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Jesus von Nazaret

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Christus aus S.Apollinare Nuovo, Ravenna – 6. Jahrhundert

Jesus von Nazareth war ein Jude aus Galiläa, der in der Zeit zwischen 29–33 n. Chr. im Gebiet des heutigen Israels und des Libanon öffentlich predigte, heilte und lehrte, bis er nach chrislicher Auffassung von der römischen Besatzungsmacht als Aufrührer gekreuzigt wurde. Er wird im Christentum aufgrund der Auferstehungszeugnisse einiger seiner Anhänger als Erlöser verehrt. Seine zentrale Bedeutung wird mit der Namensgleichung "Jesus (ist der) Christus" ausgedrückt. Die kirchliche Lehre dazu wird Christologie genannt. Im Islam wird Isa bin Marjam ("Jesus, Sohn der Maria") mit Jesus von Nazareth identifiziert.

Der Name

Jesus, von Nazareth, der Christus

  • "Jesus" ist die latinisierte Form des griechischen Ιησους. Dieses übersetzt seinerseits den hebräischen Vornamen Jeschua, auch Jehoschua oder Josua.
  • "Jehoschua" verbindet "Je" (Präfix von JHWH, dem Gottesnamen im Alten Testament) und "Hoshea" (Rettung, Heil, vgl. Hosea). "Jesus" bedeutet Hebräisch somit "Gott-Retter" oder "Gott rettet". Dieser männliche Vorname war zu Lebzeiten Jesu unter Juden weit verbreitet. - Jüdische Jungen wurden in der Regel nach ihrem Vater genannt: Dann hätte Jesus Jehoschua ben Josef geheißen. Einen sicheren Beleg dafür bietet das Neue Testament (abgekürzt NT) nicht. Lk. 4, 22 nennt "Josefs Sohn" ohne Vornamen und betont damit den Kontrast der Umweltmeinung zur Jungfrauengeburt (Lk. 3, 23). Jh. 1, 45 betont mit "Jesus, Josefs Sohn aus Nazareth" seine Abstammung von David. Die früheren Versionen (Mk. 6, 3/Mt. 13, 55) nennen ihn dagegen "Sohn der Maria".
  • "von Nazareth" gibt seine Herkunft an (Mk. 1, 9): den Wohnsitz seiner Familie (Lk. 2, 4), eventuell auch den Geburtsort (Lk. 1, 26). Da der Namenszusatz "Nazarenus" im NT mit "Nazoraios" variiert wird (Jh. 19, 19), sind andere Deutungen möglich (s.u.).
  • "Christus" ist die latinisierte Form des griechischen Χριστος. Dieses übersetzt das hebräische "maschiach", deutsch "der Gesalbte". Es handelt sich um einen jüdischen Ehrentitel für Könige und Hohepriester, später für den erwarteten König der zukünftigen Heilszeit, den Messias.
  • "Jesus Christus" stellt eine Titulierung dar: "Jesus ist der Christus". Der Name drückt in Kurzform das christliche Glaubensbekenntnis aus: "Dieser Jesus (der aus Nazareth kam) ist der Messias."

Das Christentum entstand, als Griechisch die allgemein anerkannte Verkehrssprache war. Daher übertrugen sich die griechischen Namensformen in andere Sprachen, nicht aber die hebräischen. Nachdem sich Juden- und Christentum getrennt hatten, wurde der Name "Je(ho)shua" im Judentum nur noch selten verwendet.

Nazarener, Nazoräer oder Nasiräer?

Die Bedeutung des Zusatzes "Nazarenus" ist umstritten. Er kann die Herkunft aus Nazareth in Galiläa bezeichnen. Er kann aber auch von "Nazoräer" oder "Nasiräer" abgeleitet sein.

"Nazoraios" bezeichnet keinen Ort, sondern eine Lehrtätigkeit. Ein "Rabbi" war auch ein Schriftlehrer. So hießen Talmudlehrer früher "Amoraios", später "Saboraios", Mischnalehrer "Tanojaios". "Nazoraios" nannten sich die Mandäer wohl wegen ihrer Taufriten. Aber auch Christen wurden zuerst so genannt (Apg. 24, 5).

Dass Jesus Nazoräer genannt wird (Jh. 19, 19), könnte daher an seine frühere Zugehörigkeit zu den Jüngern Johannes des Täufers erinnern. Diese sahen Jesus zuerst als einen der ihren, später aber als Lügenpropheten an. Vielleicht haben die Evangelisten den "Nazoräer" daraufhin bewusst oder irrtümlich zum "Nazarener" gemacht (P. Lidzbarski).

So sagt Mt. 2, 23: "(Josef) kam und wohnte in der Stadt, die Nazareth heißt, damit erfüllt würde, was die Propheten gesagt haben: Er soll Nazarener heißen." Eine solche Verheißung ist aber im Alten Testament (von nun an: AT) nicht zu finden.

Ein Nasiräer dagegen ist Jesus wohl nie gewesen: Diese Gruppe schwor einen Eid, keinen Alkohol zu trinken, sich keiner Leiche und keinem Grab zu nähern. Jesus hat all das im Verlauf seines Wirkens getan und jeden Eid abgelehnt (Mt. 5, 33ff).

Der historische Jesus

Zum Charakter der Quellen

Historische Informationen über Jesus von Nazareth stammen fast alle aus dem Neuen Testament der Bibel: insbesondere aus den Evangelien, einer besonderen Literaturgattung im antiken Raum.

Die Evangelien sind Glaubenszeugnisse, keine Augenzeugen- oder Tatsachenberichte: Sie wollen Jesus als wiederkommenden Christus verkünden, indem sie seine Geschichte deutend nacherzählen. Dabei legen sie auf historische Fakten wenig Wert, sei es, weil diese unbekannt waren (z.B. Jesu Geburtsdatum), sei es wegen übergeordneter Verkündigungs-, Missions- und Lehrabsichten.

Erst die Neuzeit hat einen Begriff von historischer Objektivität entwickelt, dessen Anspruch die Glaubensdokumente des NT kaum genügen können noch wollen. Daraus ergibt sich die methodische Herausforderung, "historische" von "geglaubten" Tatsachen zu unterscheiden.

200 Jahre intensive historische NT-Forschung hat jeden Satz und jedes Wort gedreht und gewendet, jede denkbare Hypothese erwogen, alles bis hin zur Existenz Jesu bezweifelt oder in großartige spekulative Theorien eingeordnet (siehe Leben-Jesu-Forschung).

Doch inzwischen lautet der Minimalkonsens: Es gab Jesus wirklich, und einige Daten seines Lebens und Sterbens sind relativ gewiss. Dazu gehört auch, wer er selbst sein und was er tun wollte. Um das zu erkennen, muss man nicht an Jesus als den Christus glauben.

Die Evangelien entstanden zwischen 60 und 120 n. Chr.: Jesu Tod lag also schon mindestens 30 Jahre zurück. Sie enthalten aber ältere schriftliche und mündliche Tradition, etwa eine vermutete Logienquelle und einen frühen Passionsbericht aus Jerusalem (s.u.). Deren älteste Anteile können aus Jüngerkreisen stammen, die Jesus zu Lebzeiten kannten und folgten.

Fast alle historischen Informationen über Jesus wurden von gläubigen Christen überliefert. Sie sahen seine Geschichte von seiner Auferstehung her und gingen davon aus, dass Gott ihn auferweckt hat (Mk. 16, 6). Sie waren zugleich fast alle Angehörige des Volkes Israel und standen in dessen biblischen Überlieferungen. Eine genauere Darstellung ihrer urchristlichen Deutung erfolgt im Artikel Jesus Christus im Neuen Testament.

Die meisten Christen halten das NT im Kern für glaubwürdig, während Kritiker es als voreingenommene Quelle eher skeptisch beurteilen. Doch auch nichtchristliche Historiker bewerten diese Quellen zum Teil heute als glaubwürdig. Für diese historische Einordnung und Bewertung werden auch außerbiblische Dokumente und allgemeine geschichtliche Kenntnisse herangezogen.

Jesu Herkunft

Ungefähre Lebensdauer

Historische Bezüge im NT deuten darauf hin, dass Jesus zwischen 7 und 4 v. Chr. geboren, zwischen 30 bis 33 n. Chr. gekreuzigt wurde. Die Evangelien erzählen, abgesehen von Geburts- und Jugendtexten, etwa über die letzten 3-4 Lebensjahre Jesu.

Geburt

Historiker beurteilen die Geburtsgeschichten weitgehend als Legenden, die theologische Aussagen über Jesus machen und ihn dazu in den Rahmen alttestamentlicher Erwartungen stellen. So ist z.B. der Kindermord des Herodes (Mt. 2, 13) historisch nicht belegt, setzt Jesus aber in Beziehung zum Kindermord des ägyptischen Pharao, der Israels Exodus vorausging (Ex. 1, 22): Damit wird die Person Jesus als der Befreier Israels dargestellt.

Das Lukas- und Matthäusevangelium legen nahe, dass Jesu Geburt und frühe Kindheit in Bethlehem stattfand. Damit soll eine Abstammung Jesu von David und ein Anspruch auf seine Messiaswürde belegt werden (Mt. 2, 6/ Mi. 5, 1). Daher halten die meisten Historiker es für wahrscheinlicher, dass Jesus in Nazareth (Mk. 1, 9), dem Wohnort seiner Familie (Mk. 6, 1), oder in Kapharnaum, dem Ort seines ersten und wiederholten Auftretens (Mk. 1, 21) geboren wurde.

Sprache

Als galiläischer Jude sprach Jesus von Haus aus und im Alltag wahrscheinlich aramäisch. Kenntnisse der verwandten hebräischen Sprache sind ebenfalls wahrscheinlich, da Jesus offenbar gute Schriftkenntnisse besaß. Dagegen ist fraglich, ob er auch griechisch, die damalige Verkehrssprache (siehe: Koiné) beherrschte. Die hebräische Bibel war bereits ins Griechische übersetzt (Septuaginta). Sie wurde so wahrscheinlich aber nur von hellenistisch geprägten Juden gelesen, nicht aber in den Synagogen Galiläas.

Jesu Worte wurden sehr wahrscheinlich ursprünglich aramäisch tradiert. Die Möglichkeit, griechische Ausdrücke und Redewendungen ins Aramäische zurück zu übersetzen, ist daher ein wichtiges Kriterium für die Suche nach "echten" Jesusworten (Joachim Jeremias). So wird versucht, innerhalb der Evangelien zwischen Jesu eigener Verkündigung und später hinzugefügter Deutung der Christengemeinden zu unterscheiden.

Jugend, Ausbildung und Beruf

In seiner Jugendzeit kam Jesus wohl mit dem Pharisäismus in Berührung. Er soll sich sehr früh gut in der Bibel ausgekannt haben (Lk. 2, 46f). Jesus verfügte in der Tat über gute Schriftkenntnisse und verwendete in seinen Torapredigten und Gleichnissen einen rabbinischen Argumentationsstil. Das macht es wahrscheinlich, dass er eine rabbinische Ausbildung genoss. Die ersten Jünger nannten ihn "Rabbuni" (aramäisch: Meister, Lehrer), und seine späteren Lehren weisen einige Ähnlichkeiten zu Pharisäerschulen auf, etwa zu der des Rabbi Hillel (Heilen am Sabbat Mk. 2-3, Betonung der Nächstenliebe als Zentralgebot Mk. 12, 28ff).

Ein Rabbi lebte nicht vom Lehren, sondern übte ein gewöhnliches Handwerk zum Lebensunterhalt aus. Jesus lernte den Beruf des Bauhandwerkers ("Tekton", oft irreführend als "Zimmermann" übersetzt). Diesen Beruf übte auch sein Vater Josef aus (Mk. 6, 3). Ein Tekton war vorwiegend im Häuserbau tätig und konnte generell mit Steinen, Stroh und Holz umgehen.

Familie

Die Quellen erwähnen einige Verwandte Jesu, namentlich vier Brüder (Mk. 6, 3): Jakobus, Joses (Josef? Mt 13, 55), Judas, Simon. Der dort verwendete Begriff "Brüder" kann im biblischen Umfeld aber auch zumindest "vereinzelt bei lockerem Sprachgebrauch" andere männliche Verwandte bezeichnen. Ähnliches gilt, wenn auch seltener belegt, bei "Schwestern" (W. Bauer). Jesus hatte auch Schwestern, deren Namen jedoch verschollen sind.

Nach den Evangelien war Jesu Verhältnis zu seinen Verwandten anfangs sehr gespannt. Offenbar versuchten sie mehrfach, sich zwischen ihn und seine Aufgabe zu stellen und ihn vom Predigen und Heilen abzuhalten. Sie hielten ihn für verrückt: "Er ist von Sinnen!" (Mk. 3, 20f). In so einer Situation fragte er seine Zuhörer (Mk. 3, 31-35):

"Wer sind meine Mutter und meine Brüder? Und er schaute auf die, die rings um ihn saßen und sagte: Siehe, ihr seid meine Mutter und meine Brüder! Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter."

Diese Aussage zeigt, dass Jesus eine andere Auffassung des Willens Gottes hatte als das traditionelle Judentum. Dort war gerade die Achtung gegenüber den Eltern (das 4. Gebot) zentral.

Jesus erfuhr daher Ablehnung in Nazareth, wo man ihn kannte (Mk. 6, 1-6): "Ist das nicht der Bauhandwerker, Marias Sohn...? Und sie waren verärgert über ihn. Jesus aber sagte zu ihnen: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seiner Heimat, bei seiner Sippe und in seinem Ort."

Zum Ruf in die Nachfolge gehörte das Aufgeben der familiären Bindungen. Andererseits sorgten gerade Frauen aus Jesu näherer Umgebung für ihn und die übrigen Männer (Mk. 1, 31) auf ihrem Weg. Sie blieben bis zum Ende bei ihm (Mk. 15, 41).

Nach Jh. 19, 26f gehörte auch Jesu Mutter dazu. Er soll sich sogar noch am Kreuz hängend um ihre Altersversorgung gekümmert und sie getröstet haben:

"Als nun Jesus seine Mutter sah und den Jünger dabei stehen, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Weib, siehe, dein Sohn! Darauf spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich."

Mitglieder seiner Familie gehörten zu den ersten Christen. Sein ältester Bruder Jakobus wurde sogar einer der Leiter der Urgemeinde (Gal. 2, 9). Doch dieses Ansehen erwarb er sich erst nach Ostern, daher sagt das wenig über Jesu Verhältnis zu ihm davor.

Öffentliches Auftreten

Jordantaufe

In allen Evangelien beginnt Jesu öffentliches Auftreten nach seiner Taufe im Jordan durch Johannes den Täufer. Alle gestalten die Taufe Jesu als das Ereignis aus, bei dem Gott ihn zu seinem Sohn erwählt und seinen Geist auf ihn gesandt hat.

Johannes war ein Bußprediger, der als Wüstenasket zurückgezogen lebte. Vielleicht stand er der Sekte der Essener nahe. Er predigte die bevorstehende radikale Wende der Endzeit und rief das ganze Volk Israel zur Umkehr: Damit griff er auf die Zukunftserwartung (Eschatologie) der jüdischen Prophetie und Apokalyptik zurück. Das Tauchbad im Jordan sollte die Rettung der Getauften aus dem Endgericht vorwegnehmen. Darauf geht die spätere christliche Taufe zurück.

Jesu historisches Verhältnis zum Täufer ist ambivalent. Es gab offenbar eine Nähe, aber auch Konkurrenz zwischen Johannes- und Jesusgruppen (Jh. 4, 1). Die Mandäer sahen in Jesus später - wohl nachdem er eigene Jünger berief, verschärft nach der Enthauptung des Täufers - einen Lügenpropheten. Die Evangelien dagegen sehen im Täufer den letzten Propheten des Alten Bundes, den Vorläufer der Ankunft des Messias.

Jesus ließ sich taufen, hat aber nach den älteren Evangelien selbst nicht getauft. Ob die Episode Jh. 3, 22–36 echte Erinnerung an seine frühere Tauftätigkeit spiegelt, ist umstritten.

Jesus übernahm den apokalyptischen (endgültigen) Umkehrruf von Johannes, grenzte sich aber deutlich von dessen strenger "Reinheit" ab: Er pflegte die Tischgemeinschaft mit "Unreinen" und lehnte die Askese für seine Jünger ausdrücklich ab (Mk. 2, 16-19).

Reich-Gottes-Verkündigung

Nach dem ältesten Evangelium des Markus begann Jesus nach der Festnahme des Täufers durch die Dörfer Galiläas zu ziehen (Mk. 1, 14). Zentrale Botschaft Jesu war die endzeitliche Wende und der unmittelbar bevorstehende Anbruch des "Reiches Gottes", der in der Prophetie Israels seit dem Exil eine zentrale Rolle spielte. Anders als andere Wanderprediger seiner Zeit verkündete Jesus, dass dieses Reich schon punktuell angebrochen sei (Lk. 11, 20), und zwar in seinem eigenen heilsamen Handeln (Mt. 11, 2ff/Lk. 7, 18ff).

Jesus bezog sich dabei vor allem auf Heilsansagen der exilisch-nachexilischen Propheten Deuterojesaja (Jes. 40-55) und Tritojesaja (Jes. 56-66, ab etwa 530 v. Chr.). Die Befreiung der Armen (Lk. 6, 20/ Mt. 5, 1) sah Jesus als seine ihm von Gott aufgetragene Sendung an (Lk. 4, 17–21).

Die große Bevölkerungsmehrheit war damals sehr arm, täglich von Hunger, römischer Gewalt und sozialem Absturz bedroht. Steuern für Rom, Opferzwang und Tempelsteuer, Arbeitsmangel, Schuldversklavung und Epidemien lasteten auf dem Volk. Jüdische Steuereintreiber ("Zöllner") fanden selbst oft nur ein Auskommen, wenn sie ihre Landsleute betrogen.

Jesus versprach den Armen den Landbesitz (Mt. 5, 5) und das "Gnadenjahr" der gerechten Bodenreform (Lk. 4, 19f, vgl. 3. Mose 25/5. Mose 15). Dem entsprach seine Forderung an einen Großgrundbesitzer, all seinen Besitz aufzugeben, den Armen zu schenken und Jesus nachzufolgen (Mk. 10, 17–27). So erneuerte er die jüdische Zukunftserwartung einer umfassenden revolutionären Veränderung zu Gunsten der Besitz- und Rechtlosen.

Heiltätigkeit

Jesus betonte in seiner Verkündigung das Zentralgebot der Nächstenliebe (Lev. 19, 17f) und realisierte es mit seiner Heiltätigkeit für Kranke und Randgruppen, die nach geltender Toraauslegung gemieden wurden und so häufig zum Tod verurteilt waren (A. Holl). Das verband ihn mit reformorientierten Pharisäern.

Aber anders als sie trieb Jesus "Dämonen" aus, d.h. er heilte auch für unheilbar gehaltene Krankheiten. Bezieht man Textmotive auf moderne Krankheitsbilder, dann heilte Jesus u.a. Lepra, grauen Star, Epilepsie, Schizophrenie.

Doch hier muss man berücksichtigen: Heilwunder werden in der antiken Umwelt oft berichtet. In Israel aber galten besondere Kräfte schnell als Teufelei. Seine "Vollmacht" brachte Jesus nicht nur Sympathie, sondern auch Neid, Abwehr, Feindschaft ein.

Jesus verstand sein Wirken als Sendung Gottes zu denen, die nach den geltenden religiösen Gesetzen von Gottes Reich ausgeschlossen waren (Mk. 2, 17):

"Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten."

Die "Sünder" waren z.B. Steuereintreiber, die ihre Landsleute übervorteilten, um gut leben zu können. Sie wurden daher gehasst, verachtet und gemieden. Jesu Tischgemeinschaft mit ihnen gab ihnen vorweg Anteil am Reich Gottes, befreite sie vom Unrechttun und veranlasste sie zur Rückgabe des geraubten Gutes (Lk. 19, 1–10).

Jesus wandte sich jedoch zuerst an die Armen. So beginnt die Bergpredigt mit den Makarismen (Heilszusagen) an das verarmte, Unrecht und Not leidende Volk. Sie legen das 1. Gebot (Ex. 20, 2) prophetisch aus. Gott ist der Befreier der Sklaven: Darum gehört sein Reich den Armen schon, und die Erde wird ihnen gehören (Mt. 5, 3–11)!

Darauf folgt die Erinnerung an Israels Auftrag, Licht der Völker zu sein (5, 14–16/ Jes. 42, 6), also die Tora vorbildlich zu erfüllen. Der Evangelist betont demgemäß, dass Jesus die Tora bis ins Kleinste erfüllen, nicht aufheben wollte und Christen die Juden darin übertreffen sollen (Mt. 5, 17–20).

Ob Jesus selbst das so sah, ist umstritten. Wie er die Tora auslegte, zeigen die folgenden "Antithesen" (Tora-Predigten), die Matthäus zusammenstellte. Sie beziehen sich auf das 5., 6., 10., indirekt auch auf das 2. und 8. Gebot des Dekalogs (Ex. 20, 2–17) sowie die Talionsformel (Ex. 21, 24).

Jesus verschärfte das Gebot "Morde nicht", indem er schon den Hass auf andere als todeswürdig kennzeichnete und unter Gottes Gericht stellte. Ebenso verschärfte er das Gebot "Brich die Ehe nicht" für den jüdischen Mann, indem er schon das Begehren einer anderen Frau als Ehebruch kennzeichnete. Er lehnte jeden Eid als Missbrauch des Gottesnamens und Lüge ab. Er bezog Israels Feinde in die Nächstenliebe ein und stellte Gottes Schöpfungstreue gegen das Vergeltungsrecht (Mt. 5, 21–48). Er sah das Anhäufen von Besitz als Bruch des 1. Gebots (Mt. 6, 19f.24) und forderte Landeigentümer zur Besitzaufgabe zu Gunsten der Armen auf (Mk. 10, 17–27).

Hinter dieser Toradeutung stehen die damaligen Verhältnisse: Gerichte waren in römischer und sadduzäischer Hand, Rechtsbeistand konnten Arme dort kaum erwarten, Hass auf Ausbeuter griff um sich. Männer durften fremdgehen, erwarteten aber zugleich unberührte Ehefrauen. Oft entrechteten sie diese dann, indem sie sie verstießen. Die Besatzer benutzten Juden als Lastesel und schlugen die, die sich weigerten. Verschuldung und Enteignung bedrohten die Existenz der Armen.

Jesus nannte diese Lage "das Böse" (Mt. 5, 39), riet aber dazu, auf Gegengewalt zu verzichten und die Feinde mit freiwilligem Entgegenkommen zu demütigen, um sie zu "entfeinden". Er wollte die Ursachen der Not angreifen und Gottes Reich auch Ausländern verkünden. Er wollte keine Strafen erhöhen, sondern im Gegenteil das gnadenlose Verurteilen anderer zum Tode aufdecken und überwinden, um Gottes Volk als Ganzes vor Krieg und Untergang zu retten (Mt. 7, 1–6):

"Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!"

Gerade weil Jesus das 1. Gebot über alles stellte, hob er die Reinheitsgesetze ganz (Mk. 7, 1–22) und die Kultgesetze teilweise auf. Die Versöhnung mit dem Bruder und das Segnen der Feinde (Mt. 5, 23f.44) geht dem Opfern im Tempel voraus, weil die Nächstenliebe gleichrangig mit der Gottesfurcht ist (Mk. 12, 28–34): Das war Jesu Maßstab, und in diesem Sinne hat er Israels Tora tatsächlich erfüllt.

Anhänger

Von Beginn seines Auftretens an gewann Jesus Nachfolger, darunter auch Frauen (Mk. 1, 31). Die Berufungstexte zeigen, dass der Ruf in die Nachfolge mit dem "Verlassen" von Beruf, Familie, Besitz unlösbar verbunden war (Mk. 10, 28–31).

Was über die damalige ökonomische Lage der Juden in Palästina bekannt ist, legt jedoch nahe, dass da nicht viel war, was man verlassen konnte. Vielmehr spiegeln die Texte umgekehrt die Verhältnisse, unter denen auch Jesu Jünger zu leiden hatten. Ihre Gefahr war nicht das Festhalten von Besitz, sondern vielmehr das Aufgeben ihrer Mission zu Gunsten eines gesicherten Existenzminimums (Mt. 6, 25–33). Insofern war die von Jesus geforderte Besitzlosigkeit seiner Anhänger nur Ausdruck der weit verbreiteten Lebensumstände (G. Theißen).

Frühe Stoffe der Logienquelle zeigen: Die Jesusanhänger zogen mittel- und waffenlos umher (Mt. 10, 5–15). Ihre Aufgabe war, genau wie Jesus selbst das Reich Gottes zu verkünden, Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben, sogar Tote zu erwecken, und vor allem: Gottes Segen weiterzugeben. Beim Betreten eines Hauses grüßten sie mit dem Friedensgruß "Shalom": Damit stand dieses Haus unter Gottes Schutz. Waren sie nicht willkommen, dann verließen sie den Ort, reinigten sich von dessen Staub und überließen ihn Gottes Gericht, ohne zurück zu kehren.

Dass diese Wanderbettler vom Hungertod bedroht waren, zeigt die Episode Mk. 2, 23–27: Jesu Jünger lasen Ähren von abgeernteten Feldern auf, sogar am Sabbat. Jesus vertrat wie Hillel die Auffassung, dass der Bruch der Sabbatruhe bei Lebensgefahr schon in der Tora erlaubt sei (Mk. 3, 4).

Gegner

Das Judentum war zur Zeit Jesu in verschiedene religiös-politische Gruppen geteilt. Die wichtigsten waren die Pharisäer, die Sadduzäer, die Zeloten, die Samaritaner und die Herodianer. Die Essener, eine Endzeitsekte mit strengen Reinheitsriten, kommt in den Evangelien nicht vor und spielt allenfalls indirekt eine Rolle.

Die Pharisäer waren eine Laienbewegung, die die biblischen Gebote im Alltag flexibler anwendbar machen wollte. Dazu ergänzte man die Bibelauslegung mit der mündlichen Auslegungstradition (Mischnah). Jesu Heilungen am Sabbat (Mk. 2-3) standen der Tora-Auslegung der Pharisäerschule des Rabbi Hillel so nahe, dass man vermuten kann, er habe sie dort gelernt.

Das negative und historisch zum Teil falsche Pharisäerbild in den Evangelien erklären Historiker aus deren Entstehungszeit: Nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 70 n. Chr. verloren die Sadduzäer die Führung des Judentums an die Pharisäer. Im Abgrenzungsprozess zwischen Christen und Juden polemisierten beide Seiten gegeneinander.

Hauptgegner der Verkündigung Jesu war die hellenistisch geprägte, vornehme Oberschicht der Sadduzäer. Diese führten sich auf Zadok, den Priesterkönig aus der Makkabäerzeit zurück. Sie vertraten die strenge Geltung der Reinheits- und Opfergesetze der Tora. Als Erben der Leviten führten und verwalteten sie den Tempelkult. Ihr Zentrum war daher in Jerusalem. Im Hinterland war ihr Einfluss geringer. Doch auch dort wachten sie über die Einhaltung der Tora. Da Jesus die Reinheitsvorschriften für seine Jünger außer Kraft setzte (Mk. 7, 1–23), wurde ein Konflikt mit ihnen unvermeidbar.

Die Regierungsmacht in Galiläa und Judäa lag in Händen des Herodes, des von Rom eingesetzten Königs, mit dem die Sadduzäer kooperierten. Er ließ Paläste bauen und missbrauchte dazu Teile der Tempelsteuer: Daher war er den meisten Juden verhasst. Er ließ den Täufer Johannes hinrichten, so dass ihn die Evangelien zu Recht auch als Gegner Jesu ansehen (Mk. 6, 14–29).

Die römischen Besatzer unter dem Statthalter Pilatus arbeiteten eng mit den Sadduzäern und Herodianern zusammen. Sie hielten sich aus innerjüdischen religiösen Konflikten heraus, solange diese ihre Machtkontrolle nicht bedrohten. Sie setzten Juden als Steuereintreiber und örtliche Autoritäten ein, um die Masse der Bevölkerung auszubeuten. Judäa war "Kornkammer" für Rom.

Da Jesus den Armen bereits in Galiläa den Landbesitz zusagte (Mt. 5, 5), war auch ein Konflikt mit den Römern schon vorprogrammiert. Dies galt besonders, als Jesus sich zum Passahfest nach Jerusalem aufmachte. Die Ereignisse dort führten zum direkten Konflikt mit den Sadduzäern und dem römischen Statthalter.

Zug nach Jerusalem

Die Hinrichtung des Bußpredigers Johannes könnte Jesu Sendungsbewusstsein beeinflusst und seinen Entschluss, nach Jerusalem zu ziehen, veranlasst haben. Auch die Vorahnung seines eigenen gewaltsamen Todes kann er so gewonnen haben (Mk. 8, 31 par.).

Aber er wollte offenbar ganz Israel von Not, Krankheit und Sünde befreien und zog darum in die "Höhle des Löwen". Unterwegs folgten ihm einfache Juden, die ihn für den wiedergeborenen Täufer, den Endzeitpropheten Elia oder sogar für den Messias hielten (Mk. 8, 27–30).

Manche Historiker meinen, Jesus sei nicht wiederholt, sondern wie die meisten armen Juden aus der Provinz nur einmal in seinem Leben nach Jerusalem gepilgert. Dann hätte er nur etwa ein Jahr öffentlich gewirkt.

Jesus und die Zeloten

Seit den Tagen des Judas Makkabäus (ca. 170 v. Chr.) gab es in Israel eine Tradition des Widerstands gegen Fremdmächte, die Israel ihre Religion aufzwangen. Auslöser für Aufstände waren oft Königs- oder Götterstatuen, die ein Fremdherrscher im Jerusalemer Tempel aufstellen ließ. Das widersprach dem biblischen Bilderverbot als Kehrseite des 1. Gebots (Ex. 20, 2ff).

Die Religionspolitik der Römer war zunächst toleranter als die ihrer Vorgänger. Doch um 6 n. Chr. verordneten sie allen Juden eine Volkszählung, um ihre Tributpflicht zu prüfen und zu erzwingen. Der Galiläer Judas versuchte einen Boykott dagegen zu organisieren. In diesen Kontext hat der Evangelist Lukas Jesu Geburt gestellt (Lk. 2, 1).

Judas scheiterte, aber danach verübten seine Anhänger ("Sikarier") vermehrt Anschläge gegen römische Beamte und Soldaten. Andere waren weniger radikal und beschränkten sich darauf, Steuerforderungen der Römer passiv zu verweigern. Das Zahlen von Steuern an den römischen Kaiser galt als Götzendienst, da dessen Bild auf die Münzen geprägt war und er sich seit Augustus als Gott verehren ließ.

Jesus kam wie viele jüdische Befreiungskämpfer aus dem bergigen Hinterland Galiläa, dem Gebiet des früheren Nordreichs, wo die Exodus- und Widerstandstradition lebendig blieb. Doch nach den Evangelien war sein Anliegen nicht, die Römer mit Gewalt aus Israel zu vertreiben. Er hatte eine andere Grundhaltung als die Zeloten: Er lehrte, dass Israels Aufgabe sei, die Völker zu segnen, nicht zu hassen, also der ohnehin übermächtigen Gewalt nicht mit Gegengewalt zu begegnen, sondern die Feinde durch unerwartetes Entgegenkommen zu überraschen (Mt. 5, 38-48) und so zu "entfeinden" (P. Lapide).

Am Verhalten zur Kaisersteuer erkannte man einen Zeloten. Mk. 12, 13–17 berichtet, wie Jesu Gegner ihm eine Falle stellten, um ihn als Zeloten zu überführen und an die Römer ausliefern zu können. Darauf soll Jesus gesagt haben:

"Gebt dem Kaiser, was ihm gehört, und Gott, was Gott gehört!"

Das hieß offenbar: Der Kaiser ist nicht Gott. Gebt ihm nicht, was Gott gehört: euch und euer Volk. Jesus lehnte die Steuerverweigerung also nicht ab, ordnete sie aber dem großen Ziel unter: ganz Israel und die Völker zu befreien. Denn auch er war ein "Eiferer" (zelotes) für Gottes Reich (Jh. 2, 17).

Darum folgten ihm auch einige Zeloten nach und erhofften sich große Dinge von ihm, als er nach Jerusalem zog: so auch sein Jünger Judas, der ihn dann – enttäuscht? – an den "Feind" verriet.

Passionsgeschichte

Einzug in Jerusalem

Mit Jesu Einzug zum Passahfest in Jerusalem beginnt für die Evangelien seine Passion. Die Festpilger sollen Jesus nach einer historischen Passahliturgie als den erwarteten Messias begrüßt haben (Mk. 11, 9f): "Gelobt sei das Reich unseres Vaters David!" Demnach sahen sie ihn als den ersehnten Retter und neuen König Israels. Daraufhin soll Jesus auf einem zuvor unberittenen Esel in die Stadt geritten sein. Diese prophetische Zeichenhandlung erinnerte die Menge an den alttestamentlichen Propheten Sacharja: Dieser hatte einen gewaltlosen Messias der Armen angekündet, der Gottes weltweites Abrüstungsgebot aufrichten und in Israel zuerst durchsetzen würde (Sa. 9, 9-11).

Jesu Eselsritt bejahte also diese Messiaserwartung, grenzte sich aber gegen die Erwartung eines machtvollen Herrschers im Volk ab. Er wollte demnach kein kriegerischer Anführer, sondern ein gewaltloser Bringer des Reiches Gottes sein. Auf diese Weise wollte er die biblische Prophetie des Völkerfriedens durch Abrüstung (Jes. 2, 2–4/Mi. 4, 1–3) anfangen zu erfüllen.

Jesu Tempelkritik

Giotto, Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel

Der Jerusalemer Tempelkult spielt in den Evangelien eine wichtige Rolle. Jesu Verhalten dazu ist nicht eindeutig. In Galiläa schickte er geheilte Patienten zu den Priestern, damit diese die Gesundung amtlich feststellten und die Geheilten wieder in die Gesellschaft aufnahmen (Mk. 1, 44). In seiner Toraauslegung lehnte er das Opfern nicht direkt ab, ordnet es aber der Nächstenliebe unter (Mt. 5, 23f). Indem er im Tempel lehrte, erkannte er diesen als Gotteshaus an. Auch die Tempelsteuer scheint er, anders als die Kaisersteuer, gebilligt zu haben (Mk. 12, 41ff).

Doch in Jerusalem soll Jesus sowohl gegenüber seinen Jüngern (Mk. 13, 2 par.) wie auch öffentlich (Mt. 23, 38 par.) die Zerstörung der Tempelstadt angekündigt haben. Damit stellte er sich in die Tradition Jeremias, der die Zerstörung des ersten Tempels (589 v. Chr.) vorhersagte und dafür von den Priestern beinahe getötet worden wäre (Jer. 26). Die Berufung auf Jeremia war die schärfste denkbare Kritik am Tempelkult und stellte die Führungsrolle der Sadduzäer in Frage.

Die Evangelien bezogen Jesu Vorhersage später auf seinen eigenen Tod. Aus christlicher Sicht stellt dieser das letzte Opfer dar: Danach war der Tempel überflüssig. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen Jesu Handlungen als Vorwegnahme in Kürze eintretender Ereignisse und Hinweis auf die Tempelzerstörung im Jahre 70.

Jesu Vertreibung der Opferhändler aus dem Tempelvorhof war eine erneute prophetische Zeichenhandlung. Sie sollte den Tempel "reinigen", griff damit den Opferkult insgesamt an und stiftete die Tempelbesucher zu dessen Abschaffung an. Damit wollte Jesus offenbar auch Nichtjuden Zugang zum Gotteshaus eröffnen: "Steht nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker heißen?" (Mk. 11, 17/Jes. 56, 7)

Diese Worte und Taten mussten die sadduzäische Priesterschaft herausfordern. Infolge der angespannten Situation beim Passahfest wurde Jesu Verhaftung aus ihrer Sicht unumgänglich.

Der Passionsbericht der Urgemeinde

Jesu Festnahme, der Prozess gegen ihn, sein Tod und seine Auferstehung nehmen die zentrale Stellung in den Evangelien ein. Diese wurden auf diese Ereignisse hin verfasst und wären sonst wahrscheinlich nicht entstanden. "Die Evangelien sind Passions- und Ostergeschichten mit ausführlicher Einleitung" (M. Kähler).

Dabei folgen Matthäus und Lukas jetzt dem Ereignisablauf ihrer Vorlage. Markus lag seinerseits ein älterer Passionsbericht vor, den er in sein Evangelium einbaute. Dieser Bericht begann wohl mit dem Verrat des Judas (Mk. 14, 10) und wurde allmählich nach vorn erweitert. Er führt die von Paulus überlieferten ältesten Credoformeln erzählend aus und geht daher wohl bis auf die Jerusalemer Urgemeinde zurück (U. Wilckens).

Markus hat diesen Passionsbericht mit deutlich antijüdischer Tendenz überarbeitet, den römischen Statthalter entlastet und den jüdischen Führern die Alleinschuld an Jesu Tod gegeben. Darin spiegelt sich die bedrohte Lage der christlichen Gemeinden im römischen Reich und die verschärfte Konkurrenz mit jüdischen Synagogen nach dem verlorenen jüdischen Befreiungskrieg (70 n. Chr.). Die endgültige Trennung vom Judentum stand bevor oder war bereits vollzogen.

Die Gefangennahme

Wer Jesus festnahm und von wem der Befehl dazu kam, ist unklar. Im Garten Getsemani hatten Jesu Anhänger ihr Lager. Einer von ihnen, Judas, soll eine bewaffnete Truppe dorthin geführt haben. Nur römische Soldaten durften Schwerter und Lanzen tragen. Sie bewachten auch den Wald von Getsemani, wo sich Zeloten verstecken konnten. Die Tempelwache des Hohenpriesters war nur für den Tempelbezirk zuständig. Aber hätte ein enttäuschter Zelot die Römer gerufen? Oder war es Kaiphas, der schon jetzt mit Pilatus gegen Jesus kooperierte?

Jesus soll klar gewesen sein, was ihm bevorstand:

"Ihr seid vorgegangen wie gegen einen Mörder...dabei war ich jeden Tag im Tempel, wo ihr mich festnehmen konntet. Aber so soll die Schrift erfüllt werden!" (Mk. 14, 48f).

Die Priester hatten offenbar vor, ihn als Verbrecher an die Römer auszuliefern. Diese nannten Zeloten "Mörder", um Widerstand zu kriminalisieren und ihre Gewalt dagegen zu legalisieren.

Es gab wohl einen kurzen Kampf: Alle Evangelien berichten davon. Aber sie wissen auch, dass Jesus diesen sofort gestoppt habe (Mt. 26, 51f/ Lk. 22, 50f). Daraufhin flohen seine Anhänger (Mk. 14, 50).

Der Prozess vor dem Hohen Rat

Das oberste Religionsgericht für ganz Israel mit Sitz in Jerusalem bestand aus den führenden Repräsentanten des Judentums: den Jerusalemer Pharisäern, Schriftlehrern und Tempelpriestern. Markus zählt sie häufig stereotyp auf. Daran kann man die redaktionelle Bearbeitung seines Evangeliums gut erkennen.

Die Priester stellten nach jüdischem Gesetz die Mehrheit und waren nicht abwählbar. Der Hohepriester hatte die Leitung inne: Er war Chefankläger und Richter in einer Person. Sein Amt war erblich. Zur Zeit Jesu wurde es von Kaiphas bekleidet. Er erhielt es durch römische Einflussnahme.

Der Hohe Rat war für kultische, nicht politische Kapitalvergehen zuständig. Darum bestreiten vor allem jüdische Historiker (z.B. Paul Winter), dass es überhaupt einen religiösen Prozess gegen Jesus gegeben hat.

Doch die Evangelien lassen historisch plausible Gründe für Jesu Festnahme und Auslieferung erkennen. Kaiphas war für Israels Überleben verantwortlich und sah sich dazu verpflichtet, Aufruhr im Keim zu ersticken und Rädelsführer rechtzeitig zu verhaften (Mk. 14, 1):

"Bloß nicht am Fest, damit kein Aufruhr im Volk entsteht!"

Er hatte mit Recht Angst vor einem Volksaufstand beim bevorstehenden Passahfest, dem unvermeidlich ein militärischer Eingriff der Römer und der Verlust der relativen religiösen Autonomie Israels gefolgt wäre. Daher ist seine Erwägung im Synhedrium nachvollziehbar (Jh. 18, 14):

"Es ist besser, dass nur ein Mensch anstelle des Volkes stirbt."

Daher wurde Jesus "mit List" (Mk. 14, 1), nämlich nachts (Mk. 14, 17. 49) festgenommen. Eine direkte Auslieferung an Roms Statthalter ohne gültiges Rechtsverfahren kam für die Tempelhüter jedoch nicht in Frage. Sie waren gerade wegen fehlender eigener Strafjustiz auf strenge Legalität bedacht, um ihre Autorität zu wahren (vgl. Apg. 7, 57).

Die Anklage

Zeugen wurden vernommen, die behaupteten, Jesus habe Unmögliches, nämlich den Abriss und Neubau des Tempels innerhalb von 3 Tagen geweissagt (Mk. 14, 58). Die Anklage gegen ihn lautete also auf Falschprophetie: eins der schwersten Kapitalvergehen nach der Tora, besonders nach dem Deuteronomium (5. Buch Mose).

Für Markus waren die Zeugen Lügner, die sich widersprachen und damit kein legales Todesurteil hergaben (Mk. 14, 56/Dtn. 19, 15ff). Doch ihre Aussage traf im Kern zu. Denn Jesus hatte bei seiner Vertreibung der Opferhändler aus dem Tempelvorhof den Abriss des alten Tempels gefordert und seinen Neubau angekündigt (Jh. 2, 19). Eine solche Kultreform aber stand nach jüdischer Tradition (2. Sam. 7, 13) nur dem Nachkommen Davids, also dem Messias zu (O. Betz). Das erklärt die Frage des Kaiphas im Verhör Jesu (Mk. 14, 61):

"Bist Du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?"

Das Menschensohn-Bekenntnis

Jesu Antwort lautete: "Ich bin es..." Ein klares Ja also. Doch Jesu Messiasanspruch als solcher war auch für die Sadduzäer keine gotteslästerliche Todsünde: Man konnte ihn zunächst festsetzen und abwarten, was folgen würde (5. Mose 18, 22). Da der Gott Israels Herr der Geschichte ist, wurde ein Messias durch seinen geschichtlichen Erfolg ausgewiesen. Es gab vor und nach Jesus im Judentum Messiasanwärter, die trotz späterer Niederlagen hoch verehrt wurden (z.B. Simon Bar Kochba).

Doch Jesus ergänzte sein Ja so (Mk. 14, 62):

"...und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzend zur Rechten der Kraft und mit den Himmelswolken kommen".

Das war ein deutliches Zitat aus der dem Seher Daniel zugeschriebenen Vision vom Endgericht Gottes. Dort hieß es: "Siehe, es kam einer mit den Himmelswolken, der sah aus wie eines Menschen Sohn..." (Dan. 7, 13f). Ihm werde Gott seine ganze Macht übergeben, so dass ihm alle Menschen dienen würden.

Offenbar identifizierte sich Jesus hier mit diesem "Menschensohn". Er bezog dessen künftiges Handeln auf sein eigenes Vorhaben. Denn er war ja als derjenige angeklagt, der den Abriss und Neubau des Tempels vorhergesagt hatte: Er wollte den Opferkult abschaffen und Ausländern Zugang zum Gott Israels gewähren. Er wollte auch ihnen die Hoffnung auf ein Ende aller Gewaltherrschaft nahe bringen.

Einen solchen Anspruch hat es im gesamten Judentum weder vor noch nach Jesus gegeben.

Gotteslästerung?

Kaiphas hörte aus Jesu Aussage eine "Gotteslästerung" heraus (Mk. 14, 64). Eine direkte Verfluchung des Gottesnamens kann nicht gemeint sein, weil gerade der historische Jesus das 1. Gebot achtete und den Gottesnamen auszusprechen vermied - ebenso wie Kaiphas.

Doch indem Jesus die Messiasfrage bejahte und dann mit der Menschensohn-Ankündigung ergänzte, schien er zu sagen: "Ich bin der Menschensohn." Damit hätte er sich Gott gleich gestellt: Das ist für Juden die Ursünde schlechthin. "Ihr werdet sein wie Gott..." sprach die Schlange im Paradies (Gen. 3, 5).

Doch die umständliche Satzkonstruktion lässt deutlich erkennen, dass der Satzteil "sitzend zur Rechten der Kraft und..." später eingefügt wurde. Hier spricht die Evangelien-Redaktion, die schon von Jesu Auferstehung herkommt und den bereits inthronisierten Christus verkündet (Apg. 2, 34).

Jesus sprach sonst immer vom kommenden Menschensohn in der 3. Person. Er wollte die Führer Israels an Daniels Vision erinnern und ihnen so sagen: Ihr habt eine Zukunft jenseits des Tempelkults, auch wenn dieser zu Ende geht. Seine Aussage klingt drohend – "ihr werdet sehen!" – und ist doch eine Zusage.

Die falsche Behauptung, dass Jesu Messiasanspruch für die damaligen Juden eine Gotteslästerung gewesen sei, ist bis heute unter Christen verbreitet. Sie ist ein entscheidendes Hindernis im notwendigen Dialog zwischen Juden und Christen. Hier kann das genaue Hinhören auf den Text weiterhelfen.

Dass die Urchristen glaubten, Jesus sei wegen Gotteslästerung und nicht wegen Falschprophetie verurteilt worden, hängt mit seiner Todesart zusammen. Die Kreuzigung galt im jüdischen Gesetz (Dtn. 21, 23) als gerechte Strafe für einen Lästerer des Gottesnamens. So wurde vom Tod auf das Todesurteil gefolgert.

Das Todesurteil

Jesu indirekter Anspruch auf die Menschensohnwürde konnte Kaiphas nur darin bestärken, Jesus zu verurteilen. Denn dieser kündete damit seine Entmachtung an. Obwohl der Angeklagte völlig machtlos vor ihm stand, stellte er sich über ihn, seinen Ankläger und Richter: eine unerhörte Provokation für den Führer Israels, der sein Amt durch die gesamte biblische Tradition legitimiert sah.

Der Evangelist Markus behauptet denn auch ein einstimmiges Todesurteil des Hohen Rates. Er will damit die Beteiligung und Schuld ganz Israels am Tod Jesu ausdrücken (Mk. 14, 63f).

Historisch ist das sicher nicht, da es nach Prozessregeln des Talmud ungültig gewesen wäre. Auch der vornehme Pharisäer Joseph von Arimathia war ein Ratsmitglied: Er war es, der Pilatus bat, Jesus ehrenhaft bestatten zu dürfen (Mk. 15, 43-46). Das hätte er auf keinen Fall getan, wenn er dem Todesurteil zugestimmt hätte. "Lästerer" und Falschpropheten sollten ohne Grab verscharrt werden, nichts sollte an sie erinnern.

Es gab also im Synhedrium durchaus Uneinigkeit, ob Jesus als Falschprophet anzusehen sei oder nicht. Denn die Phariäser glaubten ebenso wie er an das Kommen des Gottesreichs.

Doch der Hohepriester präjudizierte das Urteil durch das Zerreißen seines Gewandes: ein Trauerritus, wenn ein Jude Zeuge eines Kapitalvergehens wurde. Die Ratsmehrheit folgte ihm: Jesus selbst hatte mit seinem Menschensohn-Bekenntnis vor ihren Ohren die Anklage auf Falschprophetie voll und ganz bestätigt.

Rechtsbasis des Urteils war das Deuteronomium mit den strengen Bestimmungen zur Tötung von Falschpropheten, Volksverführern und Götzendienern (Dtn. 13, 6/18, 20), so auch später bei der Hinrichtung des Stefanus (Apg. 7, 56f).

Die Evangelien folgen Markus und stellen das Vorgehen der Führer Israels als böswillig geplanten und herbeigeführten Justizmord dar (Mk. 14, 11/ 14, 55/ 15, 10f). Doch wenn Jesus sich in seinem Prozess als "Menschensohn" vorstellte, dann blieb dem Synhedrium nichts anderes übrig, als ihn zum Tod zu verurteilen. Dann war das Urteil nach damaligem jüdischen Recht juristisch zwangsläufig und gültig (A. Strobel).

Diese historische Hypothese folgt der inneren Logik des Prozessberichts: natürlich unter dem Vorbehalt, dass dieser bereits den erhöhten Christus verkündigen will. Wie kann man dann historische Details herausfiltern? Wie erfuhren die Urchristen von dem Prozessverlauf? Die Verhandlung geschah ja nachts hinter verschlossener Tür im schwer bewachten Haus des Kaiphas. Die Jünger waren alle geflohen: Auch ihnen drohte Festnahme und Hinrichtung.

Alle? Im Innenhof des Kaiphashauses harrten noch einige aus: vor allem die Frauen und Petrus (14, 66–72). Joseph von Arimathia könnte ihnen Details aus dem Prozess zugetragen haben: Dafür spricht, dass die Urchristen sich noch Jahrzehnte später an seinen Namen erinnerten.

Dennoch kann der Text nicht einfach als historisches Dokument beansprucht werden. Laut Markus offenbart Jesus seine Identität nur an dieser einen Stelle, als es für ihn um Leben und Tod ging. Darin zeigt sich indirekt: Das Bekenntnis zum "Sohn Gottes" war für die Christen, an die sich dieses Evangelium wendet, bereits zur Lebensgefahr geworden. Es will sagen: Während Petrus unten im Hof Jesus verriet, hat dieser sich als der Menschensohn bekannt und so sein Leben für uns gegeben.

Die Auslieferung

Am folgenden Morgen traf der Rat erneut zusammen, um das Todesurteil in den Vorwurf eines politischen Messiasanspruchs umzuformen. So konnte man Jesus dem römischen Statthalter rechtmäßig und rechtzeitig zur Hinrichtung übergeben.

Die Sadduzäer durften Todesurteile damals ja nicht selbst ausführen. Erst nachdem Pilatus abgesetzt war, konnten sie erstmals im Fall des Stefanus, eines tempelkritischen Urchristen, kultische Vergehen wieder selbst bestrafen und einen Falschpropheten steinigen, wie es die Tora vorsah (Apg. 7, 56).

Die nach dem Talmud vorgeschriebene Ein-Tages-Frist zwischen Urteil und Vollstreckung wurde in diesem Ausnahmefall missachtet. Die Eile wird verständlich, wenn man bedenkt, dass ein Passahfest im Gange war. Im Falle einer akuten Gefahr für Tempel und Stadt – und Jesus war eine solche Gefahr – durfte eine Hinrichtung auch sofort geschehen. Hinzu kam, dass der Falschprophet vor Beginn des Sabbats tot sein musste, um Israel nicht zu verunreinigen (A. Strobel).

Falsche Propheten oder Gotteslästerer sollten nach jüdischem Gesetz "am Fest" hingerichtet werden. Darum nehmen vor allem christliche Historiker an, dass Jesu Kreuzigung am 14. Nisan (= 7. April) des Jahres 30 stattfand, dem Hauptfesttag des damaligen Passah.

Den römischen Statthalter haben innerjüdische Konflikte um den wahren Glauben nicht interessiert. Er ist aus zuverlässigen römischen Quellen als äußerst skrupelloser Machtpolitiker bekannt, der keine Rücksicht auf jüdische Tradition nahm und Juden häufig ohne jedes Rechtsverfahren hinrichten ließ, bis man ihn deswegen absetzte. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass er Jesus gegen Kaiphas in Schutz nahm.

Unglaubhaft ist auch, dass eine Volksmenge Pilatus zur Hinrichtung Jesu gedrängt haben soll ("Kreuzige ihn!", Mk. 15, 13). Der Innenhof des Pilatuspalastes bot nur wenigen Menschen Raum. Jesus war nur Tage zuvor von der Masse der Festpilger begeistert als Messiasanwärter begrüßt worden (Mk. 11, 9). Die Sadduzäer dagegen waren im Volk unbeliebt.

Der Passionsbericht lässt aber erkennen, dass es so etwas wie einen "Deal" zwischen Kaiphas und Pilatus gegeben haben muss. Er bot ihnen den "Mörder" (Zeloten) Barabbas zum Tausch für Jesus an: offenbar als "Trostpflaster" für das Volk (Mk. 15, 6–15). Das zeigt zum einen, dass nicht alle Zeloten auch Feinde der Sadduzäer waren, zum anderen, dass Jesus in ihren Augen die größere Gefahr darstellte.

Auch Pilatus und Herodes sollen darüber Freunde geworden sein, dass sie den Todeskandidaten verhöhnten (Lk. 23, 11f). Beide konnten nichts an Jesus finden und gaben ihn gerade deshalb dem Tod preis. So wird das Zusammenspiel zwischen römischen Besatzern und jüdischen Kollaborateuren sichtbar. Der gewaltlose Messias der Armen, der keine Macht besaß, war ihnen dennoch im Weg: Gemeinsam beseitigten sie ihn.

Pilatus senkte den Daumen und überließ Jesus seinen Folterknechten. Römer ließen Verurteilte öffentlich geißeln, nicht aber Juden: Markus übertrug die Folter aus dem römischen in den jüdischen Prozess Jesu (Mk. 14, 65).

Danach wurde Jesus gezwungen, sein Kreuz zum Richtplatz vor die Stadtmauer zu tragen. Ein jüdischer Landarbeiter aus der nordafrikanischen Exilsgemeinde Kyrenaika wurde gezwungen, ihm die Last abzunehmen, als er nicht mehr konnte. Die brutale Willkür der Soldateska zeigte den Juden hautnah, dass Jesu Leiden sie alle betraf und schmerzen sollte. So wurde dem Volk am Fest der Befreiung seine Sklaverei vor Augen geführt. Jeder Augenzeuge erfuhr, was Anstiftung zum und Beteiligung am Aufruhr für ihn bedeuten konnte.

Dass der Passionsbericht den Namen Simons, der Jesu Kreuz trug, nennt, ist aufschlussreich: Juden litten mit und für Jesus und teilten sein Geschick, als seine Anhänger schon geflohen waren. Es gab anfangs keine Feindschaft zwischen Christen und Juden, sondern ein gemeinsames Leiden, Erinnern, Hoffen.

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Der gekreuzigte Jesus

Die Hinrichtung Jesu durch Pilatus gilt als historisch gesichertes Faktum: eins der wenigen, das auch außerbiblische Quellen bestätigen (Tacitusnotiz). Den Grund dafür nennen sie allerdings nicht.

Die Evangelien sind sich einig, dass Jesus von der römischen Besatzungsmacht als „König der Juden“ verurteilt wurde. Dann wäre er für Pilatus ein Aufrührer oder Aufständischer (Zelot) gewesen. Sie bestreiten aber zugleich, dass Jesus einen bewaffneten Aufstand plante (Lk. 22, 38).

Vielmehr deuten sie an, dass die Sadduzäer Jesus gegenüber dem römischen Statthalter als Aufrührer hinstellten, um seine Verurteilung zu erreichen. Denn diese durften selbst keine Todesurteile vollstrecken. Sie erscheinen als ablehnend gegenüber Jesu Botschaft sowie seinem Anspruch auf den Messiastitel. Inwieweit Jesus diesen Titel aber historisch für sich in Anspruch nahm, wird aus den Evangelien nicht klar. Darum bleibt auch fraglich, warum die jüdische Obrigkeit ihn als Gefahr sah, seinen Tod wünschte und ihn dazu auslieferte.

Für die Evangelien ist der Kreuzestitel keine neutrale Feststellung eines angeblichen Verbrechens, sondern Bestätigung des messianischen Anspruchs Jesu. Das bestätigt auch der Protest der Sadduzäer (Jh. 19, 21), die nicht mehr wahrhaben wollten, dass sie Jesus ja mit dem Vorwurf, er wolle der Messias sein, an Pilatus überstellt hatten.

Ein Falschprophet wurde nach jüdischem Recht (Dtn. 18, 22) nicht sofort hingerichtet, sondern man wartete ab, was aus seinem Anspruch werden würde. Auch ein Messiasanwärter war nicht automatisch ein Hochstapler, den man töten musste. Es hätte jüdischer Tradition also entsprochen, abzuwarten, ob Jesu Ansage des Tempelabrisses sich erfüllte und danach zu entscheiden.

Das jüdische Todesurteil für Gotteslästerung oder Falschprophetie wäre die Steinigung gewesen, wie sie später vom Urchristen Stefanus berichtet wird (Apg. 7, 56).

Die Kreuzigung war die übliche Hinrichtungsmethode des römischen Kaiserreichs für Aufständische, entlaufene Sklaven und Ausländer. Diese grausame Strafe sollte alle Augenzeugen demütigen und von der Teilnahme an Aufruhr abschrecken. Sie konnte je nach Ausführung tagelang dauern, bis der Gehängte verdurstete oder an seinem eigenen Körpergewicht erstickte. Der Passionsbericht nennt aber keine Details des Vorgangs, sondern beschränkt sich auf die geradezu monotone Darstellung "in der 3. ... der 6. ... der 9. Stunde...".

Pilatus soll überrascht gewesen sein, dass Jesus relativ schnell, vor Ablauf eines Tages, verstarb. Er ließ Jesu Tod nochmals amtlich feststellen, bevor er seinen Leichnam zur Bestattung freigab (Mk. 15, 44f). So betonen alle Evangelien die Aussage des urchristlichen Credos "gestorben und begraben." Damit reagierten sie vielleicht schon auf eine Legendenbildung, die behauptete, Jesus sei gar nicht gestorben und seine Auferstehung sei somit nicht überraschend.

Juden galt das Gehängt- oder Gekreuzigtwerden als Gottesfluch für Gotteslästerer (5. Mose 21, 23/ Gal. 3, 13) und damit als endgültiger Ausschluss aus dem erwählten Volk. So betonte das Bekenntnis zur Auferweckung dieses Juden, dass Gott ihm gegen seine Richter endgültig Recht gab.

Die Auferstehung

Das Ereignis der Auferstehung oder Auferweckung Jesu durch Gott ist bereits christliches Glaubenszeugnis. Darum wird der mögliche historische Gehalt der Ostertexte genauer im Artikel Jesus Christus im Neuen Testament betrachtet.

Mit dem Abschluss der nachösterlichen Erscheinungen Jesu beginnt zugleich die Geschichte des Christentums. Wie Jesus Christus dort und in der späteren Kirchengeschichte gesehen wird, thematisiert der Artikel Christologie.

Die Erforschung der Quellen über Jesus

Die wichtigste Quelle für die Leben-Jesu-Forschung ist das Neue Testament der Bibel, insbesondere die Evangelien (siehe den vorangegangenen Absatz). Die heute häufig gebrauchte historisch-kritische Methode bezieht darüber hinaus aus anderen Quellen gewonnene historische Kenntnisse mit ein. Außerdem gibt es auch vereinzelte außerbiblische Quellen über Jesus, die im Folgenden dargestellt werden.

Notizen in jüdischer Geschichtsschreibung

In zeitgenössischen Schriften außerhalb des NT wird Jesus kaum erwähnt.

war jüdischer Schriftsteller und Zeitgenosse des Josephus Flavius. Er stammte wie Jesus aus Galiläa. Nach dem jüdischen Krieg (70 n. Chr.) verfasste er eine umfangreiche Chronik von Moses bis in seine Tage. Darin wird Jesus mit keinem Wort erwähnt, obwohl der Autor ihm zeitlich und räumlich nah war. Andererseits ist diese Chronik nur noch bruchstückhaft überliefert, so dass eine Erwähnung Jesu vielleicht verloren ging.

schrieb zwischen 79 und 94 n. Chr. seine "Antiquitates Judaicae", die die jüdische Geschichte von der Genesis bis zur Gegenwart des Autors abdecken. Darin enthalten ist das berühmte Testimonium Flavianum. Falls es von Josephus selbst stammt, wäre es das früheste außerbiblische Zeugnis zu Jesus.

Es besteht aus zwei Abschnitten. Der erste erwähnt Jesus als "Lehrer der Weisheit", seine Kreuzigung durch Pilatus und die Treue seiner Anhänger danach. Mindestens Sätze wie "Er war der Christus" wurden offenkundig später hinzugefügt, vielleicht jedoch sogar der ganze Abschnitt. Denn Jesus taucht in den frühen Textvarianten nicht auf, sondern erst in der meistzitierten Übersetzung aus dem Jahre 1000 nach Christus.

Der zweite Abschnitt befasst sich mit der Hinrichtung eines Jakobus und bezeichnet ihn als "den Gerechten, Jesu Bruder": Er wird eher als echt angesehen, da Eusebius von Cäsarea ihn in seiner Kirchengeschichte (um 324 n. Chr.) schon kannte. Die meisten Historiker betrachten jedoch auch diese Stelle heute als Fälschung, vor allem aus 2 Gründen:

1. Während es bei Josephus heißt, dass Jesu ältester Bruder als Märtyrer für den christlichen Glauben von den Juden zu Tode gesteinigt wurde (vgl. Stefanus, Apg. 7, 58), lässt die Apostelgeschichte des Lukas offen, wann und wie er starb (Apg. 21, 18).

2. Auch hier existiert eine – ältere? – Textvariante, in der der Name Jesus nicht erwähnt wird. Dort wird Jakobus als der Bruder von Barabbas bezeichnet. Dann wäre der auch unter Urchristen häufige Name "Jakobus" später irrtümlich oder absichtlich auf Jesu Bruder bezogen worden.

Andere Historiker glauben dagegen, dass die ersten Christen Revolutionäre waren. "Bruder von Barabbas" könnte so auf den Zeloten bezogen sein, der im Tausch für Jesus freikam (Mk. 15, 15), und Zugehörigkeit zu seiner Zelotengruppe ausdrücken. Später könnten alle Hinweise darauf aus dem NT und den Kirchengeschichtsbüchern eliminiert worden sein.

Beide Deutungen bezweifeln also, dass Josephus selbst etwas von Jesus gehört hatte. Einige Historiker folgern daraus, dass es einen historischen Jesus nie gegeben habe (siehe Spekulative Theorien zu Jesus von Nazareth).

Hegesippus, ein nichtchristlicher Chronist, berichtete laut Eusebius im 2. Jahrhundert, dass Männer vor Domitian (81–96) gebracht worden seien. Diese wurden verdächtigt, von Jesu Bruder Judas abzustammen und somit als Blutsverwandte von Jesus aus einem potentiell gefährlichen königlichen Haus zu stammen. Domitian verhörte sie bezüglich des Messias und seines Königreichs. Aber als die Männer erklärten, dieses Königreich sei nicht weltlich, sondern himmlisch, habe er sie als harmlos entlassen und seine Verfolgung der Kirche beendet.

Diese Notiz gibt, falls sie echt ist, einen Hinweis darauf, dass Christen im römischen Reich zunächst als jüdische messianische Sekte betrachtet und verfolgt wurden.

Römische Notizen

In den Berichten von Sueton und Gaius Cornelius Tacitus aus dem 2. Jahrhundert werden Christen und ihr Namensgeber erstmals von römischen Autoren erwähnt.

  • Sueton erwähnt in seinem Bericht über das Judenedikt des Claudius nur das Gerücht, dass die von Claudius mit den Juden verfolgten Christen sich auf einen "Chrestus" beriefen. Näheres über ihn erfährt man nicht.
  • Tacitus schreibt in seinen 117/118 n. Chr. entstandenen Annalen:

"Der Urheber dieses Namens ist Christus, welcher unter der Regierung Tiberius vom Landpfleger Pontius Pilatus hingerichtet worden war. Der eine Zeitlang gedämpfte, verderbliche Aberglaube (dieser Leute) hatte von neuem, nicht nur in Judäa, wo sich das Übel entspann, sondern auch in Rom überhand genommen, wo alles Unnatürliche und Schändliche zusammenfließt, und Beifall findet." (Annales 15,44 in der Übersetzung von C.F.Bahrdt)

Offen bleibt, ob diese Notiz bereits auf christlichen Quellen oder eigener Nachforschung fußt. Immerhin bestätigt sie mit Jesu Kreuzigung durch Pilatus den Fixpunkt seines Lebensendes um 30-33 und die Existenz von Christengemeinden in Rom Anfang des 2. Jahrhunderts (vgl. Paulusbrief an die Römer um 60 n. Chr.).

Die Notiz reflektiert auch eine Ahnung, dass der christliche "Aberglaube" aus dem Judentum stammte und künftig noch eine "unheilvolle" Rolle für das multikulturelle Rom spielen könnte.

Offene Fragen

Da die Evangelien keine Biographien Jesu sind und auch nicht sein wollen, bieten sie viel Raum für Vermutungen und Spekulation.

War Jesus ein uneheliches Kind?

Diese Vermutung legt das NT selbst nahe (Mt. 1, 19). Im Talmud wird sie zur Herabsetzung Jesu verwendet. Der Historiker Gerd Lüdemann hat diese These neuerdings wieder vertreten.

Vielleicht war Jesus deswegen ein Außenseiter in seinem Heimatdorf und hat sich auch deshalb später anderen gesellschaftlichen Außenseitern zugewandt.

Aber Jesu erste Jünger stammten aus seiner Gegend. Auch Petrus' Mutter folgte Jesus. Viele Familien waren damals entwurzelt, und die sozialen Bindungen lösten sich auf. So muss die Bezeichnung „Sohn der Maria“ nicht auf eine voreheliche Affaire hinweisen. Ebensogut kann Josef sich früh von Maria getrennt haben oder verstorben sein, so dass man Jesus nur noch als Sohn der Maria kannte.

Wie verbrachte Jesus seine Jugend?

Was Jesus in seiner Jugendzeit getan hat, weiß man nicht. Eventuell hat er mit seinem Vater Josef beim Wiederaufbau der nahe gelegenen Stadt Sepphoris gearbeitet, die durch Varus und seine Legionen zerstört worden war. Anhand von Rechnungen ist belegt, dass ein Tekton auch am Schleusenbau, bei der Instandhaltung von Schöpfrädern und der Ausbesserung von Sätteln mitwirkte.

Fraglich ist jedoch, ob Galiläer, zumal wenn sie von Johannes und anderen Bußpredigern zur Umkehr gerufen wurden, überhaupt bei römischen Wiederaufbauten mitwirkten. Jesu Wirkungskreis umfasste später keine Römerstädte. Warum sollte er diese meiden, wenn er früher dort gearbeitet hätte?

Die Evangelien zeigen, dass Jesus und seine Jünger vom Fischen im See Genezareth, vom Betteln und von der Gastfreundschaft, der sie unterwegs begegneten, lebten. Das kann auch schon in ihrer Jugend so gewesen sein. Sie zeigen auch, dass Jesus schon früh zur Familie auf Distanz ging.

Warum verließ Jesus seine Familie?

Die Evangelien erwähnen Josef, Jesu Vater, nach Jesu Taufe nicht mehr. Dafür ist nun öfter von Kapernaum die Rede, wo Jesus nach Lukas 4 zuerst auftrat. Daher vermuten manche Forscher, Jesus sei dorthin umgezogen, nachdem sein Vater fort oder tot war.

Der älteste Sohn hatte damals die Pflicht, sich um die Eltern und Geschwister zu kümmern. Das Verlassen seiner Familie wäre ein Verstoß gegen das vierte Gebot gewesen: Nach der Gesellschaftsmoral seiner Zeit war Jesus damit einem Mörder und Ehebrecher gleichzusetzen.

Dazu passt, dass seine Familie wiederholt versucht haben soll, ihn festzuhalten. Mk. 3, 20f begründet das so:

Als er nachhause kam, sammelte sich abermals viel Volk, so dass sie nicht essen konnten.

Offenbar war zuwenig Platz und Nahrung für alle vorhanden, doch Jesus wollte niemand ausschließen. Deshalb hielten seine Angehörigen ihn für verrückt: "Er ist von Sinnen!"

Jesus sah sich berufen, allen Armen Gottes Reich zu verkünden, so dass er umherzuziehen begann. Das löste Konflikte mit seinen Verwandten aus, bis er Nazareth ganz verließ.

Wie verhielt Jesus sich zu Johannes?

Zur Zeit Jesu gab es eine Reihe von eschatologischen Wanderpredigern mit mehr oder weniger großer Gemeinde. Einer davon war Johannes der Täufer.

Vielleicht gehörte er eine Weile zur Gruppe der Essener. Diese Sekte lebte streng von der Umwelt abgeschieden, während Johannes und Jesus umherzogen.

Johannes rief alle Juden zur Umkehr und taufte sie, um sie vor dem drohenden Endgericht zu retten. Auch Jesus ließ sich von ihm taufen. Ob er sich ihm anschloss, ist ungewiss. Nach Jh. 3, 22ff soll Jesus eine zeitlang parallel zu Johannes Jünger getauft haben.

Dass es einen Austausch und Konkurrenz zwischen Johannes- und Jesusgruppen gab, ist gewiss. Vielleicht lernte Jesus die Brüder Petrus und Andreas bei Johannes dem Täufer kennen (Jh. 1, 35-42.) Aber hat er sie gezielt abgeworben, oder trat er auf eine neue Art auf, die attraktiver war?

Jesus predigte das Reich Gottes dann auf andere Weise: nämlich als gnädige Zuwendung Gottes zu den Armen und Sündern. Er heilte gerade die, die Gottes Gericht verfallen gewesen wären.

In welchem Gebiet wirkte Jesus?

Jesus sah sich zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ gesandt und hatte kein Interesse an Weltruhm. Sein Wirkungskreis blieb anfangs auf ein kleines Gebiet am See Genezareth beschränkt, das durch das Städtedreieck Kapernaum-Bethsaida-Chorazim eingegrenzt war.

Daher liefern andere zeitgenössische Quellen kein Material zu Jesus: Er war eine unbedeutende Randfigur, ein Wanderprediger unter vielen, der in einer Provinz unterwegs war, die keinerlei besondere Bedeutung im römischen Reich hatte.

In Kapernaum, einem Fischerdorf von ca. 1000 Einwohnern, richtete Jesus offenbar im Hause des Petrus eine Art Hauptquartier ein. Archäologen bestätigen die Existenz eines Gebäudes, das seit frühchristlicher Zeit als Pilgerstätte diente und möglicherweise das Haus des Petrus war. Eventuell wurde Jesus dort von einigen Reisenden gehört, die auf der Fernstraße Via Maris nach Syrien oder Ägypten unterwegs waren.

Jesus hat auch Ausländer geheilt (Mk. 7, 24ff) und soll den Diener eines römischen Offiziers geheilt haben (Mt. 8, 5-13/Lk. 7, 1-10) .

Jesus kann auch einen Streifzug durch Samaria gemacht haben. Diese Provinz Palästinas war Teil des früheren Nordreichs, das den Jerusalemer Tempelkult nicht als verbindlich ansah.

Wie verhielt Jesus sich zu den Geboten der jüdischen Tradition?

Jesu Verhältnis zur jüdischen Thora ist umstritten. Auf der einen Seite stehen Aussagen wie Mt. 5, 17:

Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen...

Auf der anderen Seite hat Jesus viele Gebote und Sitten auf zum Teil umstürzlerische Weise in Frage gestellt und z.B. gesagt:

Der Sabbat ist für den Menschen, nicht der Mensch für den Sabbat da!

Nach Mk. 2-3 hat Jesus auch am Ruhetag seinen Jüngern erlaubt, Nahrung zu sammeln, und bewusst öffentlich geheilt. Das soll den Plan seiner Gegner, ihn zu töten, ausgelöst haben. Doch bessere Kenntnis des Pharisäismus relativiert die These, Jesus habe das Sabbatgebot aufgehoben. Denn er hat erlaubt, auch am Sabbat Leben zu retten, und den Sabbat auf diese Weise geheiligt. Das sahen auch andere Rabbiner schon vor Jesus als legitime Erfüllung des Sabbatgebots an.

Hat Jesus das 4. Gebot, die Eltern zu ehren, aufgehoben? Er hat es auf jeden Fall völlig konträr zur Tradition ausgelegt und Gottes wahrem Willen untergeordnet:

Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert...
Wer Gottes Willen tut, der ist meine Mutter und Schwester und mein Bruder.

Das heißt: Achte die als deine Eltern, die Gottes Willen tun.

In den sogenannten „Antithesen“ der Bergpredigt hat Jesus z.B. das 5. Gebot „Morde nicht“ über den Wortlaut hinaus radikalisiert. Schon wer andere hasst, ist eigentlich ein Mörder und verdient den Tod. Er wollte aber keine Strafverschärfung einführen, sondern das unbarmherzige Verurteilen anderer entkräften.

Hat Jesus die Todesstrafe aufgehoben? Jh. 8, 1-11 berichtet von der Ehebrecherin, deren Leben Jesus dadurch rettete, dass er sagte:

Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

Dieses Jesuszitat ist in den ältesten Handschriften des Johannes-Evangeliums noch nicht enthalten und wurde offenbar später hinzugefügt. Dem Text ist aber zu entnehmen, dass Jesus die Frau nicht verurteilt, sondern den Anklägern bewusst gemacht hat, dass sie ebenfalls die Todesstrafe verdienen. Das passt zu den sonstigen Gebotsauslegungen Jesu. Eine direkte Aufhebung der Gebote, die die Todesstrafe fordern, ist es aber nicht.

Wie verhielt Jesus sich zu den Reichen und Mächtigen?

Jesus sah sich zu den Bettelarmen gesandt und verkündete Gottes Reich als Angriff auf die ungerechte Besitzverteilung. Damit stellte er die führenden Gesellschaftsschichten, die Landbesitzer und die Tempelpriester in Frage. So verlangte er vom reichen Großgrundbesitzer, dass er sein gesamtes Land und Vermögen den Armen schenkt und ihm nachfolgt: also ihm hilft, andere auch zu überzeugen, ihren Besitz für die Armen aufzugeben (Mk. 10, 17-27).

Warum ging Jesus nach Jerusalem?

Jesus verließ Galiläa, um sich Jerusalem und damit dem Zentrum des Glaubens zuzuwenden. Ob dieser Entschluss erst allmählich in ihm reifte oder von Beginn an vorgesehen war, ist ungewiss.

Vielleicht war Jesus enttäuscht, dass sich nach seiner Predigt nichts besserte, und sah sich in Galiläa gescheitert. Seine Weherufe über die Städte Galiläas lassen das vermuten (Mt. 11, 20-24/Lk. 10, 13-16).

Der Weheruf ist jedoch eine feste Gattung in der Gerichtsprophetie. Das Klagen "hättet ihr doch Buße getan..." nimmt die Klage über das Gericht vorweg, als sei es schon geschehen. Das kennzeichnet den letzten ultimativen Umkehrruf. Jesus vertraute die Städte Gottes Gericht an und zog weiter, wie er es seinen Jüngern auch befohlen hatte (Mt. 10, 14f).

Jesus zog von Galiläa nach Jerusalem, nachdem er vom Ende des Täufers gehört hatte (Mt. 14, 12). Vielleicht wollte er dessen Werk zuende führen, ganz Israel zur Umkehr rufen und den jüdischen Gottesdienst reformieren.

Was wollte Jesus in Jerusalem?

Nach Mk. 11, 15-18 vertrieb Jesus bald nach seiner Ankunft die Opferhändler aus dem Tempelvorhof, um alle Völker in den Tempel einzuladen. Der Handel im Vorhof war eine feste Institution. Die Händler waren damals ebenso wichtig wie die Priester, da nur sie die Opfer - nur für jüdisches Geld, daher die Geldwechsler - verkauften, die dann ausschließlich im Tempel dargebracht werden durften. Ohne diese Opfer konnten die religiösen Riten nicht vollzogen werden.

Jesu Angriff auf diese Händler richtete sich daher gegen den Opferkult insgesamt. Er wollte ihn offenbar abschaffen. Das kann als höchster Tabubruch betrachtet werden: nicht nur als Reinigung des Tempels, sondern auch als Angriff auf die bestehende Ordnung und die Elite des Judentums.

Damit stellte Jesus sich aber nur in die prophetische Tradition Israels: z.B. Deuterojesajas, der den Tempel nach dem Exil allen Völkern öffnen wollte (Jes. 56, 7), und Jeremias, der die erste Tempelzerstörung (587 v. Chr.) angekündigt hatte. Dieser hatte damals schon scharf kritisiert: "Ihr habt aus dem Hause Gottes eine Räuberhöhle gemacht!" (Jer. 7, 11), weil sich die Kulthüter auf Gottes Gegenwart im Tempel verließen, aber zugleich Gewalt gegen Fremdlinge, Witwen und Waisen zuließen (Jer. 7, 1-15). Auch er hatte Gottes wahren Willen durch spektakuläre Zeichenhandlungen - Zerbrechen eines Tonkruges (Jer. 19, 1-13), Tragen eines Jochs (Jer. 27-28) und Reden im Tempelvorhof (Jer. 19, 14f) öffentlich demonstriert. Auch er wurde dafür von den Tempelpriestern verfolgt (Jer. 20, 1-3), vor Gericht gestellt und fast zum Tod verurteilt (Jer. 26, 7-24).

Diesmal aber stand das Volk auf der Seite des Propheten Jesus. Es war von ihm so beeindruckt, dass die Sadduzäer nun planten, ihn heimlich festzunehmen. Laut Mk. 14, 1-2 hatten sie Angst, seine öffentliche Festnahme könne einen Aufruhr auslösen.

Hat Jesus einen Messiasanspruch erhoben?

Im ältesten Evangelium bezeichnete sich Jesus nirgends direkt als Messias. Außer dem "Ich bin es" in seinem Prozess vor Kaiphas, bei dem keiner seiner Anhänger anwesend war, gibt es keinen Beleg.

Auf die Messiasfrage des Täufers Mt. 11, 2-6/Lk, 7, 18-23 verwies Jesus auf sein Handeln, in dem sich die Verheißungen der Propheten erfüllen.

Petrus bezeichnete ihn als „Christus“ und wurde sofort gewarnt, Jesus nicht misszuverstehen: Der Menschensohn müsse vieles erleiden... (Mk. 8, 29-31).

Bei seinem Einzug in Jerusalem zeigte Jesus, in welchem Sinne er als Messias verstanden werden wollte: nicht als neuer David und Gewaltherrscher, sondern als macht- und gewaltloser Befreier der Armen. Er erhob keinen direkten Anspruch auf einen Thron oder ein Führungsamt. Er wollte Gottes Willen erfüllen und wurde gerade so allerdings zu einer echten Gefahr für die Amtsträger seines Volkes.

Literatur

Ältere Standardwerke

Moderne Standardwerke

  • Carl Schneider: "Geistesgeschichte der christlichen Antike". dtv, München 1978.
  • Hans Conzelmann/Andreas Lindemann: "Einleitung in das Neue Testament."
  • Jörg Sieger: "Einleitung in das Neue Testament. Die römischen Statthalter in Judäa." in: [[1]]
  • Gerd Theißen: "Soziologie der Jesusbewegung". 7. Auflage 1977.
  • derselbe: "Der Schatten des Galiläers". 13. Auflage 1993.
  • Luise Schottrof/Wolfgang Stegemann: "Jesus von Nazareth - Hoffnung der Armen". 1978
  • Otto Betz: "Jesus, der Messias Israels." 1987
  • Jürgen Becker: "Jesus von Nazaret." Berlin 1996
  • J.D. Crossan: "Jesus." Beck´sche Reihe, München 1996
  • N. T. Wright: "Jesus and the Victory of God". 1996, ISBN 080062681-8
  • Jürgen Roloff: "Jesus". Beck Verlag, 2000.
  • Gerd Theißen und Annette Merz: "Der historische Jesus". Vandenhoeck & Ruprecht, 3. Auflage 2001, ISBN 352552143X.
  • Jens Schröter/Ralph Brucker (Herausgeber): "Der historische Jesus." Aufsatzsammlung, 2002

Jüdische Historiker und Theologen zu Jesus

  • David Flusser: "Jesus". rororo Bildmonographien, Reinbek bei Hamburg 1968.
  • Schalom Ben-Chorin: "Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht". München 1984.
  • Pinchas Lapide: "Der Jude Jesus." ISBN 3491694051
  • derselbe: "Er predigte in ihren Synagogen. Jüdische Evangelien-Auslegung." 1980
  • Susannah Heschel: "Der jüdische Jesus und das Christentum".
  • Abraham Geiger: "Jesus - Herausforderung an die christliche Theologie"; Jvb, Jüdische Verlagsanstalt, Berlin, März 2001, ISBN 3934658040
  • W. G. Plaut (Hrsg.); "Die Tora in jüdischer Auslegung." Band 1, Genesis; Gütersloh, 1999, ISBN 3579026461
  • W. G. Plaut: "Das Alte Testament mit Kommentar in jüdischer Auslegung". Deutsch - Hebräisch.

Literatur zu Einzelthemen des historischen Jesus

  • Albert Schweitzer: "Das Messianitäts- und Leidensgeheimnis Jesu". 1901
  • Joseph Blinzler: "Der Prozess Jesu." Regensburg, 1. Auflage 1960/ 4., erweiterte Auflage 1969
  • Werner Koch: "Der Prozess Jesu. Versuch eines Tatsachenberichts." dtv München 1968
  • Rudolf Pesch: "Der Prozess Jesu geht weiter." Herder 1980
  • Ulrich Luz: "Warum zog Jesus nach Jerusalem?" in: Aufsatzsammlung "Der historische Jesus", herausgegeben von Schröter/Brucker (s.o.)
  • August Strobel: "Die Stunde der Wahrheit." J. C. B. Mohr, Tübingen 1980
  • Peter Egger: "Crucifixus sub Pontio Pilato." Münster 1997
  • Eckard Rau: "Jesus - Freund von Zöllnern und Sündern." Stuttgart 2000
  • Adolf Holl: "Jesus in schlechter Gesellschaft."

Systematisch-theologische Werke

Populäre Jesus-Literatur

Siehe auch

Sonstige