Strahlenexposition

Als Strahlenbelastung oder auch Strahlenexposition bezeichnet man die Einwirkung von Strahlung auf Lebewesen. Im Gegensatz zum Begriff Strahlenexposition setzt Strahlenbelastung im Sprachgebrauch des Strahlenschutzes eine schädigende Wirkung voraus. Es gibt unterschiedliche Arten von Strahlung, die in zwei große Gruppen unterteilt werden. Ist die Energie so hoch, dass sie aus Atomen und Molekülen Elektronen entfernen kann, spricht man von ionisierender Strahlung. Dazu gehören die Röntgen- und Gammastrahlung sowie die Teilchenstrahlung (Alpha-, Betastrahlung). Teilchenstrahlung wird, wie auch die Gammastrahlung, von radioaktiven Stoffen ausgesendet. Reicht die Energie für eine Ionisation nicht aus, handelt es sich um nichtionisierende elektromagnetische Strahlung. Deren Bereich beginnt mit Radiowellen und reicht über Mikrowellen und Wärmestrahlung bis zum sichtbaren Licht.
Strahlenexposition durch natürliche Quellen
Die gesamte Welt und damit auch die Menschen sind ständig ionisierender Strahlung ausgesetzt. Die Ursache dafür sind natürliche Strahlenquellen, die unabhängig vom Menschen entstanden sind und existieren.
Aus dem Weltall gelangt kosmische Strahlung auf die Erde. Aufgrund der schützenden Lufthülle ist die Stärke von der Höhenlage abhängig. Im Durchschnitt führt die kosmische Strahlung am Boden zu einer effektiven Dosis von etwa 0,3 mSv pro Jahr. Reist man mit einem Flugzeug, so reduziert sich die Schutzwirkung der Lufthülle, in Abhängigkeit von Flughöhe und geographischen Breite des Fluges. Eine Abschätzung der während eines Fluges aufgenommenen Strahlenbelastung ist mittels eines Rechenprogramms möglich, welches vom Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF) im Internet bereitgehalten wird: http://www.gsf.de/epcard2
Eine weitere Strahlungsquelle sind die natürlichen Radionuklide in den Böden und Gesteinen der Erdkruste. Sie wird als terrestrische Strahlung bezeichnet. Sie wird verursacht von Radionukliden, die vor der Entstehung des Sonnensystems gebildet wurden und nun aufgrund ihrer langen Halbwertzeit noch übrig geblieben sind. Der Mittelwert der effektiven Dosis beträgt ebenfalls etwa 0,3 mSv pro Jahr.
Aus dem Boden gelangen die natürlichen Radionuklide in Wasser, Pflanzen und Tiere und damit in die Nahrung des Menschen. Alle Nahrungsmittel und auch das Wasser enthalten geringe Konzentrationen natürlicher Radionuklide. Am häufigsten ist das radioaktive Element Kalium-40. Dies führt dazu, dass auch der Mensch selbst eine gewisse Menge natürlicher Radionuklide enthält. Im Mittel sind dies rund 9000 Bq.
Eine besondere Stellung unter den natürlichen Radionukliden nimmt das Radon ein. Radon-222 ist ein radioaktives Edelgas, das aus dem Boden stammt und in geringer Konzentration praktisch überall vorkommt. Es entsteht aus dem Zerfall von Uran und zerfällt selbst in eine Reihe weiterer Nuklide. Im Freien wird es rasch verdünnt, in Wohnungen kann es sich jedoch unter Umständen zu höheren Konzentrationen anreichern, insbesondere in einigen Gebieten Deutschlands, in denen besondere geologische Verhältnisse existieren. Die durchschnittliche Radonkonzentration in Wohnungen beträgt in Deutschland etwa 50 Bq/m³.
Insgesamt beträgt die effektive Dosis des Menschen durch natürliche Quellen etwa 2,4 mSv pro Jahr, etwa die Hälfte davon wird durch das Radon verursacht. Der Wert schwankt jedoch regional und liegt in Deutschland zwischen 1 und 5 mSv pro Jahr. In anderen Regionen der Welt kann er bei 100 mSv pro Jahr liegen.
Strahlenexposition durch künstliche Quellen
Mit der Entwicklung von Industrie, Forschung und Medizin hat sich der Mensch in zunehmendem Maße radioaktive Stoffe und ionisierende Strahlung nutzbar gemacht. Diese sind Ursache einer zusätzlichen, so genannten zivilisatorischen Strahlenexposition. Der weitaus größte Teil davon ist der Medizin zuzurechnen, vor allem der diagnostischen Anwendung der Röntgenstrahlung und in der Nuklearmedizin. Bei den meisten Untersuchungen treten Dosen auf, die mit jenen vergleichbar sind, die der Mensch seit jeher durch natürliche Strahlenquellen aufnimmt. Insgesamt beträgt die effektive Dosis durch medizinische Anwendungen im Durchschnitt etwa 1,5 mSv pro Jahr.
Ein weiterer, allerdings sehr geringer Teil der zivilisatorischen Strahlenexposition ist auf den Normalbetrieb von kerntechnischen Anlagen, beispielsweise Kernkraftwerken, zurückzuführen. Technologisch bedingt gelangen beim Betrieb von Kernkraftwerken geringe Mengen radioaktiver Stoffe über den Kamin in die Luft oder werden über das Abwasser in die Umgebung abgegeben. Die daraus resultierende effektive Dosis liegt in der Praxis im Mittel unter 0,01 mSv, das heißt erheblich unterhalb der natürlichen Strahlenexposition.
Deutlich größer können die Belastungen bei gravierenden Unfällen sein. Für das erste Jahr nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl wurde eine zusätzliche durchschnittliche effektive Dosis von 1,0 mSv in Bayern und 0,1 mSv in Nordrhein-Westfalen errechnet. In unmittelbarer Nähe des brennenden Reaktors von Tschernobyl waren die Menschen extrem hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt.
Von kerntechnischen Unfällen einmal abgesehen, ist - was oftmals nicht beachtet wird - die Strahlenbelastung des Menschen durch Gewinnung und Einsatz von Kohle deutlich höher als diejenige durch Kernkraftwerke. In Kohle sind Spuren verschiedener radioaktiver Substanzen enthalten, vor allem von Radon, Uran und Thorium. Bei der Kohleförderung, vor allem aus Tagebauen, über Abgase von Kraftwerken oder über die Kraftwerksasche werden diese Substanzen freigesetzt und tragen zur künstlichen Strahlenbelastung bei. Dabei ist vor allem die Bindung an Feinstaubpartikel besonders kritisch. In der Umgebung von Kohlekraftwerken können z.T. sogar höhere Belastungen gemessen werden als in der Nähe von Kernkraftwerken. Nach Schätzungen des Oak Ridge National Laboratory werden durch die Nutzung von Kohle zwischen 1940 bis 2040 weltweit 800.000 t Uran und 2 Mio. t Thorium freigesetzt werden.[1][2]
Eine weitere Strahlenquelle sind Zigaretten. Das Rauchen einer Zigarette führt zu einer Strahlenbelastung in Höhe von 0,07 mSv.[3]
Kernwaffentests fallen mittlerweile mit ca. 0,005 mSv (in Deutschland) nicht mehr stark ins Gewicht. In den 1960er Jahren dagegen war die Strahlenexposition für Mitteleuropäer höher als nach dem Unfall in Tschernobyl.
Wirkung ionisierender Strahlung auf den Menschen
Seit Beginn seiner Existenz ist der Mensch Strahlung ausgesetzt. Heute weiß man, dass ionisierende Strahlung eine schädigende Wirkung auf die Zelle als kleinste biologische Einheit ausüben kann, indem sie die Erbsubstanz verändert oder zerstört. Der Organismus besitzt in begrenztem Maße die Fähigkeit, Zellverluste auszugleichen sowie geschädigte Zellen zu erkennen und durch bestimmte Mechanismen den Normalzustand wiederherzustellen. Die Abwehr- und Reparatursysteme können jedoch versagen oder überfordert sein. Der ausschlaggebende Faktor dafür ist die Höhe der Dosis. Man unterscheidet zwei Arten von biologischen Wirkungen:
Deterministische oder akute Strahlenwirkungen können direkt auf eine bestimmte Strahlenexposition zurückgeführt werden. Sie treten innerhalb weniger Stunden oder Tage nach Expositionen mit effektiven Dosen ab ca. 200 mSv auf, ab ca. 1 Sv als Strahlenkrankheit. Betroffen sind in erster Linie die Blutbildungsorgane, die Schleimhäute des Magen-Darm-Traktes und der Luftwege sowie die Keimdrüsen. Es können aber auch Verätzungen an den Geschlechtsorganen auftreten. Bereits eine leichte Strahlenkrankheit kann ohne ärztliche Behandlung zum Tod führen, ab ca. 10 Sv besteht praktisch keine Überlebenschance. Bekannte Beispiele für akute Strahlenwirkungen und Strahlenkrankheiten finden sich beim Reaktorunfall in Tschernobyl oder bei den Atombombenexplosionen in Hiroshima und Nagasaki.
Die zweite Art sind die stochastischen Strahlenwirkungen. Sie treten mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Exposition auf. Die Höhe der Dosis beeinflusst dabei nicht die die Schwere der Erkrankung, sondern nur die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens. Da diese Wahrscheinlichkeit im niedrigen Dosisbereich sehr gering ist, können solche Spätschäden aufgrund der vergleichsweise geringen Fallzahlen oft nicht statistisch nachgewiesen werden.
Untersuchungen in Hiroshima und Nagasaki zeigen, dass auch Menschen, die nur geringen Strahlenbelastungen ausgesetzt waren, Spätfolgen erlitten. Zehn Jahre nach den Atombombenabwürfen stieg die Zahl der Leukämie-Erkrankten an, nach 25 Jahren auch die Zahl anderer Krebserkrankungen. Aber auch andere Spätfolgen begründen durch ihre statistische signifikante Nachweisbarkeit die Vermutung, dass die Wirkung auch einer geringfügigen Dauerstrahlenbelastung nicht unerheblich ist. So ist bei den männlichen Überlebenden die Anzahl der Spermien stark reduziert. Diese Reduktion hält lange an und ist teilweise permanent. Wenn Menschen einer zusätzlichen effektiven Dosis von 1 mSv pro Jahr ausgesetzt sind, könnte die Zahl der Krebstoten um 1 bis 2 je 100.000 Menschen steigen. Die Vermutungen sind bis heute jedoch sehr unsicher. Nicht-krebsartige Spätwirkungen ionisierender Strahlung können in vielen Organen auftreten, insbesondere in Knochenmark, Nieren, Lunge und Augenlinse.
Schutz vor Ionisierender Strahlung
Da die Wirkungen auf rein statistischen Werten beruhen, kann man nur schwer Grenzwerte für die Normalbevölkerung festlegen. In der Praxis legt man dafür die Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenexposition zu Grunde. Jeder Grenzwert ist auch ein gesellschaftlich relevanter Wert. Das bedeutet, dass die gesetzlichen Werte nur so hoch sein können, wie sie die menschliche Gesellschaft akzeptiert.
Für den Schutz der Bevölkerung und der Umwelt vor Strahlung aus der gezielten Nutzung von Radioaktivität ist folgender Grenzwert (effektive Dosis) in der europäischen Richtlinie 96/29/EURATOM und der deutschen Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) festgelegt:
- 1 mSv pro Jahr für die Bevölkerung
Für volljährige Personen (mit Ausnahme von schwangeren Frauen), die beruflich strahlenexponiert sind, gelten nach den o.g. Rechtsnormen folgende Grenzwerte (effektive Dosis):
- 20 mSv pro Jahr
- 50 mSv pro Jahr (Einzelfall)
Wichtig sind aber auch Grenzwerte, die für Hilfsdienste festgelegt werden, da diese naturgemäß höher sein müssen, wenn es um die Rettung von Menschenleben oder besondere Sachwerte geht. So wurden in Österreich nach dem Strahlenschutzgesetz für Einsatzkräfte bzw. in Deutschland nach der Strahlenschutzverordnung bei Personengefährdung und Hilfeleistung folgende Grenzwerte festgelegt und u.a. vom Bundesfeuerwehrverband übernommen:
- 15 mSv im normalen Feuerwehreinsatz (Einsatzdosis) in Österreich
- 100 mSv zur Lebensrettung - dieser Wert darf einmal pro Jahr aufgenommen werden (Lebensrettungsdosis)
- 250 mSv im Katastrophenfall, diese darf nur einmal im Leben aufgenommen werden (Katastrophendosis).
Tabellen
Die folgende Tabelle zeigt Art und Ausmaß verschiedener Arten von Strahlenbelastungen. Bei den Zahlenangaben handelt es sich um Mittelwerte. Abweichungen nach oben und unten sind je nach Wohnort, Tätigkeit etc. möglich.
Art der Strahlenquelle | Effektive Dosis im Jahr |
---|---|
Natürliche Strahlenquellen | |
Kosmische Strahlung (auf Meeresniveau) |
0,3 mSv |
Terrestrische Strahlung Äußerliche Bestrahlung |
0,5 mSv |
Künstliche Strahlenquellen | |
Medizinische Anwendungen | 1,5 mSv |
Kernkraftwerke (Normalbetrieb) | 0,01 mSv |
Folgen des Tschernobyl-Unfalls | 0,02 mSv |
Atombombenversuche | 0,01 mSv |
Sonstige künstliche Strahlung | 0,02 mSv |
Zusammen | 3,7 mSv |
Zunahme der Strahlenbelastung durch kosmischen Strahlung mit der Höhe, Abnahme des terrestrischen Anteils:
Höhe über dem Erdboden | Effektive Dosis im Jahr |
---|---|
300 km (Space Shuttle) | 100-200 mSv (bei ruhiger Sonne) |
10 km (Flugzeug) | 30 mSv |
3800 m | 1.8 mSv |
3000 m | 1 mSv |
2000 m | 0.6 mSv kosmisch + ~1 mSv terrestrisch |
0 m | 0.3 mSv kosmisch + 0.5-2 mSv terrestrisch |
Geschätzte Strahlenbelastung im Weltall:
Aufenthaltsort im All | Effektive Dosis im Jahr |
---|---|
Interstellar | 300-700 mSv |
Interplanetar | ~200 mSv (bei ruhiger Sonne) |
Mond | ~100 mSv (bei ruhiger Sonne) |
Folgende Tabelle zeigt die Folgen kurzzeitiger und akuter Strahlenbelastungen:
Dosis bei kurzzeitiger Bestrahlung | Strahlenschäden |
---|---|
250 bis 500 mSv | Veränderungen im Blutbild, Schäden an Embryos |
1000 mSv | Akute Gefahr für die Gesundheit, beginnende Strahlenkrankheit (Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall) |
2000 mSv | Strahlenkrankheit, Hautschäden, etwa 10% Todesfälle |
3000 mSv | Blutungen, schwere Veränderungen im Blutbild, etwa 20% Todesfälle |
4000 mSv | Schwere Entzündungen, 50% Todesfälle innerhalb von 5 Wochen |
Ab 6000 mSv | Mehr als 90% Todesfälle, selbst durch Transplantation von Knochenmark kann man die Mehrzahl der Verletzten nicht mehr retten. |
Zusätzlich sind Spätschäden (Krebs u. Erbschäden) möglich.
Quellen
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung, Jahresbericht 2002
- Bundesamt für Strahlenschutz: Strahlung und Strahlenschutz (Informationsbroschüre, 1998)
- Physik für Gymnasien; Berlin, 1991. Siehe unter Strahlenbelastung (S. 434)
- Microsoft Encarta '99, Stichwort: Strahlenwirkungen, biologische
Einzelnachweise
Siehe auch
Weblinks
- Inwieweit lebt der Mensch ständig unter Strahlenbelastung? Weiterführende Informationen
- Das "Glossar Strahlenschutz" des Forschungszentrums Jülich (Sicherheit und Strahlenschutz) erläutert viele Begriffe auf dem praktischen Strahlenschutz und ist speziell für Personen erstellt, die beruflich mit Strahlung umgehen.
- Das Institut für Strahlenbiologie des GSF - Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit erforscht die biologische Wirkung von Strahlung und führt epidemiologische Untersuchungen durch.
- Fachrichtung Biophysik der Universität des Saarlandes mit Forschung im Bereich Strahlenbiologie und DNA-Reparatur.