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Massaker von Katyn

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Massengräber auf dem Soldatenfriedhof von Katyn
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Die deutsche Wehrmacht lässt die ermordeten Polen exhumieren, 1943

Im Massaker von Katyn ermordeten zu Beginn des Jahres 1940 Einheiten des sowjetischen Geheimdienstes NKWD in einem Wald nahe Smolensk mehrere tausend polnische Offiziere und Zivilisten.

Die Entdeckung der Massengräber durch die deutsche Wehrmacht führte zum Abbruch der Beziehungen zwischen der polnischen Exilregierung in London und der Sowjetunion. Das Massaker wurde zunächst von Hitlers Propaganda instrumentalisiert, während die Führung der Sowjetunion unter Stalin das Verbrechen von sich wies und es der Wehrmacht anlastete. Erst Michail Gorbatschow stellte 1990 klar, dass die Sowjetunion für Katyn verantwortlich war. Das Verbrechen belastet bis heute das russisch-polnische Verhältnis.

Das Massaker

Nachdem die Truppen der sowjetischen Roten Armee im Herbst 1939 in den Teil Polens einmarschiert waren, der ihnen im Hitler-Stalin-Pakt zuerkannt worden war, gerieten 14.700 Offiziere und Soldaten der polnischen Armee in sowjetische Kriegsgefangenschaft.

Am 5. März 1940 unterzeichneten die Mitglieder des Politbüros der KPdSUJosef Stalin, Wjatscheslaw Molotow, Lasar Kaganowitsch, Kliment Woroschilow, Anastas Mikojan und Lawrenti Berija – den Befehl zur Exekution von „Nationalisten und konterrevolutionären Aktivisten” in den besetzten Gebieten. Diese weite Definition ermöglichte es, neben Offizieren, Soldaten und Reservisten auch ca. 10.000 polnische Intellektuelle und Polizisten zu töten. Erfasst wurden schließlich 25.700 Polen, einschließlich der Kriegsgefangenen.

Vom 3. April bis zum 19. Mai 1940 ermordete der NKWD 14.552 Kriegsgefangene: die größten Gruppen bildeten 4421 Mann aus Kozielsk, die in Katyn, 6311 aus Ostaschkow, die in Twer und 3982 aus Starobielsk, die in Charkov exekutiert wurden. Die Leichen der Kriegsgefangenen aus Kozielsk wurden ebenfalls im Wald von Katyn begraben.

Ende Juli 2006 wurde vom polnischen Archäologen Andrzej Koła im Wald von Bykownia ein weiteres Massengrab mit polnischen Opfern des NKWD entdeckt, in dem 3435 bislang vermisste Opfer des Massakers vermutet werden. Genauere Untersuchungen dauern an. Am gleichen Ort sind in über hundert Massengräbern vermutlich insgesamt bis zu 300.000 Opfer stalinistischer Säuberungen beigesetzt. [1]

Zu den vielen polnischen Intellektuellen, die das NKWD im Zuge des Massakers liquidiert hatte, gehörten auch die beiden Mathematiker Józef Marcinkiewicz und Stefan Kaczmarz. Marcinkiewicz hatte – obwohl nur sechs Jahre lang Wissenschaftler - in seinem kurzen Leben grundlegende Entdeckungen gemacht, vor allem zur Integralrechnung. Sein Kollege Kaczmarz ist bekannt für die Entwicklung der Kaczmarz-Methode, die noch heute in der Tomografie von Bedeutung ist.

Die Entdeckung des Massakers

Im Februar 1943 entdeckten Wehrmachtssoldaten, namentlich Rudolf Christoph Freiherr von Gersdorff als I c in der Stabsabteilung der Heeresgruppe Mitte, im Wald von Kozy Gory bei Katyn Massengräber mit den Leichen tausender polnischer Offiziere, die nach Aussagen der einheimischen Bevölkerung im Frühjahr 1940 ermordet worden waren.

Die reichsdeutschen Rundfunkmeldungen über die Funde veranlassten die polnische Exilregierung in London, eine internationale Untersuchung durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf zu beantragen. Gegen dieses Vorhaben wehrte sich die sowjetische Regierung heftig und brach unter dem Vorwurf der Komplizenschaft mit Hitler jeden Kontakt zu polnischen Exilanten ab.

Untersuchungen Anfang 1943 und NS-Propaganda

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Fotoveröffentlichung des NS - Deutsches Nachrichten Büro, 1943

Der Fall Katyn gereichte der deutschen Regierung zu einem Fall für ihre Propaganda gegen die Sowjetunion. Berlin veranstaltete direkt nach dem Fund eine öffentliche Exhumierung durch eine kompetente internationale Untersuchungskommission von 12 namhaften Gerichtsmedizinern, darunter eingeladene und gekommene Vertreter der polnischen Exilanten und Vertreter des polnischen Roten Kreuzes. Diese Kommission aus Gerichtsmedizinern aus elf europäischen Staaten (Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Italien, Kroatien, Niederlande, Rumänien, Schweden, Slowakei, Ungarn) begutachtete zwischen dem 28. und 30. April 1943 die bereits aufgedeckten Massengräber und grub exemplarisch weitere Leichen aus dem gewachsenen Boden, auch um das Todesdatum zweifelsfrei festzustellen.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hatte aufgrund der Proteste der Sowjetunion seine Mitarbeit verweigert.

In einem gemeinsamen Beschluss veröffentlichte die international besetzte Kommission ihre Expertise zum Todesdatum, in dem sie u.a. zum übereinstimmenden und unwidersprochenen Beschluss kam, dass das Todesdatum im Frühjahr 1940 gelegen haben muss, aufgrund der Feststellungen der Gerichtsmediziner und der bei den Leichen gefundenen Papiere und Briefe, die alle zum selben Zeitpunkt datumsmäßig abbrachen.

Der Deutsche Verlag publizierte 1943 die gemeinsamen Untersuchungsergebnisse als amtliches Gutachten. Zur Todesursache heißt es darin: „Die Leichen wiesen als Todesursache ausschließlich Genickschüsse auf. Aus den Zeugenaussagen, den bei den Leichen gefundenen Briefschaften, Tagebüchern, Zeitungen usw. ergibt sich, dass die Erschießungen in den Monaten März und April 1940 stattgefunden haben. ...” Weil die Massengräber sich auf einem Gebiet befanden, das von Frühjahr 1940 bis Juni 1941 von der Sowjetunion besetzt war, war die Täterschaft für alle an der Untersuchung Beteiligten klar.

Katyn war für die NS-Propaganda von mehrfachem Nutzen: international konnte das Ansehen des Kriegsgegners Sowjetunion geschwächt werden, im Rahmen der Besatzungspolitik in den polnischen Gebieten sollte dem lokalen Widerstand klar gemacht werden, dass die Sowjetunion als Bündnispartner ausschied und mit dem für die NS-Propaganda typischen Antikommunismus sollte die eigene Bevölkerung gegen den Bolschewismus weiter aufgebracht werden. Als innerdeutsche Propaganda hatte das Massaker von Katyn jedoch nicht den gewünschten Erfolg: Aus einem Bericht des SD geht hervor, dass weite Teile der deutschen Bevölkerung dieses Verbrechen im Vergleich zu den eigenen für unbedeutend hielten oder der Meinung waren, es wäre von den reichsdeutschen Truppen verübt worden.

Untersuchungen Ende 1943 und Sowjet-Propaganda

Ende 1943, nach der Zurückdrängung der Wehrmacht und Wiederbesetzung des polnischen Geländes, ließ die Sowjetunion das Massaker durch eigene Fachleute, Schriftsteller (Graf Alexej Tolstoj) und Militärs untersuchen. Die „Sonderkommission zur Feststellung und Untersuchung des Tatbestandes der Erschießung kriegsgefangener polnischer Offiziere im Wald von Katyn“ unter Vorsitz des Chefchirurgen der Roten Armee, Burdienko entstand.

Der Sonderkomission gehörten auch Alexej Tolstoj, der Metropolit von Kiew und Galizien Nikolaj, der Vorsitzende des Allslawischen Komitees, Gundorow, der Vorsitzende des Exekutivkomitees des Verbandes der Organisationen des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds, Kolessnikow, der Volkskommissar für Bildungswesen der RSFSR Patjomkin an. Diese behaupteten, dass die Genickschüsse im Herbst 1941 (somit unter reichsdeutscher Verantwortung) stattgefunden hätten. Bei den exhumierten Ermordeten hätten die ‚sowjetischen Experten‘ verschiedene Gegenstände mit Zeitangaben wie November 1940, März 1941 oder Juni 1941 gefunden, was beweise, dass die Exekutionen von den „Deutschfaschisten“ durchgeführt wurden.

Diese Behauptung wird von kommunistischen Kreisen sogar heute noch gelegentlich als ernsthaftes Argument vorgebracht. [1], [2]

Anfang 1946 berichtete die Zeitung „Nordwest-Nachrichten” (Herausgeber war die britische Militärbehörde) und die sowjetische Agentur TASS am 30. Dezember 1945, dass zehn deutsche Kriegsgefangene von der sowjetischen Justiz für die Massaker bei Katyn – also unschuldig – verurteilt wurden. Sieben wurden mit dem Tode bestraft und drei zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Katyn bei den Nürnberger Prozessen ab 1946

Die sowjetischen Ankläger vor dem Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher warfen die Verbrechen den reichsdeutschen Angeklagten vor.

Der US-amerikanische Richter Francis A. Biddle bezeichnete die Eingabe der UdSSR als „maßlos” und gab seinem Mitarbeiter Herbert Wechsler den Auftrag, Klarheit in die Angelegenheit zu bringen.

Da die westlichen Alliierten kein Interesse daran hatten, den Prozess durch sowjetische Propaganda in seiner Wirkung beeinträchtigen zu lassen, überstimmten sie den sowjetischen Richter Iona Nikittschenko und drohten mit dem Verlesen von Wechslers Erklärung sowie der Verhaftung des sowjetischen Anklägers Roman Rudenko, wenn er weiterhin durch entsprechende Anträge das Gericht missachten sollte. Katyn blieb daher beim Urteilsspruch unbeachtet.

Bis zur Wende 1989 war das sowjetische Bestreben, dieses eigene Kriegsverbrechen den Nationalsozialisten anzulasten, teilweise erfolgreich. Unterstützt wurden sie zudem von „linken Poltikern” und von so genannten „linken Medien” der neuen Bundesrepublik Deutschland, die bis dahin jeden Versuch der Wahrheitsklärung als Neonazismus und Revisionismus zurückwiesen.

Katyn in Schulbüchern der DDR

Im Geschichtsunterricht der DDR wurde das Massaker der reichsdeutschen Wehrmacht angelastet. Zugleich wurde versucht, den Namen "Katyn" mit dem 1943 tatsächlich von deutschen Truppen verübten Massaker im nahezu gleichnamigen weißrussischen Dorf Chatyn zu verbinden und dadurch das "andere" Katyn im Bewußtsein auszulöschen.

Anerkennung des Massakers durch die Sowjetunion

Am 13. April 1990 gestand Michail Gorbatschow schließlich die sowjetische Alleinschuld an Katyn offiziell ein. (Noch 1990/1991 veröffentlichte Vojenno-Istoričeskij Žurnal eine Artikelserie, die die Version verbreitete, die Deutschen seien verantwortlich gewesen.)

Was Gorbatschow noch unterlassen hatte, holte der russische Präsident Boris Jelzin im Oktober 1992 nach: Er überließ Polen das Aktenstück von 1940, mit dem Kaganowitsch, Stalin, Berija und andere die Exekutionen von Katyn angeordnet hatten.

Bisher weigert sich die russische Regierung um Präsident Wladimir Putin jedoch, die Opfer des Massakers von Katyn offiziell als Opfer des stalinistischen Terrors anzuerkennen. Langjährige Ermittlungen der obersten russischen Militärstaatsanwaltschaft wurden 2004 unter dem Vorwand der Verjährung eingestellt.

Nach sowjetischen Dokumenten fanden dabei 21.857 Menschen den Tod, nach Angaben Polens waren es ca. 30.000 Personen, laut Brockhaus rund 25.000. Für das Verbrechen verantwortlich war die ganze damalige Staats- und Parteiführung der Sowjetunion.

Geschichtliche Einordnung

Das geheime Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts, das (u. a.) die Aufteilung des polnischen Gebietes und damit letztlich die Vernichtung des polnisches Staates vorsah, schuf nach Auffassung von Historkern die Grundlage für das Massaker von Katyn und weiterer Verbrechen auf polnischem Boden.

Literatur

  • Thymian Bussemer: Das internationale Rote Kreuz und die NS-Kriegspropaganda: der Fall Katyn. In: Vorgänge. Jg. 39 2000 H. 3 S. 81–89
  • John P. Fox: Der Fall Katyn und die Propaganda des NS-Regimes. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. (30) 1982 S. 462–499
  • Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg. München 1999, Herbig Verlag, ISBN 377662079X. – Keine Spezialstudie zu Katyn, sondern Benutzung als Illustrationsmaterial zu Hoffmanns Thesen.
  • Gerd Kaiser: Katyn, Das Staatsverbrechen – das Staatsgeheimnis. Aufbau Taschenbuchverlag, Berlin 2002, ISBN 3746680786. – Fortführung der Arbeit Madajczyks unter Einbeziehung weiterer Quellen aus russischen Archiven.
  • Josef Mackiewicz, Katy´n - ungesühntes Verbrechen, Zürich 1949/Frankfurt/Main 1983
  • Czeslaw Madajczyk: Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939–1945. Köln 1988.
  • Czeslaw Madajczyk: Das Drama von Katyn. Dietz Verlag 1991, ISBN 3320016687. – Die erste wissenschaftliche Arbeit über Katyn durch den bedeutenden polnischen Historiker.
  • George Sanford: The Katyn Massacre and Polish-Soviet Relations, 1941–43. In: Journal of Contemporary History 41/2006, S. 95–111.
  • Manfred Vasold: Katyn. In: Wolfgang Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile, München: dtv 1995, S. 115ff.

Verarbeitung

Quellen

  1. „Gräber polnischer Soldaten in der Ukraine entdeckt“ Der Standard vom 9. August 2006

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