Zum Inhalt springen

Mem

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 21. Februar 2007 um 13:34 Uhr durch Jodo (Diskussion | Beiträge) (Weblinks). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das Mem (von griechisch "mimeme" für "etwas imitiertes") bezeichnet in der Theorie der Memetik eine Idee oder einen Gedanken.

Solch ein Mem entwickelt sich zuerst im Fühl- und Denkvermögen eines Individuums und wird durch Kommunikation weiterverbreitet. Durch individuelles Nachdenken und durch Austausch mit anderen Memen entwickeln sie sich weiter. Beispiel: Ein Gerücht, das von einer Person erdacht und mitgeteilt wird, verbreitet sich je nach Brisanzgrad weiter. Es tauchen weitere Varianten des Gerüchtes auf.

Das Konzept "Mem" ist eine Analogiebildung zur darwinschen Theorie der natürlichen Selektion für den Bereich der Kultur. Grob gesagt bedeutet ein Mem für die kulturelle Entwicklung das Gleiche wie ein Gen für die biologische Entwicklung und ist als ein hypothetisches Analogon zum Gen zu betrachten.

Es wurde erstmalig 1976 durch den Evolutionsbiologen Richard Dawkins in seinem Buch „The Selfish Gene“ (deutsch: Das egoistische Gen) in den geistes- und kulturwissenschaftlichen Diskurs eingeführt.

Etymologie

Das Wort Mem ist etymologisch dem Begriff Gen nachempfunden und hat mehrere weitere Bezüge:

Übersicht

Ein Mem ist eine Gedankeneinheit, die sich vervielfältigen (reproduzieren) lässt und gleichzeitig als Vervielfältiger (Replikator) wirkt. Das heißt, dass das Mem auch aktuell reproduziert wird, also mindestens einmal zu einem gegebenen Zeitpunkt vorhanden ist. Bei der Reproduktion übernimmt ein Anderer einen bestimmten Gedanken, der entsprechend dessen persönlichen Erfahrungs- und Erkenntnisrahmens angepasst wird. Die sprachliche Gestaltung ist dabei nicht wesentlich. Deshalb wäre es besser, von einer Vorstellungseinheit zu sprechen. Es kann sich beispielsweise auch um eine Tonfolge handeln (dadadadaaa - Beginn der 5. Sinfonie Beethovens). Nach Dawkins ist die Replizierbarkeit entscheidend. Beispielsweise sei der Begriff „Mem“ selbst ein Mem, während die drei Buchstaben bzw. Laute „M“, „e“ und „m“, aus denen es besteht, keine Meme sind, sofern man sie nicht in ihrer Buchstabeneigenschaft betrachtet.

Wie eine verwandte Wortschöpfung, das "Kulturgen" des Soziobiologen Edward O. Wilson, veranschaulicht, handelt es sich bei dem zu Grunde liegenden Ansatz um ein Erklärungsmodell für kulturellen Wandel oder Fortschritt; dementsprechend werden Begriffe wie Gedanke, Idee und so weiter im Konzept des Mems subsumiert. Die genaue ontologische Beschaffenheit eines möglichen Substrats dieses Konzepts wird allerdings nicht näher spezifiziert.

Nach der Memetik werden Informationseinheiten im Gehirn des Individuums sowie im Kontext der Kultur ständig reproduziert. Wie die Gensequenz fungiert dabei jedes Mem als Replikator, das heißt als sich selbst vervielfältigende Struktur. Es wirken dabei die gleichen Prinzipien wie in der Darwinschen Evolutionstheorie: Mutation, Selektion, Drift und so weiter, so dass sich sukzessive Abstammungslinien herausbilden.

Das Mem findet seinen Niederschlag in der „Memvorlage“ (im Gehirn oder einem anderen Speichermedium) und der „Memausführung“ (zum Beispiel Kommunikation: Sprache als so genannter „Memplex“; vgl. Blackmore). Diese terminologische Unterscheidung erinnert an die Phänotyp-Genotyp-Dichotomie in der Vererbungslehre.

Durch die Mem-Hypothese lässt sich eventuell nicht nur die Evolution etwa der Vogeldialekte erklären, sie sucht auch so komplexe soziale Phänomene wie Sprachwandel oder die Ausbreitung verschiedener missionarischer Religionen und Kulte zu erhellen. Außerdem zeigen die Vertreter dieser Hypothese koevolutive Korrespondenzen zwischen genetischer und „memetischer“ Evolution (Hirnentwicklung) auf.

Mihaly Csikszentmihalyi betont den invasiven Charakter der Meme. Die Menschen widmeten sich mehr und mehr der Verbreitung der Meme statt ihren eigenen Interessen.

Kritik

Falsifizierbarkeit

  • Gegenkritik: Die Befürworter wenden ein, dass sich die Falsifizierbarkeit aus der Analogie zur Evolution der Arten ergibt. Fände man in der gleichen geologischen Erdschicht die versteinerten Überreste eines Pferdes neben denen eines Tyrannosaurus Rex, wäre das ein Widerspruch zur Theorie der Evolution der Arten und damit eine Falsifizierung dieser Theorie. Somit ist die biologische Evolution prinzipiell falsifizierbar. Ebenso wäre auch die Theorie der Evolution der Meme widerlegt, fände man z. B. die Noten eines Blues unter den mittelalterlichen Schriften einer Klosterbibliothek oder Aufzeichnungen der Relativitätstheorie in einem Pharaonengrab.

Nützlichkeit

  • Fragen und Forderungen: Welche Erkenntniszugewinne können sich bei solchen Anleihen bei der biologischen Evolutionstheorie in der geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung ergeben? Wird mit der Mem-Hypothese der Anspruch erhoben, soziale und kulturelle Entwicklungen in einer Weise zu analysieren, die dem naturwissenschaftlichen Verständnis der Realität entspricht, so muss die Memetik zeigen, dass sie zu anderen, weiter reichenden und belastbareren Aussagen gelangen kann als die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften herkömmlicher Art. Wenn Mem hingegen lediglich eine naturalisierende Wortneuschöpfung für Ideen oder Gedanken, eine originelle Metapher für gesellschaftliche Aspekte individuellen Denkens, ist, muss Ockhams Rasiermesser zum Einsatz kommen: Entitäten sollen nicht unnötig vervielfacht werden.
  • Frage aus materialistischer Sicht: Handelt es sich bei der Memetik, bei der Ideen als „Quasi-Akteure“ die Evolution vorantreiben, etwa um einen philosophischen Idealismus, bei dem der alte Geist in ein naturwissenschaftlich-modern anmutendes Gewand gehüllt wird?
  • Gegenkritik: Die Mem-Hypothese widerlegt die Annahme des freien Willens und zeigt den Determinismus geistiger Vorgänge auf. Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften herkömmlicher Art machen hier weniger klare Aussagen, allerdings finden sich z. B. deterministische Überbautheorien im Vulgärmarxismus. Die in der naturwissenschaftlichen Diskussion vorherrschende Auffassung einer “beschränkten Willensfreiheit“ ist mit gewissen Spielarten der Memtheorie durchaus vereinbar.
  • Gegenkritik: Die Theorie von der Evolution gedanklicher Informationen hat genausoviel Sinn wie die Theorie der Evolution genetischer Information. Sie beschreibt letztendlich das gleiche Phänomen, unterschiedlich sind nur die Träger der Information, das so genannte Substrat. Wer den Sinn der Memtheorie bezweifelt, möge daher begründen, weshalb er den Sinn der Theorie von der Evolution der Arten anerkennt.
  • Kritik: Die Argumente gegen die Memtheorie erinnern an die Argumente der Evolutionsgegner vor hundertfünfzig Jahren. Im Unterschied zu den Kritikern biologischer Evolutionstheorien wie auch der Genetik können Kritiker der Memtheorie darauf verweisen, dass es für die Existenz von Memen keine empirischen Belege der Art gibt, wie es sie z. B. für die Existenz von Genen gibt. Selbst wer die Memtheorie als sinnvoll erachtet, muss daher nach der empirischen Evidenz fragen. Aus der Tatsache, dass die Memtheorie einer wissenschaftlich anerkannten Theorie nachgebildet ist, folgt noch nicht, dass sie dieselbe Anerkennung verdient.

Nominalismus

  • Kritik (zusammengefasst): Ein Satz kann widerlegt werden, ein Maschinengewehr nicht. Ein Problem besteht zwischen der Idee und dem materiell Gegebenen. Hinzu kommt, dass es generell schwierig ist, evolutionäre Ideen auf den Menschen anzuwenden. Mit Hinblick auf die Möglichkeit der Menschheit, durch einen nuklearen Krieg alles organische Leben auf der Erde auszulöschen, ist es zweifelhaft, inwieweit sich der Mensch nur nach den Gesetzmäßigkeiten der Natur verhält und ob er etwa schon ganz aus dem evolutionären Rahmen fällt.
  • Gegenkritik: Viele können mit dem abstrakten Begriff Information nichts anfangen. Information hat weder mit Materie noch mit Energie zu tun. Dennoch existiert sie, um diesen Begriff bemüht sich mittlerweile ein ganzer Wissenschaftszweig, die Informationstheorie. Die Genetik ist wortwörtlich "greifbarer", weil man es hierbei mit Materie, den DNS-Molekülen als Informationsträger zu tun hat. Allerdings hat Charles Darwin die Vererbungslehre und die Evolution bereits beschrieben, ohne dabei Kenntnis von genetischen Grundlagen zu haben. Die Art und Weise, wie gedankliche Information im Gehirn gespeichert wird, beginnt man gerade erst zu verstehen. Auch ohne Hintergrundwissen hinsichtlich der Art und Weise der Informationsspeicherung im Gehirn kann man hier das Grundprinzip des Evolutionsalgorithmus erkennen, genauso wie man das Prinzip der Entwicklung der Arten erkannte, lange bevor man etwas von DNS-Molekülen wusste.
  • Die Möglichkeit des Menschen, sich selber und alles organische Leben auf der Erde auszulöschen, stellt ihn nicht automatisch über die Evolution bzw. trennt ihn nicht von ihr. Wer das behauptet, unterstellt, einen Sinn, ein Ziel, der Evolution zu kennen. Dass dieses nicht existiert, ist eine Hauptaussage der Mem-Theorie. Auch der Mensch unterliegt den Naturgesetzen. Andere Denkweisen entspringen wiederum philosophischen Idealismen, und zwar vor allem dem durch unwissenschaftliche, religiöse Weltbilder geprägten Anthropozentrismus.
  • Im Übrigen behauptet die Memetik nicht, dass die kulturelle Entwicklung durch Evolution entsteht, sondern in Analogie zur Evolution, weswegen sie anhand von evolutionären Modellen beschreibbar ist.


Beispiele

  • Technologie und technologische Artefakte: Autos, Büroklammern, etc. Die Technologie stellt Veränderung sowie Übermittlung dar, welche memetische (oder genetische) Fortschritte benötigen. Ein oft genanntes Beispiel eines „technologischen Mems“ ist das Feuermachen.
  • Werbemelodien: Ein Werbespruch wird auf eine einnehmende Melodie gesetzt.
  • Ohrwürmer: Lieder die eine Person nicht vergessen kann oder nicht aufhören kann diese zu Summen.
  • Witze (oder zumindest die Witze, die als lustig betrachtet werden).
  • Sprichwörter und Aphorismen: Zum Beispiel: „Der frühe Vogel fängt den Wurm“.
  • Kinderlieder: Welche von den Eltern an die Kinder über viele Generationen weitergegeben werden (deshalb bleiben veraltete Wörter in Gebrauch). Manchmal wird der Inhalt zusätzlich mit passenden Bewegungen wiedergegeben.
  • Heldengedichte/Epos: Ehemals wichtige Meme, zur Bewahrung der mündlichen Überlieferung; das Verschriftlichen hat diese zum größten Teil ersetzt.
  • Verschwörungstheorien
  • Mode
  • Medizinischer Rat und Sicherheitsinstruktionen: „Nach dem Essen musst du eine Stunde warten bist du wieder schwimmen kannst. Sonst bekommst du Bauchschmerzen!“
  • Material aus der Videotechnologie: Memetisch ist unter anderem die Massennachahmung – Menschen neigen dazu, bekannte Filmszenen oder Zitate wiederzugeben, wie zum Beispiel das Zitat: „das Leben ist wie eine Pralinenschachtel. Man weiß nie was man bekommt!“ aus dem Film Forrest Gump, selbst wenn sie den Film, o.ä. selbst noch nicht gesehen haben.
  • Religionen: Komplexe Meme, einschließlich Volksfrömmigkeit, wie das Gebet des Jabez.
  • Begriffe aus Politik und Ethik: Diese beinhalten Freiheit, Gerechtigkeit, Eigentumsrecht, Open Source (Quellenoffenheit), Egoismus und Altruismus (Nächstenliebe).
  • Virales Marketing: Eine Art Marketing basierend auf Memen, welches durch Mundpropaganda funktioniert.
  • Programmierparadigma: von Strukturierter Programmierung und Objektorientierter Programmierung bis hin zur Extremprogrammierung.
  • Internet-Phänomene: Netzjargon
  • Metamem: Das Konzept der Meme selbst umfasst/beinhaltet ein Mem.


Literatur

  • Robert Aunger: The Electric Meme. A New Theory of How We Think. New York 2002. ISBN 0743201507
  • A. Becker, C. Mehr, H. H. Nanu: Gene, Meme und Gehirne. Suhrkamp, Frankfurt M 2003. ISBN 3-518-29243-9
  • Susan Blackmore: Die Macht der Meme. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg - Berlin 2000. ISBN 3-827-41601-9
  • Rolf Breitenstein: Memetik und Ökonomie. Wie die Meme Märkte und Organisationen bestimmen. LIT, Münster 2000. ISBN 3-825-86246-1
  • Richard Brodie: Virus of the Mind. Integral Press, Seattle 1996. ISBN 0963600117
  • Mihaly Csikszentmihalyi: Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben. Klett-Cotta, Stuttgart 2000. ISBN 3-608-91018-2
  • Aaron Lynch: Thought contagion. Basic Books, New York 1996. ISBN 0-465-08466-4
  • Franz Wegener: Memetik. Der Krieg des neuen Replikators gegen den Menschen. Kulturförderverein Ruhrgebiet. Gladbeck, Norderstedt 2001. ISBN 3-931-30008-0