Acetylsalicylsäure
Strukturformel | ||||
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Allgemeines | ||||
Name | Acetylsalicylsäure | |||
Handelsnamen |
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Summenformel | C9H8O4 | |||
CAS-Nummer | 50-78-2 | |||
Kurzbeschreibung | Farbloser kristalliner Feststoff | |||
Eigenschaften | ||||
Molmasse | 180,2 g·mol-1 | |||
Aggregatzustand | Kristallin (Ionengitter) | |||
Dichte | 1.350 kg·m-3 | |||
Schmelzpunkt | 134-136 °C | |||
Siedepunkt | (Zersetzung bei etwa 140 °C) | |||
Flammpunkt | 250 °C | |||
Zündpunkt | 500 °C | |||
Dampfdruck | gering | |||
Löslichkeit | Gut löslich in Ethanol, Alkalilauge; schlecht löslich in Benzol, Wasser (3,3 g/l bei 20°) | |||
Sicherheitshinweise | ||||
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R- und S-Sätze | R: 22 S: keine S-Sätze | |||
MAK | Vorlage:Unbekannter Wert | |||
LD50 | 1124 mg/kg (Ratte oral) | |||
Analytik | ||||
Klassische Verfahren | Nach Hydrolyse in NaOH Nachweis von Salicylsäure mit FeCl3 (blauer Chelatkomplex) oder Hydroxamsäurereaktion. Nachweis von Acetat durch Veresterung mit Chlorethan (Entstehung von charakteristisch riechendem Ethylacetat oder Versetzen mit La(NO3)3 (blaue Färbung) | |||
Vorlage:SI-Chemikalien |
Die Acetylsalicylsäure (kurz ASS) ist ein Prostaglandinsynthesehemmer, der als Wirkstoff vieler Arzneimittel und insbesondere von Aspirin® bekannt wurde, das zugleich das erste Acetylsalicylsäure-Präparat war und bis heute das weltweit mit Abstand meistverkaufte ist. Namensgebend waren die Weidengewächse (lateinisch Salicaceae), die schon vor Jahrhunderten bei Schmerzen gekaut wurden. Acetylsalicylsäure lässt sich leicht aus Phenol durch eine Kolbe-Schmitt-Reaktion mit Kohlenstoffdioxid und anschließende Acetylierung mit Essigsäureanhydrid darstellen.
Geschichte
Durch Kochen von Weidenbaumrinden haben schon Germanen und Kelten Extrakte verwendet, die der synthetischen Acetylsalicylsäure verwandte Substanzen enthielten. 1763 meldete der in Oxford lebende Reverend Edward Stone der Royal Society in London das diese aus der Überlieferung Erkenntnis korrekt ist. 1828 gelingt es Buchner das Salicin (den Vorläufer von ASS) aus eben jenen Weidenrindenextrakten zu isolieren. 1853 gelang es Charles Frédéric Gerhardt erstmals unreine Acetylsalicylsäure zu synthetisieren. Seit 1874 wurde Salicylsäure großtechnisch hergestellt und als Medikament eingesetzt, jedoch schränkten der bittere Geschmack und Nebenwirkungen wie Magenbeschwerden die Einsatzmöglichkeiten ein. Bibergeil (auch Castoreum), ein Drüsensekret der Analdrüse des Bibers, enthält ebenfalls den Inhaltsstoff der Weidenbaumrinde, Salicylsäure. Es wurde bis ins 19. Jahrhundert gegen Krämpfe, hysterische Anfälle und Nervosität u.v.m eingesetzt. Schon in der gräco-romanischen Antike wurde die Substanz gegen Epilepsie eingesetzt.
1897 wurde die Acetylsalicylsäure wahrscheinlich von Arthur Eichengrün entdeckt, wobei auch Felix Hoffmann als Erfinder genannt wird; da ersterer Jude war, taucht der Name Eichengrüns nach 1934 in Nazi-Deutschland jedoch nicht mehr auf. Sicher ist, dass Eichengrün nach der Zulassung von Aspirin zum Leiter der pharmazeutischen Abteilung Bayers befördert und Hoffmann Leiter der Marketing-Abteilung wurde. Bayer vermarktete jedoch vorerst das elf Tage später von Hoffmann entwickelte Heroin stärker, da man nach Versuchen an Menschen davon ausging, dass Aspirin zu viele Nebenwirkungen hätte.
1949 veröffentlichte Arthur Eichengrün eine Arbeit, in der er schrieb, er habe die Entwicklung von Aspirin sowie einiger benötigter Hilfsstoffe geplant und koordiniert. Schon zuvor aus dem KZ - fast ein halbes Jahrhundert nach der Erfindung von Aspirin - schrieb Eichengrün der I.G. Farben (Bayer), als er sich, wie er selber sagte, seinem Tode nahe sah, dass Hoffmann an Aspirin nur in der Weise beteiligt war, dass er die Anordnungen Eichengrüns befolgte, ohne überhaupt zu wissen, was er im Auftrage Eichengrüns tat. Die Nazis haben ihn weiterhin als Beteiligten oder gar Erfinder verleugnet, wie sie dies mit allen Werken jüdischer Herkunft taten, und öffentlich die Erfindung des Aspirins vor allem Hoffmann zugesprochen. Eichengrün hat dies selbst, nach seiner Entlassung, in einer noch aus der Nazizeit stammenden Ausstellung - über deren Pforte „Juden ist der Zutritt verboten“ prangte - auf einer Tafel zum Thema Aspirin gelesen. Auf ihr wurden Hoffmann und eine andere, mit der Entwicklung Aspirins nicht in Verbindung stehende Person als Erfinder genannt, ohne jegliche Erwähnung Eichengrüns. In vielen geschichtlichen Abhandlungen bzw. Lexika zu dem Thema wird aufgrund dieser Vorgänge der Nazizeit und der damit entsprechend beeinflussten Geschichtsbücher vornehmlich Felix Hoffmann als Erfinder oder wahrscheinlicher Erfinder genannt und die Erklärung Eichengrüns in seiner 1949 veröffentlichen Arbeit oftmals lediglich als Behauptung betitelt.
Das Produkt wurde Aspirin genannt. Der Name Aspirin leitet sich vom Echten Mädesüß (veraltet: Spiraea ulmaria L. heute: Filipendula ulmaria (L.) Maxim.), einer salicylathaltigen Staude, ab: 'A' (für Acetylsalicylsäure), 'spiraea' und 'in' als geläufige Endung für Medikamente. 1899 wurde Aspirin® zum Patent angemeldet.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Bayer im Rahmen des Versailler Vertrags gezwungen, das Patent und die Rechte an der Marke Aspirin® für das Gebiet der Siegermächte USA, Frankreich und Großbritannien aufzugeben. In den USA kaufte 1918 Sterling Drug die Markenrechte von der amerikanischen Verwaltung für feindlichen Besitz. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts verlor Sterling Drug kraft Gerichtsbeschluss die Exklusivrechte am Namen. Der Name Aspirin wurde so in den USA gemeinfrei. Im Jahre 1994 kaufte Bayer Sterling Drug vom vorübergehenden Eigentümer Kodak für 1 Milliarde Dollar. Seitdem verkauft Bayer in den USA wieder „Bayer Aspirin“.
Die Funktionsweise der Acetylsalicylsäure, nämlich die Hemmung der Prostaglandinproduktion, wurde 1971 von John Robert Vane aufgeklärt, wofür er 1982 den Nobelpreis für Medizin erhielt. In der Begründung des Nobelpreiskomitees hieß es: „Für Ihre bahnbrechenden Arbeiten über Prostaglandine und nahe verwandter biologisch aktiver Substanzen“.
Chemische Eigenschaften

Acetylsalicylsäure ist der gebräuchliche Freiname für 2-Acetoxybenzoesäure, wie sie nach den IUPAC-Regularien heißt. An den aromatischen Carbonsäurering der Benzoesäure ist in ortho-Stellung ein Essigsäurerest angelagert. Dadurch hat das Gesamtmolekül einen hydrophilen und einen lipophilen Anteil. Acetylsalicylsäure liegt als weißes Pulver vor oder bildet flache bis nadelförmige Kristalle. Der pKa-Wert beträgt 3,5. Sie schmilzt bei einer Temperatur von 135°C, der Siedepunkt liegt bei 140°C. Acetylsalicylsäure ist schlecht wasserlöslich, lässt sich aber in Alkohol gut lösen.
Pharmakologie
Wirkungen
Wegen ihrer dezentral schmerzstillenden Wirkung durch Hemmung der Cyclooxigenasen 1+2, welche die Bildung von Prostaglandinen katalysieren, wirkt die Acetylsalicylsäure auch fiebersenkend, entzündungshemmend, antirheumatisch und gerinnungshemmend. Über die Hemmung der Prostaglandinsynthese kann die Acetylsalicylsäure auch die Entartung von gutartigen Darmgeschwülsten zu Krebs behindern. Bei der kurzzeitigen Anwendung in Dosierungen von 500—1000 mg bei akuten Schmerzen ist Acetylsalicylsäure ebenso gut verträglich wie andere freiverkäufliche Schmerzmittel. Bei höheren Dosierungen und längerfristiger Einnahme, beispielsweise im Rahmen der Behandlung von rheumatischen Beschwerden, können Magenbeschwerden und Magenblutungen auftreten. Dies gilt auch für die rektale Verabreichung (Zäpfchen). Bei der intravenösen Gabe von Acetylsalicylsäure werden Magenbeschwerden hingegen nur selten beobachtet.
Wirkmechanismus

Diese Wirkungen beruhen auf einer Hemmung der Cyclooxygenasen, Enzyme, die an der Bildung von Prostaglandinen beteiligt sind, die wiederum entzündungsverstärkend sind, und Thromboxan A2, welches thrombozytenaktivierend wirkt. Die Acetylsalicylsäure überträgt bei der Hemmung einen Acetylrest auf einen Aminosäurerest (Serin 529) kurz vor dem katalytischen Zentrum, so dass die Arachidonsäure als Substrat des Enzyms das katalytische Zentrum nicht mehr erreichen kann. Die Cyclooxygenase wird somit endgültig inaktiviert. Da Thrombozyten keine Enzyme nachbilden können, hält die gerinnungshemmende Wirkung für den Rest des Lebens der Thrombozyten (durchschnittlich etwa 7-10 Tage) an.
Sie unterliegt einem ausgeprägten First-pass-Metabolismus (z.T. schon in der Darmwand) und hat eine orale Bioverfügbarkeit von etwa 70 %. Im Körper wird sie schnell zu dem Hauptmetaboliten Salicylsäure umgewandelt. Im Blut geht sie zu 50 bis 70 % eine Bindung an Albumin ein.
Substitution
Bei rheumatischen Erkrankungen werden anstatt Aspirin in Deutschland häufig andere NSAID (nicht steroidale antientzündliche Pharmaka: Diclofenac, Naproxen, Ibuprofen, oder die noch auf dem Markt befindlichen Coxibe) eingesetzt.
Nebenwirkungen und Gegenanzeigen
Die bei analgetischer Dosierung auftretenden Nebenwirkungen sind meist leichterer Art: Übelkeit, Sodbrennen und Erbrechen werden relativ häufig beobachtet. Bei Asthmatikern kann Acetylsalicylsäure Ursache von Anfällen sein, die sich dadurch erklären, dass durch Hemmung der Cyclooxigenasen ein Überangebot an Arachidonsäure vorliegt, die dann die Bildung von bronchokonstriktorischen (die Bronchien verengenden) Leukotrienen begünstigt. Eine Kreuzreaktion zu anderen Schmerzmitteln wie beispielsweise Ibuprofen, Diclofenac oder Naproxen ist häufig.
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft weist darauf hin, dass Acetylsalicylsäure aufgrund ihrer Reizwirkung bei regelmäßiger Einnahme Schleimhautreizungen, Blutungen im Magen-Darm-Trakt und Magengeschwüre verursachen kann.
Bei Kindern und Jugendlichen mit fieberhaften Erkrankungen sollte Acetylsalicylsäure nicht eingesetzt werden, da es (möglicherweise nach einer überstandenen Viruserkrankung) das mitunter tödliche Reye-Syndrom auslösen könnte; es sollte auf alternative Substanzen – wie Paracetamol oder Ibuprofen – ausgewichen werden (in Großbritannien ist die rezeptfreie Abgabe von Acetylsalicylsäure an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahre aus diesem Grund verboten). Dennoch gibt es auch im Kindesalter Krankheitsbilder, bei denen die Behandlung mit Acetylsalicylsäure durchaus angezeigt ist. Dazu gehören das rheumatische Fieber oder das Kawasaki-Syndrom.
Toxizität
Hohe Dosen, beispielsweise 10 g ASS beim Erwachsenen, können bereits zu einer lebensgefährlichen metabolischen Azidose (Übersäuerung) mit Atemlähmung und Bewusstlosigkeit führen. Außerdem kann das Innenohr geschädigt werden, was sich in einem Hörverlust oder Tinnitus äußert. Auch Nierenschädigungen sind beschrieben worden (Analgetikanephropathie).
Nebenwirkungen der Schmerzmittelgruppe um ASS, der Nichtopioid-Analgetika (also zusammen mit Paracetamol, Ibuprofen u. a.) gehören zu den 16 häufigsten Todesursachen in den USA. Da aber die Zahl der Opfer frei verkäuflicher Schmerzmittel in Statistiken nicht einzeln aufgeführt wird, nimmt die Öffentlichkeit die Gefahren v. a. einer gewohnheitsmäßigen oder dauernden Einnahme kaum wahr.
Die Sicherheitshinweise mit dem Gefahrensymbol und R-Text „gesundheitsschädlich beim Verschlucken“ beziehen sich auf größere Mengen des Wirkstoffes, wie sie bei dessen Produktion gehandhabt werden, selbstverständlich jedoch nicht auf die Mengen in fertigen Tabletten bei deren Einnahme gemäß Beipackzettel.
Fehlindikationen
Als Schmerzmittel bei Unfällen ist Acetylsalicylsäure ungeeignet, da die gerinnungshemmende Wirkung bis etwa 7 Tage nach der letzten Einnahme von Acetylsalicylsäure anhält. Wegen der irreversiblen Hemmung der Cyclooxygenase in den Thrombozyten ist auch eine Gabe eines Gegenmittels zur sofortigen Aufhebung der Gerinnungshemmung nicht möglich. Es muss vielmehr abgewartet werden, bis neue, funktionsfähige Thrombozyten vom Körper gebildet werden. Auf diese Weise kann eingenommene Acetylsalicylsäure eine dringende medizinische Operation (oder ihren Termin) vereiteln, denn mangelnde Gerinnung führt zu Komplikationen wie zu großem Blutverlust. Auf jeden Fall müssen die behandelnden Ärzte über die Acetylsalicylsäure-Einnahme informiert werden.
Einsatzgebiete
Acetylsalicylsäure wird nicht nur als Schmerzmittel, zur Fiebersenkung und als Antirheumatikum eingesetzt, sondern v. a. auch zur Hemmung der Thrombozytenaggregation und damit zur Vorbeugung von erneuten Herzinfarkten und Schlaganfällen (Sekundär/Tertiärprophylaxe) bei bekannten arteriosklerotischen Gefäßveränderungen verwendet. Ebenfalls kommt es als Thrombozytenaggregationshemmer zum Einsatz, wenn beispielsweise bei Vorhofflimmern aus individuellen Gründen keine Antikoagulation mit Phenprocoumon in Frage kommt. Aufgrund seiner positiven Wirkungen bei Polycythaemia vera wurde Aspirin® von der Europäischen Kommission der Status einer orphan drug erteilt. Somit hat die Bayer Healthcare AG die alleinigen Vermarktungsrechte für ein ASS-Präparat zur Behandlung dieser Krankheit.
Resistenzdiskussion
Eine Acetylsalicylsäure-Resistenz unterschiedlicher Ausprägung wurde in einer kleinen Studie festgestellt, wobei wohl auch die Darreichungsform Einfluss nimmt. Aus diesem Grund gibt es eine Kontroverse über die Einführung von Geräten, um Patienten, die einen Gerinnungshemmer benötigen, auf Acetylsalicylsäure-Resistenz testen zu lassen. Schlussfolgerung wäre bei einem positiven Test, einen anderen Gerinnungshemmer (z. B. zur Vorsorge gegen erneute Infarkte) zu verschreiben. Clopidogrel ist dafür ein Kandidat, jedoch ist dieser etwa 100-mal so teuer wie Acetylsalicylsäure. Aus diesem Grund hat die Pharmaindustrie eine starke Motivation, für die Einführung von Acetylsalicylsäure-Resistenz-Tests zu werben, während Krankenversicherungen und teilweise Ärzte diesbezüglich eher zurückhaltend sind.
Herstellung
Zunächst wird Phenol in einer Kolbe-Schmitt-Reaktion mit Kohlenstoffdioxid (in situ aus Natriumhydrogencarbonat erzeugt) zur Reaktion gebracht: Das Natriumion komplexiert zwischen der Hydroxylgruppe des Phenols und dem durch die Reaktion negativ geladenen, einfach gebundenen Sauerstoff des Kohlendioxids und bewirkt ein selektives Dirigieren des Kohlendioxids in die ortho-Stellung. Damit entsteht die Salicylsäure.
An die phenolische Hydroxylgruppe der Salicylsäure wird mit Essigsäureanhydrid eine Acetylgruppe gebunden, es entsteht die Acetylsalicylsäure.
ASS Synthese
ATC-Code: B01AC06
Literatur
- Nicolai Kuhnert: Hundert Jahre Aspirin. Chemie in unserer Zeit 33, S. 213-220 (1999), ISSN 0009-2851
- Kay Brune, Tobias Egger: Die Entwicklung der antipyretischen Analgetika. Pharmazie in unserer Zeit 31(2), S. 133-139 (2002)
Weblinks
- Laborsynthese von Acetylsalicylsäure (LambdaSyn)
- Synthese von Acetylsalicylsäure (PH Heidelberg)
- Aspirin (englisch)
- Biochemische Grundlagen der Aspirin-Wirkung (FIZ Chemie Berlin)