Volkswirtschaftslehre
Die Volkswirtschaftslehre (VWL) ist ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften und damit eine Sozialwissenschaft.
Betätigungsfeld und Grundannahmen der VWL
Allokation knapper Güter
Die VWL untersucht die Allokation knapper Ressourcen (Güter und Produktionsfaktoren), die der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dienen. Ausgangspunkt ist also die Grundannahme, dass Güter und Ressourcen knapp sind und die Menschen darum gezwungen sind, sich zwischen verschiedenen Möglichkeiten von deren Einsatz oder Verbrauch zu entscheiden (Ökonomisches Prinzip). Die Knappheit bedeutet dabei, dass eine einmal gewählte Verwendungsmöglichkeit eine andere ausschließt. Ökonomen bezeichnen das als Opportunitätskosten. Die Wahlentscheidungen von Individuen und Gruppen sind daher in der VWL von zentraler Bedeutung. Die Wirtschaftswissenschaftler gehen davon aus, dass Anreize, Präferenzen und Nutzen diese Entscheidungen bestimmen.
Untersuchungsfelder
In der Volkswirtschaftslehre werden gesamt- und einzelwirtschaftliche Zusammenhänge und Prozesse untersucht. Grundfragen sind Handel, Ressourcenallokation, die Ursachen des Wohlstandes, die Gestaltung der Produktion, die Verteilung des Wohlstandes in einer Gesellschaft, Ursachen von Wirtschaftskrisen sowie die damit verwandten Themen Finanzen, Steuern, Arbeit und Arbeitslosigkeit, Recht, Armut, Umweltschutz und viele andere.
Menschenbild: Homo oeconomicus und irrationale Entscheidungen
Die Mehrheit der zeitgenössischen Ökonomen nimmt an, dass der Mensch rational handelt, um sein Wohlbefinden unter gegebenem Informationsstand zu maximieren. Diese vereinfachende Modellannahme des homo oeconomicus scheint für viele Untersuchungen ausreichend, da sich die irrationalen Vorlieben der einzelnen Individuen in der Summe wieder ausgleichen. Neuere Forschungsmodelle erweitern jedoch zunehmend die Annahmen und beziehen irrationales Verhalten in ihre Denkmodelle der Verhaltensökonomie mit ein, so z.B. in der Spieltheorie. Einige Forscher haben für diese Ansätze schon den Wirtschaftsnobelpreis gewonnen. Des Weiteren berücksichtigen neuere ökonomische Menschenbilder opportunistisches Verhalten (opportunism, Williamson), worunter eigennütziges Denken gepaart mit List und Tücke verstanden wird, und die Begrenztheit der menschlichen Rationalität aufgrund beschränkter kognitiver Kapazitäten (bounded rationality, Simon). Darüber hinausgehende Entwicklungen wie die des sog. REMM (resourceful, evaluating, maximizing man, Meckling) beziehen zudem die Lernfähigkeit des Menschen in die Betrachtung mit ein.
Werkzeuge und Themen der VWL
Werkzeuge der VWL
Mathematische Modelle spielen eine wesentliche Rolle in der VWL, da sie klare Beweisführung und eindeutig definierte Annahmen verlangen und in der Regel nicht zu vieldeutigen oder "weich" interpretierbaren Ergebnissen führen. Die generellen volkswirtschaftlichen Ansätze lassen sich aber mit einfacher Arithmetik und dem Verschieben von Kurven darstellen, ohne dass man tiefere mathematische Kenntnisse mitbringen muss. Die Österreichische Schule vertritt sogar die Auffassung, dass jedes Modell, das über einfache Logik hinausgeht, nicht nur überflüssig, sondern sogar ungeeignet für ökonomischen Analysen sei.
Fachrichtungen und Themen der VWL
- Makroökonomie, die die Wirtschaft im Gesamtzusammenhang betrachtet, also die Wechselwirkung von Einkommen, Beschäftigung und Inflation
- Mikroökonomie, die sich mit den Beziehungen von einzelnen Individuen und Firmen untereinander befasst. Die innere Gliederung von Unternehmen ist Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre.
In den letzten zwanzig Jahren gab es immer wieder Versuche, diese beiden Grundrichtungen miteinander zu verzahnen. Heute herrscht weitgehend Einigkeit, dass gute makroökonomische Analysen auf fundierten mikroökonomischen Kenntnissen aufbauen müssen.
Innerhalb dieser breiten Fachrichtungen der VWL finden sich spezialisierte Themenbereiche, die ein breites Spektrum menschlicher Tätigkeiten abdecken. Das quantitative Methodenwissen der VWL ist in einer eigenen Fachrichtung zusammengefasst, der Ökonometrie.
Themen in der VWL
- Allgemeine Mikroökonomie
- Allgemeine Gleichgewichtstheorie -- Angebot und Nachfrage -- Preisfunktion -- Preiselastizität -- Nutzenfunktion -- Produktionsfaktor -- Produktionsfunktion
- Mikroökonomie der staatlichen Eingriffe
- Entwicklungsökonomie --Öffentliche Finanzen -- Öffentliche Güter und externe Effekte -- Netzwerkeffekte -- Staatliche Regulierung -- Ölflecktheorem
- Spezielle Mikroökonomie für einzelne Bereiche bzw. Branchen
- Arbeitsmarkt -- Bildungsökonomie -- Familienökonomie -- Finanzökonomie -- Gesundheitsökonomie -- Industrieökonomik -- Ökonomie des Rechts -- Regionalökonomie -- Transport economics -- Umweltökonomie -- Innovationsökonomie
- Gesamtwirtschaftlicher Konsum -- Gesamtwirtschaftliche Investitionen -- Fiskalpolitik -- Geldpolitik -- Preisentwicklung -- Wechselkursentwicklung -- Konjunkturtheorie -- Wachstum -- Arbeitslosigkeit bzw. Gesamtwirtschaftliche Beschäftigung
- Güterwirtschaftliche und monetäre Außenwirtschaftstheorie -- Zolltheorie -- Handelspolitik -- Zahlungsbilanz -- Internationale Institutionen -- Wirtschaftliche Integration
- Methodologie
- Entscheidungstheorie -- Evolutionsökonomie -- Experimentelle Ökonomie -- Ökonometrie -- Spieltheorie -- Wirtschaftsgeografie -- Wirtschaftsgeschichte -- Wirtschaftspolitik
Historische Positionen (Schulen) der VWL (politischen Ökonomie)
Im Verlauf der vergangenen zweihundert Jahre haben sich mehrere unterschiedliche Schulen der Volkswirtschaftslehre herausgebildet. Einige Schulen waren über mehrere Jahrzehnte hinweg allgemein akzeptierte Doktrin, andere Schulen führen seit jeher ein Schattendasein. Die folgende Liste bietet einen Überblick über alle volkswirtschaftlichen Denkschulen.
- Merkantilismus
- Physiokratismus
- klassischer Liberalismus
- Sozialismus/Marxismus
- Utilitarismus und die Grenznutzenlehre (Gossensche Gesetze)
- Neoklassik
- Keynesianismus
- Monetarismus
- Ordoliberalismus
- Evolutionsökonomik
- anarchisches Wirtschaftssystem
Exoten
- Freiwirtschaftslehre (wenig beachtet)
- Debitismus (neue Theorie)
Die neoklassische und die keynesianische Theorie haben derzeit den stärksten Einfluss auf die wissenschaftliche Theoriebildung, der Monetarismus und der Neoliberalismus beeinflussen derzeit am stärksten die Wirtschaftspolitik. Debitismus und Freiwirtschaftslehre sind zwei Denkschulen, die in der universitären Ausbildung selten gelehrt werden, obwohl sie eine interessante Ergänzung der etablierten Makroökonomie darstellen.
Wichtige Theorien in der VWL
- Klassische Ökonomie
- Allgemeine Gleichgewichtstheorie
- Reale Außenwirtschaftstheorie: Komparative Kostenvorteile durch Außenhandel (Ricardo)
- Spieltheorie (Interaktionstheorie)
- Evolutionsökonomik
- Ressourcentheorie
Bekannte Volkswirte
- 18. Jahrhundert
- Francois Quesnay - erste ökonomische Kreislauftheorie
- Adam Smith - An Inquiry into the Nature and Cause of the Wealth of Nations (1776), Klassik
- 19. Jahrhundert
- Karl Marx und Friedrich Engels - Das kommunistische Manifest, Das Kapital
- David Ricardo - Ricardo-Theorem (Theorie der komparativen Vorteile im internationalen Handel), Klassik
- Marie Esprit Léon Walras - Gleichgewicht in der Totalanalyse, Neoklassik
- 20. Jahrhundert
- Gary Stanley Becker - Anwendung der Ökonomik auf alle Lebensbereiche, Neoklassik
- Ronald Harry Coase - The nature of the firm (Existenz von Transaktionskosten), Das Coase-Theorem, Begründer der Neuen Institutionenökonomik
- Milton Friedman - Begründer des Monetarismus
- John Kenneth Galbraith - Wettbewerbspolitik, The Concept of Countervailing Power
- Friedrich August von Hayek - Die Verfassung der Freiheit, Evolutionsökonomik (spontane Ordnung, Nicht-Zentralisierbarkeit des Wissens)
- Michael Jensen - Institutionenökonomik (Agency-Theorie)
- Lord John Maynard Keynes - Begründer des Keynesianismus, nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
- Joseph Alois Schumpeter - Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Konjunkturtheorie
- Vilfredo Pareto - Begründer des Pareto-Optimums
- Franz Oppenheimer - Mitbegründer der Sozialen Marktwirtschaft, Genossenschaftswesen
- Amartya Sen - Wohlfahrtsökonomik
- Oliver Williamson - Markets and Hierarchies, The Economic Institutions of Capitalism, Institutionenökonomik (Theorie der Firma)
- George Stigler - Chicago School of Antitrust, zeigte empirisch, dass moderne Marktwirtschaften weit intensiverem Wettbewerb unterliegen als ihre Kritiker wahrhaben wollen
An deutschen Universitäten werden im Bereich der Volkswirtschaftslehre verschiedene Lehr- und Forschungsschwerpunkte gebildet. Dazu gehören z.B. Internationale Wirtschaftsbeziehungen, Finanzwissenschaft, Geldpolitik, Ökonometrie, Preis- und Wettbewerbstheorie sowie Entwicklungsländerforschung.
Siehe auch: Portal Wirtschaft, Volkswirtschaft, Liste von Ökonomen, Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften
Literatur
- N. Gregory Mankiw: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2001 ISBN 3-7910-1853-1 (erklärt komplexe Zusammenhänge in leicht verständlicher Sprache und gibt einen ausführlichen Einstieg in die Materie, 868 Seiten)
- Ulrich van Suntum: Die unsichtbare Hand. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 2000 ISBN 3-540-41003-1 (übersichtsverschaffender Einstieg in die Volkswirtschaftslehre, besonders auch für interessierte Fachfremde geeignet, 314 Seiten)