Pflegewissenschaft
Pflegewissenschaft ist der wissenschaftliche Rahmen für die Praxisdisziplinen der Pflege-Fachrichtungen. Zentrale Themen dieser noch jungen, aber aufstrebenden Wissenschaftsdisziplin, die in Deutschland und Österreich an vielen Hochschulen Studienfach ist, sind:
- das Erleben und Verhalten von Pflegenden und Gepflegten,
- die Interaktion zwischen Pflegenden und Gepflegten,
- die Wirkung von organisatorischen, gesellschaftlichen und ethischen Faktoren auf die Pflege.
In Abgrenzung oder Ergänzung zur Medizin wird ein ganzheitliches Menschenbild zugrundegelegt, in dem die Sichtweise und das Erleben der zu Pflegenden eine wichtige Rolle spielen. Die defizitorientierte und naturwissenschaftliche Sichtweise der Medizin wird durch die ressourcenorientierte und sozialwissenschaftliche Perspektive der Pflegewissenschaft ergänzt.
Neben theoretischen Reflexionen der Pflege steht die Überprüfung der Wirksamkeit von Pflegemaßnahmen im Mittelpunkt. Ausgehend von theoretischen Modellen (Pflegemodellen) werden in der Pflegeforschung sozialwissenschaftliche Methoden angewandt. Die Ergebnisse dienen unmittelbar der Qualitätsverbesserung. Forschungsleitend sind Fragestellung der Pflegepraxis, Forschungsergebnisse sollten auf diese zurückwirken. Pflegepraxis und Pflegewissenschaft sind damit sich wechselseitig beeinflussende Handlungsfelder der Pflege.
Im deutschsprachigen Raum ist die Pflegewissenschaft gegenüber dem angelsächsischen Raum noch immer unterentwickelt. Die Zahl der forschenden Personen ist nach wie vor gering. Es dominieren theoretische und metatheoretische Auseinandersetzungen zur Profession Pflege. Pflegewissenschaft wird an mehreren Fachhochschulen und Universitäten in Deutschland gelehrt. Pflegeforschung ist allerdings noch sehr selten (Das Fach ist nur an zwei Universitäten vertreten). Daneben gibt es einige wenige, zum Teil privatwirtschaftliche, Forschungsinstitute und Forschungsverbünde.
Als Voraussetzung für erfolgreiche Pflegewissenschaft müssen natürlich auch die sonst geltenden Prinzipien eingehalten sein: Wissenschaftsfreiheit, Zensurfreiheit, Offenlegung von Interessensgegensätzen bei Fördermitteln, ethische Verantwortlichkeit bei Experimenten.
Geschichte der Pflegewissenschaft
Erste pflegewissenschaftliche Orientierungen finden sich bereits im 19. Jahrhundert. So nutzte die englische Krankenschwester Florence Nightingale, die als die Pionierin der modernen Krankenpflege gilt, statistische Methoden zur Sammlung und Untersuchung von Daten aus und für die Pflege. Die Wurzeln der modernen Pflegewissenschaft liegen hingegen im amerikanischen Raum: Der erste Studiengang in den USA wird bereits auf das Jahr 1907 datiert. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges sorgte in den USA die von der Carnegie Foundation unterstützte Studie „Nurses for the future – The Brown Report“ für neuen Impulse, indem sie über die mangelhafte pflegerische Versorgung in den USA berichtete und ausdrücklich die Verweisung der Ausbildung an die Universitäten forderte. In der Folge entstanden viele neue Forschungsinstitute und Fachzeitschriften.
Von den USA ausgehend gelangte die Akademisierungs-Bewegung schließlich nach England und in die skandinavischen Länder. Erst in der Mitte der achtziger Jahre zeigten sich auch in Deutschland erste Bemühungen, Pflegewissenschaft an den Universitäten und Fachhochschulen zu etablieren. In der DDR war mit den Studiengängen in Halle/Wittenberg und an der Humboldt-Universität zu Berlin schon seit den 60er Jahren ein pflegebezogenes Studium möglich. Die Pflegewissenschaft wurde einerseits durch Personen etabliert, die entweder nach einem pflegerischen Beruf in den USA oder in England Pflegewissenschaften studierten oder, die aus anderen Disziplinen (Sozialwissenschaften, Soziologie, Psychologie, Pädagogik) Themen der Pflege wissenschaftlich fundiert aufgriffen.
Erste Festigungen im akademischen Bereich gab es 1987 mit der Besetzung des Lehrstuhls „Pflege- und Sozialwissenschaften“ an der Fachhochschule Osnabrück durch Ruth Schröck. 1988 erschien die wissenschaftliche Zeitschrift „Pflege“ (Huber Verlag, Bern) erstmalig im deutschsprachigen Raum.
Außerhalb der Fachhochschulen und Universitäten, waren die Absichten Pflegeforschung zu betreiben jedoch durch finanzielle Zwänge beschränkt. Um erstmals die Finanzierung kleiner und praxisbezogener Pflegestudien zu ermöglichen, wurde 1983 durch Renate Reimann die Agnes-Karll-Stiftung gegründet. Aus dieser Gruppe entstand dann die „Zentrale Arbeitsgruppe Pflegeforschung – ZAG“ des DBfK. Auch an anderen Orten taten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammen, um Forschung in der Pflege zu betreiben. Das Bekanntwerden der Pflegeforschung in Deutschland begann im Wesentlichen mit der Aufnahme pflegewissenschaftlicher Themen in die Bildungsarbeit, wie beispielsweise durch erste Seminare im Bildungszentrum Essen des DBfK ab 1984.
Trotz vielfältiger Studienabschlüsse und Promotionsmöglichkeiten sind im Bereich der Pflegewissenschaft auch noch heute im deutschsprachigen akademischen Betrieb viele Lehrstühle mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus anderen Wissenschaftsdisziplinen besetzt. Dies begründet sich zum einen aus der Tatsache, dass die Pflegewissenschaft noch eine sehr junge Disziplin ist, durch die im Vergleich zu anderen Disziplinen fehlende Nachwuchsförderung, durch die begrenzten Karrieremöglichkeiten innerhalb der „Pflegewissenschaft“ und der im Vergleich zu anderen Disziplinen fehlenden Forschungsintensität. Begrenzte strukturelle und finanzielle Möglichkeiten schränken die Handlungsmöglichkeiten in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten (Niederlande, England, Schottland) stark ein.
International bekannte deutschsprachige Pflegewissenschaftler/Pflegewissenschaftlerinnen
- Sabine Bartholomeyczik
- Theo Dassen
- Sabina DeGeest
- Georges Christoffel Maria Evers
- Liliane Juchli
- Sylvia Käppeli
- Monika Krohwinkel
- Ian Needham
- Doris Schaeffer
- Ruth Schröck
- Hilde Steppe
- Annemarie Kesselring
- Evelin Burns
- Christa Lohrmann
- Dorothea Orem
- Susanna Schaffer
- Dorothea Gross
Prominente nicht deutschsprachige Pflegewissenschaftler/Pflegewissenschaftlerinnen
- Virginia Henderson
- Dorothy Johnson
- Madeleine Leininger
- Myra Levine
- Florence Nightingale
- Ida Jean Orlando
- Martha Rogers
- Nancy Roper
- Callista Roy
- Jean Watson
Pflegeforschungsinstitute
- Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V., Köln
- Institut für angewandte Pflegeforschung, Universität Bremen
- Institut für Pflegewissenschaft, Universität Basel
- Institut für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke
- Institut- für Pflege- und Gesundheitswissenschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- Institut für Medizin-/Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft, Charité-Universitätsmedizin Berlin
- Institut für Pflegewissenschaft,TIROL UMIT- private Universität für Gesundheitswissenschaften,medizinische Informatik und Technik
- Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien
- Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften
- Universität Osnabrück, Fachbereich Humanwissenschaften
- Zentrum für Pflegeforschung und Beratung (ZePB), Bremen
- Institut für Pflegewissenschaft, Medizinische Universität Graz
Siehe auch
Literatur (Auswahl)
- Hermann Brandenburg, Stephan Dorschner (Hrsg.): Pflegewissenschaft 1. Lehr- und Arbeitsbuch zur Einführung in die Pflegewissenschaft. Huber, Bern 2001, ISBN 3-456-84161-2
- Nancy Burns, Susan K. Grove: Pflegeforschung verstehen und anwenden. Elsevier, München 2005, ISBN 3-437-25996-2
- Geri Lobiondo-Wood, Judith Haber: Pflegeforschung. Methoden, Bewertung, Anwendung. Elsevier, München 2005, ISBN 3-437-25936-9
- Hanna Mayer: Thema Pflegeforschung 2006. Facultas, Wien 2006, ISBN 3-85076-756-6