Föderalismus in der Schweiz
In der Schweiz ist der Föderalismus seit der Gründung ein Grundprinzip des Staates, das auch heute noch in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert hat. Der Schweizer Föderalismus geht weit über eine Beteiligung an der Bundesregierung hinaus, einige staatliche Aufgaben werden von den Kantonen in eigener Kompetenz geregelt.
Der diesem Prinzip zugrundeliegende Artikel der Bundesverfassung lautet:
- Art. 3 Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind.
Aufgabenteilung
Der Bund darf also nur Aufgaben übernehmen, die ihm ausdrücklich in der Bundesverfassung übertragen sind – alle anderen staatlichen Aufgaben werden von den Kantonen geregelt. Die Kantone (und der Souverän) wachen darüber, dass sich der Bund nicht, z.B. durch Verfassungsänderungen, neue Rechte aneignet. Die Tendenz geht allerdings eindeutig Richtung Bund.
Der Bund ist zuständig für Gesetzgebung im Zivil- und Strafrecht, Aussenpolitik, Aussenwirtschaft, Krankenversicherung und andere Sozialversicherungen, Geldwesen, Mehrwehrtsteuer und Zölle, Messwesen, Einsatz der Armee.
Teilweise in der Kompetenz der Kantone liegen Kultur, Schulwesen, direkte Steuern, Gerichtswesen, Natur- und Heimatschutz, Strafvollzug; die Kantone bestimmen ihre Amtssprache(n) und regeln das Verhältnis von Kirchen und Staat.
Viele Aufgaben sind geteilt – der Bund stellt allgemeine Regeln auf, die Kantone kümmern sich um die Durchführung. Auf vielen Gebieten herrscht ein Kompetenzwirrwarr zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden.
Eine weitere Variante sind die Konkordate zwischen den Kantonen: mehrere (oder sogar alle) Kantone einigen sich unabhängig vom Bund darauf, gewisse Aufgaben aus ihrer Zuständigkeit (Fachhochschulen, Strafvollzug, Lehrerausbildung) gemeinsam zu lösen.
Mitsprache bei der Regierung
Die Beteiligung der Kantone bei der Bundesregierung geschieht im Wesentlichen auf drei Ebenen:
- Bei einer Vernehmlassung werden alle betroffenen Kantone um Stellungnahme gebeten und können so ihre Ansicht einfliessen lassen, bevor das Gesetz überhaupt formuliert wird.
- Die kleine Kammer des Parlaments, der Ständerat ist "Vertretung der Kantone": jeder Kanton stellt zwei Ständeräte (Halbkantone einen), die gewöhnlich in Majorzwahl vom Volk gewählt werden. Die Ständeräte sind aber keineswegs nur Vertreter ihrer Kantone. Der Ständerat ist dem Nationalrat gleichgestellt - alle Bundesbeschlüsse benötigen die Zustimmung beider Kammern.
- Verfassungsänderungen, über die das Volk obligatorisch abstimmt, benötigen nicht nur ein Volksmehr, sondern auch ein sog. Ständemehr (die Mehrzahl der Kantone muss zustimmen).
Vorteile des Schweizer Föderalismus
Der Föderalismus fördert teilweise die Stabilität und den Zusammenhalt des Bundesstaates:
- Angesichts der Vielfalt von Kulturen, die sich nicht nur bezüglich Sprache sondern auch bezüglich Stadt/Land und katholisch/reformiert unterscheiden (französisch-ländlich-katholisch (Wallis), französisch-ländlich-reformiert (Waadt), französisch-städtisch-reformiert (Genf), deutsch-städtisch-reformiert (Zürich), deutsch-ländlich-reformiert (Bern), deutsch-ländlich-katholisch (Uri), deutsch-städtisch-katholisch (Zug) etc.) wäre es bei vielen staatlichen Aufgaben kaum möglich, eine Mehrheit für einen gemeinsamen Nenner zu finden.
- Dadurch, dass einige Aufgaben der Kantonshoheit unterstehen, ist manchmal die Lösung für viel mehr Leute befriedigend, als das mit einer Einheitsregelung möglich wäre. Auf der anderen Seite führt dies zu einem starken Gefälle zwischen einzelnen Kantonen.
- Minderheiten fühlen sich weniger durch den Staat übergangen oder in ihren Interessen verletzt. Dies kann aber auch umgekehrt sein, wenn nämlich in einzelnen Kantonen minoritätenfeindliche Regelungen bestehen bleiben, die in anderen Kantonen schon längst abgeschafft sind.
- Viele Aufgaben des Staates werden näher beim Bürger gelöst, was die Staatsverdrossenheit vermindert. Die Kehrseite ist Filz und teilweise Korruption.
Nachteile des Schweizer Föderalismus
- Die Nachteile zeigen sich unter anderem beim Paradebeispiel Schule:
Es gibt für sieben Millionen Einwohner sechsundzwanzig Schulsysteme – auch eines für die 15000 Einwohner von Appenzell Innerrhoden. Jeder Kanton hat seine eigenen Schulbücher und seine Lehrerausbildung (mit einigen Ansätzen zur Koordination). Je nach Kanton (oder sogar Gemeinde) ist die Unterrichtssprache Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch; kommt die erste Fremdsprache im zweiten, vierten, fünften, sechsten oder siebten Schuljahr, beginnt die Oberstufe im fünften, sechsten oder siebten Schuljahr usw. Nach jahrzehntelanger Anstrengung ist es jetzt gelungen, dass alle Kantone das Schuljahr im Herbst beginnen (d.h. irgendwann zwischen August und Oktober).
Schulpflichtige Kinder von Familien, die innerhalb der Schweiz mehrmals umziehen, können da leicht ein Jahr verlieren. Übrigens sind eigentlich alle Kantone im Prinzip dafür, dass das Schulsystem in der Schweiz endlich vereinheitlicht wird – jedenfalls, "sofern die anderen es so machen, wie es sich bei uns seit langem bewährt hat".
- Der Föderalismus vrunmöglicht auf vielen Gebieten die längst notwendige Zusammenarbeit und schwächt den Staat Schweiz.
- Zudem ist er äusserst kostspielig, in einem Land von gerade mal 41'000 Quadratkilometern, mit Kantonen, die durchschnittlich eine Fläche von nur 40 mal 40 Kilometern haben. Er kann auch dazu beitragen, dass einzelne Kantone rückständig bleiben.
- Der Föderalismus ist kostspielig: 26 Regierungen, Verwaltungen, rechtliche Regelungen usw. Dazu kommt, dass die historisch entstandenen Kantonsgrenzen oft den tatsächlichen geographischen, kulturellen, ökonomischen und sprachlichen Gegebenheiten nicht entsprechen.
- Die Kantone haben extrem unterschiedliche Grössen: flächenmässig zwischen 37 und 7105 Quadratkilometern, bevölkerungsmässig zwischen 14'900 und 1'244'400 Einwohnern. Sie sind also in verschiedener Hinsicht nicht vergleichbar.
Siehe auch: Politisches System der Schweiz, Schweiz, Föderalismus