Dignitas (Verein)
Dignitas ist ein Schweizer Verein mit Sitz in Forch, Kanton Zürich, der sich für Sterbehilfe einsetzt und Freitodbegleitungen anbietet. Er wurde am 17. Mai 1998 von dem heute 74-jährigen Journalisten und Anwalt Ludwig A. Minelli gegründet.
Mitgliedschaft
Mitglieder erhalten – bei einer einmaligen Eintrittsgebühr von CHF 100 und einem jährlichen Mitgliederbeitrag von mindestens CHF 50 – Unterstützung bei der Durchsetzung von Patientenverfügungen und Hilfe bei anderen Konflikten mit Behörden, Ärzten oder Heimleitungen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, im Falle einer schweren Erkrankung und somit starken Beeinträchtigung der Lebensqualität eine Suizidbegleitung in der Schweiz in Anspruch zu nehmen. Für eine Sterbebegleitung stellt Dignitas Sondermitgliedergebühren in Rechnung: bei Schweizern ergibt das laut Minelli einen Betrag von CHF 2.000–3.000, bei Ausländern von etwa € 3.500.[1]
Bei Durchsicht der Statuten [1] fällt auf, dass der Gründer, Ludwig A. Minelli, als sogenannter „Generalsekretär“ – d. h. Vereinspräsident und Geschäftsleiter in einer Person – allein über alle Mitgliederaufnahmen entscheiden und auch Mitglieder definitiv wieder ausschließen kann.
Dignitas hat gegen 6.000 Mitglieder (2006) aus 52 Ländern. Rund 1.000 davon haben ihren Wohnsitz in der Schweiz, etwa 1.600 in Deutschland und 600 in Großbritannien.
Die deutsche Sektion: Dignitate
Die dem Schweizer Verein angeschlossene deutsche Sektion firmierte nach ihrer Gründung im September 2005 zunächst als Dignitas-Deutschland, wurde nach einer Klage der Deutschen Interessengemeinschaft für Verkehrsunfallopfer e.V. dignitas jedoch in Dignitate umbenannt. Als Reaktion auf die Ausdehnung von Dignitas auf Deutschland haben die Bundesländer Saarland, Hessen und Thüringen im Bundesrat einen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe gestellt werden soll.[2]
Ablauf einer Freitodbegleitung
Zuerst werden mit dem Mitglied – laut Dignitas – durch erfahrene und qualifizierte Mitarbeiter „eingehende Gespräche“ geführt, um abzuklären, ob der Sterbewunsch wirklich einzig dem erklärten Willen des urteilsfähigen Mitglieds entspricht.
Als nächstes muss ein Arzt – in der Regel der Hausarzt, sonst ein Vertrauensarzt von Dignitas – ein Rezept für das tödlich wirkende Mittel Pentobarbital ausstellen.
Ab dann kann ein Termin für die Suizidbegleitung vereinbart werden. Diese findet unter Anwesenheit von mindestens zwei Zeugen in einer der beiden von Dignitas eigens dafür gemieteten Wohnungen in Zürich statt. Dort ist zwecks juristischer Absicherung eine Kamera installiert.[3]
Weil in der Schweiz jeder Suizid juristisch als „außerordentlicher Todesfall“ gilt, wird nun die Polizei informiert. Diese untersucht in jedem Fall die genauen Todesumstände. Entscheidend für die Legalität einer Suizidhilfe ist das Fehlen „selbstsüchtiger Beweggründe“ (StGB, Art. 115) [2]; eine „normale finanzielle Entschädigung“ für die erbrachten Dienstleistungen allein kann diese nicht begründen.
Kritik
Dignitas polarisiert stark und beeinflusst die öffentliche Diskussion über die Sterbehilfe. Ihrem Gründer wird vorgeworfen, durch eine Verharmlosung des Suizids moralischen Druck auf schwerkranke Menschen auszuüben, die dann ihrem Leben ein Ende setzen, um nicht der Gesellschaft oder ihren Angehörigen zur Last zu fallen. Außerdem wird Dignitas immer wieder angelastet, psychisch kranke Menschen beim Suizid unterstützt zu haben; nach einem neuen Bundesgerichtsentscheid wäre das allerdings „unter Umständen“ – im Urteil ist von einem „vertieften psychiatrischen Fachgutachten“ die Rede – bei urteilsfähigen Personen im Sinne eines sog. „Bilanzsuizids“ nicht strafbar. Dignitas leistet im Gegensatz zu anderen Sterbehilfe-Organisationen auch Menschen aus dem Ausland Sterbehilfe, man spricht daher von Sterbetourismus.
Einige Bewohner und Anwohner des „Sterbehauses“ in Zürich haben sich 2006 gegenüber einer Journalistin des englischen Telegraph über die für sie untragbaren Zustände beklagt [3]; ein solches „Haus der Horrors“ wäre ihrer Ansicht nach in einem nobleren Quartier niemals geduldet.
Gegen Dignitas, die mit einem „sanften Hinübergleiten in den Tod“ wirbt, haben Zeugen in mehreren Fällen schwere Vorwürfe wegen eines langsamen und qualvollen Todes erhoben. Ein Schlaganfallpatient verstarb nicht binnen Minuten, sondern erst nach einem 72-stündigen Todeskampf und lag drei volle Tage im Krankenhaus. In einem weiteren Fall erstickte eine 43-jährige todeswillige Krebskranke, zwei Augenzeugen zufolge, erst nach 38 Minuten, während sie immer wieder schrie: «Ich verbrenne!»[4][5] Die Freitodbegleitung biete alles andere als einen „würdevollen Abschied“, meinte kürzlich der Sohn einer verstorbenen Engländerin. [6]
In der Sendung Rundschau des Schweizer Fernsehens vom 7. Februar 2007 [7] kritisierten Ex-Mitarbeiter von Dignitas die zu schnelle Vorgehensweise („Schnellabfertigung“), vor allem bei den Sterbewilligen aus dem Ausland, und warfen dem Gründer intransparente Geschäftsführung und finanzielle Eigeninteressen vor. In zwei Fällen soll – allerdings nicht von Dignitas-Mitarbeitern – aktive Sterbehilfe geleistet worden sein. In der Folgesendung vom 14. Februar kamen einerseits weitere Kritiker zu Wort; der Vertreter von Exit etwa meinte, Dignitas schade mit seinem Verhalten der Sache. Andererseits nahm Minelli selber zu den Vorwürfen Stellung; unter anderem verwies er darauf, dass rund 70 % der Sterbewilligen dank der Zusicherung, dass ein Arzt ihnen ein „Todesrezept“ ausstellen würde, sich wieder frei fühlten und die Kraft fänden weiterzuleben.
Laut Angaben von Minelli (im Rundschau-Gespräch vom 14. Februar) hat Dignitas bislang rund 700 Menschen Suizid-Beihilfe geleistet.
Minelli hat in einem ausführlichen Interview mit der Weltwoche bereits 2004 zu vielen grundsätzlichen Fragen und Kritikpunkten Stellung genommen. [8]
Die Zeitschrift Beobachter berichtet in der Ausgabe vom 16. März 2007 über die strittigen Punkte, vor allem aus der Sicht einer ehemaligen Mitarbeiterin, und über die schleppende Behandlung der Strafanzeigen gegen Dignitas durch die Zürcher Staatsanwaltschaft. [9]
Siehe auch
- eine andere schweizer Sterbehilfeorganisation: Exit (Schweiz)
Quellen
- ↑ Interview vom 20. Juli 2006 in der WOZ
- ↑ Deutscher Bundesrat: Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung (pdf), 27. März 2006
- ↑ Urs Willmann: Dignitas ist ein diktatorischer Verein, Die Zeit, 27. Oktober 2005
- ↑ Langsame und qualvolle Sterbehilfe, 20 Minuten, 7. Januar 2007
- ↑ Reto Gerber: Sterbehilfe Dignitas: Todeskampf dauerte 72 Stunden, SonntagsZeitung (Zürich), 7. Januar 2006
- ↑ Vorwürfe gegen Dignitas, Tages-Anzeiger, 3. Februar 2007
- ↑ Archiv der Sendung Rundschau
- ↑ Leichen als Geiseln, aus Weltwoche Nr.22/04
- ↑ Artikel aus der Zeitschrift Beobachter