Rurfront
Der Begriff Rurfront bezeichnet die Frontlinie der Westfront in der Endphase des Zweiten Weltkrieges entlang des Flusses Rur, an der zwischen September 1944 und Februar 1945 heftige Kämpfe zwischen hauptsächlich amerikanischen und deutschen Einheiten stattfanden.

Räumliche Ausdehnung
Der Begriff Rurfront bezieht sich vor allem auf die östlich von Aachen und westlich des Flusses Rur gelegenen Ortschaften nördlich der Rurtalsperre und südlich Roermonds, aber auch auf die entlang der Rur gelegenen Ortschaften und Städte, die hauptsächliche Brennpunkte der Kämpfe waren. Hervorzuheben sind dabei ganz besonders die Städte Linnich, Jülich und Düren, die im Zuge der Kämpfe auf das Schwerste (über 90%) zerstört wurden, aber auch die Orte Vossenack und Schmidt in der Eifel sowie die Gegend um Heinsberg an der niederländischen Grenze.
Geschichte
Vorstoß gegen die deutsche Westgrenze
Mit der alliierten Landung in der Normandie im Juni 1944 und dem deutschen Rückzug aus Frankreich rückte die Frontlinie in die Nähe der Reichsgrenze. Die Alliierten, die bislang den sich fluchtartig zurückziehenden Deutschen im Nacken gesessen hatten, stoppten ihren Vormarsch am Westwall, um eine dringend benötigte Atempause einzulegen und ihren Nachschub zu organisieren. Außerdem überschätzten sie die fast völlig desarmierte, aber von der deutschen Propaganda hochgejubelte Bunkerlinie in ihrer Kampfkraft erheblich und wollten sich neu aufstellen, ehe sie den Westwall durchstoßen und weiter auf Köln und den Rhein vorrücken wollten. Die Deutschen nutzten dieses Zögern und formierten ihre schwer angeschlagenen Armeen neu, auch hoben sie die Landbevölkerung aus, um ein dichtes Netz aus Panzergräben und Feldbefestigungen zu schaffen. Der Westwall, dessen Armierung zur Verwendung im Atlantikwall ausgebaut worden war, wurde, soweit möglich, notdürftig instand gesetzt und hauptsächlich mit Beutewaffen armiert. Die Landschaft dahinter war in ein Netzwerk aus Schützen- und Panzergräben verwandelt worden, und die vielen kleinen Ortschaften dahinter waren zu behelfsmäßigen Festungen ausgebaut. Unzählige Minenfelder vervollständigten die Abwehr. Als die Alliierten schließlich den Angriff begannen, fanden sie einen wohlvorbereiteten Gegner vor, der ihnen trotz in fast jeder Hinsicht hoffnungsloser Unterlegenheit hartnäckigen Widerstand leistete und hohe Verluste bei den Angreifern verursachte. Die Alliierten waren solch heftigen Widerstand nicht gewohnt und ihre Angriffe verloren im dichten Gewirr der gegnerischen Stellungen meist rasch an Schwung. Der schnelle Vormarsch erstarrte im Stellungskrieg, und die Angreifer konnten nur langsam und unter Aufbietung aller Kräfte vorrücken. Darunter litt auch die Moral der alliierten Soldaten, die nach dem schnellen Erfolg in Frankreich auf ein baldiges Ende der Kämpfe gehofft hatten und sich nun enttäuscht sahen.
Stellungskrieg
Der einzige größere Erfolg für die Alliierten war die Einnahme der Großstadt Aachen nach heftigen Kämpfen am 14. Oktober 1944, im übrigen aber war das Vorwärtskommen sehr schwierig und verlustreich. Daran änderte auch die erhebliche Überlegenheit an gepanzerten Fahrzeugen sowie die fast vollständige Luftherrschaft der Verbündeten wenig. Zwar lähmten die Jabos, wie sie bezeichnet wurden, am Tag fast jede Bewegung und zwangen die Deutschen, in Deckung zu bleiben, andererseits hatten sich die Verteidiger mittlerweile auf die ständige Bedrohung aus der Luft eingestellt. Die Deutschen hatten zwar ihrerseits hohe Verluste, sahen aber in dem Stocken des alliierten Vormarsches ein Zeichen der Schwäche und bereiteten einen letzten, verzweifelten Versuch vor, die Angreifer nach Frankreich zurückzutreiben. Die Vorbereitungen für das Unternehmen Wacht am Rhein, auch als Rundstedt- oder Ardennenoffensive bekannt, wurden im Bereitstellungsraum südlich der Rurfront, welcher noch in deutscher Hand war, durchgeführt und blieben auf alliierter Seite unbemerkt. Sie waren einer der Gründe für die heftige deutsche Gegenwehr, denn wenn die Rurfront nachgegeben hätte, wäre der ganze Angriffsplan hinfällig geworden. Zu diesem Zweck wurden auch unentbehrliche Verbände von der Ostfront abgezogen, was diese gefährlich schwächte.

Heftiger Widerstand
Im Versuch, der deutschen Front die Flanke abzugewinnen, starteten die Amerikaner im Oktober 1944 einen frontalen Vorstoß auf die deutschen Stellungen in der Eifel, speziell im Hürtgenwald. So hofften sie, die Deutschen in der Ebene der Jülicher Börde zu überflügeln und ihren Truppen dort den Stellungskrieg zu ersparen, indem sie den Gegner zum Rückzug zwangen oder vernichteten. Der Angriff entwickelte sich wegen des heftigen deutschen Widerstandes aus gut ausgebauten Abwehrstellungen im Zusammenwirken mit schwierigem Gelände und der Nutzlosigkeit der Luftherrschaft im Bergland zum Desaster, und die Amerikaner mussten sich nach schweren Verlusten zurückziehen. Brennpunkt der Kämpfe waren einmal mehr Orte nahe der Rur, vor allem Vossenack und Schmidt. Die Folge war die Planung der Operation Queen, welche nach schweren vorbereitenden Luftangriffen die Rurfront aufbrechen und den Vormarsch zum Rhein ermöglichen sollte. Auch diese Offensive, die am 16. November gestartet wurde, scheiterte am heftigen Widerstand der Deutschen. Die Luftangriffe zerstörten zwar die Städte Jülich und Düren sowie einen Teil der deutschen Infrastruktur hinter der Front, die nachfolgende Bodenoffensive reichte aber trotz drückender Überlegenheit der Angreifer nicht aus, um die Front zu durchbrechen. Immerhin gelang die Eroberung Linnichs am 4. Dezember, und die Angreifer rückten nach und nach bis an die Rur vor, es gelang den Amerikanern aber nicht, einen Brückenkopf am anderen Rurufer zu bilden. Bei Linnich fand im Zuge dieser Offensive eine größere Panzerschlacht statt, die als zweite Schlacht am Hubertuskreuz, fast auf den Tag 500 Jahre nach der ersten, in die Geschichte einging. Als die deutsche Führung durch den energischen amerikanischen Vorstoß die bereits vorbereitete Ardennenoffensive bedroht sah, gab sie einen Teil der für den Vorstoß vorgesehenen OKW-Reserve an Artillerie und der dazugehörigen Munitionsbereitstellungen zur Abwehr frei, welche ganz wesentlich dazu beitrugen, den gegnerischen Vormarsch zu verlangsamen und die Kampfkraft der Verteidiger zu stärken. Auch Panzer und Infanterie wurden an die Rurfront abgezweigt, um den angesetzten Angriff nicht zu gefährden, und so konnte die Front leidlich gehalten werden. Durch das schlechte Wetter vermochten die Alliierten die starke gegnerische Artillerieunterstützung nicht auszuschalten, welche zwar kaum über Aufklärer verfügte, aber durch vorher angelegte Feuerpläne doch wirksam gegen die Angreifer eingesetzt werden konnte. Dabei kamen auch Eisenbahngeschütze zum Einsatz, und mit der Unterstützung der Artillerie konnte die Front bis zum Angriffstermin am 16. Dezember 1944 gehalten werden. In den Nächten vor dem Angriff wurde ein großer Teil der Truppen und der Artillerie von der Rurfront abgezogen, um bei der bevorstehenden Offensive mitzukämpfen.
Unternehmen Wacht am Rhein
Alle Versuche der Alliierten, die deutsche Westfront zu durchbrechen, mussten schon bald hinter dem Bemühen zurückstehen, die deutsche Ardennenoffensive abzuwehren, die am 16. Dezember für die Alliierten völlig überraschend losbrach und die Amerikaner stellenweise in heftige Bedrängnis brachte. Sie mussten ihre Angriffe entlang der Rur einstellen und sich völlig auf die Abwehr dieses Flankenangriffes konzentrieren, so dass der Druck auf die Frontlinie zunächst nachließ. Erst nach dem Scheitern der Offensive und der Rückführung der Angriffsspitzen auf den Westwall konnten die Amerikaner daran denken, ihren Vormarsch wieder aufzunehmen. Die Deutschen hatten mit dem verzweifelten Angriff im Westen ihre letzten Reserven aufgebraucht und konnten einem neuerlichen alliierten Vorstoß kaum noch etwas entgegensetzen, bei der ersten größeren Beanspruchung musste die Front nachgeben. Für den Fall des gegnerischen Angriffs wurde die Rurtalsperre zum Sprengen geladen, ihre Wassermassen sollten den Fluss über die Ufer treten lassen und unpassierbar machen.
Zusammenbruch der Rurfront
Bereits im Januar 1945 bereinigte ein britischer Vorstoß (Operation Blackcock) den nördlichen Abschnitt der Rurfront, die sogenannte Heinsberger Tasche, und warf die deutschen Verteidiger auch hier auf das östliche Rurufer zurück. Der finale Vorstoß der Amerikaner ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am 8. Februar begannen die Briten weiter nördlich ihren Vorstoß auf Wesel (Operation Veritable), und am 10. Februar 1945 begannen auch die US-Truppen ihren Versuch, die Rur endlich zu überqueren, worauf die Deutschen mit der Öffnung der Rurtalsperre antworteten und das Rurtal für fast zwei Wochen unpassierbar machten. Die Amerikaner hatten zuvor vergeblich versucht, die Öffnung der Talsperre zu verhindern. Erst am 23. Februar gelang es den Amerikanern im Rahmen der Operation Grenade, auf der östlichen Rurseite Brückenköpfe zu bilden und die Deutschen in Richtung Osten zurückzutreiben, dann allerdings geriet der deutsche Rückzug schnell zur Flucht. Die Schlacht an der Rur war zu Ende, und nach dem Nachgeben dieser letzten Verteidigungslinie vor dem Rhein war der Krieg bald vorbei.
Verhältnisse an der Front und im Hinterland
Während der fast siebenmonatigen Kämpfe im Rurabschnitt waren die Bedingungen auf beiden Seiten sehr hart, Schlamm und schlechtes Wetter erschwerten die Unternehmungen beider Seiten und boten den Verteidigern einige Vorteile, die Deutschen dagegen hatten besonders unter den allgegenwärtigen alliierten Jagdbombern zu leiden, die Bewegungen und Nachschub am Tage oft fast unmöglich machten. Die Amerikaner dagegen hatten einen so heftigen Widerstand noch nicht erlebt und lernten insbesondere im unwegsamen Bergland des Hürtgenwaldes, aber auch im Stellungskrieg in der Jülicher Börde oft genug den Krieg von seiner härtesten Seite kennen. Insbesondere die deutsche Artillerie sowie die weitläufigen Minenfelder, sowohl aus Anti-Personen-Minen wie auch aus Anti-Fahrzeug-Minen, waren für viele der alliierten Verluste verantwortlich, darunter auch die gefürchteten S-Minen. Die Deutschen kämpften mit letzter Kraft und warfen die letzten Reserven in die Schlacht, sie waren zahlenmäßig und in Sachen Ausrüstung meist deutlich im Hintertreffen und es gab Engpässe bei der Munitions- und Nachschubversorgung, auch mussten sie oft genug auf militärisch fast wertlose Volkssturm- und Hitlerjugendverbände zurückgreifen, die sich in der Enge der rheinischen Dörfer und im Gewirr der Schützen- und Panzergräben nichtsdestoweniger gut schlugen und den Amerikanern schweres Kopfzerbrechen bereiteten. Auf ihrer Seite gab es allerdings einen gewissen Vorteil in Sachen Kampferfahrung von Seiten der Soldaten, die den Rückzug aus Frankreich überlebt hatten oder von der bedrängten Ostfront kamen, während ganz besonders bei den Amerikanern diese oft genug noch fehlte. Neben den starken Feldbefestigungen war allerdings auch das erwähnte schlechte Wetter ein wichtiger Faktor für das langsame Vordringen der Alliierten. Durch Dauerregen und tiefhängende Wolken, ganz besonders im November, konnten sie ihre Luftüberlegenheit oft kaum zur Geltung bringen, und Fahrzeuge wie Soldaten wurden durch den tiefen Schlamm behindert, während die Verteidiger davon profitierten. Einen starken Rückhalt für die Deutschen boten auch die zwar wenigen, aber den Baumustern der Westalliierten oft deutlich überlegenen Panzer, für die allerdings selten genug Treibstoff vorhanden war und die deshalb meist defensiv im Stellungskampf oder bei kurzen Gegenstößen eingesetzt wurden. Im Zusammenwirken mit Infanterie und Artillerie riegelten sie manchen Angriff ab und konnten Gegenstöße durchführen, die oft genug den gegnerischen Angriffserfolg wieder zunichte machten. Allerdings zahlten auch sie einen hohen Preis ob der drückenden Überlegenheit der feindlichen Panzer und der Luftwaffe.
Auch die Zivilbevölkerung der betroffenen Gebiete litt schwer unter den äußerst heftigen Kämpfen. Nicht nur wurde sie zu Arbeitseinsätzen ausgehoben und zur Einquartierung der vielen Soldaten genötigt, sie mußte auch bei der Zerstörung der Heimat zusehen. Viele Menschen der Gegend hatten nach dem Erfolg der Alliierten auf ein schnelles Ende der Kämpfe und der NS-Herrschaft gehofft, und diese Hoffnung schwand nur allmählich. Etliche mißachteten die Evakuierungsorder in der Hoffnung, schnell von den vorrückenden Alliierten überrollt zu werden, und sahen sich oft genug bitter enttäuscht. Die Zivilbevölkerung zahlte bei den Kämpfen und den zahllosen Luftangriffen einen nicht unerheblichen Blutzoll und hatte oft genug auch den Verlust aller Habe hinzunehmen. Auch nach Ende der Kämpfe stellten Blindgänger, liegengebliebene Munition und vor allem die Minenfelder eine ständige Bedrohung dar, deren Beseitigung lange Zeit in Ansrpuch nahm und noch manches Opfer kostete.
Ergebnis und Nachwirkungen
Von der Landung in der Normandie am 06.06.1944 bis zum Zusammentreffen mit sowjetischen Truppen im Mai 1945 brauchten die Westalliierten elf Monate. Davon benötigten sie volle sieben Monate, um die Stellungen der Rurfront niederzukämpfen. Der heftige Widerstand der Deutschen in diesem Gebiet verlängerte den Krieg um mehrere Monate und ermöglichte den letzten verzweifelten Versuch der Nationalsozialisten, das Blatt mit der Ardennenoffensive noch einmal zu wenden. Insofern kann man der Rurfront eine große militärgeschichtliche Bedeutung zuschreiben, ein letztes Mal gelang es hier einer organisierten Abwehrfront, das unvermeidliche Ende hinauszuzögern. Im Zuge der langen und verlustreichen Kämpfe wurden fast alle in der betroffenen Region gelegenen Ortschaften und Städte schwer zerstört und mussten nach dem Krieg neu aufgebaut werden, dies betrifft ganz besonders die Städte Jülich und Düren, die als Nachschubzentren im Brennpunkt der Kämpfe standen. Eine weitere Hinterlassenschaft bilden die in der ganzen Region regelmäßig aufgefundenen Munitions- und Bombenreste aus dieser Zeit, und im Gebiet des Hürtgenwaldes liegen noch heute Tausende von nicht aufgefundenen Minen.
Allerdings gab es auch noch andere Nachwirkungen. Es wird bisweilen die Ansicht vertreten, dass die Härte des deutschen Widerstandes sowie der Schock der Ardennenoffensive die Amerikaner vom militärischen Nutzen einer deutschen Wiederbewaffnung in der Nachkriegszeit überzeugte und den Weg der Bundesrepublik zur Wiedererlangung der Souveränität und NATO-Mitgliedschaft beschleunigte, da man die Deutschen im Ernstfall an der eigenen Seite wissen wollte (s. Kramp, Rurfront (s.u.)).
Beteiligte Verbände
In die Kämpfe am Rurabschnitt waren auf alliierter Seite hauptsächlich die Verbände der 9. und 10. US-Armee der 12. Heeresgruppe sowie der britischen 2. Armee der 21. Heeresgruppe beteiligt, vornehmlich die 84. US-Division, 102. US-Division, 104. US-Division, 29. US-Division, 30. US-Division, 2. US-Panzerdivision, 6. US-Panzerdivision
Auf deutscher Seite betrafen die Operationen besonders die Einheiten der deutschen 15. Armee und 1. Fallschirmjäger-Armee, später auch der 5. und 6. Panzerarmee und der 7. Armee, die allesamt der Heeresgruppe B (OB West) unterstanden. Besonders zu nennen sind hier die 340. Volksgrenadier Division, 363. Volksgrenadier Division, 15. Panzergrenadier Division , 3. Panzer Division, 9. Panzer Division, 10 SS Panzerdivision Frundsberg, 116. Panzerdivision, 75. Infanteriedivision, 147. Volksgrenadierdivision, 12. Infanteriedivision, 246. Volksgrenadierdivision, 105. Panzerbrigade sowie die Schwere Panzerabteilung 506.
Literatur
- Hans Kramp, Die Rurfront 1944/45 - 2. Schlacht am Hubertuskreuz zwischen Wurm, Rur und Inde, ISBN 3-923219-00-8
- Helmut Scheuer, Wie war das damals? Jülich 1944-1948, Verlag des Jülicher Geschichtsvereins 1985, ISBN 3-9800914-4-9