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Joseph Carlebach

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Joseph Zwi Carlebach (30. Januar 1883 in Lübeck - 26. März 1942 in Riga) war ein deutscher Rabbiner.

Carlebach war das achte Kind von Esther Carlebach (1853-1920), einer in Lübeck geborene Tochter des dortigen Rabbiners Alexander Sussmann Adler (1816-1869) und des in Heidesheim gebürtigen Rabbiner Salomon Carlebach (1845-1919). 1919 heiratete er seine einstige Schülerin Lotte Preuss. Aus der Ehe gingen neun Kinder hervor.

Ausbildung und internationale Jahre

Wie die meisten seiner Brüder wurde Joseph Carlebach Rabbiner. Allerdings absolvierte er auch eine umfassende naturwissenschaftliche Ausbildung.

1901 bis 1905 studierte er Physik und Mathematik in Berlin mit Abschluß eines Oberlehrer-Examens in den Naturwissenschaften (mit summa cum laude). Carlebach machte gleichzeitig eine Ausbildung am dortigen orthodoxen Rabbinerseminar.

1905 übernahm er in Palästina eine zweijährige Lehrtätigkeit am Jerusalemer Lehrerseminar, der Lemel-Schule. Dort kam er auch mit maßgeblichen Toraexperten in Kontakt.

1907 und 1908 erfolgte dann wieder die Fortsetzung der Studien in Berlin.

1909 absolvierte er die akademischen Abschlüsse an der Universität Heidelberg in den Fächern Mathematik, Physik und Hebräisch. Im selben Jahr Promotion an der Universität Heidelberg mit dem Thema Lewi ben Gerson als Mathematiker (ein mittelalterlicher Talmudgelehrte [1288-1344]).

1910 bis 1914, direkt nach seiner Promovierung, widmete sich Carlebach wieder verstärkt dem Rabbinatsstudium am Berliner Rabbinerseminar, welches streng orthodox ausgerichtet war und unter der Leitung des Rabbiners David Hoffmann stand.

1914 bekam er seine Rabbinerordination.

1914-1918, in der Zeit des 1. Weltkrieges, absolvierte er in Litauen, welches in jener Zeit das Zentrum der jüdischen Gelehrsamheit war, einen fünfjährigen Aufenthalt als deutscher Kulturoffizier und Rabbiner. Er gründete in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Talmudgelehrten eine jüdisches Schule in Kaunas.

Rabiner in Deutschland

1920 wurde Carlebach amtierenden Rabbiner in Lübeck.

1921 wurde er Rektor der Talmud-Tora-Realschule in Hamburg. Joseph Carlebach war ein schöpferischer Erzieher. Er ging individuell auf den einzelnen Schüler ein und leitete ihn durch das Interesse am Thema zu selbständigem Lernen und Entdecken an. Dabei verstand der Lehrer sich als älterer Freund des Schülers. Grundlage und Ausgangspunkt der Lehre Carlebachs war der jüdische Glaube, der alle Lebens-und Wissensbereiche durchdringt und die Ganzheit und Einheit von Seele und Geist garantiert. Das Ziel der Schule sah er in der Schaffung einer jüdischen Lebenswelt, getragen vom höchsten jüdischen Wert sittlich-ethischer Verantwortung, in der Hebräisch als lebendige Sprache gesprochen wird.

1925 wurde Joseph Carlebach als Nachfolger von Oberrabbiner Meir Lerner zum Oberrabbiner der damals noch selbstständigen preußischen Großstadt Altona gewählt. Es war das Altonaer Wappen, das Symbol der offenen Tore, das ihm so ganz entsprach, und Altonas unter Beweis gestellter Aufnahmefreundlichkeit gegenüber verfolgten Juden aus Osteuropa. Auch der damalige Oberbürgermeister Max Brauer (1887-1973) begrüßte ihn und blieb viele Jahre ein begeisterter Besucher von Oberrabbiner Carlebachs Vorträgen.

1936 wurde er als Nachfolger von Oberrabbiner Samuel Spitzer nach Hamburg an die Bornplatz-Synagoge berufen. Vor versammelten Menge versprach er bei seiner Antrittsrede, "... daß mein Haus und Herz jedem offenstehen wird ... und ich all die Nöte Eurer Seele mit Euch tragen werde, daß ich die Auszeichnung der Berufung auf diesen Rabbinatssitz nur als eine Verpflichtung nehmen will zu schlichter Menschlichkeit jedem gegenüber, das ist das Gelöbnis dieser Stunde ...".

Deportation und Ermordung

Am 6. Dezember 1941 wurde Carlebach ins KZ Jungfernhof deportiert, wo der fast Sechzigjährige schwer erkrankte. Am 26. März 1942 wurden Joseph Carlebach, seine Frau Lotte und seine drei jüngsten Töchter Ruth, Noemi und Sara in einem Wald bei Riga getötet. Der jüngste Sohn Shlomo überlebte das KZ. Die älteren fünf Kinder hatte Carlebach und seine Frau in die Sicherheit nach England geschickt.

Nachkommen

Sein Sohn Rabbi Shlomo Carlebach (nicht zu verwechseln mit seinem gleichnamigen Cousin, dem singenden Rabbi Shlomo Carlebach) wurde nach dem Kriege der mashgiach ruchani ("geistliche Leiter" [der Studenten]) am Yeshiva Rabbi Chaim Berlin (-Institut) in Brooklyn, New York. Seine Tochter Prof. Dr. Miriam Gillis-Carlebach ist heute Direktorin des Joseph Carlebach Insituts der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan (Israel). Sie pflegt die Zusammenarbeit mit Hamburg und insbesondere der Universitäten.

Gedenken an Carlebach in Hamburg

Joseph Carlebach-Platz

1988 wurde mit Granitsteinen das frühere Deckengewölbe auf dem früheren Standort der Bornplatz-Synage im Originalmaßstab im Boden nachgebildet. Zum Gedenken an den letzten Hamburger Oberrabiner vor dem Kriege wurde der Platz im Bezirk Hamburg-Eimsbüttel, der heute ein Teil des Campus der Universität ist, im Jahre 1990 in Joseph Carlebach-Platz umbenannt.

Joseph Carlebach-Preis

2003, am 120. Geburtstag Carlebachs, stiftete die Universität Hamburg den Joseph-Carlebach-Preis, der seit dem Jahre 2004 alle 2 Jahre verliehen wird. Der Preis wird für herausragende wissenschaftliche Beiträge aus dem Hamburger Raum zur jüdischen Geschichte, Religion und Kultur, an junge Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler vergeben. Die Universität will damit die in Hamburg lebendige jüdische Kultur und Wissenschaft deutlicher und bekannter machen. Am Institut für Germanistik I der Universität kann die jiddische Sprache und Literatur studiert werden.

Ausgezeichnet wurden 2004 die Nachwuchswissenschaftlerinnen Dr. phil. Christina Pareigis, Fachbereich Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaft, für ihre Dissertation: „trogt zikh a gezank – Jiddische Liedlyrik aus den Jahren 1939-1945“ und Jorun Poettering, Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaft, für ihre Magisterarbeit „Hamburger Sefarden im Atlantischen Zuckerhandel des 17. Jahrhunderts“.

Für das Jahr 2006 wurden Anfang 2007 die Nachwuchswissenschaftlerinnen Sandra Konrad, Fachbereich Psychologie, für ihre Dissertation: „Everybody has one's own Holocaust. Eine internationale Studie über die Auswirkungen des Holocaust auf jüdische Frauen dreier Generationen“ und Christine Müller, Fachbereich Erziehungswissenschaft, für ihre Dissertation „Zur Bedeutung von Religion für jüdische Jugendliche in Deutschland“, ausgezeichnet.


Literatur

Werke von Carlebach

  • Carlebach, Joseph. Lewi ben Gerson als Mathematiker; ein Beitrag zur Geschichte der Mathematik bei den Juden. Promotion zum Dr. phil. Berlin: L. Lamm, 1910
  • Carlebach, Joseph. Moderne paedagogische Bestrebungen und ihre Beziehungen zum Judentum. Pp. 19. Berlin, Hebraeischer Verlag "Menorah", [1925]
  • Carlebach, Joseph. Die drei grossen Propheten Jesajas, Jirmija und Jecheskel; eine Studie. Pp. 133. Frankfurt am Main: Hermon-Verlag, 1932
  • Carlebach, Joseph. Das gesetzestreue Judentum. Pp. 53. Berlin: Im Schocken Verlag, 1936
  • Carlebach, Joseph. Les trois grands prophetes, Isaie, Jeremie, Ezechiel. Traduit de l'allemand par Henri Schilli. Pp. 141. Paris: Editions A. Michel, [1959]
  • Carlebach, Joseph. Ausgewaehlte Schriften mit einem Vorwort von Haim H. Cohn; herausgegeben von Miriam Gillis-Carlebach. 2 vols. Hildesheim; New York: G. Olms Verlag, 1982
  • Carlebach, Joseph. Juedischer Alltag als humaner Widerstand: Dokumente des Hamburger Oberrabiners Dr. Joseph Carlebach aus den Jahren 1939-1942. Ed. Miriam Gillis-Carlebach. Pp. 118, ill. Hamburg: Verlag Verein für Hamburgische Geschichte, 1990
  • Carlebach, Joseph. Mikhtavim mi-Yerushalayim (1905-1906): Erets Yi'sra'el be-reshit ha-me'ah be-`ene moreh tsa`ir, ma'skil-dati mi-Germanyah. (Ed. and transl. Miryam Gilis-Karlibakh. Pp. 141, ill. Ramat-Gan: Orah, mi-pirsume Mekhon Yosef Karlibakh; Yerushalayim: Ariel, 1996

Weitere Literatur

  • Jens-Peter Finkhäuser/Evelyn Iwersen, Die Juden in Altona sind längst vergessen, in: Stadtteilarchiv Ottensen 1985
  • Ulla Hinnenberg/Stadtteilarchiv Ottensen e.V., Der jüdische Friedhof in Ottensen 1582-1992, HH-Altona 1992 (Dingwort)
  • Ulla Hinnenberg/Stadtteilarchiv Ottensen e.V., Die Kehille. Geschichte und Geschichten der Altonaer jüdischen Gemeinde, HH-Altona 1996 (Selbstverlag)
  • Ina Lorenz, Das Leben der Hamburger Juden im Zeichen der "Endlösung" (1942-1945), in: Arno Herzig/Ina Lorenz (Hg.), Verdrängung und Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus, Hamburg 1992 (H. Christians)
  • Ina S. Lorenz, Gehen oder bleiben. Neuanfang der jüdischen Gemeinde in Hamburg nach 1945, Hamburg 2002 (LZ für polit.Bildung)
  • Ina Lorenz/Jörg Berkemann, Streitfall Jüdischer Friedhof Ottensen 1663-1993, 2 Bde. Hamburg 1995 (Dölling und Galitz)
  • Anthony McElligott, Contested City. Municipal Politics and the Rise of Nazism in Altona 1917-1937, Ann Arbor 1998 (University of Michigan Press)
  • Jens Michelsen, Jüdisches Leben in der Wohlers Allee, Hamburg 1995 (Masch.)
  • Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese e.V., Viermal Leben. Jüdisches Schicksal in Blankenese 1901 bis 1943, Hamburg 2003 (Selbstverlag)
  • Sybille Baumbach et. al.: „Wo Wurzeln waren ...“Juden in Hamburg-Eimsbüttel 1933 bis 1945". Hg. v. der Galerie Morgenland, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 1993
  • Gerhard Paul ; Miriam Gillis-Carlebach (Eds.). Menora und Hakenkreuz: zur Geschichte der Juden in und aus Schleswig-Holstein, Luebeck und Altona (1918-1998). Pp. 943, ill. Neumuenster: Wachholtz Verlag, 1998
  • Miriam Gillis-Carlebach: "Tastet meine Messiasse nicht an, das sind meine Schulkinder" Joseph Carlebachs jüdische Erziehungslehre, 2004, ISBN 3-935549-94-6
  • Beate Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2006, ISBN 3-929728-85-0
  • Ursula Wamser/Wilfried Weinke/Ulrich Bauche (Hrsg.): Eine verschwundene Welt: Jüdisches Leben am Grindel. Überarbeitete Neuauflage Hamburg 2006. ISBN 3-934920-98-5
  • Christine Müller: Zur Bedeutung von Religion für jüdische Jugendliche in Deutschland, Münster 2007, Reihe: Jugend – Religion – Unterricht, Bd. 11, ISBN 978-3-8309-1763-2

Siehe auch

Bezirk Hamburg-Eimsbüttel darin der Teil Zentrum jüdischen Lebens in Hamburg