Zum Inhalt springen

Inflektiv

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 24. März 2007 um 00:10 Uhr durch WalterSpiegel (Diskussion | Beiträge) (Weblinks). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Ein Inflektiv ist eine infinite und unflektierte Verbform, die im Deutschen in Analogie zum Grundwort des englischen Infinitivs als deverbale Reduktion durch Weglassen der deutschen Infinitivendungen -n oder -en gebildet wird (seufz, gähn). Im Englischen entspricht dem das Grundwort des Infinitivs ohne "to" (sigh, cough), das auch als Nominalstamm gedeutet werden kann. Äußerungen im Inflektiv sind eine Sonderform der Interjektion und werden wie diese syntaktisch unverbunden als satzwertige Äußerung verwendet. Die Verben, aus denen sie geformt werden, bezeichnen Lautäußerungen oder Geräusche (quietsch, stotter) oder mimische oder andere Gesten oder Handlungen (grins, kopfkratz, brems!), die als vom Sprecher oder speziell im Comic auch von den Tieren oder Dingen, denen sie zugeschrieben werden, ausgeführt vorgestellt werden sollen.

Abgrenzung zu Interjektion und Onomatopoesie

Im Unterschied zu Interjektionen und Onomatopoetika im jeweils engeren Sinn, die beide per definitionem in ihrer Form nicht veränderbar (unkonjugierbar und undeklinierbar) sind und keiner anderen Wortart angehören, sind Äußerungen im Inflektiv nach einem festen morphologischen Muster aus bestehenden Verben gebildet, die jedoch ihrerseits lautmalenden Charakter haben können, nämlich aus echten Onomatopoetika abgeleitet sein, oder als umschreibende Onomatopoetika einen mit einem Laut assoziierbaren Vorgang bezeichnen können, wobei der lautmalende Charakter auch durch besondere reduplizierende Graphien betont oder hinzugefügt werden kann (quiiietsch, bremssss!).

Geschichte und Entwicklung

Inflektive wurden im Deutschen eingeführt durch die Übersetzungen englischer Comics seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Besonders Erika Fuchs, die deutsche Übersetzerin der Donald-Duck-Comics, hat seit den 1950er Jahren zahlreiche neue Interjektionen wie seufz, ächz oder saus geprägt, weshalb der Inflektiv gelegentlich auch scherzhaft als Erikativ bezeichnet wird. Der grammatische Terminus Inflektiv wurde 1998 von Oliver Teuber eingeführt.

Der Inflektiv fand aus dem Comic Eingang in die Jugendsprache und entwickelte sich mit dem Aufkommen des Internet in der Sprache der Chatrooms zu einem Massenphänomen, das sich als Netzjargon seither auch auf andere Kommunikationsformen wie E-Mail und SMS ausgewirkt hat. Im Verlauf dieser Entwicklung wurden im deutschsprachigen Chat auch komplexe mehrgliedrige Interjektionen im Inflektiv üblich, die außer der inflektiven Verbform auch andere Satzglieder (mit Ausnahme des grammatischen Subjekts) anschließen und hierbei die für Infinitivphrasen typische Schlussstellung der Verbform beibehalten, z. B. *sichwegduck*, *lieb-anlächel* oder *in die Tischkante beiß*.

Darstellung und Markierung

In Comics erscheinen Inflektive in einer Sprechblase oder Beischrift zur abgebildeten Figur oder Sache. In gesprochener Sprache können sie durch Stimmwechsel, besondere Intonation und begleitende Mimik oder Gestik markiert werden. Im Chat wird der Inflektiv schriftlich markiert durch einschließende Sternchen oder spitze Klammern (z. B. *treuherzigblick*). Vergleichsweise selten ist die ironische Markierung durch nachgeahmte Elemente aus XML/HTML oder Programmiersprachen, z. B. <zustimmungsuch>ist doch wahr</zustimmungsuch> oder ZUSTIMMUNGSUCH ist doch wahr END OF ZUSTIMMUNGSUCH.

Äußerungen im Inflektiv sind zu unterscheiden von eingeschobenen sprecherbezogenen Äußerungen in der dritten Person, die der Funktion nach den Regieanweisungen in Bühnentexten entsprechen und in Chat-Foren und Rollenspielen im Internet ähnlich wie Inflektive markiert mit Sternchen oder spitzen Klammern eingesetzt werden (*blickt treuherzig*, *Nick1 knuddelt Nick2*). Vom Inflektiv können solche meta-kontextuellen Parenthesen aber beeinflusst sein, wenn darin das flektierte – also nicht inflektive – Verb sprachwidrig in der für den Inflektiv typischen Schlußstellung erscheint (*Nick1 Nick2 knuddelt*). Sie sind außerdem zu unterscheiden von durch Sternchen markierten syntaktisch eingebundenen Gliedern (Wörtern, Phrasen) einer Äußerung, bei denen diese Art der Hervorhebung ähnlich wie Schreibung mit Großbuchstaben der Emphase dient (ich bin *nicht* interessiert, ich bin NICHT interessiert).

Für komplexe mehrgliedrige Inflektive sind verschiedene Schreibweisen üblich:

  • Getrenntschreibung: in den See spring
  • Einfache Zusammenschreibung: indenseespring
  • Zusammenschreibung mit Binnenmajuskel: InDenSeeSpring
  • Gemischte Getrennt- und Zusammenschreibung: indenSee spring
  • Getrenntschreibung mit Unterstrich: in_den_See_spring
  • Getrenntschreibung mit Bindestrich: in-den-See-spring

Siehe auch

Literatur

  • Oliver Teuber: fasel beschreib erwähn - Der Inflektiv als Wortform des Deutschen. In: Germanistische Linguistik 141-142 (1998), S. 7-26
  • Peter Schlobinski: *knuddel - zurueckknuddel - dich ganzdollknuddel*. Inflektive und Inflektivkonstruktionen im Deutschen. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik, 29.2 (2001), S. 192-218