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Geschichte der Hirnforschung

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Das Interesse an Aufbau und Funktion des Gehirns lässt sich bis in prähistorische Zeiten zurückverfolgen.

Vor ca. 7000 Jahren begannen Menschen mit ersten operativen Eingriffen in das Zentralnervensystem, wie an Trepanationen an Schädeln dieser Zeit abzulesen ist.

Im antiken Ägypten existierte ein „Lehrbuch der Chirurgie“ mit Beschreibung der Gehirnfurchung, Erkennen von Gehirnverletzungen (abweichende Augenstellung, Nachziehen eines Fußes, Sprachverlust)


Antike

Hippokrates (um. 460 v.Chr. - um 375 v.Chr.) erkannte, dass Epilepsie durch Reize auslösbar ist.

Claudius Galen (um 129 - um 216) nahm erste neurophysiologische Experimente wie z.B. Schnitte, Läsionen vor.


Mittelalter

Andreas Vesalius (1514-1564) beschäftigte sich mit der Gehirnanatomie.


Renaissance

In dieser anatomischen Zeichnung sind Teile des linken Stirn-, Scheitel- und Schläfenlappens entfernt, so dass sich die oberflächliche (dunklere) Rinde und das hellere Marklager unterscheiden lassen.

Descartes (1596-1650) postuliert die Zweiteilung von Körper und Seele. Körper und Seele bestehen seiner Meinung nach aus verschiedenen Substanzen, von denen die Geistige, die res cogitans immateriell ist.

Thomas Willis (1621-1675) unterschied die graue Rinde und das weiße Marklager des Gehirns.

19. Jahrhundert

Franz Josef Gall (1758-1828) ist Begründer der Phrenologie (Schädelkartierung) und damit der Lokalisationstheorie, die besagt, dass bestimmte Vermögen in bestimmten Bereichen des Gehirns beheimatet sind. Nach Galls Theorie konnte das Gehirn ähnlich einem Muskel trainiert werden und die Verwendung bestimmter bereiche hätte dadurch eine vergrößerung des Gehirns in diesem Bereich zur Folge, der sich am Schädelknochen ablesen läßt. Die von Gall postulierten Vermögen (Religiösität, Brutalität) muten nach heutigen Maßstäben abenteuerlich an, und auch die Idee, dass das Gehirn den Schädelknochen beeinflußt ist mittlerweile als falsch erwiesen (mit der Ausnahme des Hydrocephalus), dennoch hat Gall mit der Lokalisationstheorie die Sichtweise aufs Gehirn entscheidend geprägt. Ihm gegenüber standen die anhänger der holistischen Theorie, wie Pierre Flourens (1794-1867) der als führende Wissenschaftler der Gegenbewegung zu Galls Lokalisationstheorie zu gelten hat. Man nahm an, dass alle Sinneseindrücke und alle Vermögen auf das gesamte Gehirn verteilt sind.

Beide Theorien erwiesen sich als falsch. Galls, aufgrund der falschen Vorstellung, welcher Art die Vermögen sind, die lokalisiert sind und Flourens Theorie konnte spätestens durch die Studien von Paul Broca (1824-1880) und Carl Wernicke (1848-1905) wiederlegt werden. Broca behandelte 1861 einen Patienten, der nach einem Schlaganfall Sprach zwar sehr wohl verstehen konnte, sich aber unfähig zeigte sich selbst sprachlich zu äußern. Damit konnte Broca das motorische Sprachzentrum im linken Frontallappen lokalisieren, das bis heute Broca-Areal heißt. Wernicke dagegen untersuchte 1874 ebenfalls einen Schlaganfallpatienten, der zwar flüssig sprechen konnte, allerdings sprachliche Äußerungen nicht verstand. Wernicke konnte somit das sensorische Sprachzentrum im linken Temporallappen lokalisieren, das nun Wernicke-Areal genannt wird.

Nach diesen Erkenntnissen und dem damit vorläufigen Siegeszug der Lokalisationstheorie begann man gezielt Hirnareale bei Tieren zu entfernen oder mit ihnen zu interferieren, wie es Gustav Fritsch und Eduard Hitzig mittels elektrischer Stimulation getan haben, um ihre Rolle zu studieren, doch die wissenschaftlichen Möglichkeiten blieben begrenzt. Was fehlte, war ein einheitlicher Anatomischer Atlas, auf den man sich beziehen konnte, wenn man von Arealen sprach.

Rindenschichten - links Zellfärbung, rechts Darstellung der Fasern.
In dieser Abbildung sind die Schichten II und III sowie IV und V zusammengefasst.

Ein solcher Atlas sollte von Korbinian Brodmann unter Verwendung des neu aufkommenden Mikroskops und der von Franz Nissl entwickelte Färbemethode erstellt werden. Anhand der Cytoarchitektur, d.h. der Verteilung und Anzahl verschiedener Zelltypen in der Großhirnrinde, konnte Brodmann die gesamte Großhirnrinde in 52 Areale unterteilen. Nach heutigen Maßstäben eine unglaubliche Fleißarbeit. Brodmanns Nummerierung wird bis heute verwendet, wenn auch viele Bereiche mittlerweile weiter unterteilt sind.

Zum Ende des 19. und zum Beginn des 20. Jahrhunderts tobte eine langanhaltende Diskussion, ob das Gehirn aus einzelnen Zellen , oder aber aus einer durchgehenden (anastomosischen) Gewebemasse (Synzytium) bestandt. Während Camillo Golgi letzterer Theorie anhing, konnte Ramon y Cajal eine von Golgi entwickelte Färbemethode verwenden, um das Gegenteil zu beweisen, wofür beide 1906 den Nobelpreis erhielen. Es sei nebenbei erwähnt, dass auch Freud lange Zeit der Synzytium-Theorie anhing.

20. Jahrhundert

Julius Wagner-Jauregg

Kurt Goldstein kritisiert die starre topographische Einteilung des Hirns in Funktionszentren (1934).

Die elektrische Hirnaktivität (EEG) eines menschlichen Gehirns wurde erstmals 1929 von Hans Berger gemessen.

Lord Edgar Douglas Adrian und Sir Charles Sherrington erhielten 1932 den Nobelpreis für Grundlagen der Sinnesphysiologie.

Roger Sperry, Torsten N. Wiesel und David H. Hubel erhielten 1981 den Nobelpreis für Einzelzellableitungen in der Sehrinde.

Eric Kandel, Paul Greengard und Arvid Carlsson erhielten 2000 den Nobelpreis "Für ihre Entdeckungen zur Signalübertragung im Nervensystem".

Literatur

  • Erhard Oeser: Geschichte der Hirnforschung; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2002
  • Michael Hagner: Homo cerebralis, Insel Verlag, Frankfurt 2000
  • Olaf Breidbach: Die Materialisierung des Ichs, Suhrkamp, Frankfurt, 1997