Linksfaschismus
Linksfaschismus (auch: Roter Faschismus oder Rotfaschismus) ist ein politischer Kampfbegriff, der realsozialistische Staatssysteme oder linksgerichtete Politik als „faschistisch“, seltener auch faschistische Staatssysteme und rechtsextremistische Politik als „links“ bewertet.
Überblick
Der Begriff wurde in verschiedenen Zusammenhängen verwendet:
- von demokratischen Gegnern des italienischen Faschismus, die diesen 1926 mit dem Stalinismus verglichen, um beide als gleichermaßen demokratiefeindlich darzustellen;
- in den Auseinandersetzungen zwischen deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten der Weimarer Republik seit etwa 1929, die einander als „Sozialfaschisten“ oder „rotlackierte Faschisten“ bezeichneten;
- seit 1967 gegen die antiautoritären Aktionen der APO (Studentenbewegung), vor deren möglichen Folgen Jürgen Habermas mit diesem Begriff warnte;
- seit dem „Historikerstreit“ im Geschichtsrevisionismus, um damit den Nationalsozialismus als indirekte Folge des Stalinismus zu deuten und seine Verbrechen zu relativieren;
- im Rechtsextremismus zur Diffamierung politischer Gegner, seltener auch als positive Bezeichnung sozialer Elemente der eigenen Ideologie.
Der Begriff dient in der Bundesrepublik Deutschland seit 1967 fast nur zur polemischen Abwertung von politisch linksgerichteten Gruppen und Parteien. Er enthält den Vorwurf, die von ihnen angestrebte Gesellschaftsordnung weise ihrerseits faschistische, anti-liberale und totalitäre Elemente auf und fördere eine Entdemokratisierung in der politischen Entwicklung. Damit wird das Selbstverständnis vieler linksgerichteter Gruppen als Antifaschisten angegriffen und gegen sie gewendet. Dies wirkte als Gleichsetzung von linken Gesellschaftstheorien mit dem Faschismus und hat damit eine differenzierte Auseinandersetzung mit ihnen häufig erschwert. Wie bei vielen politischen Schlagworten verselbstständigte sich der Begriff: Er wurde oft nicht mehr zur Kritik an bestimmten Tendenzen und Teilen einer Ideologie benutzt, sondern zur gezielten und pauschalen Diffamierung.
Anders als den Faschismusbegriff verwendet die Politologie den Begriff bisher nicht zur wissenschaftlichen Beschreibung einer Ideologie oder Gesellschaftsordnung.
Charakteristische Merkmale
Ähnliche Erscheinungsformen bildeten die Basis der Parallelisierungen von Faschismus und Kommunismus. Peter Sloterdijk verwendet den Begriff in seinem Werk „Zorn und Zeit“ zur Beschreibung des Kommunismus unter Lenin und Stalin. Dabei werden folgende charakteristische Merkmale des Linksfaschismus aufgelistet und damit implizit ein Vergleich mit Erscheinungsformen des Faschismus hergestellt.
- Führerprinzip: eindeutige Beziehung zwischen Führer/Führern und Geführten,
- Daueragitation der gesamten Gesellschaft,
- Militarismus: Kult der Militanz als Lebensform, Aufmärsche, Übertragung des militärischen Habitus auch auf ökonomische Produktion,
- rigoroser Zentralismus der Führungsstäbe,
- Kollektivismus,
- Demokratiefeindlichkeit: Verachtung und Hass gegenüber freiheitlichen Verkehrsformen, bürgerlicher Kultur und Zivilgesellschaft, Misstrauen gegenüber Individualismus und Pluralismus,
- Zwangsenthusiasmus zugunsten der als revolutionär erklärten Sache,
- Monopolisierung des öffentlichen Raums und der Medien durch Parteipropaganda,
- Unterwerfung der Wissenschaften unter das Gesetz der Parteilichkeit,
- Verächtlichmachung des Pazifismus,
- ständige Ausspitzelung auch der eigenen Gefolgschaft,
- Neigung zur Ausmerzung des politischen Gegners,
- Funktionalisierung des Rechtswesens,
- Aufhebung des Tötungsverbotes (Töten im Dienst der als gut erklärten Sache).
Totalitarismustheorie
Nach dem Wahlsieg von Benito Mussolini in Italien bezeichnete der Liberale Giovanni Amendola zunächst die italienischen Faschisten, dann auch die Stalinisten 1925 als „totalitär“ (totalitario): Faschismus wie Kommunismus seien eine „totalitäre Reaktion auf Liberalismus und Demokratie“. Diesen Vorwurf griff die Parteiführung der Faschisten Anfang 1926 auf, um ihn positiv für ihre Ideologie und Politik in Anspruch zu nehmen. Nun übernahm die gesamte konservativ-liberale Opposition in Italien die These von der strukturellen Ähnlichkeit der beiden Diktaturen. In diesem Zusammenhang schrieb der Führer der Volkspartei – einem Vorläufer der späteren „Democrazia Cristiana“ -, Priester Don Luigi Sturzo, in seinem Buch Italien und der Faschismus (1926):
- Insgesamt kann man zwischen Rußland und Italien nur einen einzigen Unterschied feststellen, daß nämlich der Bolschewismus eine kommunistische Diktatur oder ein Linksfaschismus ist und der Faschismus eine konservative Diktatur oder ein Rechtsbolschewismus ist.
Der Begriff ist also wie die Totalitarismusthese ursprünglich ein polemischer Kampfbegriff, der zwei politische Systeme als Diktaturen ablehnt und dazu ihre Ideologien parallelisiert.
Die Philosophin Hannah Arendt hat dem Begriff des Totalitarismus besonders in ihrem Hauptwerk The Origins of Totalitarianism (1951) ein theoretisches Fundament gegeben und die Ähnlichkeiten von Nationalsozialismus und Stalinismus intensiv analysiert. Gerade sie verwendete den Faschismusbegriff jedoch nicht als gemeinsamen Oberbegriff dazu und begrenzte ihre Analyse ausdrücklich auf die Sowjetunion bis zu Stalins Tod 1953.
Anknüpfend an das faschistische Selbstverständnis haben auch manche Historiker soziale, antikapitalistische Elemente innerhalb des europäischen Faschismus als "Linksfaschismus" etikettiert. Otto-Ernst Schüddekopf etwa schrieb in dem Buch "Bis alles in Scherben fällt - Die Geschichte des Faschismus" (Bertelsmann 1973):
- "Andere faschistische Bewegungen in Europa aber nahmen den Sozialismus durchaus ernst, so daß in der Typologie auch von 'Linksfaschismus' gesprochen wird. Die französischen Faschisten Marcel Deat, Eugene Deloncle, Jaques Doriot und Valois kamen vom Sozialismus und waren bestrebt, ihn in einer nationalen Form zu realisieren. Auch im Faschismus Mosleys war die sozialistische Komponente durchaus ernst zu nehmen. Seine an Keynes orientieren wirtschaftspolitischen Auffassungen hatte er in der Labour-Party und sogar in der linksgerichteten Independent Labour Party entwickelt. Es ging ihm in erster Linie um die Überwindung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse."
Hier wird der Begriff also nach Herkunft und Zielen als ein nationaler Sozialismus aufgefasst und tendenziell positiv gewertet.
Sozialdemokraten und Kommunisten
Um 1925 übernahm die KPD Stalins Sozialfaschismus-These: Danach galten die „Reformisten“ der gescheiterten 2. Internationale, also die westeuropäische, vor allem die deutsche Sozialdemokratie, als Steigbügelhalter des aufkommenden Faschismus. Diese ideologische Einordnung hatte den machtpolitischen Sinn, die Mitgliedsparteien der von Moskau gelenkten "Komintern" gegenüber ihren Konkurrenten zu stärken und zugleich den gesamteuropäischen Führungsanspruch der KPdSU in der Arbeiterbewegung zu untermauern.
Faktisch wurden dadurch wirksame Koalitionen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten im Abwehrkampf gegen den Faschismus verhindert. Denn als Reaktion darauf verstärkte auch die SPD ihre antikommunistische Haltung. Für sie erklärte etwa der spätere Vorsitzende der SPD, Kurt Schumacher, 1930 vor dem Reichsbanner Württemberg:
- Der Weg der leider ziemlich zahlreichen proletarischen Hakenkreuzler geht über die Kommunisten, die in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten sind. Beiden ist gemeinsam der Hass gegen die Demokratie und die Vorliebe für Gewalt.
Dies wurde nach 1945 zum oft zitierten Diktum von den „rotlackierten Faschisten“ verkürzt.
Otto Rühle, seit 1914 Antimilitarist, 1918 Mitgründer der KPD, 1920 aber Gründer der „Kommunistischen Arbeiterpartei“ (KAPD) als Reaktion auf die Ruhrkämpfe, schrieb 1939 im Rückblick auf das Scheitern der „Volksfront“-Bemühungen gegen den Aufstieg der NSDAP im mexikanischem Exil eine Abrechnung mit dem Titel Brauner und Roter Faschismus. Er folgte darin der stalinistischen Sozialfaschismus-These, obwohl er selbst kein Stalinist war und die „Säuberungen“ in der Sowjetunion ablehnte. Er kritisierte den Verlauf der Novemberrevolution von 1918, besonders Friedrich Eberts Anordnungen zur blutigen Niederschlagung der Rätebewegung, die weitergehende Sozialisierungen verhinderten, mit den Worten:
- Das Kriegsbündnis mit der Bourgeoisie hatte die deutsche Sozialdemokratie auf ihre wahre Wesensgrundlage zurückgeführt. Sie war immer nur scheinbar eine sozialistische Bewegung gewesen. Jahrzehntelang hatte sie über das im Grunde bürgerliche Prinzip ihrer Konstitution hinweggetäuscht. Doch niemals hatte sie es überwinden können. Sie war und blieb eine kleinbürgerliche Reformpartei der Enttäuschten, Zukurzgekommenen, am kapitalistischen Aufstieg Verhinderten. Keine revolutionäre Bewegung, sondern nur eine Revolte wildgewordener Möchte-gern-Kapitalisten.
Außerparlamentarische Opposition
Der Dialog zwischen Jürgen Habermas und Rudi Dutschke
Am 9. Juni 1967 fand im direkten Anschluss an die Beerdigung von Benno Ohnesorg ein Kongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Hannover mit etwa 5.000 Teilnehmern statt. Jürgen Habermas, Soziologe und Philosoph der Frankfurter Schule, sagte nach dem Ende der öffentlichen Diskussion mit dem Studentenführer Rudi Dutschke:
- Herr Dutschke hat als konkreten Vorschlag nur vorgetragen, dass ein Sitzstreik stattfinden soll. Das ist eine Demonstration mit gewaltlosen Mitteln. Ich frage mich, warum er das nicht so nennt und warum er eine dreiviertel Stunde darauf verwendet hat, um eine voluntaristische Ideologie hier zu entwickeln, die man im Jahr 1848 utopischen Sozialismus genannt hat, die aber unter heutigen Umständen - jedenfalls glaube ich, Gründe zu haben, diese Terminologie vorzuschlagen - 'linken Faschismus' nennen muss.
Dutschke hatte zuvor Sitzstreiks an den Universitäten bis zur Aufklärung der Erschießung von Ohnesorg und die Bildung von „Aktionskomitees“ zur Politisierung der Universitäten als Teil einer „bewussten Durchbrechung der etablierten Spielregeln“ vorgeschlagen. Er sah wie viele Studenten die Gewaltenteilung der „bürgerlichen Demokratie“ im Gefolge der Erschießung Ohnesorgs als nicht funktionsfähig an: Die Opfer würden zu den Tätern gestempelt, der tatsächliche Täter bliebe in Freiheit, die politisch Verantwortlichen blieben in ihren Ämtern. Nach jahrelangen Erfahrungen mit angemeldeten Demonstrationen etwa gegen den Vietnamkrieg wollte er die „sublime Gewalt“ der bürgerlichen Gesellschaft durch „organisierte Irregularität“ zwingen, „manifest zu werden.“ Nichtangemeldete Aktionen sollten der Bevölkerung die herrschenden Unterdrückungsmechanismen bewusst machen. Damit wollte Dutschke erklärtermaßen weitere Todesopfer vermeiden und zugleich einer befürchteten Einschüchterung der Protestierenden durch die Erschießung Ohnesorgs begegnen.
Habermas griff die theoretische Begründung dieses Konzepts der gezielten antiautoritären Provokation an. Er verglich sie mit dem utopischen Sozialismus des 19. Jahrhunderts, der die Bedingungen einer erfolgreichen Revolution nicht berücksichtigt hatte, und dem Voluntarismus, der einen gesellschaftlichen Umsturz allein vom bewussten „Willen zur Macht“ der Revolutionäre statt von der ökonomischen Entwikclung der Gesellschaft abhängig macht. Dahinter stand auch bei ihm ein marxistischer Erklärungsansatz für den Faschismus: Dieser war für die „Kritische Theorie“ in den 1930er Jahren Folge und latente Bedrohung des nach außen liberal auftretenden Kapitalismus. Werde dieser von links bedroht wie im Italien der frühen 1920er Jahre oder im Deutschland der Weltwirtschaftskrise, lege er seine pseudodemokratische Maske ab und beauftrage den Faschismus sozusagen damit, die Bedrohung von links gewaltsam zu zerschlagen. Eben dies, befürchtete Habermas nun, könnte geschehen, wenn Dutschke und der SDS den bürgerlichen Staat mit illegalen Aktionen provozierten, ohne doch die Chance zu haben, ihn durch eine erfolgreiche Revolution zu überwinden. Von einer Gleichsetzung der linken Militanz der APO mit dem Faschismus war Habermas also weit entfernt.
In der damaligen aufgeheizten Lage griffen aber besonders die konservativen Medien sein Stichwort auf und deuteten Dutschkes Konzept damit zur Gegengewalt, Herausforderung von Staatsgewalt und Inkaufnahme von Menschenverletzungen um. Aber auch führende Politiker benutzten das Etikett zur negativen Charakterisierung der Außerparlamentarischen Opposition. So sagte etwa der spätere Bundesjustizminister Horst Ehmke (SPD) auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg 1968:
- Soweit sie (die anti-liberale action directe) Diskussionen sprengt, Vorlesungen stört, Zeitungen verbrennt und Fensterscheiben einschlägt, verdient sie durchaus als 'pseudo-linker Faschismus' bezeichnet zu werden. Diese Art von Protest wird an den bestehenden Mängeln unserer Gesellschaft nicht das Geringste ändern. Sie wird vielmehr die Reaktion in diesem Lande stärken, Faschismus nicht 'herauslocken', sondern mitproduzieren.
Der Tod Benno Ohnesorgs löste eine Radikalisierung von Teilen der APO aus, aus der auch der Terror der „Rote Armee Fraktion“ hervorging.
Habermas nahm seinen Vorwurf wiederholt öffentlich zurück, schon in seinem Aufsatz „Hochschulreform und Protestbewegung“, dann auch in einem Brief an Erich Fried vom 26. Juli 1967:
- Ich habe in Hannover vom 'linken Faschismus' in einem klar hypothetischen Zusammenhang gesprochen.
In einem Brief vom 13. Mai 1968 an C. Grossner schrieb er zudem:
- Erstens habe ich damals nicht gesehen, dass die neuen Formen der Provokation ein sinnvolles, legitimes und sogar notwendiges Mittel sind, um Diskussionen dort, wo sie verweigert werden, zu erzwingen.
- Zweitens hatte ich damals Angst vor den irrationalistischen Implikationen eines Vorgehens, das unter dem Topos 'die Spielregeln brechen' eingeführt wurde. Diese Befürchtungen hege ich heute auch, daher hat sich die Intention meiner damaligen Bemerkung nicht geändert. Freilich würde ich [...] heute [...] das Etikett des linken Faschismus vermeiden, und zwar nicht nur, weil dieses Etikett das grobe Missverständnis einer Identifizierung des SDS mit den rechten Studenten Anfang der dreißiger Jahre hervorgerufen hat, sondern weil ich inzwischen überhaupt unsicher geworden bin, ob das eigentliche Neue an den gegenwärtigen Revolten durch geistesgeschichtliche Parallelen getroffen werden kann.
- Drittens halte ich nach wie vor Gewaltanwendung in der gegenwärtigen Situation nicht für ein vertretbares Mittel des politischen Kampfes.
Besonders unter dem Eindruck der Medienberichterstattung gegen „Sympathisanten“ der Linksterroristen 1977 nahm Habermas kritische Intellektuelle vor dem „Linksfaschismus“ in Schutz; seine Kritik antiliberaler und antidemokratischer Züge der APO erhielt er dabei aufrecht.
Das Schlagwort Linksfaschismus wird gleichwohl seit 1967 immer wieder zur Diffamierung linksprogressiver Aktionen und Zielen verwendet.
Daniel Cohn-Bendits Selbstkritik
In einem Spiegel-Interview vom Mai 2001 räumte Daniel Cohn-Bendit, „Alt-68er“ und Europaabgeordneter der Grünen, teilweise „linksfaschistische“ Tendenzen der damaligen Studentenbewegung ein. Er stellte zunächst beobachtend fest:
- Was uns angeht, so weiß ich heute, dass es keine Bewegung gibt, die clean ist. Bewegungen durchlaufen offenbar zwangsläufig einen ideologischen Dogmatisierungsprozess, weil sie auf diese Weise erst die Kraft aufbringen, gegen Widerstände anzugehen. Das lässt sich auch an der Ökobewegung oder der Frauenbewegung vorführen.
In diesem Zusammenhang kam er von sich aus auf die Kritik von Jürgen Habermas an der APO zu sprechen:
- Ich habe einmal mit Jürgen Habermas über 1968 und die Folgen diskutiert. Ich habe ihm gesagt, unser größter Fehler sei der Mangel an demokratischer Sensibilität gewesen, und ich habe ihm im Nachhinein Recht gegeben für seinen Satz vom Linksfaschismus der Studenten.
Auf die Rückfrage, ob die Ereignisse im Gefolge des 2. Juni 1967 bereits „Linksfaschismus“ gewesen seien, antwortete Bendit:
- Es war antiautoritär, libertär, sozialromantisch, zärtlich und solidarisch, aber auch linksautoritär und linksstalinistisch. In der Erscheinungsform ähnelte es dann dem faschistoiden Gebaren.
Auf die weitere Rückfrage, ob auch Joschka Fischers Verhalten gegenüber einem Polizisten, den er mit vier „Straßenkämpfern“ und Steinen in der Hand verprügelte, „linksfaschistisch“ gewesen sei, antwortete er:
- Nein, es ist Linksmachismus. Wir hatten so oft Prügel von der Polizei bezogen, dass sie beschlossen, nicht mehr wegzulaufen - sie wollten endlich einmal ihren Mann stehen. Unsere Selbstgerechtigkeit, unsere Unfähigkeit zu offenen Diskussionen, die uns Peter Boenisch zu recht vorhält, ist ein wahrer wunder Punkt [...] Ich hätte schon viel früher zu dem Polizisten gehen sollen, der bei der Meinhof-Demonstration im Mai 1976 von einem Molotow-Cocktail schwer verletzt wurde.
Geschichtsrevisionismus
Seit dem Historikerstreit 1986 verwenden Geschichtsrevisionisten den Begriff, um den Nationalsozialismus als „Spielart“ des linken Totalitarismus einzuordnen. Damit soll auch der Holocaust relativiert werden: Stalins Verbrechen sollen als gleichrangige oder schlimmere Vorläufer und Vorbilder für die Verbrechen des Hitlerregimes erscheinen. Dabei berufen sie sich auf Ernst Nolte, der die bis dahin übliche Faschismusdefinition so zu erweitern versuchte, dass der Stalinismus als eine Ursache des auf ihn reagierenden Nationalsozialismus erscheinen konnte. Diese Argumentationsweise wird seither sowohl von Vertretern der Neuen Rechten als auch Rechtspopulisten und Rechtsextremisten verwendet.
Rechtsextremismus
Rechtsextreme Gruppen und Parteien wie die NPD benutzen den Begriff heute gegen viele Parteien, die aus ihrer Sicht linksgerichtet sind: vom antifaschistischen Spektrum über die PDS bis zu den Grünen und SPD-Vertretern, die einen „Aufstand der Anständigen“ (Gerhard Schröder) befürworten. Dabei nehmen sie auf historische Entstehung und Inhalt des Faschismusbegriffs keine Rücksicht, so dass der Korrelatbegriff „Linksfaschismus“ ihnen ausschließlich zur Diffamierung politischer Gegner und Selbstaufwertung als „demokratischer Rechter“ dient.
Von einigen rechtsextremen Gruppen wird der Begriff positiv verwendet, um Teile des linksextremen Wählerpotentials mit einer Querfront-Strategie zu vereinnahmen: Demnach soll der Antikapitalismus der gemeinsame Nenner von Nationalisten und Sozialisten sein. So heißt es zu den „Überläufern“ ehemaliger SDS-Mitglieder wie Horst Mahler, Henry Lefevre oder Bernd Rabehl:
- Diese 'rechten Leute von links' haben in der Tat durch ihren Kampf gegen die multikriminelle Massengesellschaft und die Amerikanisierung unseres Lebens die antikapitalistischen, antiimperialistischen und sozialistischen Wurzeln des Nationalismus wieder freigelegt. Als Linke haben sie bewusst einen Schlußstrich gezogen zur Antifa-Linken, die im Interesse des US-Imperialismus die eigene Nation beschmutzt. In gleicher Weise haben sie aber auch einer neoliberalen „Rechten“ die antikapitalistischen Leviten gelesen.
Hier bieten sich also Rechtsextremisten als echte politische Heimat für heimatlose Antikapitalisten an und benutzen den Begriff „Linksfaschismus“, um innerhalb der sozialistischen Bewegung „Sozialnationalisten“ oder „National-Sozialisten“ auf ihre Seite zu ziehen.
Auch manche Historiker verwenden den Begriff, um antikapitalistische Strömungen innerhalb faschistischer Parteien zu beschreiben, etwa den Flügel um die Brüder Otto und Gregor Strasser in der NSDAP. Diese strebten einen „nationalen Sozialismus“ an, wurden aber nach Konflikten mit Adolf Hitler 1930 aus der NSDAP ausgeschlossen und kritisierten dessen Politik später als Verrat an den ursprünglichen Parteizielen.
In Frankreich wurde u.a. das Rassemblement National Populaire um Marcel Déat als linksfaschistisch bewertet. Der Politologe Peter von Oertzen sah in der völkisch-antikapitalistischen Komponente einen Grundzug des Faschismus überhaupt, der diesen vom Rechtsradikalismus bürgerlicher und reaktionärer Parteien der Weimarer Zeit unterschieden habe.
Streit um die Gentechnik
Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk propagiert seit 1999 in Vorträgen und Aufsätzen zu den Biowissenschaften u.a. die „Menschenproduktion“ und benutzt dabei Begriffe wie „Menschenzucht“ und „Anthropotechnik“. Er will den Abbau staatlicher Vorschriften, um die Keimbahntherapie und vorgeburtliche Diagnostik samt Selektion von „fehlerhaften“ Embryonen zum Regelfall zu erheben. Dies löste eine heftige Debatte aus, in deren Verlauf Sloterdijk u.a. Rassismus vorgeworfen und er als „Kryptofaschist“ bezeichnet wurde. Darauf reagierte er seinerseits mit dem Vorwurf des „Linksfaschismus“ gegen seine Kritiker.
In diesem Konflikt ging es auch um das Erbe der Kritischen Theorie, die Sloterdijk für „tot“ erklärte: Die Philosophie solle sich endlich zu einer „kopernikanischen Mobilmachung“ bekennen und eine „ptolemäische Abrüstung“ vornehmen. Er meinte damit das Ablegen von aus seiner Sicht überholten, dogmatischen Ideologien, besonders im Bereich der marxistisch beeinflussten Sozialwissenschaften.
Die Diskussion um den Faschismusbegriff ist also durch die ethische Problematik der neuen biologischen und medizinischen Möglichkeiten, die die Gentechnik eröffnet, wieder in Gang gekommen. Die Sorge, dass eine Auswahl von „höherwertigem“ zu Ungunsten von „lebensunwertem“ Leben unter der Hand durch das Schaffen von Fakten an Raum gewinnt, ist schon seit Beginn der 1970er Jahre in der Theologie ausgesprochen worden (z.B. von Karl Rahner: Zum Problem der genetischen Manipulation aus der Sicht des Theologen).
Literatur
- Johannes Agnoli: Faschismus ohne Revision. submotto 1997, dt. Ausgabe ça ira-Verlag, ISBN 3-924627-47-9
- Jürgen Habermas: Hochschulreform und Protestbewegung.
- Gretchen Dutschke-Klotz: Rudi Dutschke – eine Biographie.
- Peter Sloterdijk: Zorn und Zeit, Frankfurt, 2006
Weblinks
- Kampfbegriff Extremismus - Conne Island Newsflyer, Nr. 35
- Hagalil: Genese und Kritik der Totalitarismus-These
- Aufsatz zu Linksfaschismus von Hanno Beth
- TAZ-Kritik an Jürgen Habermas
- Spiegel-Interview mit Daniel Cohn-Bendit
- "Organisierte Irregularität": Verhältnis Dutschke - Habermas
- "Kampfbund Deutscher Sozialisten": Rechtsextreme Aneignung des "Linksfaschismus"