Gift
Als Gift (althochdeutsch Gabe) oder auch Giftstoff bezeichnet man einen Stoff, der Lebewesen über ihre Stoffwechselvorgänge Schaden zufügen kann. Ein für den Menschen allgemein in der Natur wirksamer, giftiger Stoff wird dagegen Umweltgift genannt.
Die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Erforschung von Giften, ihrer Wirkung und deren Behandlung beschäftigt, ist die Toxikologie. Sie befasst sich mit giftigen Substanzen, Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen, mit den physiologischen Mechanismen der Giftwirkung und deren quantitativen Aspekten.
Der durch ein Gift angerichtete Schaden kann in vorübergehender Beeinträchtigung, dauerhafter Schädigung oder Tod bestehen. Bei anhaltender schädigender Gifteinwirkung spricht man von chronischer Vergiftung, bei einer Gifteinwirkung, die umgehend zu einer Schädigung führt, von einer akuten Vergiftung.
Als Gefahrstoff sind Gifte eingeteilt in sehr giftig und giftig sowie gesundheitsschädlich (früher mindergiftig).

Begriffsklärung
Allgemein ist die nicht einfache Unterscheidung in Schadstoff und Giftstoff gegeben.
Von Lebewesen ausgeschiedene Giftstoffe oder Abfallprodukte werden als Toxine bezeichnet.
Viren und Bakterien sind als Krankheitserreger selbst nicht giftig. Ihre Ausscheidungsprodukte zeigen dagegen sehr oft toxische Wirkung und rufen das für Vergiftungen typische Krankheitsbild hervor. Inaktivierte Formen dieser Toxine, die sogenannten Toxoide, werden bei Impfungen verwendet, welche ihre Gefährlichkeit verloren haben, aber noch eine Immunantwort auslösen können.
Ebenso gelten Substanzen oder Gegenstände, die ein Lebewesen ausschließlich mechanisch oder über Strahlung schädigen, nicht als Gift.
Toxizität (Giftigkeit)
Die Verträglichkeit einer Substanz ist für viele Lebewesen oder Gruppen von Lebewesen unterschiedlich.
In Landwirtschaft und Industrie werden Giftstoffe als Pestizide zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt, insbesondere pflanzenschädigende Substanzen als Herbizide, insektenschädigende Substanzen als Insektizide sowie Fungizide gegen schädliche Pilze.
Grundsätzlich können alle dem Organismus zugeführten Stoffe oberhalb einer gewissen Dosis Schaden anrichten. Dies gilt sogar für unverzichtbare Substanzen wie Vitamine, Salz, Nährstoffe und Wasser. Paracelsus (1493-1541 prägte daher schon früh den auch heute noch gültigen Grundsatz:
Die Toxizität, also das Ausmaß der Giftwirkung eines Toxins in Abhängigkeit von der Dosis, wird von vielen Faktoren bestimmt, die unter anderem bei der Pharmazeutischen Technologie (Galenik, Herstellung von Arzneistoffen) und bei der Form der Verabreichung beachtet werden müssen.
Schnell toxisch wirken vor allem Substanzen mit guter Löslichkeit in Körperflüssigkeiten. Dies gilt insbesondere bei oraler Aufnahme durch die Einwirkung des Speichels. Da der Körper verschiedene Toxine abzubauen vermag, ist auch der zeitliche Verlauf der Aufnahme (akut, subakut, chronisch), sowie die Wirkung der Umgebungstemperatur auf die Geschwindigkeit der Stoffwechselvorgänge wichtig bei der Beurteilung der Giftigkeit.
Ebenso ist die körperliche Verfassung eines Lebewesens von großer Bedeutung. Bei Menschen und allgemein Säugetieren ist dabei vor allem der Gesundheitszustand, insbesondere der Zustand des Immunsystems, das Geschlecht, Alter, Körpergewicht und eine mögliche Toleranz durch frühere Gaben des Toxins von Bedeutung. Insekten wie beispielsweise Läuse zeigen dagegen oft eine höhere Immunität gegenüber Giftstoffen.
Um dennoch die Giftigkeit (Toxizität) von Toxinen miteinander vergleichen zu können, müssen Tierversuche unter standardisierten Bedingungen herangezogen werden. Die häufig angegebene LD50 zum Beispiel gibt an, welche Stoffmenge, bezogen auf das Körpergewicht, bei der Hälfte einer Versuchstierpopulation zum Tod führt. Dabei steht LD für letale Dosis.
Das tödlichste bekannte Gift ist das Botulinumtoxin, welches unter anderem in verdorbenen Fleisch- und Fischkonserven oder in Käse vorkommen kann.
Die Wirkung toxischer Substanzen lassen sich teilweise durch natürliche oder künstlich hergestellte Gegengifte aufheben oder zumindest unter die tödliche Dosis abmildern.
Giftwirkung für den Menschen
Gifte greifen an unterschiedlichen Rezeptoren im Organismus an. Häufig betroffene Organe bei akuten Vergiftungen sind die Leber (Hepatotoxine, zum Beispiel durch Paracetamol), die Niere (Nephrotoxine) und Gehirn und Nerven (Neurotoxine, zum Beispiel Senfgas und andere Kampfstoffe (VX, Sarin, Agent Red). Viele Gifte greifen in die innere Atmung ein, so zum Beispiel Nitrite und Kohlenstoffmonooxid, die das Hämoglobin blockieren, oder Kaliumcyanid (Cyankali), das die Sauerstoffaufnahme im Gewebe behindert.
Beispiele unterschiedlicher Giftwirkung
- Gift-"Cocktails", wie sie manchmal mit Mord- oder Suizidabsicht zusammengestellt werden, sind meist "giftiger" als die Summe der Einzelsubstanzen ("Potenzierung"). Dies gilt auch für die Kombination subtoxischer Mengen von Umweltgiften, die zusammen sehr wohl schädigend wirken können.
- Metallisches Quecksilber ist beim Verschlucken weniger giftig als bei der Inhalation der Dämpfe.
- Eine Dosis Ethanol, die im Laufe eines Abends (also subakut) in Form von Bier eingenommen und vertragen wird, kann bei akuter Zufuhr als Schnaps zu ausgeprägteren und eventuell gefährlichen Vergiftungserscheinungen führen.
- Die Einnahme von 10 Litern Wasser auf einmal (destilliert oder nicht) kann für einen Erwachsenen tödlich sein. Es kommt zur Hyponatriämie (Unterversorgung mit Natriums durch osmotischen Entzug).
- Reine Sauerstoffatmosphäre ist akut schädlich und kann für Neugeborene tödlich sein.
- Ein durch Krankheit vorgeschädigter Organismus reagiert empfindlicher auf Gifte als der eines Gesunden.
- Eine Dosis Digitoxin, die bei einem Erwachsenen therapeutisch wirkt, kann für ein Kind oder einen älteren Menschen tödlich sein
- Alkohol ist für Menschen mit verminderter Alkoholdehydrogenase und veränderter Alkoholdehydrogenase in wesentlich geringerer Dosis tödlich (typischerweise Ostasiaten).
- Das Theobromin der Schokolade (bzw. des Kakao), das für den Haushund ziemlich giftig ist.
- Wiederholte Giftzufuhr führt bei vielen Substanzen zur Toleranzentwicklung. So gab es früher Arsenikesser, die zum Teil das Mehrfache einer gewöhnlich akut tödlichen Dosis von Arsenik (As2O3) ohne (akute) Beeinträchtigung zu sich nahmen um sich gegen Giftanschläge zu schützen. Ein näherliegendes Beispiel ist Heroin (ein Opioid), gegen das der Mensch ausgeprägte Toleranz entwickelt.
- Weisser Germer, eine für die meisten Säugetiere hochgiftige Pflanze, die von Rothirschen in der Brunft verzehrt wird.
- Vergiftungen mit Schlafmitteln führen zum Teil über Störungen der Temperaturregulation mit Auskühlen des Organismus zum Tod. Wenn der Auskühlung entgegengewirkt wird (Bettdecke, Heizung), wird eine Überdosis unter Umständen vertragen, die im Freien tödlich gewesen wäre.
Einteilung von Giften
Giftstoff als Gefahrstoff
Während allgemein giftige Schadstoffe als umweltgefährlich (N) eingestuft werden, werden Stoffe nach der Wirkung auf den Menschen als Gefahrstoff in sehr giftig T+ (umgangssprachlich „hochgiftig“), giftig T sowie gesundheitsschädlich (Xn) (veraltet „mindergiftig“) eingestuft.
[1] | Gefahrenbezeichnung | Einstufung | Beispiele | |
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T+ | sehr giftig | wenn sie in sehr geringer Menge bei Einatmen, Verschlucken oder Aufnahme über die Haut zum Tode führen oder akute oder chronische Gesundheitsschäden verursachen können | Heroin, Nikotin |
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T | giftig | wenn sie in geringer Menge beim Einatmen, Verschlucken oder Aufnahme über die Haut zum Tode führen oder akute oder chronische Gesundheitsschäden verursachen können | Methanol, Tetrachlormethan |
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Xn | gesundheitsschädlich | wenn sie bei Einatmen, Verschlucken oder Aufnahme über die Haut akute oder chronische Gesundheitsschäden verursachen können | Kaliumchlorat |
Die Regelungen sind EU-weit konform. Nach dem schweizerischen Giftgesetz erfolgte die Einteilung in Giftklassen, seit 2005 gelten aber auch die EU-Gefahrensymbole.
Als Gefahrgut im Transport, die auf der Straße durch das ADR geregelt wird, haben Giftstoffe die Gefahrgutklasse 6.1 – Giftige Stoffe oder 2.3 – Gase (giftig) und eine Nummer zur Kennzeichnung der Gefahr (Kemler-Zahl) 6.
Gefahrgutklasse | Einstufung | Beispiele | ||
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Klasse 6.1 | Giftige Stoffe | Stoffe, von denen aus Erfahrung bekannt oder nach tierexperimentellen Untersuchungen anzunehmen ist, dass sie nach dem Einatmen, Verschlucken oder Berühren mit der Haut bei einmaliger oder kurzer Einwirkung in relativ kleiner Menge zu Gesundheitsschäden oder dem Tod eines Menschen führen können. | Cyanwasserstoff (Blausäure), Arsen, Pestizide |
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Klasse 2.3 | Gase (giftig) | Gase, a) die dafür bekannt sind, so giftig und ätzend in bezug auf den Menschen zu sein, daß sie eine Gefahr für die Gesundheit darstellen, oder |
Propangas, Wasserstoff, Haarspray, Acetylen |
Quelle: ADR 2007, chapter 2.2 class specific provisions
Juristische Definition
Nach herrschender Ansicht ist ein Gift jeder organische oder anorganische Stoff, der nach seiner Art, der beigebrachten Menge, der Form der Beibringung und der Körperbeschaffenheit des Opfers durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit zu beschädigen geeignet ist.
- Beigebracht ist ein Gift dann, wenn eine Körper-Stoff-Beziehung hergestellt wurde.
Der Gesetzgeber bezieht sich dabei ausdrücklich auf die Klassifikation als Gefahrstoff (etwa § 3 Abs. 1 Z 6 und 7 ChemG 1996, Österreich), wobei ausdrücklich auch die als gesundheitsschädlich bezeichneten Stoffe miteinbezogen sind (etwa § 35 Z 1 ChemG 1996)
Das Beibringen von Gift wird (in Deutschland nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB) als gefährliche Körperverletzung bestraft.
Pharmazeutische Einteilung
Beispiele einzelner Gifte des Menschen
- Pflanzliche Gifte
- Nikotin (Tabakpflanze); Taxane (Eiben); Digitoxin (Fingerhut); Strychnin (Brechnuss); Coniin (Schierling); Aconitin (Eisenhut); Tropan-Alkaloide (Tollkirsche, Stechapfel, Engelstrompete, Bilsenkraut); Rizin (Rizinus); Curare; Colchicin (Herbstzeitlosen)
- Pilz- und Bakteriengifte
- Acromelalga; Amatoxine (Knollenblätterpilz); Botulinustoxin (Clostridium botulinum); Exotoxin A (Pseudomonas aeruginosa); Shiga-Toxin (Shigella dysenteriae); Vero-Toxin (Escherichia coli); Mykotoxine (Schimmelpilze)
- Tierische Gifte
- Schlangengift; Bienengift; Hornissengift; Gifte der Skorpione; Spinnengift; Fischgift (Kugelfische ); Gifte wirbelloser Meerestiere (Seewespe, Blaugeringelten Kraken); Pfeilgift (Pfeilgiftfrosch u.a.); Amphibiengifte; Gift der männlichen Schnabeltiere
- Andere Gifte
- Alkohol; Ammoniak; Arsenik; Beryllium; Cyanwasserstoff; DDT; Parathion; Kaliumcyanid (Cyankali); Kohlenstoffmonooxid; Schwefelwasserstoff; die meisten Schwermetalle, z. B. Arsen oder Plutonium; Phosphin; einige Phenole; Methanol
Giftigkeit ausgewählter Substanzen LD50
Substanz | Herkunft | Tödliche Dosis*) |
---|---|---|
Botulinumtoxin | bact. | 0,0000021 1) |
Tetanustoxin | bact. | 0,000007 1) |
Ricin | pflanzl. | 0,0014 1) |
Diphtherietoxin | bact. | 0,021 1) |
Dioxin, TCDD | chem. | 0,07 1) |
Tetrodotoxin | Fisch | 0,7 1) |
Saxitoxin | Muschel | 1,4 1) |
Plutonium | Element | ~20 |
Bufotoxin | Frosch | 27,3 1) |
Curarin | pflanzl. | 35 1) |
Heroin | halbsynth. | 50 1) |
Sarin | chem. Kampfstoff | 53 1) |
Nikotin | pflanzl./Alkaloid | 70 1) |
Hyoscyamin (Tollkirsche) | pflanzl. | 100 |
Fentanyl | synth. | 217 |
Cyankali | chem. | 250 1) |
Morphin | Alkaloid | 300 |
Arsenik | mineral. | ca. 700-1.400 |
Paracetamol | med. | 3.000 |
Phenobarbital | med. | 7.000 1) |
Ethanol (Alkohol) | biosynth. | 179.900 1) |
- *) in Milligramm pro Mensch (70 kg)
- Es muss beachtet werden, dass bei der tödlichen Dosis LD50 die Hälfte der Versuchstierpopulation stirbt. Das bedeutet, dass die ersten Tiere schon an einer geringeren Dosis sterben können.
Quellen:
- 1) Forth, Henschler, Rummel: Pharmakologie und Toxikologie. Erweitert von: W.H.Hopff. B.I.W.- Verlag, Mannheim 1992.1996S. 749 (6. Auflage). ISBN 343742520X
- übrige Quellen gemäß entsprechendem Wikipedia-Artikel
Berühmte Vergiftungsfälle
- Sokrates starb durch einen Schierlingsbecher.
- Kleopatra ließ sich der Sage zufolge zwecks Selbsttötung von einer Kobra beißen, um der Gefangennahme durch Octavian zu entgehen.
- Ludwig van Beethoven litt fast sein ganzes Leben an Bleivergiftung, an der er auch starb.
- Eva Hitler vergiftete sich am 30. April 1945 durch das Zerbeißen einer Zyankaliampulle.
- Am 1. Mai 1945 gegen 22 Uhr töteten sich Joseph Goebbels und seine Frau Magda mit Blausäure.
- Hermann Göring beging 1946 vor seiner Hinrichtung mit einer Zyankalikapsel Selbstmord.
- Der bulgarische Journalist und Dissident Georgi Markow wurde 1978 in London vermutlich von Geheimdienstagenten auf offener Straße mit einem Regenschirm angegriffen und in den Oberschenkel gestochen. Durch die Spitze des Schirms wurde eine Platin/Iridium-Kugel (Durchmesser 2mm), die mit Rizin präpariert worden war, durch einen Federmechanismus in den Oberschenkel "geschossen". Markov starb einige Tage später im Krankenhaus an den Folgen des Giftes.
- Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko, der seit September 2004 an einer lebensgefährlichen Krankheit leidet, wurde mit Dioxin vergiftet.
Nicht bestätigte, populäre Vergiftungsfälle
- Wolfgang Amadeus Mozart ging selbst davon aus, vergiftet worden zu sein. Diese These tauchte immer wieder auf. Seine Todesursache ist jedoch nicht geklärt.
- Von Napoléon Bonaparte wurde lange behauptet, er sei an einer Arsenvergiftung gestorben. Es wurden auch zahlreiche Theorien dazu aufgestellt. Napoleon starb jedoch an Magenkrebs.
Quellen
Literatur
- Weilemann / Kelbel / Reinecke / Ritter-Weilemann: Giftberatung Pflanzen. 2000 ISBN 3-7741-0812-9
- Oliver Sauer, Sacha Weilemann: Drogen – Eigenschaften, Wirkungen, Intoxikationen. ISBN 3-87706-601-1
- L.S. Weilemann, H.J. Reinecke: Notfallmanual Vergiftungen. 1996 ISBN 3-13-102591-3
- Thomas Börner: Die Toxine der Cyanobakterien: Neue bioaktive Verbindungen. Biologie in unserer Zeit 31(2), S. 108 - 115 (2001), ISSN 0045-205X
- Dietrich Mebs: Herkunft eines Froschtoxins. Naturwissenschaftliche Rundschau 59(5), S. 263 - 264 (2006), ISSN 0028-1050
Weblinks
- Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz, International Chemical Safety Cards (ICSC) - Deutsche Version
- Giftinfo.de, Beratungsstelle bei Vergiftungen - Antidotarium
- Kontaktgiftige Pflanzen der Welt
- Schweizerisches Toxikologisches Informationszentrum
Spezielles:
- Welt.de, Die Rezepte der Giftköche, mit Links zum Fall Litwinenko, einer Polonium-Vergiftung im Herbst 2006
- zu Pflanzengiften: siehe dort