Germanische Priester
Germanische Priester
Hier geht es überwiegend um die Religion der Kontinentalgermanen, sodass wir nur obligatorisch auf die Edda hinweisen können. Als Quellenliteratur können wir hier vorerst nur auf Cornelius Tacitus zurückgreifen. Einiges hat er in seiner Germania festgehalten und einiges kann man auch seinen Annalen entnehmen, zudem wollen wir hier einmal den Versuch wagen den Begriff etymologisch zu erläutern. Bei den Nordgermanischen Stämmen wurde der Priester Gode genannt. Richtiger ist altnordisch: goði, die Priesterin: gyðja. Da wir aber für Germanien nicht das altnordische Wort hinzunehmen können, müssen wir also weiter zurück in der Sprache und das germanische *gudjô für den Priester und *gudja für die Priesterin nehmen. Beide, sowohl das germanische, wie auch das altnordische, entstammt der Wurzel für Gott, germanisch: *guda, *gudaz, altnordisch: goð, altenglisch, altsächsisch, und altfriesisch: god, althochdeutsch: got*, gotisch: guþ. Es bedeutet auch Gerufener, oder Angerufener und wir können eindeutig unser Wort gut hier erkennen. Die Götter sind also die Guten, die Angerufenen und die Priester wiederum, sind diejenigen die, die Götter „Anrufen“, denn *gudjô oder *gudja bedeutet einfach gesagt Rufer oder Anrufer. Wir dürfen nicht den Fehler begehen und die germanischen Priester und Priesterinen mit den Druiden der Kelten vergleichen, denn einen ähnlichen Status hatten sie erst in spätheidnischer Zeit. Über die Rituale unserer germanischen Vorfahren wissen wir leider zu wenig um solche rekonstruieren zu können. Cornelius Tacitus erwähnt bei den Germanen bereits Priester. In der Germania 7, lesen wir den Begriff sacerdotibus, in der Germania 10 sacerdos, sacerdotes in Germania 11 und 40 = sacerdos. Um die eigentlichen Funktionen eines Priesters zu erläutern ist es unumgänglich auch die anderen Bezeichnungen für dieses Amt zu untersuchen. Den altnordischen und germanischen Begriff haben wir bereits erläutert, kommen wir nun zu den anderen Wörtern der germanischen Sprache. Außer germanisch *guda, *gudaz, gibt es im altsächsischen: êoward*, christlich beeinflusst ist prêster und altenglisch: æweweard ebenfalls christlich beeinflusst: préost und sâcerd. Eigentlich bedeutet êoward* und æweweard »Gesetzesward«, also Männer oder gar Frauen, die als Gesetzessprecher fungierten. Hier gibt es Parallelen zu den Druiden der Kelten und die Funktion wird bei den Goden Islands als Gesetzessprecher deutlich. Im althochdeutschen heißt es ähnlich wie im altsächsischen, ahd. êwawart*, êowart*, bzw. êwawarto*, êowarto*, für Gesetzeshüter, Priester. Die Frauen oder besser Priesterinen wurden êwawartin*, êowartin*, êowartinna* genannt, vom Wort êwa*, was Gesetz, Recht, Gebot, Regel, Bund und Vertrag bedeutet. Dieses Wort ist heute noch in unserem „Ehe“ enthalten. Sie stellen Gebote und Verbote auf, regeln die Ritualabläufe und sind als Zeugen von Verträgen und Bündnisse zuständig, sie nehmen einen weltlichen oder auch religiösen Eid ab, der auch als Bund oder Vertrag u.a. mit den Göttern angesehen werden kann. Sie waren die Vorsitzenden der Ratsversammlung, dem Thing.
ahd *thingan (vereinbaren, geben)
von *thingatio (die Vereinbarung)
as. thing (Ding, Sache, Gericht, Versammlung) was sich ableitet von thingen (erörtern, verhandeln)
ae. þing (Geschäft, Prozess, Gerichtshof, Rat, Versammlung)
an. þing (Versammlung, Rat)
vergl. germ. *þenga, *þengaz, *þinga, *þingaz für Gericht, Versammlung, Rat. Man kann unschwer den Bezug zwischen einem Gesetzessprecher und einer Ratsversammlung erkennen und genau das waren die Priester der Germanen. Sie waren Kultleiter, Gesetzessprecher und Würdenträger die Eide und Versprechen entgegennahmen. Theologen oder gar Philosophen wie die Druiden der Kelten waren sie nicht, es ist noch nicht einmal bezeugt, dass diese Priester eine Ausbildung innehatten. Da Tacitus in seiner Germania den Ausdruck sacerdos benutzt, könnte er den germanischen Priester mit dem römischen verglichen haben und auch Parallelen gefunden haben. Ebenso wie der sacerdos in Rom die Aufgabe hatte bei besonderen Anlässen die Opfergaben und Opferhandlungen zu zelebrieren und die regelmäßige kultische Verehrung der Götter sicherzustellen, hatte dies auch der germanische Priester oder *gudjô. Ob es allerdings wie bei den Römern sog. Flamines gab, also spezielle Priester wie die flamines Maiores, die Priester für Iupiter, Mars, Quirinus, und die flamines Minores, die Priester für kleinere Götter, ist nicht gesichert und wird aus diesem Grunde hier nicht behandelt. Die Aussage bei Tacitus in seiner Germania 10, die wir schon einmal hier behandelt haben, ist etwas irreführend. »Einen von einem fruchttragenden Zweig zerteilen sie in Stäbchen, kennzeichnen diese mit Zeichen und schütten sie, ganz wie der Zufall es will, auf ein weißes Tuch. Dann betet bei einer öffentlichen Befragung der Priester des Stammes, bei einer privaten der Familienvater selbst zu den Göttern, hebt mit zum Himmel erhobenen Blick dreimal ein Stäbchen auf und deutet es nach dem zuvor eingeritzten Zeichen.« Dies ist deshalb irreführend, weil Tacitus in seinem Bericht eindeutig im Original das Wort sacerdos benutzt, obwohl es sich hier eindeutig um die Aufgabe eines Sehers oder Seherin handelt. Aber zu dieser Gruppe kommen wir noch.
Eine weitere hohe geistliche Klasse bei den Germanen waren die Seher und Seherinnen, Weissager und Weissagerinen. Diese haben wir ebenfalls im Kapitel über die Völkerwanderungszeit behandelt. Völva auch vọlva bei den Nordgermanen auf altnordisch genannt. Ein hier zugrunde liegendes Wurzelwort ist vọlr, was einen Wurzelstock oder einen Stab beschreibt (aus dem Urnordischen *waluR). Germanisch: wihulôn (Wahrsagen), ae. maskulin wicca, feminin wicce (Zauberer, Wahrsager, Hexe/Hexer) germ. m. *weitagô und f. *weitaga, in ahd: m. wîzago* und f wîzaga* (Wahrsager, Weissager und Propheten), aus idg. *uel, *uelə, *uelê für drehen/wenden, vergl. ae.Verbum: weorþan, was werden bedeutet. Dies stellen lebende Parallelen und Äquivalenzien zu den altnordisch/isländischen Dichtungen der Edda um die Nornen1 dar. Vergl. Völuspá 20:
Þaðan koma meyjar Daher kommen Frauen,
margs vitandi vielwissende,
þrjár úr þeim sæ, drei, aus dem See,
er und þolli stendur; der unterm Wipfel liegt:
Urð hétu eina, Urd heißt die eine,
aðra Verðandi, die andere Verdandi-
skáru á skíði, sie schnitten Stäbe-,
Skuld ina þriðju. Skuld die dritte;
Þær lög lögðu, Lose legten sie,
þær líf kuru Leben bestimmten sie
alda börnum, den Menschenkindern,
örlög seggja. das Schicksal verkündend.
Außer der Schicksalsbestimmung, legen diese Nornen (mehr hierzu im Kapitel 4 und 14) Lose über die Menschen, mit denen sie das Schicksal bestimmen, zudem schnitten sie Stäbe, was uns an die Schilderung des Tacitus erinnern sollte, die er in seiner Germania 10 niederschrieb: »Einen von einem fruchttragenden Zweig zerteilen sie in Stäbchen, kennzeichnen diese mit Zeichen und schütten sie, ganz wie der Zufall es will, auf ein weißes Tuch. Dann betet bei einer öffentlichen Befragung der Priester des Stammes, bei einer privaten der Familienvater selbst zu den Göttern, hebt mit zum Himmel erhobenen Blick dreimal ein Stäbchen auf und deutet es nach dem zuvor eingeritzten Zeichen.«
Zwischen den völva/vọlva und den vitki (an. für Zauberer) scheint es Überschneidungen in der magischen Praxis gegeben zu haben. etymologisch ist dieses Wort auch mit den eben genannten alten germanischen Bezeichnungen durchaus verwandt, man vergleiche auch das Wort vísa, das aus dem Altnordischen stammt und weisen, hinzeigen, wahrnehmen, auffassen, erblicken, sehen und finden bedeutet. Die Zauberer, Magier, Wahrsager und Weissager der Germanen hatten kein Tarot oder die Runensteine, wie es sie heute in den Esoterikgeschäften zu kaufen gibt, sie waren also auf Naturphänomene und magische Zeichen die sie in die beschriebenen Holzstücke ritzten angewiesen. Tacitus schilderte uns einige Praxen der Divination, wie das Werfen der Loshölzchen, Stimmen, von dem man ausgehen kann, dass es sich um Naturgeräusche handeln könnte, oder auch wie, wann und warum jemand etwas sagt, also an der “Stimmung”, der Zug der Vögel, Weissagungen anhand von Pferden und deren Bewegungen, wie es uns die Germania 10 übermittelt. Alle diese Bezeichnungen für Wahrsager/in, Weissager/in, Prophet/in, Zauberer und Hexe, deuten gemeinschaftlich auf ein hohes Wissen hin. Ohnehin ist unser Wort Wissen etymologisch mit an. vísa, vitki , ae. wicca, wicce verwandt. Wicca und wicce bedeutet im Grunde auch die oder der Weise und stammt von Wissen, es waren also die Wissenden. Die Zauberkundige Frau wurde vor einem hohen Ereignis, besonders vor einer Schlacht nach deren Ausgang befragt, der Priester oder die Priesterin führten die Krieger an, sie leiteten die Ratsversammlungen und sprachen öffentliches und privates Recht, sie verurteilten, dies geht aus der Germania des Tacitus hervor. Mit Sicherheit gab es auch Überschneidungen in der Amtsausführung bei den genannten Ämtern. Das die Frau bei den Germanen einen höheren Stellenwert einnahm und das mit Sicherheit besonders die Männer den Frauen etwas Heiliges und Seherisches zuordneten, geht ebenfalls bei Tacitus Germania 8 hervor, wo es heißt: »... Sie glauben sogar irgend etwas Heiliges und Seherisches wohne den Frauen inne, und deshalb weisen sie weder ihre Ratschläge zurück, noch übergehen sie ihre Bescheide. Wir (die Römer, Anm. d. Verf.) haben es ja erlebt, dass unter den göttlichen Vespasian Veleda2 lange Zeit von sehr vielen für ein göttliches Wesen gehalten wurde; aber auch schon früher haben sie Albruna und mehrere andere Frauen verehrt, nicht aus Schmeichelei und auch nicht so, als ob sie aus ihnen Göttinen machen wollten.«
Hier bei dem Text werden sogar zwei Seherinnen namentlich erwähnt. Veleda, die schon etymologisch mit einer Völva in Verbindung gebracht werden kann. Warum ein Wishmop unserer Tage nach ihr benannt ist, lässt sich nur an der Zauberkraft ausmachen, aber dies nur als kleine Anekdote am Rande. Wenn wir auch über Albruna nichts weiter wissen, als dass sie bei Tacitus zusammen mit Veleda als Seherin bezeichnet wird, so wissen wir über Veleda schon mehr. Albruna, kann man etymologisch in etwa aus *Albî/*Alb für Elbe/Elfe und Runa aus *rûnên oder *runô für: Raunen, flüstern, beschließen, beraten, Geheimnis zusammensetzen, somit könnte ihr Name in etwa „Geheimnis der Elben“ oder „das Raunen der Elben“ bedeuten. Über Veleda schreibt Tacitus an einer anderen Stelle in seiner Historiae IV,61 folgendes: »Dies war eine Jungfrau aus dem Stamm der Brukterer, die weithin Macht besaß, nach dem alten Brauch der Germanen, viele Frauen für Seherinnen, bei gesteigerten Ansehen sogar für Göttinen zu erklären. Das Ansehen der Veleda stieg damals beträchtlich, denn sie hatte den Germanen Erfolg und die Vernichtung der Legionen vorhergesagt«
Als die Aufständigen Germanen die Stadt Köln (Colonia Agrippinensis) betroht hatten, riefen sie (die germanischen Bürger Kölns) den Civilis und Veleda als Schiedsrichter an. Weiter führt Tacitus in der Historiae IV,65 aus: »Gesandte wurden mit verschiedenen Geschenken zu Civilis und Veleda geschickt und erledigten alles im Sinne der Kölner. Vor Veleda selbst zu erscheinen und mit ihr zu reden wurde ihnen jedoch nicht gestattet, ihr Anblick wurde verwehrt, um größere Ehrfurcht einzuflößen. Sie wohnte in einem hohen Turm, und ein von ihr dazu ausgewählter Verwandter überbrachte die Fragen und antworten wie der Mittelsmann einer Gottheit.«
Die Brukterer, zu denen Veleda gehörte, waren ein germanischer Stamm, der an der Ems den Friesen, Chamaven und Chauken benachbart war. Wir wissen nur, dass Veleda doch noch in römische Gefangenschaft kam und in die Süditalische Stadt Ardea deportiert wurde, wo sie höchstwahrscheinlich ihr Leben als Tempeldienerin beschlossen haben dürfte. Eine weitere bekannte Seherin ist die aus dem Stamm der Semnonen stammende Waluburg. Auch ihren Namen kann man etymologisch von Vala, Völva (Stabträgerin) ableiten. Sie dürfte auch die Namensgeberin der Walburgis- oder Walpurgisnacht sein, einem Feiertag, den wir noch heute feiern, es ist die Nacht vom 30. April in den 1. Mai, der den Sommer einläuten soll. Zur etymologischen Bedeutung von Waluburg, vergleiche man urnordisch: *waluR, germ. *walu/*waluz, für Stock, Stab, Wurzelstock. J.R.R Tolkien hat den Begriff der Vala in seinem „Herr der Ringe“ und „Das Silmarillion“ mit aufgenommen und Elemente dieser Seherinnen und Weissagerinnen in der Gestallt von Galadriel mit eingebaut. Außer Veleda, Albruna und Waluburg, sind durch die römische Geschichtsschreibung noch weitere Seherinnen bekannt, hiezu gehören noch die Ganna und Gambara. Erstere durch Dio Cassius in seiner Historiae Romana bezeugt. Strabo erwähnt noch, dass alte Frauen in weißen Gewändern mit dem Heer mitzogen und aus dem Blut der Gefangenen die Zukunft weissagten und Dio Cassius erwähnt in seiner Historiae Romana 55,1, eine Frau mit übermenschlichen Zügen, die dem Drusus im Gebiet der Cherusker gegenüber getreten sei. Nach den Angaben der Kaiser und Tribunen, kann man diese Seherinnen in die Zeit zwischen dem 1. Jh vor, bis zum Ende des 1. Jh. unserer Zeitrechnung datieren.
by Ragnarr Odinsson