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Benutzer Diskussion:Hocico

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0. Vorbemerkungen

Das altehrwürdige Kausalprinzip besagt, daß jede Veränderung eine Ursache hat. Die Ursache ist aber selbst eine Veränderung, die dem Kausalprinzip zufolge ebenfalls eine Ursache haben muss, usw. So scheint sich eine unendliche, in die Vergangenheit gerichtete Reihe von Ursachen zu ergeben. Eine solche Reihe wäre aber eine Kette ohne Anfang. Beides ist unvorstellbar. Da drängt sich der Gedanke auf, daß doch irgendwo ein Anfang sein muss. Wenn die Reihe der Ursachen ins Unendliche ginge, dann wäre sie länger als jede empirische Kausalreihe und damit selbst nichts Empirisches. Das Kausalprinzip weist insofern über die empirische Wirklichkeit hinaus. Gibt es aber eine erste Ursache, dann muss diese so beschaffen sein, dass auf sie das Kausalprinzip nicht anwendbar ist. Eine solche Ursache wird in der Philosophie häufig mit Gott identifiziert. In diesem Sinn hat man gesagt: Das Kausalprinzip ist das „Sprungbrett zu Gott“.
Thomas von Aquin hat in seiner Summa theologiae „fünf Wege“ angegeben, auf denen die menschliche Vernunft seiner Ansicht nach zur Erkenntnis der Existenz Gottes gelangen kann. Die ersten beiden Wege, „ex motu“ und „ex causa efficiente“ sind in formaler Hinsicht gleichartig. In der secunda via operiert Thomas mit dem Gedanken, daß ein progressus in infinitum der Kausalreihe unmöglich ist. Er kommt zu dem Ergebnis: „Ergo est necesse ponere aliquam causam efficientem primam: quam omnes Deum nominant.“1. Thomas Argument für die Existenz einer ersten Ursache (causa prima) ist häufig untersucht und rekonstruiert worden. Die Hauptschwierigkeit bildet dabei die Explikation des progressus in infinitum. Es ist in der Tat nicht ganz einfach zu verstehen, was Thomas damit gemeint hat. Das erkennt man, wenn man eine Explikation mit den Mitteln der formalen Logik versucht (Abschnitt 1). Im Mittelpunkt dieser Betrachtung steht eine raffinierte Version des Kausalarguments, die sich aus dem Gebrauch des mit dem mathematischen Auswahlaxiom äquivalenten Lemma von Zorn ergibt (Abschnitt 3). Die hierfür nötigen mengentheoretischen Definitionen und Theoreme werden in abstrakter Form gesondert dargestellt (Abschnitt 2). Den Schluß bildet eine kritische Würdigung der zuvor gewonnenen Ergebnisse (Abschnitt 4).

1. Der progressus in infinitum nach Thomas von Aquin

Verschiedene Autoren haben versucht, des Aquinaten secunda via mit den Mitteln der Prädikatenlogik erster Stufe formal zu rekonstruieren. W. K. Essler hat eine solche Rekonstruktion im Rahmen eines Kalküls des natürlichen Schließens vorgenommen 2. Wir betrachten hier nur Esslers Rekonstruktion der Thomasischen Voraussetzung, daß die Kausalreihe finit sein muss. Essler gibt diese Voraussetzung folgendermaßen wieder:

(1.1) Es ist unmöglich, bei den eine Wirkung hervorbringenden Ursachen ins Unendliche zu gehen.3

Nach Essler besagt dies:

(1.2) Nicht jedes Ding x wird von einem davon verschiedenen Ding y bewirkt. 4

Das ist logisch äquivalent mit folgendem Satz:

(1.2a) Es gibt ein Ding, das von allen davon verschiedenen nicht bewirkt wird.5

In der Sprache der Quantoren ausgedrückt heißt das:

(1.2b) Es gibt ein x derart, dass für alle y gilt: Ist x von y verschieden, so wird x durch y nicht bewirkt.6

(1.2b) ist äquivalent mit folgender Formulierung:

(1.2c) Es ist nicht der Fall, dass es zu jedem x ein y gibt derart, dass x durch y bewirkt wird und x verschieden von y ist.

(1.2c) soll das Nichtbestehen eines progressus in infinitum zum Ausdruck bringen. Demnach besteht der Thomasische progressus in infinitum darin, daß gilt:

(1.3) Zu jedem x gibt es ein y derart, daß x durch y bewirkt wird und x verschieden von y ist.

Diese Rekonstruktion ist aber inadäquat. Denn (1.3) kann auch auf einen endlichen Bereich zutreffen. Angenommen etwa, der Bereich besteht aus den drei Veränderungen a, b und c. Es gelte: a bewirkt b, b bewirkt c und c bewirkt a. Dann gilt für diesen Bereich die Aussage (1.3). Ein progressus in infinitum liegt hier aber nicht vor.
Thomas begründet (1.1) mithilfe der Voraussetzung, dass alles Verursachte auch eine erste Ursache hat. Diesen Begriff der ersten Ursache rekonstruiert Essler so:

(1.4) x ist erste Ursache von y :gdw7 y durch x bewirkt wird und nichts existiert, was x bewirkt.

Des Aquinaten Begründung für (1.1) stellt Essler nun als eine Ableitung von (1.2c) aus folgenden beiden Prämissen dar:8

(1.5) Es gibt etwas, das durch etwas bewirkt wird.
(1.6) Für alle y gilt: Wenn es etwas gibt, das y bewirkt, dann gibt es eine erste Ursache von y.

Auch ohne Zugrundelegung eines formalen Kalküls lässt sich die Ableitbarkeit von (1.2c) aus (1.5) und (1.6) leicht einsehen. Denn nach (1.5) gibt es ein y0 , das durch etwas bewirkt wird. Folglich gibt es nach (1.6) eine erste Ursache x0 von y0. Gemäß Definition (1.4) gibt es aber nichts, was x0 bewirkt. Wäre nun (1.2c) falsch, so wäre (1.3) richtig. Also gäbe es zu jedem x ein y derart, daß x durch y bewirkt wird, und x von y verschieden ist. Es gäbe somit ein y1 derart, dass x0 durch y1 bewirkt wird. Widerspruch.
Trotz der Folgerichtigkeit dieser Ableitung darf nicht übersehen werden, daß ihre Konklusion (1.2c) nicht dasjenige beinhaltet, was Thomas mit (1.1) vermutlich auszudrücken versucht. Es ist hier ein begrifflicher Einwand geltend zu machen. Die Definition (1.4) ist nämlich nur unter der Voraussetzung sinnvoll, dass die Relation des Bewirkens transitiv ist. Angenommen jedoch, für n Veränderungen a1, ..., an gilt, dass ai+1 jeweils durch ai bewirkt wird. Ist n hinreichend groß, so kann man beim besten Willen nicht mehr sagen, dass an durch a1 „bewirkt“ worden ist.
Es ist daher naheliegend, anstelle der Relation des Bewirkens die Relationspotenz B* zu verwenden. B* verhält sich zu B wie die Relation Vorfahre zur Relation Eltern. Vielfach nennt man B* auch „ancesral“ von B. Für nun eine beliebige zweistellige Relation R kann R* wie folgt definiert werden:9

(1.7) xR*y :⇔ ∃ z1,...,zn: z1Rz2,..., zn-1Rzn & x = z1, y = zn.

Diese Definition des ancestral verwendet auch B. Lauth in seiner Rekonstruktion der secunda via.10 Schreiben wir „xUy“ für „x ist Ursache von y“ und definieren wir

(1.8) x ist verursacht :⇔ ∃ y: yUx

so können wir Lauths Deutung von (1.1) folgendermaßen wiedergeben:

(1.9) ∀ x : Ist x verursacht ⇒ es gibt ein nicht verursachtes y mit yU*x.11.

Diese Explikation stellt gegenüber (1.2c) in zweifacher Hinsicht eine Verbesserung dar. Zum einen wird nicht die Transitivität von U vorausgesetzt. Und zum anderen wird der Gedanke der Endlichkeit der Kausalkette klar zum Ausdruck gebracht. (1.9) kann auch unter Verwedung des Begriffs der ersten Ursache formuliert werden. Definieren wir

(1.10) x ist erste Ursache* von y ⇔ xU*y und y ist nicht verursacht.12,

so können wir (1.9) kurz so wiedergeben:

(1.11) ∀ x : x ist verursacht ⇒ es gibt eine erste Ursache* von x.

Nach Lauth bestezt die Konklusion der secunda via in folgender Aussage:

(1.12) ∃ x, x nicht verursacht ∀ y : y verursacht ⇒ xU*y.

Nennt man ein solches x eine „Erstursache“, d.h. definiert man

(1.13) x ist eine Erstursache :⇔ x ist nicht verursacht und ∀ y : y ist verursacht ⇒ xU*y,13

so gewinnt (1.12) folgende einfache Gestalt:

(1.14) Es gibt eine Erstursache.

Zur Rekonstruktion der secunda via zieht Lauth ferner die folgenden einfachen Prämissen heran, die sich sinngemäß auch im Text von Thomas finden:

(1.15) Es gibt etwas, was Ursache von etwas ist.
(1.16) Nichts ist Ursache von sich selbst.

Nach Lauth besteht die secunda via in dem Schluß von (1.11), (1.15) und (1.16) auf (1.14). Er weist zutreffend darauf hin, dass dieser Schluß nicht folgerichtig ist, ohne das jedoch zu erläutern. Man kann sich den Sachverhalt in einfacher Weise so klarmachen: Angenommen, für vier Veränderungen a, b, c, d gilt, dass a Ursache von b und c Ursache von d ist. Die umgekehrten Beziehungen mögen nicht gelten. Angenommen ferner, dass keine der vier Veränderungen Ursache von sich selbst ist. Dann sind in Bezug auf diese vier Veränderungen zwar alle Prämissen richtig, die Konklusion jedoch ist falsch.
Explikationen der via secunda, die unmittelbar an den Text des Aquinaten anschließen, haben den Nachteil, daß sie eine sehr starke Prämisse einbeziehen müssen: Es handelt sich um Thomas Annahme, dass mit jeder Ursache auch eine erste Ursache gegeben ist.14 Diese Prämisse geht aber weit über das hinaus, was man aufgrund des Kausalprinzips behaupten darf. Das Kausalprinzip besagt lediglich, dass jede Veränderung mindestens eine Ursache hat. Dies lässt sch dahingehend verallgemeinern, dass es zu jeder Kausalfolge einen kausalen Vorgänger15 aller Glieder dieser Folge gibt. Mit der Existenz einer ersten Ursache behauptet Thomas jedoch weit mehr. Worauf will er hinaus? Eine Antwort hierauf kann unter Verwendung des sogenannten Zornschen Lemmas gegeben werden. Das Zornsche Lemma ist bekanntlich äquivalent mit dem Auswahlaxiom. Letzteres besagt in seiner einfachsten Fassung, dass es zu jedem nichtleeren System paarweise disjunkter, nichtleerer Mengen eine Auswahlmenge gibt, die mit jeder Menge des Mengensystems genau ein Element gemeinsam hat. Nach dem Zornschen Lemma besitzt eine halbgeordnete Menge, in der jede Kette eine obere Schranke hat, ein maximales Element.16
Die „duale“ Fassung des Zornschen Lemmas, in der von der Existenz unterer Schranken auf die Existenz eines minimalen Elements geschlossen wird, kann in vorteilhafter Weise dazu verwendet werden, den kosmologischen Gottesbeweis der secunda via in ebenso eleganter wie substantieller Weise zu entfalten. Dies hat zum ersten Mal R.K. Meyer im einzelnen nachgewiesen.17
Meyer weist darauf hin, dass er von Hilary Putnam auf die Relevanz des mengentheoretischen Prinzips der transfiniten Induktion für den kosmologischen Gottesbeweis aufmerksam gemacht worden ist.18. Allerdings sind Meyers Ausführungen in mancher Hinsicht nicht hinreichend transparent und präzise.
Im folgenden wird eine Rekonstruktion und Modifikation der Meyerschen Darstellung vorgenommen, wobei vorallem auf technische Präzision Wert gelegt wird. Alles in alem wird gezeigt, dass unter gewissen Voraussetzungen die beiden folgenden Hauptergebnisse gelten:

(a) Es gibt eine Veränderung x derart, dass für keine Veränderung y gilt: yU*x.
(b) Es gibt genau eine Veränderung x derart, dass für alle von x verschiedenen Veränderungen y gilt: xU*y.19

Die Behauptung (b) ist stärker als die Behauptung (a). Wenn U* irreflexiv und transitiv ist, folgt (a) aus (b).20.

2. Mengentheoretische Präliminarien

Im folgenden werden zunächst einige etablierte mengentheoretische Begriffe eingeführt, die sich auf gewisse Ordnungsstrukturen beziehen. Diese Ordnungsstrukturen werden später mit der Kausalstruktur in Verbindung gebracht.
Für beliebige, nicht notwendig voneinander verschiedene zweistellige Relationen R und S ist die Relationsverkettung R · S wie folgt definiert:

(2.1) R · S := { (x, y) | ∃ z : xRz & zRy}

Für n ∈ N, n ≥ 1,21 kann die n-fache Verkettung Rn einer Relation R induktiv folgendermaßen definiert werden:

(2.2) R1 := R, Rn+1 = R · Rn.

Damit ist das "ancestral" R* von R explizit definierbar:

(2.3) R* := { (x, y) | ∃ n ∈ N : n ≥ & xRny}.22

Da R = R1, folgt, dass xRy hinreichend ist für xR*y. Wir zeigen nun, dass R* transitiv ist. Dies ergibt sich aus folgendem

(2.4) Lemma: Seien m,n ∈ N. Wenn xRmy und yRnz, dann ist xRm+nz.

Beweis: Vollständige Induktion nach n.
Sei xR1y und yRnz. Dann gibt es ein y mit xRy und yRnz. Also ist xR·Rnz, d.h. xRn+1z und mithin xR1+nz.
Schritt: Sei xRk+1y und yRnz. Dann gibt es ein ξ mit xRξ und ξRky. Nach Induktionsannahme ist also ξRk+nz. Zusammen mit xRξ folgt xRk+1+nz. Q.e.d.

(2.5) Korollar: xR*y & yR*z ⇒ xR*z.

Wir kommen nun zum Begriff der Halbordnung. Dieser Begriff wird in der Literatur sowohl im Sinne von < als auch von ≤ definiert. Wir wollen Halbordnungen stets im erstgenannten Sinn verstehen.

(2.6) Def.: Sei M eine Menge. < ist eine Halbordnung bezüglich M, genau dann, wenn gilt: < ⊆ M × M,22 es gibt kein x ∈ M mit x < x und für alle x, y, z ∈ M gilt: x < y & y < z ⇒ x < z.

Jede Teilmenge einer halbgeordneten Menge ist halbgeordnet:

(2.7) Lemma: Sei < eine Halbordnung auf M, M′ ⊆ M und <′ := { (x, y) | x, y ∈ M′ & x < y} ⇒ <′ ist eine Halbordnung auf M′.

Beweis: trivial.
Es folgen weitere Definitionen.

(2.8) Def.: k ist eine <-Kette in M :⇔ < ist eine Halbordnung auf M, K ⊆ M und für alle x, y ∈ K gilt: x < y oder x = y oder y = x (Trichotomie).
(2.9) Def.: x ist eine untere <-Schranke von K in M :⇔ < ist eine Halbordnung auf M, K ⊆ M, x ∈ M und für alle y ∈ K gilt: x ≤ y.
(2.10) Def.: M hat die untere <-Schrankeneigenschaft :⇔ < ist eine Halbordnung auf M und zu jeder <-Kette K ⊆ M gibt es wenigstens eine untere <-Schranke von K.
(2.11) Def.: x ist <-minimal in M :⇔ < ist eine Halbordnung auf M, x ∈ M und es existiert kein y ∈ M mit y < x.

Wir kommen nun zur "dualen" Fassung des Zornschen Lemmas. Auf die Ableitung aus dem Auswahlaxiom wollen wir hier aus Platzgründen nicht näher eingehen.23

(2.12) Lemma von Zorn: Sei M eine Menge. Wenn M die untere <-Schrankeneigenschaft hat, dann gibt es ein <-minimales Element in M.

Bemerkung: Eine Menge kann mehrere minimale Elemente enthalten, ohne dass sie ein sogenanntes "erstes" Element enthält.

(2.13) Def.: x ist ein <-erstes Element in M :⇔ < ist eine Halbordnung auf M, x &isinM M und für jedes von x verschiedene y ∈ M gilt: x < y.

Ein erstes Element einer Menge ist minimal, und wenn eine Menge mindestens ein erstes Element enthält, dann enthält sie höchstens ein solches:

(2.14) Lemma: Sei M eine Menge. Wenn x ein <-erstes Element in M ist, dann ist x <-minimal in M.

Beweis: Sei x ein <-erstes Element in M. Wäre x nicht <-minimal in M, so gäbe es ein y ∈ M mit y < x. Wäre y = x, so wäre x < x. Dies ist jedoch unmöglich, da < irreflexiv ist. Wäre dagegen y ≠ x, so wäre voraussetzungsgemäß x < y. Da < transitiv ist, wäre wegen y < x wieder x < x, Widerspruch. Q.e.d.

(2.15) Lemma: Sei M Menge. Wenn es mindestens ein <-erstes Element in M gibt, dann gibt es genau ein <-erstes Element in M.

Beweis: Annahme: Es gibt ein <-erstes Element x ∈ M und ein von x verschiedenes <-erstes Element x′ ∈ M. Dann wäre sowohl x < x′ als auch x′ < x. Also wäre x < x, im Widerspruch zur Irreflexivität von <. Q.e.d.

Wir werden in (2.18) eine hinreichende Bedingung für die Existenz eines ersten Elementes angeben. Dazu wird folgender Hilfssatz benötigt:

(2.16) Lemma: Sei M Menge. Wenn M die untere Schrankeneigenschaft hat, dann gibt es zu jedem y ∈ M ein <-minimales Element x ∈ M mit x ≤ y.

Beweis: Angenommen, M hat eine untere Schrankeneigenschaft und y ∈ M. Sei ferner M° = {x | x ≤ y}. dann gilt:
(1*) M° ⊆ M.
Denn ist x ∈ M°, so ist x ≤ y. Falls x < y ergibt sich x ∈ M, da < eine Relation in M ist. Falls x = y, ergibt sich wegen y ∈ M ebenfalls x ∈ M. Sei nun <° := { (u, v) | u, v ∈ M° & u < v}. Offenbar gilt dann
(2*) <° ⊆ <.
Wir wollen nun zeigen, dass M° die untere <°-schrankeneigenschaft hat. Wegen Lemma (2.7) und (1*) gilt:
(3*) <° ist eine Halbordnung auf M°
Dafür, daß M° die untere <°-Schrankeneigenschaft hat, ist noch zu zeigen:
(4*) Zu jeder <°-Kette K in M° gibt es eine untere <°-Schranke von K in M°.
Hierzu nehmen wir an, daß K eine <°-Kette in M° ist.
Fall 1.: K = ø. Da y ∈ M°, ist y trivialerweise eine unterer <°-schranke von K in M°.
Fall 2.: K ≠ ø. Nach Voraussetzung ist < eine Halbordnung auf M. Wegen K ⊆ M° und (1*) ist ferner K ⊆ M. Und da K eine <°-Kette in M° ist gilt nach (2*) für alle u, v ∈ K, daß u < v oder u = v oder v < u. Somit ist K eine <-Kette in M. Da M voraussetzungsgemäß die untere <-Schrankeneigenschaft hat, gibt es also eine <-Schranke x0 von K in M. Wir zeigen nun, daß x0 auch eine untere <°-Schranke von K in M° ist. Es gilt:
(a) x0 ∈ M°.
Denn wegen K ≠ ø gibt es ein z0 mit z0 ∈ K. Mit K ⊆ M° ergibt sich hieraus z0 ∈ M°, d.h. z0 ≤ y. Da x0 eine untere Schranke von K in M ist, folgt x0 ≤ z0. Ist x0 = z0, so ist x0 ∈ M°. Ist dagegen x0 < z0, so ergibt sich mit z0 ≤ y aufgrund der Transitivität von <, dass x0 ≤ y, d.h., es gilt wiederum x0 ∈ M°.
(b) Für alle z aus K gilt x0 ≤° z.
Denn ist z0 ∈ K, so ist wegen K ⊆ M° auch z ∈ M°. Nach (a) ist ferner x0 aus M°, da x0 eine untere Schranke von K bzwgl. M ist, ergibt sich x0 ≤ z. Aufgrund der Definition von <° folgt somit x0 ≤° z. Gemäß (a) und (b) ist x0 somit eine untere <°-Schranke von K in M°.
Sowohl im Fall 1 als auch im Fall 2 gibt es somit eine untere <°-Schranke von K in M°. Es gilt also (4*).
Zusammen mit (3*) ergibt sich:
(5*) M° hat eine untere <°-Schrankeneigenschaft.
Hierauf lässt sich das Zornsche Lemma in der dualen Fassung anwenden, und man erhält
(6*) Es gibt ein <°-minimales Element x in M°.
Wir zeigen nun noch, daß x ein <-minimales Element in M mit x ≤ y ist. Wegen (6*) ist zunächst x ∈ M°, d.h. x ≤y. Angenommen, x wäre nicht <-minimal in M. Da M° ⊆ M, ist x ∈ M. Und da < eine Halbordnung auf M ist, gäbe es folglich ein z1 ∈ M mit z1 ≤ x. Nun ist x < y oder x = y. Falls x < y, ergäbe sich mit z1 < x aufgrund der Transitivität von <, daß z1 < y. Also wäre z1 ≤ y und folglich auch z1 ∈ M°. Zusammen mit x ∈ M° erhielte man somit z1 <° x, im Widerspruch zu (6*). Falls hingegen x = y, so wäre wegen z1 < x auch z1 < y und somit z1 ∈ M°. Wg. x ∈ M°, ergäbe sich im Widerspruch zu (6*) abermals z1 <° x. damit ist gezeigt, daß x <-minimal ist.
Q.e.d.

Wir betrachten nun solche halbgeordneten Mengen, deren Elemente in folgendem Sinn "abwärts gerichtet" sind:

(2.17) Def.: M ist abwärts <-gerichtet :⇔ < ist eine Halbordnung auf M und für alle voneinander verschiedenen x, y ∈ M gibt es ein z ∈ M derart, daß z ≤ x und z ≤ y.

So ist z.B. die Menge der ganzen Zahlen bezüglich der gewöhnlichen Kleiner-Relation abwärts gerichtet. Der entscheidende Hilfssatz lautet nun:

(2.18) Lemma: Sei M eine Menge, habe M die untere <-Schrankeneigenschaft und sei M abwärts gerichtet. Dann gibt es ein <-erstes Element in M.

Beweis: Unter der Voraussetzung des Lemmas gibt es aufgrund des Zornschen Lemmas in der Fassung (2.12) ein <-minimales x ∈ M. Also gilt:
(*) x ∈ M & es gibt kein w &isin M mit w < x.
Um zu zeigen, dass x ein <-erstes Element in M ist, nehmen wir an, dass y ein von x verschiedenes Element in M ist. Nach (2.16) gibt es dann ein <-minimales Element z in M mit z ≤ y. Also
(**) z ∈ M und es gibt kein w aus M mit w < z.
Wäre nun x ≠ z, so gäbe es, da M voraussetzungesgemäß abwärts <-gerichtet ist, ein w aus M mit w ≤ x und w ≤ z. Wegen (*) und (**) ist das aber unmöglich. Also ist x = z. Wegen z ≤ y und x ≠ y ist daher x < y. Q.e.d.

3. Die Existenz der Erstursache

Aufgrund der Ergebnisse aus Abschnitt 2 kann nun leicht die Existenz einer Erstursache bewiesen werden. Wir betrachten die Kausalrelation dabei als Grundrelation und schreiben wieder xUy für "x ist Ursache von y".
Nach (2.5) ist U* transitiv. Hierbei muss nicht vorausgesetzt werden, daß U transitiv ist. Falls xU*y , so sagen wir wieder, daß x kausaler Vorgänger von y ist. Die Relatio U ist irreflexiv. Dies ergibt sich aus der Voraussetzung, dass U* irreflexiv ist. Unter Verwendung des Zornschen Lemmas kann nun gezeigt werden, dass es eine Veränderung gibt, welche keinen kausalen Vorgänger besitzt. Eine solche Veränderung ist als in Bezug auf die Gesamtheit aller Veränderungen U*-minimal. Vorausgesetzt wird dabei, dass U* bzgl. der Gesamtheit aller Veränderungen eine Halbordnung ist. Ausserdem setzen wir voraus, dass jede U*-Kette in der Gesamtheit aller Veränderungen eine untere U*-Schranke besitzt. Diese Voraussetzung kann als eine Verallgemeinerung des traditionellen Kausalprinzips aufgefasst werden. Sie besagt in etwa, dass es zu jeder Kausalkette K eine Veränderung x gibt, welche kausaler Vorgänger aller von x verschiedenen Veränderungen in K ist. Um diese Voraussetzungen kompakt zu formulieren, definieren wir:

(3.1) Def.: W := { x | ∃ y : xUy oder yUx}

Nach (3.1) ist W also das Feld der Kausalrelation U. Der Buchstabe "W" soll dabei an das Wort "Wirklichkeit" erinnern. Die genannten Voraussetzungen lassen sich nun zu folgendem Axiom zusammenfassen:

(3.2) Axiom: W hat die untere U*-Schrankeneigenschaft.

Den Begriff der Erstursache verstehen wir nunmehr in folgendem Sinn:

(3.3) Def.: x ist eine Erstursache :⇔ x ist U*-minimal in W.24

Eine Veränderung ist also eine Erstursache, wenn sie keinen kausalen Vorgänger besitzt. Wir kommen damit zu dem bereits angekündigten Theorem:

(3.4) Theorem: Es gibt wenigstens eine Erstursache.

Beweis: Nach (3.2) hat W die untere U*-Schrankeneigenschaft. Aufgrund des Zornschen Lemmas (2.12) folgt, dass es eine U*-minimale Veränderung in W gibt. Eine solche Veränderung ist eine Erstursache. Q.e.d.

Durch (3.4) ist nicht ausgeschlossen, dass es mehr als eine Erstursache gibt. Unter welchen Voraussetzungen gibt es genau eine Erstursache? Eine Antwort hierauf enthält das nächste Theorem. Dieses bezieht sich auf die Existenz einer "absoluten" Erstursache. Zunächst aber die

(3.5) Definition: x ist eine absolute Erstursache :⇔ x ist ein U*-erstes Element in W.25

Eine Veränderung ist also eine absolute Erstursache, wenn sie kausaler Vorgänger aller anderen Veränderungen ist. Gemäß (2.14) ist jede absolute Erstursache auch eine Erstursache. Das Umgekehrte gilt selbstverständlich nicht. Zum Beweis des nächsten Theorems noch das folgende

(3.6) Axiom: W ist abwärts U*-gerichtet.

Dieses Axiom besagt, dass je zwei Veränderungen, von denen keine kausaler Vorgänger der anderen ist, wenigstens einen gemeinsamen kausalen Vorgänger besitzen. Im Hinblick auf die Ergebnisse der modernen Physik ist das nicht unplausibel. Denn man kann zwei beliebige Veränderungen als Endglieder zweier Kausalreihen auffassen, welche sich in einem gemeinsamen Ursprung kreuzen. Das Theorem lautet nun:

(3.7) Theorem: Es gibt genau eine absolute Erstursache.

Beweis: Nach (3.2) hat W die untere U*-Schrankeneigenschaft. Da W nach (3.6) abwärts U*-gerichtet ist, gibt es gemäß (2.18) ein U*-erstes Element in W.26 Aufgrund von (2.15) gibt es also genau ein U*-erstes Element in W. Mit anderen Worten: Es gibt genau eine absolute Erstursache. Q.e.d.

4. Vorbehalte

Es liegt nahe, die absolute Erstursache mit Gott zu identifizieren. Das Naheliegende ist allerdings nicht immer das Richtige. Zudem kann man gegenüber der Theoreme (3.4) und (3.7) einige Vorbehalte anbringen.
Es wurde gezeigt, dass die Existenz einer absoluten Erstursache unter gewissen Voraussetzungen ableitbar ist. Zu diesen Voraussetzungen gehören das Kausalprinzip in der Fassung (3.2) und das Zornsche Lemma in der dualisierten Fassung (2.12). Mag auch (3.2) einigermaßen einleuchten, so erheben sich doch gegen das Zornsche Lemma ernste Bedenken. Da das Zornsche Lemma mit dem Auswahlaxiom äquivalent ist, richten sich die klassischen Haupteinwände gegen das Auswahlaxiom auch gegen das Zornsche Lemma. In der Tat ist das Auswahlaxiom alles andere als unproblematisch. Das zeigt u.a. der Umstand, dass sich mit seiner Hilfe geradezu paradoxe Ergebnisse gewinnen lassen, wie das Paradoxon von Banach-Tarski. Aber auch aus anderen Gründen erweist sich das Auswahlaxiom als höchst bedenklich. Der vielleicht wichtigste unter diesen besteht darin, dass das Auswahlaxiom in Quines System Nf widerlegbar ist.27 Unter den verschiedenen mengentheoretischen Systemen ist Nf aber das einzige, das nicht nur technisch elegant, sondern auch wahrhaft philosophisch geläutert ist. Das Auswahlaxiom ist daher in dem Maße unplausibel, in dem Nf unplausibel ist.
Hingegen gilt festzuhalten: Wer das Auswahlaxiom akzeptiert, für den wird der "kosmologische Gottesbweis" konsequent.


Anmerkungen:

1 Thomas von Aquin: Summa theologiae, I,q2, a3.
2 Essler, W.K., Einführung in die Logik, Stuttgart 21969.
3 Ibid., S. 222. Die Orignalformulierung bei Thomas lautet: "Non autem est possibile quod in causis efficientibus procedatur in infinitum."
4 Ibid., S. 224. Essler spricht hier irreführenderweise stets von "Dingen", wo von "Veränderungen" die Rede sein müsste: Nicht Dinge werden bewirkt oder bewirken, sondern Veränderungen.
5 Ibid., S. 244.
6 Ibid., S. 244. In formaler Schreibweise kann man das so ausdrücken: ∃x ∀y : x≠y ⇒ ¬yBx. Dabei stehe "yBx" für die Relation "y bewirkt x". Wir übernehmen die formale Schreibweise im Laufe des Artikels.
7 "gdw" steht für "genau dann, wenn", wir übernehmen später das formale Zeichen "⇔".
8 Ibid., S. 233f.
9 Hier und im folgenden schreiben wir statt "(x, y) ∈ R" einfach "xRy".
10 Lauth 1988.
11 Ibid., S.99.
12 Um den hier definierten Begriff von dem in (1.4) definierten abzuheben, schreiben wir "Ursache*" statt "Ursache". Ist xU*y, so sagen wir auch, daß x kausaler Vorgänger von y ist.
13 Man beachte, dass hier ein einstelliges Prädikat definiert wird.
14 Vgl. (1.6) bzw. (1.11).
15 Zum Begriff des kausalen Vorgängers vgl. Anmerkung 12.
16 Dies ist nur eine grobe Formulierung des Zornschen Lemmas. Für weitere Einzelheiten vgl. Abschnitt 2.
17 Meyer 1987
18 Ibid., S. 361.
19 Es wird dabei vorausgesetzt, dass U* irreflexiv ist.
20 Vgl. hierzu (2.14)
21 N steht hier für die Menge der natürlichen Zahlen {1, 2, 3, ...}.
22 M × M bedeutet das kartesische Produkt von M mit sich selbst, d.h. ist P(M) die Menge aller Teilmengen von M (Potenzmenge), so ist M × M ∈ P'''''P'''''P(M).
23 Vgl. dazu etwa Klaua, D., Mengenlehre. Berlin/New York, 1979, § 13.
24 Man beachte den Unterschied zu (1.4) und (1.13).
25 Unter der Voraussetzung, dass U* irreflexiv ist, ist jede absolute Erstursache eine Erstursache im Sinne von (1.13)
26 Hier ist zu beachten, dass (2.18) unter verwendung des Zornschen lemmas bewiesen wurde.
27 Vgl. dazu Specker 1953.

Literatur

ESSLER, W.K., Einführung in die Logik, Stuttgart 1969. LAUTH, B., Formallogische Untersuchungen zu Aristoteles und Thomas von Aquin, Diss., München 1988. MEYER, R.K., "God exists!", Nous 21 (1987), 345-361. SPECKER, E., "The Axiom of Choice in Quine's New Foundations for mathematical logic", Proceedings of the National Academy of Sciences 39 (1953), 972-975.