Kabbala
Die Kabbala ist die mystische Tradition im Judentum.
Die Bezeichnung "Kabbala" kommt vom hebräischen Wortstamm "q-b-l" und bedeutet
"Überlieferung, Übernahme, Weiterleitung". Die Wurzeln der Kabbala finden sich in der Tora,
der Heiligen
Schrift des Judentums. In jahrhundertelanger mündlicher Weitergabe wurden daneben verschiedene
weitere Einflüsse aufgenommen, darunter gnostische, neuplatonische
und christliche Elemente.
Wie jede Mystik entzieht sich auch die Kabbala dem Versuch einer eindeutigen
wissenschaftlichen Klassifizierung. Vielmehr gilt sie als Geheimlehre, die weniger gelernt, als
vielmehr erfahren werden will. Deshalb wurde von ihren Vertretern die Beziehung zwischen
Lehrer und Schüler als wesentlich herausgestellt. Im intensiven Verhältnis zu seinem Lehrer
erfährt der Schüler das Wesentliche von Mensch und Welt. Immer geht es der Kabbala aber um die
direkte Beziehung des Menschen zu Gott und die Bildung der eigenen Seele.
Die ersten Träger kabbalistischer Tradition stammen aus dem rabbinischen Judentum, insbesondere aus dem Schülerkreis des Rabbi Jochanan ben Sakkai und des Rabbi Akiba ben Josef in Palästina. Die beherrschenden Themen waren dabei Spekulationen über die biblische Schöpfungserzählung und die Visionen des Propheten Ezechiel vom göttlichen Thronwagen. Danach wird diese Strömung auch als Merkaba-Mystik bezeichnet (Merkaba = hebr. "der Wagen").
Erst später erschienen dann auch schriftliche Dokumente. Als wesentliches Zeugnis aus dem 1. Jahrtausend n. Chr. gilt das Buch Jezira, das zwischen dem 3. und dem 6. Jhdt. n. Chr. entstand. Es enthält die Darstellung der 10 Sefirot und der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets als den Urzahlen und Verhältnissen, auf denen die Welt beruht.
Im hohen Mittelalter waren die Zentren kabbalistischer Bewegungen der deutsche Chassidismus
im Rheinland (Mitte des 12. bis Mitte des 13. Jhdts. n. Chr.) und vor allem die so genannte
"prophetische Kabbala" in Spanien, deren bedeutendster Vertreter Abraham Abulafia war.
Aus der Tradition des spanischen Judentums entstand gegen Ende des 13. Jhdts. n. Chr. die
bedeutendste kabbalistische Schrift überhaupt: der Sohar (Sefer ha Sohar, hebr. "Das Buch des
Glanzes"). Als sein Autor gilt der spanische Kabbalist Moses de Leon (+1305), jedoch ist
damit zu rechnen, dass fremdes und älteres Material in das Werk aufgenommen worden ist.
Der Sohar enthält in verschiedenen, teils sehr umfangreichen Abhandlungen Auslegungen der Tora,
Erzählungen zu mystischen Gestalten des Judentums, insbesondere zu Rabbi Simon ben Jochai
und seinen Schülern, sowie Spekulationen zu Zahlen und Buchstaben als den Fundamenten der Welt.
Der Sohar gilt wohl neben dem Tanach, der jüdischen heiligen Schrift, und dem Talmud als
wichtigste Einzelschrift des Judentums.
Nach der Verfolgung und Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492 wurde das Örtchen
Safed in Galiläa zum Zentrum kabbalistischer Lehre. Hier wirkte vor allem Isaak Luria
(1534-1572), der wesentliche Beiträge zur Auffassung von der Schöpfung der Welt
entwickelte. Dazu gehören Vorstellungen von einem "Sich-Zurückziehen" Gottes, um der entstehenden
Welt Platz zu schaffen (Zimzum), dem "Zerbrechen der Gefäße" bei der Schöpfung und dem Freiwerden der
göttlichen Lichtfunken (Schebirath ha Kelim), Spekulationen über das Unendliche (En Sof) und eine Lehre über die
Seelenwanderung (Gilgul). Ziel aller Bemühungen des Menschen ist es, in einem Prozess der
Vervollkommnung (Tikkun) den ursprünglichen heilen Zustand der Welt aus göttlicher Existenz
wieder herzustellen.
Diese Lehren werden in sehr ausführlichen Beschreibungen und äußerst detaillierten, höchst
komplizierten Bildern dargelegt. Die lurianische Kabbala versteht sich dabei als eine Wissenschaft
von Gott, Welt und Mensch als mystische Deutung eines menschlichen Exils und seiner Erlösung
in kosmologischem Horizont.
Die in Safed entstandene Kabbala des Isaak Luria hat im Judentum erheblichen Einfluss gewonnen.
Viele Elemente dieser Lehre wurden auch im Chassidismus des 17. und 18. Jhdts. in Polen
wirksam. Unter behutsamer Einbeziehung messianischer Elemente und einer gewissen
Vereinfachung des ursprünglich sehr differenzierten Lehrgebäudes konnte die Kabbala große
populäre Bedeutung in den chassidischen Zentren des Ostjudentums entfalten.
Kabbalistische Traditionen finden seit einigen Jahren wachsende Aufmerksamkeit auch außerhalb des
Judentums.
Literatur
- Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen. Frankfurt 1980, ISBN 3-518-07930-1
- Gershom Scholem, Zur Kabbala und ihrer Symbolik. Frankfurt 1973, ISBN 3-518-27613-1