Ivan Illich
Ivan Illich (* 4. September 1926 in Split, † 2. Dezember 2002 in Bremen) war ein österreichischer Autor, Philosoph, Theologe und katholischer Priester.
Leben und Werk
Sein Vater Piero Illich, von Beruf Bauingenieur und aus einer Grundbesitzerfamilie stammend, war ein katholischer Kroate. Seine Mutter Ellen Rose, geb. Regenstreif, stammte aus einer konvertierten jüdischen Familie deutscher Herkunft. Eine andere Quelle besagt, die Mutter war Jüdin einer Sephardischer Abstammung. - Die Familie Piero Illich wohnte bis 1932 in der Nähe von Split.
Ivan Illichs Großvater Friedrich Regenstreif, der als Holzhändler in Bosnien und Herzegowina tätig gewesen war, besaß eine Villa in Nähe von Wien. Dort lebte die Mutter mit ihren drei Kindern Ivan, Micha und Sascha von 1932 bis 1942.
Wegen des jüdischen Glaubens seiner Mutter musste Ivan Illich 1941 die Schule in Wien verlassen. Er machte 1942 in Florenz Abitur, studierte zuerst Chemie und Geschichte, dann von 1944 bis 1947 Philosophie, und von 1947 bis 1951 Theologie am Collegium Romanum (Gregoriana) in Rom. 1950 wurde er zum Priester geweiht.(1) Illich promovierte 1951 in Geschichte an der Universität Salzburg bei Albert Auer und Michel Muechelin über Die philosophischen Grundlagen der Geschichtsschreibung bei Toynbee.(2)
Er wirkte als Seelsorger, Lehrer und Forscher in Mexiko und in den USA, und wurde als scharfer Kritiker der kirchlichen Politik und US-amerikanischen Technokratie in Lateinamerika bekannt, der die Mechanismen der traditionellen Kirche, der institutionalisierten Bildung und die Inhumanität der technisierten Medizin angriff. In wirkungsreichen Schriften stellte er die Praxis des schulischen Lernens als verschult dar. Illich forderte eine Entschulung der Gesellschaft. Die Expertokratie der Medizin passt zwar zur medikalisierten Mentalität der Gesellschaft, hilft aber kranken Menschen keineswegs.
1960 gründete Illich mit seinen Freunden (u.a. Paulo Freire) das Südamerikainstitut Centro Intercultural de Documentación in Cuernavaca, Mexiko. Illichs Visionen einer aufgeklärten und menschenfreundlichen Gesellschaft fanden besonders in Kirchenkreisen nicht nur Freunde. Eine seiner Kernthesen war, dass die westliche Zivilisation nur angemessen als Korruption der christlichen Botschaft verstanden werden kann.
Illich prägte u.a. den Begriff der Konvivialität (Conviviality), wobei es ihm um einen lebensgerechten Einsatz des technischen Fortschritts ging. In seinem Werk "Selbstbegrenzung - Tools for Conviviality" schreibt Illich: "Unter Konvivialität verstehe ich das Gegenteil der industriellen Produktivität ... Von der Produktivität zur Konvivialität übergehen heißt, einen ethischen Wert an die Stelle eines technischen Wertes, einen realisierten Wert an die Stelle eines materialisierten Wertes setzen." Des Weiteren sieht er in der Konvivialität, die "individuelle Freiheit, die sich in einem Produktionsverhältnis realisiert, das in eine mit wirksamen Werkzeugen ausgestattete Gesellschaft eingebettet ist." Er macht zugleich auf die Konsequenzen eines falsch eingesetzten technischen Fortschritts aufmerksam: "Wenn eine Gesellschaft, ganz gleich welcher Art [Illich bezieht sich hier insbesondere auf die 1973 bestehenden und vorherrschenden Systeme Marktwirtschaft und Planwirtschaft], die Konvivialität unter ein gewisses Niveau drückt, dann wird sie dem Mangel anheimfallen; denn keiner noch so hypertrophierten Produktivität wird es jemals gelingen, die nach Belieben geschaffenen und multiplizierten Bedürfnisse zu befriedigen." (aus "Selbstbegrenzung - Tools for Conviviality", S. 32f., dt. Ausgabe aus dem Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1980; 1973 erstmal erschienen bei Harper and Row, New York)
1979 wurde Illich Gastprofessor in Kassel, Marburg, Oldenburg und in Bremen. Ivan Illich starb nachmittags am 2. Dezember 2002 in seinem Haus in Bremen. Im Jahre 2006 erscheinen posthum seine Gespräche mit David Caley (kanadischer Rundfunkredakteur) zu seinem 80. Geburtstag unter dem Titel 'In den Flüssen nördlich der Zukunft' (Paul Celan) auf deutsch.
- (1) Biographische Angaben siehe Braulio Hornedo: Ivan Illich. Hacia una sociedad. [1]
- (2) Helmut Woll: Anmerkungen zur Dissertation von Ivan Illich über Arnold Joseph Toynbee. [2]
Zitate
"Meine Arbeit ist ein Versuch, mit großer Traurigkeit die Tatsache der westlichen Kultur zu akzeptieren. [Christopher] Dawson ... sagt, dass die Kirche Europa ist und Europa die Kirche, und ich sage: Ja! Corruptio optimi quae est pessima [Die Verderbnis des Besten ist das Schlimmste]. Durch den Versuch, die Offenbarung zu sichern, zu garantieren, zu regeln, wird das Beste zum Schlimmsten ...
Ich lebe außerdem in einem Gefühl größter Zwiespältigkeit. Ich komme nicht ohne Tradition aus, aber ich muss erkennen, dass ihre Institutionalisierung die Wurzel von etwas Bösem ist, das tiefer geht als alles Böse, das ich mit unbewaffnetem Auge und Geist erkennen könnte." --Ivan Illich in Conversation, Toronto 1990, S. 242-43.
Siehe auch
Werke
- Die philosophischen Grundlagen der Geschichtsschreibung bei A.J.Toynbee,(1951) Diss.,Salzburg
- Die sogenannte Energiekrise (1974) - ISBN 3-499-11763-0
- Die Enteignung der Gesundheit - Medical Nemesis -. Rowohlt, Reinbek 1. Auflage Mai 1975.
- Fortschrittsmythen (1978) - ISBN 3-498-03204-6
- Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik (1980) - ISBN 3-499-14629-0
- Die Nemesis der Medizin. Von den Grenzen des Gesundheitswesens (1981) - ISBN 3-499-14834-X
- Vom Recht auf Gemeinheit (1982) - ISBN 3-499-14829-3
- Genus. Zu einer historischen Kritik der Gleichheit (1983) - ISBN 3-498-03207-0
- Entschulung der Gesellschaft (1983) - ISBN 3-466-42030-X, (1987) ISBN 3-499-15246-0
- Schule ins Museum (1984) -
- H20 und die Wasser des Vergessens (1987) - ISBN 3-499-12131-X
- Das Denken lernt schreiben Lesekultur und Identität (mit Barry Sanders) (1988) - ISBN 3-455-08293-9
- Im Weinberg des Textes. Ein Kommentar zu Hugos "Didascalicon" (1991) - ISBN 3-630-87105-4
- Was macht den Menschen krank? 18 kritische Analysen (1991) - ISBN 3-7643-2583-6
- In den Flüssen nördlich der Zukunft (2006) ISBN 3-406-54214-X
Weblinks
- Vorlage:PND
- Verschiedene MP3 und andere Dateien von Ivan Illich (On Genes ist auf Deutsch)
- Circle for Research on Proportionality (CROP) - Denken nach Illich Eine von Illich's Freunden angesetzte thematisch strukturierte und mit vielen Texten in verschiedensten Sprachen verbundene Website. Themen sind z.B. Freundschaft, "Expertenherrschaft", Musik und Hören, Erziehung. Es werden weiterhin "Mitdenker" vorgestellt und Termine zu Illich-bezogenen Veranstaltungen aufgelistet.
- Reinhard Kahl - Der österreichisch-amerikanische Sozialphilosoph Ivan Illich ist gestorben Artikel und Hörbeitrag vom 3. Dezember 2002 im Deutschlandfunk
- Interview mit Ivan Illich am 22. März 1996 - Englisch
- Nachruf im FREITAG am 13.12.2002 (Verlust von Welt und Fleisch)
Personendaten | |
---|---|
NAME | Illich, Ivan |
KURZBESCHREIBUNG | Pädagoge, Philosoph, Theologe |
GEBURTSDATUM | 4. September 1926 |
GEBURTSORT | Wien |
STERBEDATUM | 2. Dezember 2002 |
STERBEORT | Bremen |