Politische Korrektheit
Ursprünglich war der Begriff politisch korrekt eine positiv gemeinte Bezeichnung für die loyale Unterstützung einer politischen Partei, und wandelte sich später zu einer ironisch überspitzten Bezeichnung für "übertriebene Parteitreue". Man bezeichnet damit heute eine übertriebene Beachtung politisch motivierter Anstands- und Verhaltensregeln.
Begriffsentwicklung
In den 1980er Jahren wurden unter dem Begriff political correctness (Abk. pc oder PC) sprachliche Konventionen zu bestimmten Themen – vor allem zu Fragen der Geschlechterbeziehung und gesellschaftlicher Minderheiten – an nordamerikanischen Universitäten eingeführt. Danach verbreiteten sie sich in den meisten amerikanisch orientierten Ländern.
Der moralische Anspruch entspringt dabei der These, daß manche Begriffe, ethnischer, kultureller oder sexueller Kategorie, Ausdruck einer negativen Wertung sind oder sein könnten und ihre Verwendung somit nicht erwünscht ist. Stattdessen müßten andere, politisch korrekte Begriffe gefunden werden. Durch diese Form der Zensur sollen unerwünschte Worte und Begriffe aus dem Sprachgebrauch verschwinden, bzw. neue eingeführt und damit Diskriminierung verhindert werden.
Ein Glaube an eine derartige Macht der Wörter ist jedoch keineswegs ungeteilt, weshalb ihre Kritiker die PC wenn nicht schon als Zwangsmoral, so immerhin doch als Ärgernis empfinden - siehe auch Neusprech und Gedankenverbrechen.
Die ‚politische Korrektheit‘ wurde in Deutschland von der Frauenbewegung als Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung entdeckt und führte zusammen mit der Vorstellung von der Sprache als Herrschaftsinstrument – hier, nach der feministischen Theorie, zur Vor- und Fortschreibung der patriarchalischen Kultur – zu diversen Änderungen im Sprachgebrauch. Beispiele hierfür sind die Ausbreitung des Binnen-I, die Verwendung der Alternativpronomina „er/sie“ oder „ jede/r“, die besonders in staatlichen Einrichtungen (Universitäten, Schulen, Verwaltung etc.) eingeführt wurden.
Mit der zunehmenden Durchsetzung dieser vom üblichen Sprachgebrauch abweichenden Sprachnormen in den Massenmedien, die so als gesamtgesellschaftlicher Verstärker fungierten, setzte seit etwa Mitte der 1980er Jahre, und verstärkt in den 1990er Jahren, eine zunehmende Kritik an der oftmals als sprachlicher und Denk-Bevormundung empfundenen PC ein.
So wurde der Begriff ‚political correctness‘ beziehungsweise ‚politisch korrekt‘ zunehmend ironisch oder abwertend verwendet und damit als Begriff negativ besetzt. Zu dem schlechten Ansehen der ‚politischen Korrektheit‘ trugen die Verfechter der PC (auch Sprachpolizei in Anlehnung an Gedankenpolzei (siehe George Orwells Buch ´1984´ ) genannt) jedoch auch selbst bei, da ihre Argumentation oft als ideologisiert und kaum nachvollziehbar empfunden wird, und sie in einem intoleranten Alleinvertretungsanspruch auf Korrektheit unausgesprochen alles davon Abweichende als inkorrekt brandmarken.
Im Lauf der Zeit hat sich der Begriff über die Sprache hinaus auf Verhaltensweisen ausgedehnt, zum Beispiel Mülltrennung oder Umgang mit Minderheiten.
Gegenwart
Heute wird der Begriff ‚politisch korrekt‘ (Political Correctness, PC, wahlweise „pie-ßie“ oder „pee-tsee“ ausgesprochen) von einigen im ursprünglichen Sinne, von anderen ironisch gebraucht.
Hinter der Idee der politischen Korrektheit steht die Einschätzung der Sprache als Ergebnis einer laufend fortgeschriebenen sozialen Konvention. Die Gesellschaft formt die Sprache und diese hat wiederum Einfluss auf die Denkprozesse und Vorstellungswelten der Menschen, die die Gesellschaft formen. (siehe auch: Sapir-Whorf-Hypothese und George Orwells Roman 1984)
Deshalb, argumentieren Befürworter politischer Korrektheit, könne die Sprache entweder Machtverhältnisse fortführen und verfestigen oder als Mittel sozialen Protestes eben diese untergraben. Da die Sprache (Wortwahl etc.) einen Einfluss auf die Vorstellungen der rezipierenden Personen habe, könne über die Wortwahl und Sprache „Veränderungen in den Köpfen“ hervorgerufen werden. Sprache wirke als Beeinflussung des Denkens – dieser Prozess müsse bewusst und sichtbar gemacht werden.
Konkret werden als politisch korrekte Sprachnormierungen Bemühungen bezeichnet, im Sprachgebrauch die Benachteiligung verschiedener sozialer Gruppen (Frauen, Angehörige bestimmter ethnischer, religiöser oder sozialer Minderheiten) aufzuheben und so einen Bewusstseinswandel herbeizuführen, der wiederum zu einer kulturellen Veränderung und der realen Aufhebung von Diskriminierungen führen soll. Andererseits soll PC helfen, direkte Diskriminierung über die Sprache zu verhindern, etwa durch die Nichtbenutzung von als diskriminierend empfundenen Begriffen.
Im deutschsprachigen Raum wird der Begriff eher im verneinenden Sinne benutzt: Kaum jemand nimmt für sich in Anspruch, politisch korrekt zu sprechen oder zu schreiben, man sagt aber häufig, etwas sei „nicht pc“.
Beispiele für Formulierungen der PC
Statt als inkorrekt empfundener Formulierungen wie „Krüppel“ werden als neutraler angesehene Ausdrücke wie „Behinderte“ benutzt. Vor allem in den USA werden Begriffe ins Positive verschoben, um den Fokus nicht auf den Mangel zu lenken, etwa „anders begabt“ für „geistig behindert“ oder „vertikal herausgefordert“ (vertically challenged) für kleinwüchsig. Die Grenzen zu humorig gemeinten Formulierungen sind hier allerdings fließend, so Kritiker.
Um Frauen sprachlich sichtbar zu machen, wird von manchen im geschriebenen Deutschen das Binnen-I verwendet: „ArbeitnehmerInnen“. Andere vermeiden das generische Maskulin durch die Nennung aller Beteiligten (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) oder ‚neutraler‘ Formulierungen wie „Arbeitnehmende“ oder „Mitarbeitende“.
Bezüglich der Benennung Angehöriger bestimmter Volksgruppen sind die Massenmedien – in Abweichung vom tradierten Sprachgebrauch – dazu übergegangen, deren als politisch korrekt gewertete Eigenbezeichnungen zu verwenden: „Sinti und Roma“ statt Zigeuner, Inuit statt Eskimo. Mitunter haben die Bemühungen um politische Korrektheit neue, nicht nur sprachliche Probleme geschaffen. So werden im letzteren Fall durch das Herausheben zweier Gruppen der Zigeuner (korrekter einer Gruppe plus des Oberbegriffs) die anderen zahlreichen Gruppen neuerlich zurückgesetzt. Dass dafür jedoch das Bemühen um politische Korrektheit die Verantwortung trage, wird oftmals bezweifelt, da ja gerade die Tatsache, dass die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ viele unterschiedliche Gruppen in einen negativ besetzen Wort subsumierte, erst durch die politisch-korrekte Sprachwandlung allgemeine Aufmerksamkeit erlangte.
Auch so genannte Behindertenorganisationen beteiligten sich an der Diskussion: es wurde reflektiert, wieweit die Bezeichnung „Behinderung“ eine Wertung beinhalte, zugleich aber wenig darüber aussage, in welcher Art, beziehungsweise wodurch ein Mensch ‚behindert‘ sei, so etwa durch die Umgangsweise der so genannten Nichtbehinderten.
Viele Vertreter der PC betonen auch die Wichtigkeit der Diskussion und sehen die Entwicklung sprachlicher Sensibilität als wichtiger an als die Schaffung normativer Regeln. Diese Sensibilität bewirke erhöhte soziale Kompetenz und Aufmerksamkeit gegenüber sprachlichen Stereotypen einerseits und benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen andererseits.
Im Rahmen der politischen Korrektheit werden auch traditionelle Begriffe verändert, die mit Diskriminierung kaum etwas zu tun haben. Zum Beispiel werden zur Vermeidung von Begriffe wie „Neger“ oder „Mohr“ Negerküsse (Mohrenköpfe) als Schoko- oder Schaum-Küsse bezeichnet oder ganz andere Bezeichnungen gewählt. 2003 änderte der Scherz-Verlag nach Protesten den Titel der deutschen Übersetzung von Agatha Christies Buch And Then There Were None von „Zehn kleine Negerlein“ zu „Und dann gab’s keine mehr“.
Kritik an PC
Auf die bei dieser Wortwahl nicht ausbleibenden sprachlichen Komplikationen weist unter anderem Max Goldt hin, der feststellt, dass etwa im Falle eines Massakers an einer Uni der Ausdruck „sterbende Studierende“ wohl kaum passend wäre und: Man kann nicht sagen: „In der Kneipe sitzen biertrinkende Studierende“.
Auch werden beispielsweise verweiblichte Formen fast ausschließlich bei positiv besetzen Begriffen verwendet. Es gilt, daß Opfer weiblich sind und Täter männlich. Kaum jemand spricht von TerroristInnen, von Straftäterinnen wird auch nur gesprochen, wenn es sich ausschließlich um Frauen handelt. In gemischt-geschlechtlichen Opfergruppen, werden bei Nachrichten Frauen immer extra erwähnt, während sie in ebensolchen Tätergruppen nicht erwähnt werden.
Slavoj Žižek weist darauf hin, dass sich politisch korrekte Begriffe abnutzen, wenn sie mit einer gewissen Aggressivität weiter benutzt werden. So sei durch eine fortwährende Neuschöpfung von Ersatzbegriffen wie in dem Beispiel Negro – black people – coloured people – Afro-Americans nichts gewonnen, wenn nicht den Worten eine tatsächliche Integration folge (siehe auch Euphemismus-Tretmühle). Der heutige Exzess der politischen Korrektheit enthülle die Unfähigkeit, die tatsächlichen Ursachen von Rassismus und Sexismus zu überwinden. Žižek meint, dass die Geisteshaltung der politischen Korrektheit versuche, alle Spuren der Begegnung mit dem Realen zu beseitigen. Die Barbarei des Westens zeigt sich seiner Meinung nach in der Gleichgültigkeit, mit der bei Polizeiaktionen der NATO tote Zivilpersonen als unvermeidliche ‚Kollateralschäden‘ in Kauf genommen würden.
Frigga Haug kritisiert PC, sofern es nur einen Streit um Symbole darstellt und nicht für einen größeren, politischen Streit um Emanzipation steht: Es gelang fast überall, die Legitimität der kulturellen Kämpfe umzudeuten in einen illegitimen Fundamentalismus. Die solcherart Angegriffenen schlugen auf der gleichen Ebene zurück und verhalfen damit dem Fundamentalismusvorwurf zu Rang und Würden. Sie meint, dass sich PC schon von einem politischen Kampf entfernt habe: Die Ablösung als bloße Sprachpolitik […] war einer der Hauptsiege im ideologisch-kulturellen Feld selbst, den die konservative Rechte in den letzten zehn Jahren erzielte. (Haug 1996)
Auch Wolfgang F. Haug wendet sich gegen „politisch korrekte Sprachnormierungen“: er plädiert statt dessen für Spracharbeit, als Gegenpunkt zu jeder Statik einer Sprachregelung, der einer „Verbeamtung der Sprache“ und einer „Schaffung einer künstlichen Gegenwelt mit adminstativen Mittel“ (Verena Krieger zit. n. Haug 1999) zugrundeliegt. Einer normativen Regelung zieht er die „Kritik mit Witz“ vor.
Doch gerade diese Beeinflussung des Denkens über das Unterbewusstsein – so Kritiker der politischen Korrektheit – ermögliche vielfältige Manipulationen durch Sprachnormierungen („PC-Neusprech“).
Nationalhymnen
Das Problem politisch korrekter Sprache zeigt sich besonders drastisch bei Nationalhymnen. Hier zeigt sich auch, dass politisch korrekte Sprache durchaus gerechtfertigt sein kann.
In der DDR hatte die Nationalhymne die Zeile:
- Lasst uns dir zum Guten dienen, Deutschland einig Vaterland.
Als das Ziel des einigen Vaterlandes zu Beginn der 1970er Jahre in der Schublade verschwand, wurde der Text dieser Nationalhymne nicht mehr gesungen.
Die Marseillaise, die französische Nationalhymne, gilt wegen ihres blutrünstigen Textes ebenfalls als politisch nicht korrekt. Alternative Texte konnten sich jedoch bislang nicht durchsetzen.
Auch in der Sowjetunion gab es Probleme mit der Nationalhymne. Nachdem Stalin wegen seiner Verbrechen in Ungnade gefallen war, änderte Sergej Michalkow, der Autor der sowjetischen Nationalhymne, die entsprechenden Strophen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion schrieb er einen neuen Text zur gleichen Melodie und die neue Hymne löste eine zwischenzeitlich gebrauchte unpopuläre Nationalhymne, die ohne Text war, ab.
Literatur
- Dieter E. Zimmer, "Die Berichtigung. Über die Sprachreform im Zeichen der Politischen Korrektheit", in: Dieter E. Zimmer, Deutsch und anders. Die Sprache im Modernisierungsfieber, Reinbek 1997, S. 105*180.
- Wolfgang Fritz Haug: Politisch richtig oder Richtig politisch. Argument Verlag: Hamburg 1999. ISBN 3886193179 (1999)
- Sebastian Barsch, Tim Bendokat: "Political Correctness in der Heilpädagogik". In: Zeitschrift für Heilpädagogik Jg. 52 (Nr. 11/2002) Seite 451-455
- Frigga Haug: "pc-Diskurs und neuer Antifeminismus in der Bundesrepublik" in: Das Argument 213, (1996).
Siehe auch
Weblinks
- Politikforum: Texte zur "Political Correctness"
- Buchbesprechung Helmut Bärwald: "Politische Korrektheit". Ein Instrument der Manipulation und Einschüchterung"
- Capitolo contro il portar la toga (Was Giordano Bruno mit "Political Correctness" zu tun hat)
- Rotkäppchen - politisch korrekt erzählt (Satire)
- Žižek über die politische Korrektheit
- Feindbild Political Correctness
- Untersuchung von D. Stahlberg und S. Sczesny
- Text von Marlis Hellinger über Politische Korrektheit
- DUDEN-Redaktion: Political Correctness in der Lexikographie