen der Atombombe von Hiroshima standhalten konnte. Bei der Planung der Anlage ging man davon aus, dass nach etwa 2 Wochen die Strahlung so weit zurückgegangen wäre, dass es möglich würde, die Bewohner mit Hilfe von Aussen aus dem verseuchten Gebiet zu evakuieren.
An den Gesamtbaukosten von 39 Mio. Franken (eingangs geplant waren 20.5 Mio. Franken), die der Gemeinde zufielen, beteiligten sich neben der Stadt auch Bund und Kanton.
Daten zur Anlage
Bauherrschaft: Einwohnergemeinde der Stadt Luzern Projektleitung:Motor Columbus, Ingenieurunternehmung AG, Baden Bauzeit: 1970-76 Baukosten: 39.1 Mio. Fr. Kaverne: Höhe 19.8m, Breite 16m, Länge 36.8m, 7 Etagen, davon 3 Etagen für Notspital mit 2 Operationsräumen und 336 Sanitätsliegestellen Tunnelröhren: 2 ×1200 m, geschützter Bereich für den Aufenthalt von rund 20'000 Personen Profil der Röhren: Kreis mit Innendurchmesser 9.66m Gefälle Süd-Nord: 2.69 % Schutzgrad: 9 bar Frischluft: 8 m3/h und Person Frischluft, 1.5-3 m3/h und Person bei vergifteter Aussenluft Trinkwasser: Städtisches Leitungsnetz, Grundwasserfassung, notfalls Reusswasseraufbereitung. 4l Wasser pro Person und Tag (2l Trinkwasser, 2l für Hygiene) Stromversorgung: Dieselöltankanlage, zwei 12-Zylinder-Grossdieselmotoren, zwei Stromgeneratoren (Eigenversorgung im Kriegsfall garantiert)
Im Ernstfall: Das Leben im Berg
Für den Ernstfall waren drei Stufen des Bezugs der Anlage vorgesehen, da man davon ausging, dass sich die politische Lage sukzessive hin zu einem Atomkrieg verschärfen würde: Stufe 1: Logis beziehen. Die Bevölkerung übernachtet im Schutzraum, geht jedoch tagsüber ihrer gewohnten Tätigkeit nach; Stufe 2: Rotieren. Die Bevölkerung bleibt auch tagsüber im Schutzraum, für Mahlzeiten und ausgiebige Hygiene kann die Anlage für eine Stunde gestaffelt verlassen werden. Dies war auch vorgesehen, um den Aufenthalt im Schutzraum erträglicher zu machen und so einem „Bunkerkoller“ vorzubeugen; Stufe 3: Autark überleben. Die Bevölkerung befindet sich Tag und Nacht im Schutzraum, bis die Gefahr vorüber ist.
Das Leben im Bunker hätte folgendermassen ausgesehen: Die Menschen gelangen über Schleusen bei den Nord- und Südeingängen der Oströhre in die Anlage. Dort wird das Gepäck kontrolliert und mitgebrachte Haustiere in den Stauräumen zurückgehalten. Ausserdem prüft man die Personalien, informiert über die Anlage und die Platzzuteilung. Jeder Person wird eine Liegestelle mit den Massen 70cm ×190cm zugeteilt. Diese Liegestellen haben Zivilschützer vierstöckig in den beiden Tunnelröhren aufgestellt. Ein Block umfasst 64 Personen, wobei Familien und Hausgemeinschaften möglichst zusammenbleiben. Jeder dieser 64er-Blocks ist mit Toilettenanlagen (Pissoirs, Trockenklosetts) ausgestattet. Kranke, ältere Personen und Säuglinge werden separat untergebracht. Durch ständige Frischluftzufuhr soll ein Temperaturanstieg über 25°C verhindert werden.
Zusammen mit ihrem Notgepäck haben die Insassen auch eine Wochenration Kaltverpflegung mitgebracht. In einer zentralen Küche im Untergeschoss der Zivilschutzkaverne wird die von den Behörden organisierte zusätzliche Nahrung aufbereitet, die aus Flüssignahrung und warmen Getränken besteht. Die Tunnelleitung regelt über eine Lautsprecheranlage den ganzen Tagesablauf (Verpflegung, Rotation, Ruhezeiten etc.).
Die Übung "Ameise"
Vom 16. bis zum 21. November 1987 fand in der Zivilschutzanlage Sonnenberg die Übung „Ameise“ statt. Elf Jahre nach dem Bau der Anlage wurde diese das erste und einzige Mal vom Zivilschutz auf ihre Funktionstüchtigkeit getestet. Zu diesem Zweck wurden rund 1200 Zivilschützer aufgeboten. Allerdings handelte es sich bei der „Ameise“ um eine reine „Trockenübung“, weil aus organisatorischen und zeitlichen Gründen keine Zivilisten als Bewohner einbezogen werden konnten. Diese Tatsache brachte der Übung von Kritikern den Vorwurf ein, eine reine Alibiübung zu sein, da so die Frage ungeklärt bleibe, ob sich im Falle einer Katastrophe tatsächlich rund 20'000 Menschen ohne ernsthafte massenpsychologische Probleme in den zwei Tunnelröhren unterbringen liessen.
Neben dem langwierigen und komplizierten Schliessen der Tore zeigte sich als Hauptschwachstelle der Anlage die Tatsache, dass das gesamte für den Betten- und Sanitäraufbau in den beiden Tunnelröhren benötigte Material von den Zivilschützern zuerst aus der Kaverne, wo es eingelagert war, in den Tunnel geschleppt und dort aufgebaut werden musste. Aufgrund dieser Schwierigkeiten und der mangelhaften Ausbildung der beteiligten Zivilschützer erreichte die "Ameise" ihre Ziele nur zum Teil.
Die Anlage heute
Die Zivilschutzorganisation der Stadt Luzern hatte bis 1993 jährlich gegen 380'000 Franken für den Unterhalt der Anlage ausgegeben. Mitte der 1990er-Jahre wurde ausserdem klar, dass eine Totalsanierung der inzwischen 30 Jahre alten Anlage nötig war. Aus finanziellen Gründen und auch aufgrund der veränderten Bedrohungslage stellte man den Betrieb einer solchen Grossanlage in Frage. So wurde beschlossen, auf eine Totalsanierung zu verzichten und die Benutzung der beiden Tunnelröhren als Schutzräume aufzugeben. Gleichzeitig sollte die Kaverne zu einem Schutzraum mit nur noch rund 2'000 Schutzplätzen umfunktioniert werden. Die überschüssigen Einrichtungen wurden verkauft, verschenkt oder entsorgt.
Quellen
20'000 in den Berg - Unterirdisch überleben. Eine Dokumentation zu den Aktionstagen im Luzerner Sonnenberg vom 2. September bis 2. Oktober 2006. Hrsg. von Jürg Stadelmann u.a. (Beilage der Neuen Luzerner Zeitung vom Samstag, 26. August 2006).