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Kontaktlinguistik

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Kontaktlinguistik ist die sprachwissenschaftliche Betrachtung von Sprachen und deren Sprechern, die miteinander in irgendeiner Form von sozialem Kontakt stehen .In einem umfassenderen disziplinären Kontext wäre ein Ansatz wünschenswert, welcher der besonderen Dynamik der mehrsprachigen bzw. mehrkulturigen Konfigurationen und den Verschränkungen des „magischen Dreiecks“ Sprache, Kultur und Identität explizit Rechnung trägt. Das wäre im Diskursrahmen einer interkulturellen(oder noch besser: transkulturellen) Linguistik aufgrund ihrer Konstitution und ihres Dispositivs möglich. Innerhalb dieses Denkrahmens wäre also auch die diskursive Spezialplattform Kontaktlinguistik anzusiedeln.

Gegenwärtige Tendenzen der Kontaktlinguistik

Zwei- und Mehrsprachigkeit

Die Untersuchung von Sprachen- und Kulturenkontakten und damit auch der Inter- bzw. ([Transkulturalität])ist im Falle der deutschen Sprache generell besonders interessant und wichtig, weil ja dieses Sprachgebiet die längste Sprachgrenze und die meisten Nachbarsprachen in Europa hat. Dadurch bietet sich eine Vielfalt an menschlichen Kontakten und damit auch an kulturellen und sprachlichen Berührungen. Außerdem finden seit jeher direkte Sprachenkontakte auch innerhalb des deutschen Sprachraums statt. Man denke nur an die Interaktionen mit den Sprachen der autochthonen Minderheiten (z.B. Sorbisch, Dänisch und Friesisch in Deutschland, Slowenisch, Kroatisch und Ungarisch in Österreich etc.) und neuerdings an die Koexistenz mit zahlreichen Migrantensprachen (Türkisch, Spanisch usw.). Dennoch wird Deutsch oftmals als eine „strukturell gegen Transfer resistente Sprache“ betrachtet; solche Hinweise findet man sogar im epochalen Werk von Weinreich.

Die Erforschung der Zwei- und Mehrsprachigkeit

Die Erforschung der Zwei- und Mehrsprachigkeit sowie der Sprachenkontakte stellt ab ovo ein inter- ,multi- bzw. transdisziplinäres Feld dar und kann für verschiedene Wissenschaftsbereiche Relevantes bieten. So besitzt sie etwa mit Blick auf Aspekte der sprachlichen Norm und der philologisch-linguistischen Terminologie erhebiche Bedeutung. Denn es gibt beispielsweise bis heute keinen Konsens über die Definition von Sprachnormen.Auch die sprachliche bzw. linguistische Terminologie gilt momentan allenfalls aus dem Blickwinkel der Einsprachigkeit als ausgearbeitet und einigermaßen angemessen – man denke nur daran, dass die fundierte Klärung selbst solcher grundlegenden Fragen noch aussteht, was denn im Falle von Bilingualen unter sog. ‚Muttersprache’ oder ‚Fremdsprache’ zu verstehen ist. Mit folgender Ansicht des ungarischen Ex-Kultusministers, Professor Andrásfalvy, kann man weder terminologisch noch inhaltlich einverstanden erklären: „Wie jeder nur eine Mutter hat, so hat jeder nur eine Muttersprache [...]“ In diesem Zusammenhang find man die neue Begrifflichkeit der Plansprache Esperanto viel günstiger. Sie hat den Ausdruck gepatra lingvo, d.h. „Elternsprache“ geprägt (ge- = Präfix des Kollektivums, patro = Vater, gepatroj = Eltern), d.h. die Sprache, die man von seinen Eltern gelernt hat. Eine neue Bezeichnung ist im Esperanto denaska lingvo (de = Präfix, naski = gebären, naskiĝi = geboren werden), d.h. die Sprache, die man seit der Geburt als Erstsprache gelernt hat.

Den Mehrsprachigkeitsstudien kommt ferner unter dem Aspekt der immer bedeutsamer werdenden sprachphilosophischen Emergenztheorie erhebliches Gewicht zu. Sie bedeutet in unserem Fall, dass in Situationen, in denen die kulturelle Tradierung der Sprache abbricht oder die Tradierung unvollkommen ist, latente, nur unter besonderen Bedingungen realisierbare Möglichkeiten von natürlichen Strukturtypen hervortreten . Das heißt: in Sprachenkontaktsituationen können unter Umständen auch Möglichkeiten einer Sprache zutage treten, die unter den Bedingungen der (relativen) Einsprachigkeit nicht auftreten. Die kontaktlinguistischen Beschreibungsverfahren können überdies einen nicht zu unterschätzenden Ertrag für die kontrastive Linguistik versprechen. Ihr wichtiges Anliegen ist nämlich, Kontaktphänomene – also Unterschiede zu den Strukturen und Mustern der deutschen Sprache unter Einsprachigkeitsbedingungen – zu ermitteln. Diese Abweichungen kommen in ihrer Mehrheit durch komplexe Übertragungsmechanismen aus der/den Umgebungssprache(n) zustande. Kontaktlinguistische Forschungen und ihre Erkenntnisse sind überdies für die Theorie und Praxis der Sprachenpolitik (Aspekte der Sprachplanung etc.) von großem Wert. Man kann Zwei- und Mehrsprachigkeitsforschung und Kontaktlinguistik vor allem durch ihr empirisches Forschungsmaterial und ihr immer feineres Instrumentarium nicht unerheblich zu einer paradigmatischen Theorie der Inter- bzw. Transkulturalität beitragen.

Sprachenrecht

Sprachenrecht dient zur Regelung von Sprachkontakten und Vermeidung Von Sprachkonflikten. Die soziale Zusammenleben der Menschen vollzieht sich nach zahlreichen althergebrachten Regeln, die andere Möglichkeiten ausschlissen und mit genügendem Erfolg verbindlich zu sein beanspruchen. Alle diese Verhaltensregeln und geregelten Handlungserwartungen bilden zusammen die soziale Ordnung. Träger dieser Ordnung ist die Gesellschaft. Das Sprachenrecht regelt das äußere, die Sprache betreffende Verhalten des Menschen im gesellschaftlichen Zusammenhang. Generell fordert das Recht lediglich die Überstimmung des äußeren menschlichen Verhaltens mit der Norm. Das Sprachenrecht ist eine Ordnung, die auf die Rechtsidee ausgerichtet ist. Als Rechtsnormen im allgemeinen und als Norm des Sprachenrechts im besonderen lassen wir nur jene Anordnungen gelten, die sich auf die Gerechtigkeit beziehen. Gerechtigkeit, als Mass des positiven Rechts bedeutet Gleichheit, und zwar verhältnissmässige Gleichheit in der Behandlung verschiedener Personen. Gerechtigkeit im Berieche des Sprachenrechts meint somit Gleichheit aller Sprachen im Recht und vor dem Gesetz bzw. Rechtsgleichheit aller Menschen als Sprach-„Träger“.

Gegenwärtige Probleme der Minderheiten

Die offizielle Haltung von Staaten gegenüber Minderheitsgruppen, die Teil des Staatsvolkes sind, kann variieren und variiert auch in der Tat sehr oft; sie reicht von der verfassungsmässigen Anerkennung der Existenz der Minderheit bis zum Fehlen jeglicher Anerkennung. Die Anerkennung ethnischer und sprachlicher Minderheiten differiert nicht nur von Land zu Land, sondern oft auch innerhalb eines Landes. So kann es vorkommen, dass bestimmte ethnische oder sprachliche Gruppe mit speziellen Rechten versehen und offiziell anerkannt sind, während dies bei anderen nicht der Fall ist. In vielen Staaten wird die Existenz ethischer oder sprachlicher Minderheiten aus den verschiedensten Gründen juristisch nicht verankert, meist mit der Begründung, dass die Minderheitsangehörigen die gleiche Behandlung im Staate erfahren wie die anderen Staatsbürger uns dass es daher unnötig sei, ihnen besondere Schutzrechte einzuräumen. Was nun die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer bestimmten ethnischen oder sprachlichen Gruppe betrifft, so kann diese auf Grund dreier Kriterien bestimmt werden:

  • auf Grund einer durch ein Gesetz festgelegten Definition,
  • auf Grund sog. Objektiver Merkmale , wie Sprache ,Herkunft usw.
  • auf Grund freier Willenserklärung des Individuums

Methoden der Kontaktlinguistik

Methodische Kontinua der Sprachkontaktforschung

Eines der Grundprobleme jeder Kontaktlinguistik ist die Konfrontation ,der Vergleich, die differentielle Analyse von zwei oder mehreren Sprachen, die im Kontakt benützt werden, diesen ermöglichen oder durch ihre Differenzen erschweren. Die grundlegende Frage dabei ist, ob angesichts so unterschiedlicher Verständigungsmittel überhaupt Verständigung möglich ist, und wenn dies, wie die Erfahrung zeigt, der Fall ist, in welchem Bereich die Verständigung erfolgreich sein kann. Die Frage nach der Möglichkeit zumindest einer partiellen Verständigung ist nicht identisch mit der Frage nach der Übersetzbarkeit von Sprache, da es jenseits einer expliziten Übersetzung Möglichkeiten des situationsbezogenen, anschauungs und gefühlsbezogenen Verstehens gibt, das nicht über Verbalisierungen in der eigenen Sprache vermittelt sein muss.Insofern setzt die Übersetzbarkeit eine Verständigung in der Sprachkontaktsituation voraus, aber die Verständigung setzt nicht die Übersetzbarkeit voraus.

Methoden der Sprachgeographie

Aus einer distanzierten, quasi externen Perspektive erscheinen Sprachen als raumzeitlich verteilte Variationen eines Erscheinungsbildes “menschliche Sprachen”. In dieser Eigenschaft verteilen sie sich geographisch, bilden räumliche Muster, wobei wegen der Vielgliedrigkeit und nur partiellen Parallelität verschiedener Merkmale von Sprachen die räumliche Distribution von Sprachen eine komplexe Tiefendimension hat: die einzelnen kovarierenden oder aber divergierenden Merkmale von Sprache. Der sprachgeographische Raum hat neben seiner natürlichen Zwei- oder (seltener) Dreidimensionalität viele Merkmalsdimensionen; die phonetischen (phonologischen), morphologischen, syntaktischen, semantischen und (seltener) pragmatischen Merkmale. Diese räumliche Struktur (konkret geographisch und abstrakt bezüglich des Merkmalsraumes) kann durch eine zeitliche Dimension ergänzt werden. Der Sprachwandel kann als interne Prozessvariable (bzgl. des Sprachsystems), der Sprachkontakt als externe Prozessvariable (welche auf die Koexistenz verschiedener Systeme im Kontakt und auf die Umstände des Kontaktes reagiert) aufgefasst werden. Jede synchron festgestellte geographische Verteilung von Sprache ist also zeitlich auf den Sprachwandel und den Sprachkontakt zu beziehen. Die ursprüngliche Motivation für die Entwicklung der Sprachgeographie in den siebziger Jahren des 19.Jhdts. war durch die Theorien zum Sprachwandel gegeben. Man kann die Methoden der Sprachgeographie an zwei Beispielen exemplifizieren:

  • Die Sprachatlanten, welche über die Sprachgrenzen hinausgehen. Die Sprachatlanten verzeichnen die Übergangsfelder zwischen Sprachgebieten und in geringerem Ausmaß die konkurrienden Sprachformen.
  • Methodisch ist die Anwendung moderner Klassifikationsverfahren in der Sprachgeographie von Bedeutung.

Ethnographische Methoden in der Sprachkontaktforschung

Ethnographische Aspekte spielten in der Sprachgeographie, spätestens seit der Methode der “Wörter und Sachen” , eine große Rolle. Wir hatten bereits in Abschnitt 2.1 auf den “Sprach- und Sachatlas” von Jaberg und Jud verwiesen, welcher ausführliche Darstellungen der Formenvielfalt von Gegenständen besonders im Bereich des bäuerlichen Lebens enthält. Der Deutsche Sprachatlas von Südtirol ist ein weiteres Beispiel, wobei an die Stelle der zeichnerischen Darstellung einzelner Formen und deren Zuordnung zu Einträgen auf der Karte nun ausführliche Kommentare zur Sachkultur und zum Brauchtum treten, die mit Fotomaterialien veranschaulicht werden. Der Fragebogen des europäischen Atlasses erweitert diesen Ansatz, indem er ganze Bezeichnungsfelder aufnimmt, wobei zentrale Problembereiche der ethnolinguistischen Forschung, z. B. Verwandtschaftsstrukturen und Farbterminologien wieder aufgenommen werden (mit explizitem Bezug auf diese Forschungstradition).

Psycho- und neurolinguistische Methoden zur Untersuchung des bilingualen Sprechers

Der bilinguale Sprecher ist der eigentliche Ort der Auswirkungen des Sprachkontaktes. In seiner Person vollziehen sich Einschätzungen, Bewertungen von Varianten , hier werden Entscheidungen zur Sprachwahl getroffen und in seiner inneren Sprachorganisation treten Einflüsse der Kontaktvarianten auf die erste Sprache und auf andere Lernsprachen ein. Neben dem sozialen System, dem sich das Individuum anpasst und der Familie, in der es seine ersten Sprachkompetenzen erwirbt, ist die individuelle kognitive Organisation von Sprache der Hauptort des Prozesses “Sprachkontakt” als Kontakt zwischen unterschiedlichen Varietäten und Sprachen. Das Verhalten des einzelnen bilingualen Sprechers kann auf unterschiedlichen Ebenen untersucht werden:

  • Das Sprachverhalten, wie es sich an Sprachaufnahmen beobachten lässt. Dabei sind Einflüsse der jeweiligen Varietäten in Form eines abweichenden Intersystems feststellbar, deshalb differentielle Analysen gestatten es, auf Wirkungen des Sprachkontaktes zu schließen, oder es können auch direkt Mischungen im Verhalten etwa in der Form des Code-Shifting beobachtet werden.
  • Die Strategien der Sprachverhaltens und des Sprachlernens können vom Sprachkontakt beeinflusst werden. Diese Ebene verlangt eine psycholinguistische(zumeist experimentelle) Untersuchung der Prozesse, aus denen das registrierte Sprachverhalten resultiert.
  • Schließlich kann die zerebrale Organisation der bilingualen Kompetenz im Unterschied zur Organisation monolingualer Kompetenzen untersucht werden.

Aktuelle Themenbereiche der Kontaktlinguistik

Sprachplanung und Sprachpolitik beriefen sich in den letzten Jahren immer wieder auf Ergebnisse der Kontaktlinguistik, da z. B. davon ausgegangen wurde, dass sowohl Mehrsprachigkeit wie Zweit- und Drittsprachenerwerb dem Frieden und der Völkerverständigung dienlich seien.Intensität, Vitalität und Dynamik von Sprachkontakten beherrschen zur Zeit die Diskussion auf der einen Seite, auf der anderen stehen Phänomene wie Mehrsprachigkeit und Sprachwechsel. Hierdurch wurden der sprunghaft sich entwickelnden Linguistik der siebziger Jahre neue Dimensionen erschlossen. Der Rückgriff auf diachronische neben den überwiegenden synchronischen Betrachtungsweisen, die Interdependenz mit zahlreichen Nachbardisziplinen , der Zwang zur Gruppenarbeit und die offensichtlich enge Beziehung und Nähe zu politischen, historischen gewachsenen und ideologischen Situationen und Kontexten erschweren die Beschäftigung mit Sprachkontakt und Sprachkonflikt, machen jedoch zugleich den Arbeitsbereich Kontaktlinguistik zu einem fesselnden Unternehmen , für das sich Einsatz und Mühe lohnen. Dies kam vor allem den Sprachminderheiten zugute und zwar im Zusammenhang mit den linguistischen, psychologischen und soziologischen Implikationen kontrastiver Sprachbeschreibung oder interferierender Sprachverwendung.

Literatur und Quellen

  • Wolfgang W. Moelken, Peter J. Weber: Neue Forschungsarbeiten zur Kontaktlinguistik. Dümmler, Bonn 1985
  • P. H. Nelde: Theorien , Methoden und Modelle der Kontaktlinguistik. Dümmler, Bonn 1985
  • P. H. Nelde: Gegenwärtige Tendenzen der Kontaktlinguistik. Dümmler, Bonn 1983
  • P. H. Nelde: Methoden der Kontaktliguistik. Dümmler, Bonn 1983
  • Csaba Földes: Kontaktsprache Deutsch: Das Deutsche im Sprachen- und Kulturenkontakt. In: Haß-Zumkehr, Ulrike/Kallmeyer, Werner/Zifonun, Gisela (Hrsg.): Ansichten der deutschen Sprache. Festschrift für Gerhard Stickel zum 65. Geburtstag. Tübingen: Narr 2002 (Studien zur deutschen Sprache; Forschungen des Instituts für Deutsche Sprache; 25). S. 347-370.
  • Csaba Földes: Kontaktdeutsch: Zur Theorie eines Varietätentyps unter transkulturellen Bedingungen von Mehrsprachigkeit. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2005, 399 S.; ISBN 3-8233-6160-0.
  • Wolfgang Wildgen: Darstellung einiger wichtiger Methoden der Kontaktlinguistik (Artikel)
  • Susanne Mahlstedt: Zweisprachigkeitserziehung in gemischtsprachigen Familien. Eine Analyse der erfolgsbedingenden Merkmale. Frankfurt a.M. [u.a.] 1996
  • P. Kay und C. K. Mc Daniel: The Linguistic Significance of the Meanings of Basic Color Terms. 1978