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Edgar Varèse

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Edgar(d) Victor Achille Charles Varèse (* 22. Dezember 1883 in Paris; † 6. November 1965 in New York) war ein US-amerikanischer Komponist und Dirigent französischer Herkunft.

Leben

Varèse ist das älteste Kind des Italieners Henri Varèse und seiner französischen Frau Blanche-Marie Cortot. Er wächst in Paris und bei seinen Großeltern mütterlicherseits in Le Villars im Burgund auf, eine prägende Rolle in seiner Kindheit spielt der Großvater Claude Cortot. 1892 ziehen seine Eltern mit ihm nach Turin. Dort unternimmt er mit 11 Jahren einen ersten Kompositionsversuch: Martin Pas, eine Oper nach Jules Verne für Knabenstimme und Mandoline. Der Vater ist Ingenieur und wünscht, dass der Sohn den gleichen beruflichen Weg einschlägt, und legt Wert auf eine mathematisch-naturwissenschaftliche Ausbildung. Den musikalischen Interessen des Sohnes steht er ablehenend gegenüber, dieser nimmt heimlich Unterricht: im Jahr 1900 wird er Schüler am Turiner Konservatorium. Er wirkt als Schlagzeuger im Opernorchester mit und macht erste Erfahrungen als Dirigent. Im gleichen Jahr stirbt seine Mutter, das gespannte Verhältnis zu seinem Vater, der ein zweites Mal heiratet, verschärft sich.

1903 bricht Varèse endgültig mit seinem Vater und geht nach Paris, wo er 1904 ein Musikstudium an der Pariser Schola Cantorum aufnimmt. Seine Lehrer in den Jahren 1904/05 sind Albert Roussel (Kontrapunkt), Vincent d'Indy (Komposition, Dirigieren) und Charles Bordes (Musik des Mittelalters und der Renaissance). Danach wechselt er an das Pariser Konservatorium und studiert bei Charles-Marie Widor (Komposition). Er gründet seines ersten Chor, steht in Verbindung zur Künstlergruppe La Mansarde, die sich für das wagnersche Gesamtkunstwerk begeistert, komponiert erste Werke für Orchester. 1907 beendet er sein Studium bei Widor, heiratet die Schauspielerin Suzanne Bing. Und er lernt Claude Debussy persönlich kennen, dessen Musik ihn schon seit seiner Zeit in Turin stark beeindruckt hatte.

Am Ende des Jahres zieht Varèse mit seiner Frau nach Berlin um. Vermutlich hat er Ferruccio Busonis Schrift Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst gelesen, jedenfalls sucht er zu diesem engen Kontakt, wird sein Schüler. Er korrespondiert mit Hugo von Hofmannsthal, nach dessen Schauspiel Ödipus und die Sphinx er eine Oper komponiert. Er gründet auch hier einen Chor, macht die Bekanntschaft von Maurice Ravel, Richard Strauss, Romain Rolland und - anlässlich eines Besuch bei von Hofmannsthal in Wien, Gustav Mahler. Rolland wird ein Förderer von Varèse. Das Orchesterwerk Bourgogne wird durch die Fürsprache von Richard Strauss im Dezember 1910 als erstes seiner Werke öffentlich uraufgeführt. Schon vorher im Oktober wurde seine Tochter Claude geboren. Er hört 1912 die Uraufführung von Pierrot lunaire von Arnold Schönberg, eines Schlüsselwerk der Musik der 20. Jahrhunderts.

1913 läßt sich Varèse scheiden und fährt für einen längeren Aufenthalt nach Paris. Ein Brand vernichtet in Berlin mit seinen zurückgelassenen Manuskripten fast alle seiner bis dahin komponierten Werke. In Paris ist er Zeuge der skandalträchtigen Uraufführung eines weiteren Schlüsselwerks: Igor Strawinskys Ballett Le Sacre du Printemps.

Bei Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 kehrt Varèse vorerst nach Paris zurück. Im folgenden Jahr emigriert er wie viele andere Pariser Künstler in die USA, am 29. Dezember 1915 kommt er in New York an. Er triff hier die Dadaisten um Marcel Duchamp, Schreibt für eine Küntlerzeitschrift von Francis Picabia. Außerdem lernt er die damals bedeutendsten New Yorker Vertreter der Avantgardekunst um Walter Arensberg und Alfred Stieglitz kennen. Er arbeitet als Notenkopist und mit der Orchestrierung von fremden Kompositionen. Seine Einstudierung des Requiems von Hector Berlioz und dessen Aufführung am 1. April 1917 bringt ihm einen ersten großen Erfolg als Dirigent, der ihm weitere Engagements verschafft. Im gleichen Jahr 1917 heiratet er in zweiter Ehe die Amerikanerin Louise Norton. Das von ihm 1919 gegründete New Symphony Orchstra hat mit seinem anspruchsvollen Programm aus alter und neuer Musik bei Kritik und Publikum keinen Erfolg, so dass er seine DIrigiertätigkeit dort schnell wieder abgiebt. Zusammen mit dem Harfenisten Carlos Salzedo und mit finanzieler Unterstützung zweier Mäzeninnen gründet er 1921 die International Composers Guild (I.C.G.) zum Zweck der Aufführung des gesamten Spektrums der damals aktuellen Neuen Musik. Im folgenden Jahr gründen auf seine Anregung Busoni und Heinz Tiessen das europäische Gegenstück, die Internationale Komponisten Gilde (I.K.G.), die aber gegenüber der etwas später gegründeten Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) wenig Einfluß gewinnt und nur kurzen Bestand hat.

1921 stellt Varèse mit dem Orchesterwerk Amériqes seine erste Komposition seit Bourgogne (1908), der bis 1927 in regelmäßigen Abständen weitere folgen. Gegenüber seinen Werke aus der Pariser und Berliner Zeit entwickelt er in seinem neuen Kompositionen eine vollkommen neuartige Klangsprache. Er wird 1927 amerikanischer Staatsbürger, im gleichen Jahr löst er die I.C.G. auf, gründet aber bereits im folgenden mit Henry Cowell und Carlos Chávez Ramírez die Pan American Association of Composers (PAAC), die sich die Förderung zeitgenössischer Komponisten vom amerikanischen Kontinent zum Ziel gesetzt hat.

1928 geht Varèse wieder nach Paris. Es kommt dort wie auch in Deutschland zu ersten Aufführungen seiner in den Vereinigeten Staaten komponierten Stücke. André Jolivet wird 1930 für einige Zeit sein Schüler, er hat Kontakt zu Heitor Villa-Lobos. Sein Plan für ein Laboratorium, in dem Künstler und Wissenschaftler gemeinsam neue Möglichkeiten der Klangerzeugung in der Musik erforschen, kann nicht verwirklicht werden. 1933 kehrt er nach New York zurück.

Für Varèse beginnt eine zwanzigjährige Phase, in der er, abgesehen vom Flötenstück Density 21.5 (1936) kein Werk veröffentlicht (bis zu Déserts im Jahr 1954), kein bedeutendes Werk vollendet. 1934 wird eine erste Schallplattenaufnahme mit einem seiner Werke (Ionisation) aufgenommen, ab 1936 hält er Vorlesungen in Santa Fe. Im November 1937 zieht er nach nach San Francisco, im daraufflolgenden Mai nach Los Angeles, wo er versucht, für seine Musik im Filmgeschäft Hollywoods Interessenten zu gewinnen, bleibt aber erfolglos. Er kehrt 1940 nach New York zurück, gründet 1941 den New Chorus, später zum Greater New York Chorus erweitert, mit dem er überwiegend Alte Musik aufführt.

Im Jahr 1950 wird er eingeladen, bei den Internationalen Ferienkursen für neue Musik Darmstadt einen Kompositionskurs abzuhalten. Damit begint eine verstärkte Rezeption seines Werkes unter den jungen, europäischen Komponisten, seine Werke werden wieder vermehrt aufgeführt. Er beginnt mit der Komposition Deserts, die das damals neuartige Magnettonband als Klangquelle einsetzt. Bei der Uraufführung 1954 in Paris, die live auch im Rundfunk stereophon ausgestrahlt wird, kommt es zu einem großen Eklat, dennoch folgen rasch und mit Erfolg weitere Aufführungen in Europa (Hamburg, Stockholm) und im nach seiner Rückkehr 1955 auch in den USA. Es folgt als nächstes großes Projekt noch das Poème électronique, das in Zusammenarbeit mit Le Corbusier und dessen damaligen Assistenten Iannis Xenakis entsteht. Es handelt sich um eine Komposition für mehrere Tonbänder, die im Pavillion der Firma Philips auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel über ein System von 300 Lautsprechern erklingt. Dieses Werk hören über 2 Millionen Besucher des Pavillions, es wird nach seiner Rückkehr in die USA in New York wiederholt.

Danach beginnt Varèse noch mit zwei weiteren Kompositionen, Nocturnal und Nuit, kann diese aber nicht mehr vollenden. Am 6. November 1965 stirbt er an einer Thrombose in einem New Yorker Krankenhaus.

Werke

  • Un grand sommeil noir nach einem Gedicht von Paul Verlaine für Sopran und Klavier (1906)
  • Amériqes für großes Orchester (1921, revidiert 1927)
  • Offrandes nach Texten von Vicente Huidobro (Teil I: Chanson de là-haut) und José Juan Tablada (Teil II: La croix du sud) für Sopran und Kammerorchester (1921)
  • Hyperprism für 9 Bläser und 7 Schlaginstrumente (1923)
  • Octandre für Schlaginstrumente und Kontrabass (1923)
  • Intégrales für 11 Bläser und 4 Schlaginstrumente (1925)
  • Arcana für großes Orchester (1927, revidiert 1960)
  • Ionisation für 41 Schlaginstrumente und zwei Sirenen (1931)
  • Ecuatorial nach Texten aus dem Buch Popul Vuh der Maya für Bass oder einstimmigen Chor, 8 Blechbläser, Klavier, Orgel, zwei Theremin oder Ondes Martenot und 6 Schlaginstrumente (1934)
  • Density 21.5 für Flöte solo (1936)
  • Espace für gemischten Chor und Orchester (unvollendet, ca. 1929-1940)
  • Etude pour Espace für Chor, zwei Klaviere und Schlaginstrumente (nicht veröffentlicht; 1947)
  • Déserts für Bläser, Klavier, Schlaginstrumente und Tonband (1954)
  • La procession de Vergès. Tonbandkomposition für einen Film von Thomas Bouchard Around and about Joan Mirò (1955)
  • Poème électronique für Tonband (elektronische Komposition für Le Corbusiers Pavillon für die Firma Philips auf der Weltausstellung in Brüssel 1958)
  • Nocturnal nach dem Roman The House of the Incest von Anaïs Nin für Sänger und Kammerorchester (vorläufige Fassung, 1961)
  • Nuit (oder Nocturnal II) nach einem Gedicht von Henri Michaux für Sopran, Bläser, Kontrabass und Schlagzeug (unvollendet)

Fast alle Werke aus der Frühphase vor der Übersiedlung in die USA 1915 gelten als vom Komponisten vernichtet oder als verloren gegangen, darunter

  • Trois pièces pour orchestre. Drei Orchesterstücke (1905)
  • Chansons avec orchestre. Orchesterlieder (1905)
  • Le fils des étoiles. Oper (1905)
  • Poème des Brumes für Orchester (1905)
  • Chanson des jeunes hommes für Orchester (1905)
  • Prélude à la fin d'un jour. Sinfonie für großes Orchester, inspiriert durch ein Gedicht von Léon Deubel (1905)
  • Rhapsodie romane für Orchester (1906)
  • Apothéose de l'océan für großes Orchester (1906)
  • Le délire de Clytemnestre. Tragische Sinfonie nach einem Text von Ricciotto Canudo (1907)
  • Bourgogne (dt. Burgund). Sinfonische Dichtung für großes Orchester (1908)
  • Gargantua. Sinfonische Dichtung für großes Orchester (unvollendet; 1909)
  • Mehr Licht für Orchester (1911)
  • Les cycles du nord für Orchester (1912)
  • Ödipus und die Sphinx, Oper nach Hugo von Hofmannsthal (1908-14)

Literatur

  • Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hg.): Edgard Varèse - Rückblick auf die Zukunft. Band 6 aus der Reihe Musik-Konzepte, 2. Auflage, Edition Text + Kritik, München 1983 ISBN 3-88377-150-3
  • Helga de la Motte-Haber: Die Musik von Edgard Varèse - Studien zu seinen nach 1918 entstandenen Werken, Wolke Verlag, Hofheim 1993 ISBN 3-923997-56-6
  • Dieter A. Nanz: Edgard Varèse. Die Orchesterwerke. Lukas Verlag, Berlin 2003 ISBN 3931836908
  • Louise Varèse: Varèse: A Looking-Glass Diary. Norton Publishing Co., New York 1972 ISBN 0393074617 -- Biografie, geschrieben von Varèses zweiter Frau

Einspielungen (Auswahl)