Merseburger Zaubersprüche
Die Merseburger Zaubersprüche heißen so nach dem Ort ihrer Überlieferung: Sie wurden 1841 in der Bibliothek des Domkapitels Merseburg in einer theologischen Handschrift des 9./10. Jahrhunderts gefunden. (Handschrift: Merseburg Domkapitel Cod.136 S.85a)
Die zwei Zauberformeln sind die einzigen erhaltenen Zeugen germanisch-heidnischer Religiosität in althochdeutscher Sprache.
Form
Beide Sprüche sind zweigliedrig. Einem episch-erzählenden Einleitungsteil, der ein früheres Ereignis schildert, folgt die eigentliche magische Beschwörung in Form eines Analogiezaubers (So wie damals ... so soll auch jetzt ...). In der Form ihrer Verse stellen die Zaubersprüche ein Übergangswerk dar - die Langzeilen zeigen teils Stabreime, teils schon den Endreim, der in der christlichen Dichtung des 9. Jhs. erfunden wurde.
Geschichte
In der vorschriftlichen, heidnischen germanischen Frühzeit dienten Zaubersprüche dazu, „durch die Macht des gebundenen Wortes die magischen Kräfte, die sich der Mensch dienstbar machen will, nutzbar zu machen“ (Quelle 1). Zaubersprüche sind, speziell aus dem germanischen Sprachraum, in großer Zahl überliefert. Alle diese Sprüche stammen aber aus dem Mittelalter und sind daher christlich geprägt bzw. beeinflusst. Das Einzigartige an den Merseburger Zaubersprüchen ist, dass sie ihren vorchristlichen Ursprung (vor 750 n. Chr.) noch sehr rein reflektieren. Sie wurden im 10. Jh. von einem schriftkundigen Kleriker, vielleicht noch im Kloster Fulda, auf eine freigebliebene Seite eines liturgischen Buches eingetragen - zu welchem Zweck, ist unbekannt. So wurden uns die Zaubersprüche in karolingischer Minuskel auf dem Vorsatzblatt eines lateinischen Sakramentars überliefert.
Berühmt wurden die Zaubersprüche in der Neuzeit durch die Bewertung der Brüder Grimm, die wie folgt heißt:
„Gelegen zwischen Leipzig, Halle, Jena ist die reichhaltige Bibliothek des Domkapitels zu
Merseburg von Gelehrten oft besucht und genutzt worden. Alle sind an einem Codex
vorbeigegangen, der ihnen, falls sie ihn näher zur Hand nahmen, nur bekannte kirchliche
Stücke zu gewähren schien, jetzt aber, nach seinem ganzen Inhalt gewürdigt, ein Kleinod
bilden wird, welchem die berühmtesten Bibliotheken nichts an die Seite zu setzen haben...“
Später wurden die Zaubersprüche dann von den Brüdern Grimm in der Ausgabe "Über zwei entdeckte Gedichte aus der Zeit des deutschen Heldenthums" veröffentlicht (1842) und werden jetzt in der Merseburger Domstiftsbibliothek aufbewahrt.
Spruch 1 - Befreiung von Gefangenen
Der erste Zauberspruch ist eine Art „Lösesegen“. Er beschreibt, wie eine Anzahl „Idisen“ (walkürenartige Frauen) auf dem Schlachtfeld gefangene Krieger von ihren Fesseln befreit. Den eigentlichen „magischen“ Spruch stellt die letzte Zeile mit „Entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden!“ dar, der die Krieger erlösen soll.
Eiris sazun idisi |
Einst saßen Frauen (vgl. Disen) , |
Spruch 2 - Pferdeheilung
Balder (auch Phol) und Wotan reiten durch den Wald (holza), wobei sich Baldurs Pferd den Fuß verrenkt. Wotans Spruch daraufhin: "Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien". So zeigen Darstellungen aus dem 5./6. Jahrhundert Wotan beim Heilen eines Pferdes. Leider können die anderen (Götter-)Namen nicht eindeutig identifiziert werden. Klar ist nur „Uuôdan“ (Wodan, Wotan, Odin) und „Frîia“ (Freya, seine Gemahlin). Bei den anderen Namen ist nicht einmal sicher, ob es wirklich Namen von Göttern sind, da verschiedene Interpretationen ihrer Übersetzung zu finden sind.
Phol ende uuodan sose benrenki, |
Phol und Wodan Sei es Knochenrenke, |
Erklärungen
- walkürenartige Frauen: Walküren (altnordisch "diejenigen, die bestimmen, wer auf dem Kampfplatz fallen soll"), in der germanischen Mythologie die Botinnen des obersten Gottes Wotan (Odin), die über die Schlachtfelder reiten, die gefallenen Einherierer durch ihren Kuß zu ewigem Leben erwecken und sie nach Asgard entrücken. Eventuell identisch mit den Disen, weibliche Gottheiten aus der nordischen Mythologie. Eine Dise altnordisch dís / dísir, altschwedisch dis ist eine Art weibliche Fruchtbarkeitsgottheit, eventuell mit den angelsächsischen Idisi verwandt.
- Balder: Aus der nordischen Mythologie der Gott des Lichtes
- Wotan: Der germanische Gott Wotan entspricht weitgehend dem nordischen Odin und wurde vor allem in den südlicheren Gefilden Germaniens verehrt.
In der Musik
Viele Gruppen und Interpreten wurden immer wieder von den Merseburger Zaubersprüchen inspiriert und brachten sie vertont heraus. Die schon "klassisch" gewordene Vertonung des ersten Spruchs stammt von der Gruppe Ougenweide; sie ist eine freie Erfindung und auf keinerlei echte Überlieferung gestützt. Die Gruppe „In Extremo“, die durch ihren Song „Küss mich“ auch 2003 in den Charts waren, brachten den ersten Zauberspruch in ihrem Album „Verehrt und angespien“ im Jahre 1999 heraus und publizierten den zweiten Zauberspruch dann in ihrem Album „Sünder ohne Zügel“ im Jahre 2001. In dem gleichen Jahr tauchten sie dann auch bei dem Projekt „Helium Vola“ in einem ganz anderen Zusammenhang auf. Die Band Corvus Corax hat diese Zaubersprüche auf dem Album „Ante Casu Peccati“ in Liedform bearbeitet. Ebenso existert eine Bearbeitung von der Gruppe Tanzwut auf dem Album „Tanzwut“. Keine dieser Interpretationen basiert auf mittelalterlichen Melodien.
Aktuell
Die Merseburger Zaubersprüche sind zur Zeit (noch bis 14. November 2004) im Rahmen der Ausstellung "Zwischen Kathedrale und Welt - 1000 Jahre Domkapitel Merseburg" im Dom zu Merseburg zu sehen. Nach der letzten Ausstellung 1939 sind sie in diesem Jahr noch ein letztes Mal zu bewundern, danach werden sie für immer hinter Tresortüren verschwinden.
Quellen
Rudolf Simek, Lexikon der germanischen Mythologie, 2. Auflage 1995
http://www.darkweb.de/mystik/merseburger_zaubersprueche1.html (Übersetzungen & Info)
http://www.mysterium-scribendi.de/merse.html (Infos)
http://www.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/08Jh/Merseburg/mer_intr.html (Infos)