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Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt

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Molotow unterzeichnet den Pakt, hinter ihm v. Ribbentrop, rechts hinter ihm Stalin, im Hintergrund ein Lenin-Porträt. Links hinter Molotow Generalstabschef Schaposchnikow.

Der Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt, auch als Hitler-Stalin-Pakt bzw. Molotow-Ribbentrop-Pakt bezeichnet, war ein auf zehn Jahre befristeter Pakt, der am 24. August 1939 in Moskau vom deutschen Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und dem sowjetischen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Wjatscheslaw Molotow in Anwesenheit Stalins und des deutschen Botschafters Graf von der Schulenburg unterzeichnet wurde. Der Pakt garantierte Deutschland die sowjetische Neutralität bei einer Auseinandersetzung mit Polen und den Westmächten und räumte der Sowjetunion die Möglichkeit ein, die im 1.Weltkrieg verlorenen Territorien ohne Eingreifen Deutschlands wieder in Besitz zu nehmen.

Vorgeschichte

Als Deutschland am 15. März 1939 unter Bruch des Münchner Abkommens von 1938 die Tschechoslowakei besetzte, war klar, dass die anglo-französische Politik des Appeasements gescheitert war. Hitler hatte die Duldung der Revisionen des Vertrages von Versailles nicht als Versuche rezipiert Deutschland friedlich in die europäische Staatengemeinschaft einzugliedern, sondern als Schwäche. Die öffentliche Meinung in England wie in Frankreich forderte nun das Ende aller Zugeständnisse gegenüber Hitlerdeutschland. Als Zeichen der Entschlossenheit, Hitlers Aggressionen ab sofort energisch entgegenzutreten verkündete der britische Premier Chamberlain, dass Großbritannien und Frankreich im Falle eines deutschen Angriffes Polen militärische Unterstützung leisten würden. Da ein aggresives Vorgehen Deutschlands und Italiens auch in Südosteuropa befürchtet wurde, weitete man diese Garantie wenig später auch auf Rumänien, Griechenland und die Türkei aus. Um dieser Garantie mehr Gewicht zu verleihen, richtete man am 14. April 1939 ein formelles Bündnisangebot an die Sowjetunion, das zunächst nur für den Fall eines deutschen Angriffs auf Polen oder Rumänien gelten sollte.

Diese Verhandlungen waren von gegenseitigem Mißtrauen getragen. Chamberlain stand Stalins Regime aufgrund dessen Menschenverachtung äußerst skeptisch gegenüber und hielt wenig von der Schlagkraft der Roten Armee. [1] Die Sowjetunion wiederum war nicht überzeugt, dass der Westen diesmal tatsächlich zu seinen Verpflichtungen stehen würde. Die Verhandlungen liefen teilweise schleppend. Der Vorwurf westlicher Hinhaltetaktik ist nicht nachvollziehbar, da die Westalliierten aufgrund der von Hitler provozierten Eskalation der Polenkrise weit mehr unter Zeitdruck standen als die Gegenseite. Die Verzögerungen ergaben sich zumeist aus der Notwendigkeit die wichtigsten Verhandlungsschritte untereinander und mit Ländern abzustimmen, die der Aufgabe von Souveränitätsrechten gegenüber Moskau mit größtem Mißtrauen gegenüberstanden. Am 11. August 1939 schien man in Moskau dennoch dem Durchbruch nahe, lediglich in der Frage des sowjetischen Einmarschrechts in Polen hatte man noch keinen Konsens gefunden. Die sowjetischen Forderung, auch ohne eine deutsche Aggression jederzeit und ohne Vorankündigung polnisches Territorium betreten zu dürfen, wurde von den Polen nicht akzeptiert. Diese - aufgrund der gespannten sowjetisch-polnischen Beziehungen nachvollziehbare - Weigerung bot der Sowjetunion letztendlich die Möglichkeit, die Schuld am Scheitern der Verhandlungen den Westmächten anzulasten.

Die parallel dazu geführten deutsch-sowjetischen Verhandlungen kamen zügiger voran. Am 14. August reiste Ribbentrop auf Einladung seines sowjetischen Amtskollegen nach Moskau und unterbreitete das Angebot, einen Nichtangriffspakt auf 25 Jahre abzuschließen und -einem dringenden Wunsch des Kremls entsprechend- auf die japanische Regierung im Sinne einer Konsolidierung der Beziehungen zur Sowjetunion einzuwirken. In seiner Antwort am 17. August 1939 ließ Molotow anklingen, dass als Gegenleistung für den Abschluss des seit Anfang 1938 verhandelten Kreditabkommens eine verbindliche Absprache über die bilateralen territorialen und sicherheitspolitischen Interessen möglich wäre. Da Deutschland an einer solchen Klärung sehr interessiert war, kam man den sowjetischen Forderungen in beiden Bereichen weitgehend entgegen. So wurde der Sowjetunion ein Kreditrahmen von 200 Millionen Reichsmark (Laufzeit 7 Jahre) im Gegenzug für Rohstofflieferungen in der Höhe von 180 Millionen Reichsmark (innerhalb von zwei Jahren) zugebilligt, was am 19. August 1939 in Berlin ratifiziert wurde. Nach ähnlichen Zugeständnissen im territorialen Bereich kam es bereits am 24. August 1939 zur Unterzeichnung eines deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes durch Ribbentrop und Molotow in Moskau.

Andreas Hillgruber stellt zu dem am 24. August 1939 (datiert auf den 23. August) unterzeichneten Abkommen fest:

„Dieses Vertragswerk stellte für die Beziehungen der Sowjetunion zu Deutschland wie für die internationale Politik eine einschneidende Wendung dar, von der der Verlauf des europäischen Krieges in den nächsten eineinhalb Jahren wesentlich mitgeprägt wurde. Für die Sowjetunion brachte der Paktabschluß mit Deutschland vor allem größere Bewegungsfreiheit und erhöhte strategische Sicherheit. In einem europäischen Krieg, mit dem bei Fortsetzung der Expansionspolitik Hitlers gerechnet werden mußte, würden sich nun Deutschland und die Westmächte gegenüberstehen. Moskau würde in der Hinterhand bleiben. Die Drohung eines Zweifrontenkrieges war entfallen. Nach Lage der Dinge mußte das nunmehr isolierte Inselreich sogar ein Arrangement mit der Sowjetunion suchen. Das Gewicht in der Weltpolitik mußte in dem Maße wachsen, in dem sich die Energien der übrigen europäischen Großmächte in dem von Stalin − wie er Ribbentrop gegenüber am 23. August 1939 offen aussprach − einkalkulierten langen Krieg gegenseitig lähmten. An einer raschen Niederlage Deutschlands hatte Stalin kein Interesse, da sich dann der Einflussbereich der Westmächte wieder bis nach Ostmitteleuropa vorgeschoben hätte. Den sowjetischen Standpunkt faßte er in einer zur Veröffentlichung durch den Reichsaußenminister bestimmten Fassung am 19. Oktober in der Formel zusammen, daß die Sowjetunion „an der Existenz eines starken Deutschlands interessiert ist. Daher kann sich die Sowjetunion nicht damit einverstanden erklären, daß die Westmächte Bedingungen schaffen, die Deutschland schwächen und in eine schwierige Lage bringen könnte.“ (ADAP D. Bd. 8, Dok. 280.)“

Andreas Hillgruber: Der Zweite Weltkrieg, 1939-1945 In: Dietrich Geyer: Osteuropa-Handbuch, Bd. I, Böhlau, Köln 1972, S. 270-342, S. 282f.

Inhalt

Der Pakt sah neben den Nichtangriffsklauseln auch die gegenseitige Neutralität im Kriegsfalle der anderen Partei vor.

In einem geheimen Zusatzprotokoll legten die Länder die Aufteilung Nordost- und Südosteuropas in Interessensphären für den Fall fest, dass es zu einer „territorial-politischen Umgestaltung“ Osteuropas kommen sollte. Die vier Punkte des Zusatzprotokolls sahen dabei Folgendes vor:

  1. Bei den baltischen Staaten (zu denen auch Finnland gerechnet wurde, nicht jedoch Litauen) sollten diese „Interessensphären“ durch die Nordgrenze Litauens abgrenzt werden, das heißt Lettland, Estland und Finnland sollten in der sowjetischen Interessensphäre liegen, Litauen hingegen im deutschen.
  2. Polen sollte längs der Flüsse Narew, Weichsel und San geteilt werden. Die beiden Vertragspartner verständigten sich darauf, dass die Frage „ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und wie dieser Staat abzugrenzen wäre“ erst „im Laufe der weiteren politischen Entwicklung geklärt werden“ könne.
  3. Während die Sowjetunion ihr Interesse an Bessarabien (heute Moldawien und Ukraine) bekundete, betonte die Reichsregierung „das völlige politische Desinteresse an diesen Gebieten.“
  4. Das Zusatzprotokoll sollte von beiden vertragsschließenden Parteien „streng geheim behandelt werden“.

Das überraschend schnelle Vordringen der Wehrmacht nach dem deutschen Angriff auf den Westen Polens vom 1. September 1939 sowie der sowjetische Einmarsch im Osten Polens am 17. September 1939 machten am 28. September 1939 (dem Tag an dem Warschau gegenüber den Deutschen kapitulierte) Zusatzvereinbarungen zum Hitler-Stalin-Pakt notwendig, um eine Interessenkollision zu vermeiden.

Karte vom 28. September 1939 mit den Unterschriften von Stalin und Ribbentrop. Die kleinere Unterschriften Stalins bezeichnen abgestimmte kleinere Veränderungen der Linie.

Diese Vereinbarungen wurden in drei geheimen Zusatzprotokollen zu einem Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag festgelegt. Dabei wurde auch Litauen der sowjetischen Interessensphäre zugeteilt; im Gegenzug erhielten die Deutschen „die Woiwodschaft Lublin und Teile der Woiwodschaft Warschau“. Dies korrigierte die Tatsache, dass aufgrund der großen Eile bei den Verhandlungen zum Hitler-Stalin-Pakt der Fluss Pissa bei der Definition der Teilungslinie vergessen worden war („Geheimes Zusatzprotokoll“ I vom 28. September 1939). Die Vertragsparteien verpflichteten sich des Weiteren darauf, in den beiden Teilen des besetzten Polens „keine polnische Agitation [zu] dulden, die auf die Gebiete des anderen Teiles hinüberwirkt.“ („Geheimes Zusatzprotokoll“ II vom 28. September 1939). Außerdem wurde vereinbart, dass die deutschen Bevölkerungsgruppen aus der sowjetischen Interessensphäre „sofern sie den Wunsch haben“ nach Deutschland umgesiedelt werden durften und dass die dafür Beauftragten der Reichsregierung diese Umsiedlung unter Billigung der Sowjets mit den „zuständigen örtlichen Behörden“ arrangieren würden. Ohne dass die Bevölkerungsgruppen spezifiziert wurden, bezog sich dies vor allem auf Bessarabiendeutsche, Deutsch-Balten und Bukowinadeutsche. Eine sinngemäße Verpflichtung übernahm die Reichsregierung für die in „ihren Interessengebieten ansässigen Personen ukrainischer oder weißrussischer Abstammung“ („Vertrauliches Protokoll“ vom 28. September 1939).

In der Literatur werden Bestimmungen der Zusatzprotokolle des Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags vom 28. September häufig fälschlich als Bestimmungen des ursprünglichen Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August ausgewiesen. Dies gilt insbesondere für die Zuordnung Litauens zur sowjetischen Einflusssphäre und für die vereinbarten Zwangsumsiedlungen.

Zweck des Paktes

Deutschland

Für Hitler bot der Pakt die Möglichkeit der Eroberung Westpolens als Voraussetzung für den Angriff auf die Sowjetunion zur Beseitigung einer als gefährlich angesehenen, weltumspannenden Ideologie und zur Verwirklichung seiner "Lebensraum" -Idee. [2] Dieser Generalplan beruhte allerdings auf der Annahme, dass es zu keinem Eingreifen der Westmächte beim Angriff auf Polen bzw. die Sowjetunion kommen würde. Hitlerweisung im Wehrmachtsführungsstab:[3]

"Vorbereitungen im Westen, die über eine Sicherheitsbesetzung des Westwalls hinausgehen, haben zu unterbleiben. Über die Polenfrage kann und wird es keinen Krieg mit den Westmächten geben. Besprechungen über einen solchen unmöglichen Fall gefährden ganz unnötig die Geheimhaltung und damit die politischen Verhandlungen."

(Siehe auch Hillgruber [4] sowie Hitlers erstaunte Reaktion auf das britische Ultimatum bei Schmidt. [5])

Mit dem britischen Ultimatum war - an rationalen Maßstäben gemessen- Hitlers "Generalplan" obsolet, da der drohende europäische Krieg mit den materiellen und personellen Ressourcen des Landes nicht mehr in Einklang zu bringen war. Was der Zurückweisung des Ultimatums folgte war eine weitgehend von den Umständen diktierte Abfolge von Operationen, die nach anfänglichen Überraschungserfolgen spätestens nach dem Überfall auf die Sowjetunion zwangsläufig zum Desaster führen musste.

Im Zuge dieser (für Hitler) unvorhergesehenen Ausweitung und Verlängerung des Krieges gewannen die wirtschaftlichen Aspekte des Paktes (Rohstofflieferungen) rasch an Bedeutung.

Sowjetunion

Für Stalin bot ein Pakt mit den Westmächten wenig Vorteile. Er hätte die von der Sowjetunion als ungerecht empfundene Nachkriegsordnung festgeschrieben und dafür Sicherheitsgarantien geboten, die Stalin nicht zu benötigen glaubte. Unter schrecklichen Opfern für die Zivilbevölkerung hatte er seine Kriegsindustrie und die Rote Armee in zwei ,Fünfjahresplänen' auf einen personell und materiell allen potentiellen Gegnern weit überlegenen Stand gebracht. [6]. Der Pakt mit Hitler bot ihm nicht nur die Zugriffsmöglichkeit auf die verlorenen Gebiete des russischen Imperiums (Finnland, Baltikum, Ostpolen, Bukowina, Bessarabien), sondern auch die Chance in eine Auseinandersetzung Hitlers mit den Westmächten jederzeit und zu einem selbst gewählten Zeitpunkt einzugreifen und den sowjetischen Machtbereich noch weiter Richtung Westen zu verschieben.

Wenn nun E.H. Carr argumentiert, der Pakt habe „einen Atemraum der Immunität vor deutschem Angriff“ und eine „Verteidigungslinie gegen einen potenziellen deutschen Angriff“ gesichert, [7] so liegt er auf jener auch von der Sowjetunion vertretenen Linie, man habe den Pakt vorwiegend aus Furcht vor Hitler geschlossen. Dieses Furchtargument ist angesichts der Maßnahmen der Dritten Internationale nicht haltbar. Diese Internationale hatte von Stalin am 7.September 1939 folgenden Befehl erhalten: [8]

"Die Kommunisten in den kapitalistischen Ländern müssen sich entschlossen gegen die eigene Regierung und gegen den Krieg stellen."

Dimitroff ordnete deshalb am Folgetag die weltweite Sabotage aller Verteidigungsmaßnahmen gegen Hitler an [9], was sich besonders in Frankreich negativ auf die Verteidigungsbereitschaft des Landes auswirken sollte. Diese massive Unterstützung Hitlers (Pakt, Mitwirkung bei der Zerschlagung Polens mit Schaffung einer gemeinsamen Grenze, Rohstofflieferungen, Sabotage der Kriegsführung der Hitlergegner) macht klar, dass Stalin Hitler weniger als Bedrohung der Sowjetunion, sondern vor allem als Werkzeug zur Zerschlagung bzw. Schwächung der wichtigsten europäischen Demokratien betrachtete. Belege: [10] [11]

Auch der Historiker Werner Maser hält die Behauptung, dass «die Sowjetunion [1939] von Hitler bedroht worden sei, wie Stalin mutmaßte,...(für)... eine Legende, zu deren Urhebern Stalin selbst gehörte» (Maser 1994: 64). Maser zufolge (1994: 42) konnte die Tatsache, dass damals «weder Deutschland noch Japan in der Lage waren, auch nur mit geringster Aussicht auf Erfolg, die UdSSR anzugreifen» Stalin nicht verborgen gewesen sein.

Folgen

Änderung des polnischen Territoriums
Deutschland

Hitler sah sich von der befürchteten Einkreisung und Lähmung befreit und schlug gegen Polen los, musste allerdings zur Kenntnis nehmen, dass die Westmächte doch zu ihren Verpflichtungen gegenüber Polen standen. Für Deutschland gewann nun die Neutralität der Sowjetunion und die Lieferung kriegswichtiger Güter schlagartig an Bedeutung. So zeigen die britischen Historiker Milward und Medicott auf, dass das nationalsozialistische Deutschland - im Gegensatz zum kaiserlichen Deutschland - kriegswirtschaftlich nur für einen zeitlich eng befristeten „Blitzkrieg“ vorbereitet war. [12] Gemäß ihrer mit A. Hillgruber übereinstimmenden Meinung [13] wäre die deutsche Kriegswirtschaft Ende 1940 zusammengebrochen. [14] Doch die Sowjetunion hielt die vertraglichen Verpflichtungen bezüglich Warenlieferungen an Deutschland weitgehend ein, im Frühjahr 1941 wurden Zusatzlieferungen vereinbart.

Sowjetunion

Offensichtlich um den Eindruck einer Komplizenschaft mit Hitler zu vermeiden begann die Sowjetunion mit ihrem Angriff auf Polen erst am 17.September, wobei der Schutz ethnischer Minderheiten in Ostpolen als Vorwand genommen wurde. Nach Ende des gemeinsamen Feldzuges wurde am 8.Oktober 1939 in Brest-Litowsk die 4.Teilung Polens durch Vertrag besiegelt und die Westgrenze der UdSSR an die Demarkationslinie vorverlegt.

Am 26. Juni 1940, also unmittelbar nach Ende des erfolgreichen deutschen Westfeldzuges besetzte die Sowjetunion das nach dem 1.Weltkrieg an Rumänien verlorene Bessarabien ,okkupierte zusätzlich auch den Nordteil der Bukowina und gliederte diese Gebiete der Ukrainische SSR ein. Auch die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen wurden zu dieser Zeit besetzt und als Sowjetrepubliken einverleibt. Lediglich Finnland weigerte sich, den Sowjets Gebiete abzutreten und der Roten Armee Stützpunktrechte einzuräumen, was im November 1939 zum Winterkrieg führte. Dieser für die Rote Armee zunächst wenig erfolgreiche Winterkrieg wird gerne als Nachweis dafür genommen, dass die sowjetischen Streitkräfte durch die Säuberungen des Jahres 1937 entscheidend geschwächt worden waren. Tatsächlich waren die anfänglichen Rückschläge auf eine Fehlkalkulation der politischen Führung zurückzuführen. Man hatte, mit keinem militärischen Widerstand rechnend, zunächst nur Kräfte zu Demonstrationszwecken bereitstellen lassen, die bezüglich Ausrüstung und Bekleidung auf keine Winterkriegsführung in den karelischen Wäldern vorbereitet waren.[15]

Datei:Kukryniksy-razgromim.jpg
Hitler zerfetzt den Nicht-Angriffspakt, 1941 Poster von Kukryniksy.

Weiters nutzte Stalin den Pakt um gegen Japan loszuschlagen. In einer militärisch brillanten Blitzkriegsaktion zerschlug der spätere Marschall Schukow im September 1939 in der Mandschurei die japanische 6.Armee, was die militärische Weltmacht Japan unverzüglich an den Verhandlungstisch brachte und die Anhänger eines Krieges gegen die Sowjetunion entscheidend schwächte.[16] Für Schukow stellte dieser Sieg das Sprungbrett zum Generalstabschef dar, seine kompromisslose Angriffsdoktrin wurde nun endgültig zum Dogma der Roten Armee. Diese erfolgreiche Operation kann auch als Nachweis dafür gelten, dass die Schwächung der Roten Armee durch die Säuberungen des Jahres 1937 keineswegs so einschneidend war, wie dies beispielsweise Glantz [17] in Gleichklang mit der poststalinistischen sowjetischen Geschichtsschreibung behauptet.

Polen

General Władysław Sikorski, Chef der polnischen Exilregierung, hatte aus exilierten Polen mehrere Divisionen unter britischer Flagge rekrutiert. Weitere polnische Verbände in der Stärke von 25.000 Mann wurden auf sowjetischer Seite formiert und kamen im Zuge des Sikorski-Majski-Abkommens ebenfalls auf britischer Seite zum Einsatz. Die Forderung der Exilregierung Polen in seinen alten Grenzen wieder erstehen zu lassen wurde von der britischen Regierung unterstützt, stiess jedoch auf massive Ablehnung des Kreml. Als Sikorskis überdies darauf drängte das Massakers von Katyn aufzuklären, dem neben Massakern an anderen Orten so gut wie alle polnischen Offiziere in sowjetischer Gefangenschaft zum Opfer gefallen waren, brach der Kreml die diplomatischen Beziehungen zur Exilregierung ab. 1944 wurde eine nach Moskau entsendete Regierungsdelegation ermordet, stattdessen wurde mit dem moskautreuen Lubliner Komitee eine Gegenregierung gebildet. Zuletzt machte noch die mangelnde Unterstützung des von der Polnischen Heimatarmee geführten Warschauer Aufstandes unter General "Bór" Komorowski die Entschlossenheit Moskaus deutlich, keinen von der Exilregierung anerkannten Organisationen Hilfestellung zu leisten und an der mit Hitler vereinbarten Grenzziehung festzuhalten. Großbritannien gab dem Druck Moskaus auf Drängen der USA nach und entzog der Londoner Exilregierung am 6.Juli 1945 die Anerkennung. Als Ausgleich für die verlorenen Ostgebiete erhielt Polen Territorien des ehemaligen Deutschen Reiches (Westverschiebung Polens).

Baltikum

In Rahmen der Okkupation Lettlands, Estlands und Litauens durch die Sowjetunion kam es zu Massendeportationen und -tötungen kam, und Millionen russischsprachiger Siedler einwanderten[18].

Westalliierte

Bei vielen Kommunisten in Westeuropa (aber nicht nur bei diesen) löste die Nachricht vom Abschluss des Paktes und der Wende in der sowjetischen Außenpolitik Erstaunen und Verunsicherung aus. Die Weisungen der Kommunistischen Internationale, die neben der Sabotage der Kriegsführung des eigenen Landes auch die Lösung aller Bindungen zu sozialistischen Parteien forderte, verstärkten das Unbehagen und lösten Kritik auch von Freunden der Sowjetunion aus.[19]

Nicht weniger betroffen waren die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs, da der Pakt die Kriegsgefahr wesentlich erhöhte. Um gegenüber Deutschland Entschlossenheit zu demonstrieren wurde am 25. August 1939 ein Britisch-Polnischer-Beistandspakt abgeschlossen, der die bereits am 31.März 1939 im britischen Unterhaus abgegebene Beistandsverpflichtung Chamberlains bekräftigte. [20]

Japan

Japan hatte mit Deutschland am 25.November 1936 den Antikominternpakt abgeschlossen, der neben laufenden Konsultationen bezüglich der Aktivitäten der Kommunistischen Internationale (KOMINTERN) eine geheime Neutralitätsverpflichtung im Falle eines Angriffes der Sowjetunion enthielt. Der Abschluss des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspaktes erfolgte ohne vorherige Konsultationen mit Japan und verstiess damit sowohl gegen den Buchstaben als auch gegen den Geist dieses Vertrages, was in Japan als so schwerwiegend empfunden wurde, dass sich das prodeutsche Hiranuma-Kabinett genötigt sah am 27.August 1939 zu demissionieren.[21] Der russische Militärschlag in der Mandschurei wurde -nachvollziehbar- als Folge des Deutsch-Sowjetischen Paktes gesehen, wodurch die seit 1938 laufenden Verhandlungen über ein Militärbündnis mit Deutschland einen Rückschlag erlitten.

Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 erlosch der Vertrag.

Nach 1945

Die Existenz der Zusatzprotokolle zum Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt wurden von der Sowjetunion 50 Jahre lang geleugnet. Als Michail Gorbatschow im Jahr 1989 einen Untersuchungsausschuss unter der Leitung seines Vertrauten Alexander Jakowlew einsetzte, wurden das entsprechende Dokument allerdings rasch gefunden. Am 24. Dezember 1989 erklärte der Volksdeputiertenkongress - durch eine Mehrheit am Votum - der UdSSR den Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt und seine Zusatzprotokolle ex tunc für rechtswidrig.

Die Deutungen des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes und des geheimen Zusatzprotokolls durch die Historiker gehen bis heute weit auseinander.

In Polen wird nicht nur die Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft durch die Rote Armee gesehen, sondern auch die Auffassung vertreten, dass Polen am 17. September 1939 als erstes Opfer des Paktes von der Sowjetunion trotz des Nichtangriffspaktes von 1932 überfallen worden sei. In der baltischen Geschichtsschreibung wird hervorgehoben, dass in der Folge des Paktes Lettland, Estland und Litauen durch die Sowjetunion okkupiert wurden, es zu Massendeportationen und -tötungen kam, und Millionen russischsprachiger Siedler einwanderten[22].

Quellen

  1. Churchill: Der zweite Weltkrieg (Bern 1954)135
  2. Adolf Hitler: Zweites Buch., S. 159
  3. Loßberg: 27
  4. Hillgruber:Hitlers Strategie.40
  5. Paul Schmidt:Statist auf diplomatischer Bühne (Bonn 1949)73 f. Schmidt las Hitler am 3.September 1939 das britische Ultimatum vor.
  6. Hildermeier.Geschichte Sowjetunion.472
  7. Carr, Edward H., German-Soviet Relations between the Two World Wars, 1919-1939, Oxford 1952, p. 136.
  8. Dimitroff: Tagebücher. Bd.2 / 273
  9. Dimitroff: Tagebücher. Bd.2 / 274, 275
  10. Maimann:Wartesaal.62
  11. Dimitroff: Tagebücher. Bd.2 / 274, 275
  12. Milward: German Economy at War. London 1965, S. 2-18; Medicott: The Economic Blockade. Vol I, London 1952, S. 47-48.
  13. Hillgruber, Germany at two World Wars. Harvard University Press, 1981, p. 75
  14. Hillgruber, Hitlers Strategie. Politik und Kriegsführung 1940 – 1941. Frankfurt am Main, 1965. S. 667-671
  15. Condon Richard: The winter war. Russia against Finland (London 1972)
  16. Alvon Coox: Nomonhan. Japan against Russia (Stanford 1990)
  17. David Glantz: Stumbling Colossus. The Red Army on the eve of World War (Kansas 1998)
  18. Jürgen Zarusky: Debatten um den Hitler-Stalin-Pakt, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 2, April 2005, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München, S.331ff.
  19. Victor Gollancz, John Strachey, George Orwell, Harold Laski (Herausgeber und Mitarbeiter): The Betrayal of the Left. An Examination and Refutation of Communist Policy from October 1939 to January 1941: With Suggestions for an Alternative and an Epilogue on Political Morality, London 1941.
  20. Churchill: Der zweite Weltkrieg (Bern 1954) 133
  21. Bernd Martin:Deutschland und Japan im zweiten Weltkrieg 1949-1945.17
  22. Jürgen Zarusky: Debatten um den Hitler-Stalin-Pakt, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 2, April 2005, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München, S.331ff.

Literatur

  • Bernhard Bayerlein (Hg.) Georgi Dimitroff. Tagebücher 1933 - 1943 2 Bände Aufbau-Verlag (Berlin 2000) ISBN 3-351-02510-6
  • Andreas Hillgruber: Hitlers Strategie. Politik und Kriegsführung 1940-1941 (München 1982)
  • Bernhard Loßberg: Im Wehrmachtsführungsstab. Bericht eines Generalstabsoffiziers (Hamburg 1950)
  • Manfred Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1917-1991 (München 1998)
  • Gerhard Bisovsky, Hans Schafranek, Robert Streibel: Der Hitler-Stalin-Pakt. Voraussetzungen, Hintergründe, Auswirkungen. Wien 1990.
  • Walter Hofer: Die Entfesselung des zweiten Weltkrieges. Fischer, Frankfurt am Main 1960.
  • Jan Lipinsky: Das Geheime Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom 23. August 1939 und seine Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von 1939 bis 1999. (Europäische Hochschulschriften, Reihe III, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften. Bd. 991) Lang, Frankfurt am Main, 2004, ISBN 3-631-52322-X.
  • Werner Maser Der Wortbruch: Hitler, Stalin und der Zweite Weltkrieg. München: Olzog 1994.
  • Donald O'Sullivan: Stalins „Cordon sanitaire“. Die sowjetische Osteuropapolitik und die Reaktionen des Westens 1939 – 1949. Schöningh, Paderborn 2003, ISBN 3-506-70142-8
  • Hans Schafranek: Zwischen NKWD und Gestapo. Die Auslieferung deutscher und österreichischer Antifaschisten aus der Sowjetunion an Nazideutschland 1937 - 1941. Frankfurt a.M. 1990.
  • Helene Maimann: Politik im Wartesaal. Österreichische Exilpolitik in Großbritannien 1938 bis 1945 (Wien 1975)
  • Heinrich Schwendemann: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion von 1939 bis 1941. In: Alternative zu Hitlers Ostprogramm ? Akademie-Verlag, Berlin 1993. (Dissertation 1991).
  • In der kostenlosen bibliographischen Datenbank RussGUS werden zum Hitler-Stalin-Pakt mehrere hundert Publikationen nachgewiesen (Formularsuche / Sachnotationen / 12.3.4.5.2.3.2 ).

Siehe auch