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Alfred Hitchcock

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Alfred Hitchcock (1956)

Sir Alfred Joseph Hitchcock KBE (* 13. August 1899 in London; † 29. April 1980 in Los Angeles) war ein Filmregisseur und Filmproduzent britischer Herkunft. 1939 übersiedelte er in die USA, am 20. April 1955 nahm er zusätzlich die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an.

In seiner mehr als 50 Jahre dauernden Karriere hat es Hitchcock mit einem Gesamtwerk von 53 Spielfilmen und einer Fernsehserie, die seinen Namen trug, zu großem internationalen Ruhm gebracht. Er war einer der innovativsten, stilbildendsten und einflussreichsten Spielfilmregisseure überhaupt und inspirierte auf Jahrzehnte hinaus die Filme seiner Kollegen. Noch heute gilt er nicht nur als einer der weltweit bekanntesten Filmregisseure, sondern darüber hinaus, auch dank seines Talents zur Selbstvermarktung, als eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte überhaupt.

Obwohl er sich in seiner Karriere in verschiedenen Genres versuchte und seine Filme Spannung meist mit Humor verbinden, assoziiert man mit dem Namen Hitchcock hauptsächlich Mord, Spannung und Nervenkitzel. Das hat ihm den inoffiziellen Titel des „Master of Suspense“ eingebracht. In vielen seiner Filme erzählte Hitchcock in immer neuen Varianten die Geschichte des unbedarften Durchschnittsbürgers, der aus seinem Alltagsleben gerissen und in gefährliche Abenteuer oder mörderische Intrigen verwickelt wird.

Einige seiner berühmtesten Filme sind Die 39 Stufen (1935), Rebecca (1940), Berüchtigt (1946), Bei Anruf Mord (1954), Das Fenster zum Hof (1954), Über den Dächern von Nizza (1955), Der Mann, der zuviel wusste (1934/1956), Der unsichtbare Dritte (1959), Psycho (1960), Die Vögel (1963) und Frenzy (1972).

Leben und Werk

1899–1925: Kindheit, Jugend und Ausbildung

Kindheit und Jugend in London

Alfred Hitchcock wurde am 13. August 1899 in Leytonstone, London, als jüngster Sohn des Gemüsehändlers William Hitchcock und dessen Frau Emma Jane Hitchcock, Tochter eines irischstämmigen Polizisten, geboren. Durch den Altersunterschied von sieben bzw. neun Jahren zu seinen Geschwistern, durch seine römisch-katholische Erziehung in einem protestantisch geprägten Land und nicht zuletzt durch sein Äußeres – er war klein und schon als Kind korpulent – hatte er eine einsame Kindheit. Seine Freizeit verbrachte er vor allem mit dem Lesen von Fahrplänen. Zwischen 1910 und 1913 besuchte er drei Jahre lang das St.-Ignatius-College, eine Londoner Jesuiten-Schule, die für ihre strenge Erziehung gefürchtet war.[1] Hitchcock flüchtete in Romane, besuchte Theatervorstellungen und ging ins Kino. Er verfolgte Mordprozesse im Old-Bailey-Gerichtshof und besuchte gerne das Black Museum von Scotland Yard.

Mit knapp 14 Jahren verließ er das St.-Ignatius-College. Er besuchte Abendkurse auf der Londoner Universität und diverse Handwerkskurse. Im Dezember 1914 starb sein Vater, zu dem er kein enges Verhältnis hatte. Von nun an war seine Mutter für mehrere Jahre die einzige Bezugsperson in seinem Leben. Hitchcock verließ die Schule und besuchte für wenige Monate die School of Engineering and Navigation, und er belegte Kurse in Technischem Zeichnen an der Londoner Kunstakademie. Im Frühjahr 1915 nahm Hitchcock eine Stelle als Technischer Angestellter bei der W. T. Henley Telegraph Company an, die elektrische Leitungen herstellte. Die Arbeit langweilte ihn derart, dass er sich wieder in Abendkursen weiterbildete und Kunstgeschichte lernte. Er begann zu zeichnen und wurde daraufhin bei Henley in die Werbeabteilung versetzt.

Er ging oft ins Theater und noch öfter ins Kino, wobei ihn dort vor allem deutsche, französische und US-amerikanische Filme interessierten. Er war von den Werken von und mit Fritz Lang, Charlie Chaplin, Buster Keaton, Douglas Fairbanks sen., Mary Pickford und insbesondere den Filmen von D. W. Griffith beeindruckt. Er begann, sich für die technische Seite der Filmproduktion zu interessieren, für Bildgestaltung, Kameraarbeit und Beleuchtung und er las amerikanische Film-Fachzeitschriften, wie Motion Picture Herald, Bioscope oder Kinematograph Lantern Weekly. Er las in dieser Zeit auch viele Romane, vor allem Detektivromane von G. K. Chesterton und John Buchan – und er entdeckte Edgar Allan Poe und Gustave Flaubert. Beeinflusst wurde Hitchcocks späteres Schaffen dabei insbesondere von Chesterton, der mit ihm die katholische Prägung gemeinsam hatte, und von der Art und Weise, wie Poe sich in seinen Geschichten dem Thema Angst näherte.

Im Juni 1919 erschien in der Betriebszeitschrift von Henley eine von Hitchcock geschriebene Kurzgeschichte mit dem Titel „GAS“, in der ein albtraumhafter Zahnarztbesuch beschrieben wird. Unterschrieben war die Geschichte mit „Hitch“ – diesen Spitznamen behielt Hitchcock bis zum Ende seines Lebens.

Erste Schritte im Filmgeschäft – Hitchcock als Titelzeichner und ein erster Regie-Versuch

Im Frühjahr 1920 hörte Hitchcock von der Neugründung eines Studios der amerikanischen Produktionsgesellschaft Paramount Famous Players-Lasky im Londoner Stadtbezirk Islington. Er bewarb sich mit einer Mappe voller Illustrationen für einen geplanten Film, der allerdings nie gedreht wurde. Auf Teilzeitbasis zeichnete er Entwürfe für weitere Filme, und bald darauf wurde er als Zeichner von Zwischentiteln angestellt. In den Jahren 1921 und 1922 zeichnete er die Titel für mindestens zwölf Filme. Er half aus, wo er konnte, und übernahm freiwillig weitere Aufgaben: Er entwarf Kostüme, Dekorationen und Szenenbilder und schrieb Drehbücher um. Dabei machte er durch seinen Eifer auf sich aufmerksam.

Handwerklich wurde er vor allem von dem US-amerikanische Regisseur George Fitzmaurice beeinflusst, der in dieser Zeit zwei Filme in Islington drehte. Dessen damalige Arbeitsweise entsprach in vielen Details derjenigen, die für Hitchcock später typisch wurde. Fitzmaurice benutzte schon damals Storyboards und er pflegte seine Filme so akribisch und detailliert vorzubereiten, wie es später auch Hitchcock tat.[2] Außerdem profitierte Hitchcock davon, dass Famous Players-Lasky als amerikanisches Studio vor allem mit jungen und talentierten amerikanischen Mitarbeitern, Drehbuchautoren oder Cuttern, arbeitete, so dass Hitchcock schon früh eine Affinität zur Hollywood-Arbeitsweise ausbilden konnte.[3]

Als 1923 der Regisseur des Films Always Tell Your Wife gefeuert wurde, bat man Hitchcock, zusammen mit dem Autoren Seymour Hicks die wenigen fehlenden Szenen zu drehen. Nach dieser Feuerprobe war Hitchcock reif für seine erste Regiearbeit. Der Film Number 13 blieb jedoch aufgrund akuter finanzieller Schwierigkeiten des Studios unvollendet.

Förderung durch Michael Balcon – Hitchcock als Produktionsleiter

Anfang 1923 mietete der Produzent Michael Balcon, der mit Victor Saville und John Freedman die Produktionsfirma Balcon-Saville-Freedman gegründet hatte, das leerstehende Studio in Islington. Hitchcock wurde als Regieassistent eingestellt und bekam darüber hinaus die Gelegenheit, für den Film Weib gegen Weib des Regisseurs Graham Cutts am Drehbuch mitzuwirken und als Ausstatter zu arbeiten. Balcon stellte auf Hitchcocks Vermittlung dessen spätere Frau, die Cutterin Alma Reville an. Hitchcock und Reville kannten sich seit 1921, sie arbeiteten gelegentlich an denselben Filmen. Bis dahin hatte es jedoch keinerlei private Kontakte gegeben.

Bis 1925 entstanden vier weitere Filme mit Hitchcock als Assistent von Graham Cutts, bei denen Hitchcock zu Cutts’ wachsendem Unmut mehr und mehr Aufgaben übernahm. Er kümmerte sich neben dem Drehbuch um die Bauten, das Szenenbild, die Besetzung, die Kostüme und die Ausstattung und war schließlich so etwas wie der Produktionsleiter bei den Dreharbeiten. Alma Reville wurde dabei zu seiner engsten Mitarbeiterin. 1924 machte sich Michael Balcon als Produzent selbständig, erwarb die zuvor angemieteten Studios von Islington und gründete die Produktionsfirma Gainsborough Pictures, die anschließend die weiteren Filme, bei denen Hitchcock für Balcon arbeitete, produzierte.

Zusammentreffen mit Murnau und die London Film Society

Mitentscheidend für Hitchcocks weiteres künstlerisches Schaffen war 1924/25 ein mehrmonatiger Aufenthalt in Deutschland. In einer englisch-deutschen Co-Produktion entstand Die Prinzessin und der Geiger, ein mit vorwiegend deutschen Schauspielern unter der Beteiligung der deutschen Ufa gedrehte Film. In den Babelsberger Filmstudios – zu dem Zeitpunkt die modernsten der Welt – fand Hitchcock die Zeit, neben seinen üblichen Aufgaben als Ausstatter und Assistent von Graham Cutts den deutschen Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau bei den Arbeiten an Der letzte Mann zu beobachten und übernahm bereits für die Szenenbilder von Die Prinzessin und der Geiger einige von dessen Techniken. Hitchcock erfuhr in dieser Zeit viel über die Gestaltung des Bildes durch Licht und Schatten, über den Umgang mit Perspektive und über Spannungsaufbau. Er lernte, Geschichten über die Kraft der Bilder zu erzählen, und diese Erfahrungen prägten sein späteres Schaffen als eigenständiger Regisseur.

Ab 1925 gab es regelmäßige Treffen der London Film Society, bei denen Literaten, Filmschaffende und Filmkritiker zusammenkamen, um über das aufstrebende Medium Film zu sprechen, das zu diesem Zeitpunkt in England langsam als Kunstform anerkannt wurde. Hitchcock traf dort auf wichtige und einflussreiche Persönlicheiten, unter anderem George Bernard Shaw und H. G. Wells. Mit vielen Mitgliedern sollte Hitchcock in den kommenden Jahrzehnten persönlich zu tun bekommen, zum Beispiel mit dem Filmkritiker Ivor Montagu, dem Cutter Angus McPhail, dem Verleiher und Theaterbesitzer Sidney Bernstein oder dem Kritiker Walter Mycroft. Die London Film Society kritisierte vehement den erbärmlichen Zustand des britischen Kinos zu dieser Zeit, der schon an einen nationale Schande grenzte. Dies bertraf die Qualität der Filme insgesamt, die wenig ansprechenden Geschichten, die als konventionell, sentimental und unbeholfen beschrieben wurden, aber auch das Unvermögen der Finanziers. Das Publikum kehrte den britischen Produktionen den Rücken, alleine schon der Name eines amerikanischen Regisseurs auf dem Kinoplakat war dagegen ein Garant für volle Säle.[4]

1925–1939: Hitchcock als Regisseur in England

Erste Erfolge als Stummfilmregisseur – Hochzeit mit Alma Reville

Nach dem Ende der Zusammenarbeit mit Graham Cutts stand Hitchcock am Scheideweg: In den 1920er-Jahren war der Film ein aufstebendes Medium, das zugleich noch wenig festgefügte Strukturen hatte. Es befand sich in einem Stadium permanenter starker Veränderungen und Entwicklungen. Hitchcock hatte dies genutzt und als ursprünglich unerfahrener Neuling innerhalb weniger Jahre auf unterschiedlichsten Feldern der Filmproduktion Erfahrungen gesammelt. Und er hatte in Michael Balcon einen Förderer gefunden, der ihm ermöglichte, seine Fähigkeiten zu entwickeln und auf sich aufmerkam zu machen. Der nächste Schritt war folgerichtig: 1925 übertrug Michael Balcon Alfred Hitchcock die Regie für einen eigenen Film.

Da für den Film eines unbekannten Regie-Debütanten in England kein Geldgeber gefunden werden konnte, wurde er von der deutschen Münchner Lichtspielkunst (Emelka) co-produziert und Hitchcock zu den Dreharbeiten nach Deutschland geschickt. Dort drehte er im Sommer 1925 mit dem Melodram Irrgarten der Leidenschaft seinen ersten vollendeten Stummfilm. Drehbuchautor war Elliot Stannard, der bis 1928 die Bücher zu sieben von Hitchcocks insgesamt neun Stummfilmen schrieb. Den kleinen Stab bildeten vor allem Hitchcock, der sich neben der Regie um viele Kleinigkeiten kümmern musste und Alma Reville, die als Hitchcocks Assistentin und als Cutterin arbeitete, sowie ein Kameramann. Aus Hollywood wurden aktuelle Stars verpflichtet. Die Innenaufnahmen fanden in den Münchener Emelka-Studios statt und die Außenaufnahmen in Italien. Die Dreharbeiten spiegelten Hitchcocks Unerfahrenheit wider und verliefen holprig. Der fertig gedrehte Film wurde vom Hitchcock und Alma Reville am Ende noch einmal komplett neu geschnitten.

Hitchcocks zweiter Film Der Bergadler wurde ebenfalls 1925 in deutsch-englischer Co-Produktion gedreht, für die Außenaufnahmen reiste das Team nach Österreich. Beide Filme wurden von der britischen Verleihgesellschaft abgelehnt und in England vorerst nicht öffentlich aufgeführt. Sein dritte Film, Der Mieter, wurde 1926 gedreht. In der düsteren, visuell stark vom Expressionismus im Stile Murnaus beeinflussten Kriminalgeschichte um einen einzelgängerischen Pensionsgast, der verdächtigt wird, ein Serienmörder zu sein, hatte Hitchcock bereits sein Thema gefunden. Er selbst bezeichnete später Der Mieter als den Film, in dem er erstmals „seinen Stil“ verwendet hat, als seinen eigentlich ersten Film.[5]. Auch mit diesem Film war der Verleih nicht einverstanden und legte ihn auf Eis. Erst nach kleineren Überarbeitungen kam er, in kurzer Reihenfolge zusammen mit Irrgarten der Leidenschaft und Der Bergadler 1927 heraus. Irrgarten der Leidenschaft, vor allem aber Der Mieter waren Publikumserfolge, fanden begeisterte Anerkennung bei der Kritik und bedeuteten für Hitchcock den Durchbruch als Regisseur. Der Bergadler ist dagegen der einzige Hitchcockfilm, der heute nicht mehr verfügbar ist, er gilt als verschollen.

Alfred Hitchcock und Alma Reville heirateten im Dezember 1926. Beruflich und künstlerisch spielte Alma in Hitchcocks Leben bis zu seinem Tod im Jahr 1980 eine sehr wichtige Rolle. Sie wirkte bis 1949 an den Drehbüchern von 16 seiner Filme mit und war danach weiterhin Hitchcocks engste Beraterin. Hitchcock schätzte bis zum Schluss in künstlerischer Sicht niemandens Meinung so hoch wie die seiner Frau.[6] 1928 wurde ihre gemeinsame Tochter Patricia geboren, die später in drei Filmen ihres Vaters in Nebenrollen zu sehen sein sollte.

Für Balcons Gainsborough Pictures drehte Hitchcock 1927 noch zwei weitere Filme, die Melodramen Downhill und Easy Virtue. Bereits zuvor beschloss er, bei deutlich höherem Gehalt zur neu gegründeten Firma British International Pictures (BIP) des Produzenten John Maxwell zu wechseln.

Probleme der britischen Filmindustrie Ende der 1920er Jahre – Hitchcock bei British International Pictures

Die Britische Filmindustrie befand sich 1927 auf einem Tiefpunkt. Der Londoner Stadtrat sah das Filmgeschäft auf dem Weg in den Untergang. Das britische Parlament beschloss den Cinematograph Films Act, wonach Produzenten und Verleiher einen jährlich wachsenden Anteil britischer Produktionen in die Kinos bringen mussten. Die Folgen dieses Gesetzes waren fatal: Einerseits sicherten schnell und billig heruntergedrehte sogenannte „Quota Quickies“ die geforderte Quote, andererseits überschwemmten eilig importierte US-amerikanische Regisseure und Schauspieler dem britischen Markt, um hier „britische“ Filme zu drehen.[7]

Unter diesen Vorzeichen und angesichts zweier wenig erfolgreicher zuletzt gedrehter Filme wechselte Hitchcock nun zu British International Pictures. Sein erster Film für BIP, Der Weltmeister, war gleichzeitig auch sein erster Film nach einem Originaldrehbuch und wurde von der Presse hoch gelobt. Es folgten drei Stummfilme, die Hitchcock eher auf Veranlassung der Produktionsgesellschaft als aus eigenem Interesse drehte. Er nutzte The Farmer’s Wife, Champagne und Der Mann von der Insel Man hauptsächlich als Fingerübungen, bei denen lediglich in einzelnen Szenen seine eigene Handschrift erkennbar ist. Dennoch hatte sich Hitchcock in Großbritannien innerhalb kurzer Zeit einen Namen gemacht, seine Filme waren kommerziell erfolgreich und bei den Kritikern beliebt. Die junge britische Filmindustrie, stark darauf bedacht, sich von der amerikanischen abzuheben, war gerne bereit, ihn als aufkommenden Regiestar zu feiern.

Der erste britische Tonfilm

Mit Erpressung (1929), dem ersten britischen Tonfilm, kehrte Hitchcock wieder zum Thriller zurück. Das Drehbuch schrieb er selbst nach einem Theaterstück von Charles Bennett, der wenig später für mehrere von Hitchcocks englischen Erfolgsfilmen die Drehbücher schreiben sollte. Viele Regisseure konnten mit dem Aufkommen des Tonfilms nichts anfangen, sie hielten ihn für das Ende des künstlerischen Films. Nicht so Hitchcock: Die neu aufgekommene Verbindung der beiden Medien weckte seinen Spieltrieb, und er erkannte früh das Potenzial und die Möglichkeiten, die der Ton dem Film bot. Erpressung wurde ursprünglich als Stummfilm gedreht, die Produzenten erlaubten Hitchcock jedoch, nachträglich eine Filmrolle mit Tonmaterial zu drehen, was Hitchcock insbesondere dazu nutzte, einzelne Schlüsselszenen, nun mit gesprochenem Dialog oder mit entsprechenden Toneffekten, neu zu konzipieren. Die polnische Stummfilmschauspielerin Anny Ondra ließ Hitchcock ihre Dialoge sogar stumm spielen und sie neben der Kamera von der englischen Schauspielerin Joan Barry simultan synchronisieren.

Erpressung wurde zu einem großen Erfolg, Hitchcocks Name war in aller Munde. Da er jedoch vertraglich noch gebunden war, konnte er sich seine Stoffe nicht selbst aussuchen und musste weiter vorwiegend Auftragsfilme drehen. Der Erfolg seiner Filme führte jedoch dazu, dass er selbst populär wurde und so gründete Hitchcock die Hitchcock Baker Prod., eine Gesellschaft zur Vermarktung seiner Person und stellte einen Finanzberater ein.

Weitere Auftragsproduktionen – Erste Unzufriedenheit in England

Hitchcock musste 1930 mit Juno and the Paycock einen weiteren von der Produktionsgesellschaft verordneten Film drehen und wurde sogar dazu verpflichtet, einige Szenen zum Musikrevuefilm Elstree Calling beizutragen. Erst mit Mord – Sir John greift ein! fand er wieder sein Thema. Wie viele der frühen Tonfilme wurde auch Mord – Sir John greift ein! in verschiedenen Sprachversionen mit unterschiedlichen Schauspielern gedreht. Hitchcock reiste dazu nach Berlin und inszenierte den Film unter dem Titel Mary ein zweites Mal mit deutschen Schauspielern. Es folgten drei weitere Filme, von denen Hitchcock nur die Komödie Endlich sind wir reich wirklich interessierte, in der Alfred und Alma, die beide am Drehbuch mitschrieben, unter anderem Erfahrungen ihrer noch jungen Ehe verarbeiteten. Nur widerwillig dagegen drehte er das Sozialdrama Bis aufs Messer und den als Thriller geplanten Nummer siebzehn. Aus Protest gegen seine Auftraggeber beschloss Hitchcock, das ihm aufgezwungene Projekt zu sabotieren und letzteren zu einer wirren, albernen Parodie eines Thrillers zu machen, wobei die turbulente Verbindung zwischen Humor und Spannung Nummer siebzehn aus heutiger Sicht als einen Vorläufer späterer Klassiker erscheinen lässt.

Nach einem Einsatz für BIP als Produzent (Lord Camber’s Ladies) und sechs insgesamt unbefriedigenden Jahren endete Hitchcocks Vertrag mit British International Pictures. Die meisten der Filme, die Hitchcock für John Maxwells Produktionsgesellschaft gedreht hatte, waren Auftragsarbeiten gewesen, die ihm vom Produzenten und dessen Produktionsleiter, dem früheren Filmkritiker Walter Mycroft aufgedrängt worden waren. Er hatte keinerlei Interesse daran gehabt, weil ihn die Stoffe nicht interessierten und sie keine Herausforderungen für seine kinematographischen Vorstellungen darstellten. Die Zusammenarbeit hatte zudem zunehmend unter Einmischungen und Bevormundungen und daraus entstehenden persönlichen Abneigungen gelitten.

Die Blütezeit des britischen Vorkriegskinos

Nach dem Auslaufen des Vertrags mit British International Pictures unternahm Hitchcock 1934 für den unabhängigen Produzenten Tom Arnold einen Abstecher in das Genre des Musicals, bevor er die fruchtbare Zusammenarbeit mit Michael Balcon wieder aufnehmen konnte, der seine Firma mittlerweile mit Gaumont British, der englische Niederlassung der französischen Produktionsfirma Gaumont verbunden hatte. In den nächsten Jahren entstanden hintereinander sechs erfolgreiche und für das Filmvokabular Hitchcocks außerordentlich bedeutende Thriller: Der Mann, der zuviel wußte (1934), Die 39 Stufen (1935), Geheimagent (1936), Sabotage (1936), Jung und unschuldig (1937) und Eine Dame verschwindet (1938).

Der Thriller Der Mann, der zuviel wußte wurde von Kritik und Publikum enthusiastisch aufgenommen. Das Drehbuch erarbeiteten im Wesentlichen Hitchcock, seine Frau Alma und der Drehbuchautor Charles Bennett. Bei der Drehbucharbeit traf Hitchcock Angus McPhail wieder, den er zehn Jahre zuvor in der London Film Society kennen gelernt hatte. McPhail war es, der den Begriff des MacGuffin als handlungsvorantreibendes Element erstmals verwendete. Hitchcock übernahm den Begriff umgehend und wird seither als Erfinder des MacGuffin angesehen. Der Film wird von vielen heute immer noch höher geschätzt, als Hitchcocks eigenes amerikanisches Remake von 1956. Die 39 Stufen wirkt als leichter, spannender Film um einen zu Unrecht verdächtigten und gejagten Mann wie eine Blaupause späterer Meisterwerke, erreichte den Erfolg des Vorgängerfilms mühelos und wird heute häufig als der beste britische Hitchcock-Film angesehen. Bei diesem Film schuf Hitchcock mit seinem Co-Autor Charles Bennett erstmals ein Drehbuch, das in seiner ersten Fassung völlig auf Dialoge verzichtete und lediglich eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Szenen enthielt. Diese Szenen waren abgeschlossene Kurzgeschichten, die dann zu einer Art Episodenfilm zusammengefügt wurden, verbunden durch eine im Grunde unwichtige bzw. austauschbare Rahmenhandlung, nämlich der Flucht vor der Polizei und der Suche nach den ominösen „39 Stufen“. Zwischen diesen „Mini-Spielfilmen“ gab es keine Überleitungen und keine Pausen. Hitchcock opferte, wie er sagte, alles der Schnelligkeit und ließ eine Idee unmittelbar auf die nächste folgen. Dieses Prinzip sollte er in den kommenden 40 Jahren perfektionieren und bei den meisten seiner „Unterhaltungsthriller“ anwenden.

Die beiden folgenden Filme, Geheimagent und Sabotage fielen insbesondere in Hitchcocks eigener späterer Bewertung gegenüber den beiden Vorgängerfilmen ab. Ihre Grundstimmung war weniger optimistisch und sie waren ernster. Sie waren jedoch psychologisch vielschichtiger und die Behandlung des Themas „Schuld“ weist bereits hier auf spätere Meisterwerke hin. Nach dem unbeschwerten Jung und unschuldig, einer weiteren Variation der Geschichte vom „Unschuldig Verfolgten“, folgte schließlich der Thriller Eine Dame verschwindet, der damals in England und in Amerika hoch gefeiert wurde und unter Cineasten bis heute hohe Anerkennung genießt. Sein leichter, komödiantischer Ton wurde zu einem Markenzeichen Hitchcocks. Mit diesem Film bewies Hitchcock einmal mehr sein technisches Talent. Der Film spielt hauptsächlich in einem fahrenden Zug – die Dreharbeiten fanden jedoch ausschließlich in einem kleinen Londoner Studio statt. Die zur Simulation der Zugfahrt notwendigen Rückprojektionen sind technisch so ausgereift und so eindrucksvoll, dass sie noch mit 30 Jahre später entstandenen Hollywood-Produktionen mithalten können. François Truffaut bekannte 1962 gegenüber Hitchcock, dass er sich Eine Dame verschwindet gelegentlich bis zu drei mal in einer Woche anschaut.

Hitchcock festigte mit diesen sechs Filmen seine Ausnahmestellung innerhalb des britischen Kinos. Er verstand es Mitte der 1930er Jahre bereits, mit leichter Hand virtuos spannende Geschichten zu erzählen und er verwendete schon damals all die Elemente, Motive und Erzählweisen, die auch für sein späteres Werk bestimmend waren: aus dem Nichts heraufziehendes Unheil, die Verkettung zweier Schicksale, Schuldübertragung, turbulente Verfolgungssituationen, Spionageringe, undurchsichtige Frauen, unschuldig Verdächtigte, charmante Schurken, herrische Mütter und nicht zuletzt MacGuffins.

Geprägt wurde diese Zeit auch durch die kontinuierliche Zusammenarbeit mit verschiedenen Personen: Der Kameramann Bernard Knowles setzte von 1935 bis 1939 fünf Filme Hitchcocks ins Bild. Mit Die 39 Stufen begann auch die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Louis Levy, der die Filmmusik zu vier weiteren dieser englischen Erfolgsfilme schrieb. Während der Vorbereitung zu Die 39 Stufen stellte Hitchcock eine junge Frau als Sekretärin ein, die für lange Zeit eine seiner engsten Mitarbeiterinnen werden sollte: Joan Harrison wurde bald darauf zur persönlichen Assistentin befördert und schrieb bis 1942 an diversen Drehbüchern mit. Nach einer längeren Pause produzierte sie ab Mitte der 1950er Jahre Hitchcocks Fernsehserie. Bereits nach Sabotage endete jedoch schon die zweite erfolgreiche Phase der Zusammenarbeit mit Michael Balcon, als die Produktionsfirma Gaumont British von deren Besitzern geschlossen und Balcon kurzerhand entlassen wurde. Die beiden danach folgenden Filme drehte Hitchcock daher für die Schwesterfirma der Gaumont British, Gainsborough Pictures, für die Hitchcock schon am Anfang seiner Karriere als Regisseur gearbeitet hatte – diesmal allerdings ohne seinen ehemaligen Förderer.

Hitchcock bescherte mit diesen Filmen dem britischen Kino, das bis dahin nach wie vor künstlerisch keinen Vergleich mit Festlandeuropa oder den USA aushalten konnte, dessen bis dahin glanzvollste Zeit. Er stieß jedoch mit den in England zur Verfügung stehenden Mitteln an seine Grenzen und er war mit der Rolle des Regisseurs im britischen Filmwesen unzufrieden. Schon in den 1920er Jahren war Hitchcock bewusst gewesen, dass der Name des Regisseurs in der Öffentlichkeit für eine Handschrift stehen solle, für ein Thema, ein Genre. Ende der 1930er Jahre beauftragte Hitchcock die Selznick-Joyce-Agentur, deren Mitinhaber Myron Selznick, der ältere Bruder des Hollywood-Moguls David O. Selznick, war, seine Interessen wahrzunehmen. Myron Selznick wurde bis zu seinem Tod 1944 ein enger Berater Hitchcocks.

Hitchcocks Ruf war mittlerweile bis nach Hollywood gelangt und Hitchcock wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, dass seine Zukunft jenseits des Atlantiks liegen würde. Nach einigem Hin und Her unterzeichnete Hitchcock 1938 auf einer Reise in die USA einen Vertrag für die Produktionsgesellschaft von David O. Selznick, der damals gerade mit der Vorproduktion zu Vom Winde verweht beschäftigt war. In Gedanken bereits in Amerika, drehte Hitchcock in England noch einen letzten Film für die Produktionsfirma des nach England emigrierten deutschen Produzenten Erich Pommer, mit dem er bereits Mitte der 1920er Jahre bei der Produktion von Die Prinzessin und der Geiger in Kontakt gekommen war. Riff-Piraten war ein Kostümfilm um eine Strandpiratenbande im britischen Cornwall Ende des 18. Jahrhunderts. Der Film stand aufgrund der problematischen Zusammenarbeit mit dem exzentrischen Star Charles Laughton unter einem schlechten Stern und wurde von der Presse durchweg verrissen.

1939–1947: Hitchcock in Hollywood, die Selznick-Ära

David O. Selznick und das Hollywood-System – Hitchcocks erste amerikanische Filme

1939 wanderte Hitchcock mit seiner Frau Alma und seiner Tochter Patricia in die USA aus. Die Zusammenarbeit mit dem Produzentenmogul David O. Selznick, bei dem er insgesamt acht Jahre lang unter Vertrag stand, gestaltete sich schwieriger als erwartet. Selznick war es gewohnt, die Arbeit „seiner“ Regisseure ausgiebig zu überwachen und zu kontrollieren. Sobald er meinte, sich einmischen zu müssen, schrieb er seitenlange Memos mit Anweisungen, die zu befolgen waren. Hitchcock erging es nicht anders. Die drei Filme, die er bis 1947 letztlich nur für Selznick drehen sollte, litten stark unter dieser Einmischung. Zwischen diesen Filmen lieh Selznick Hitchcock für große Summen an andere Studios aus, wobei er, zu Hitchcocks Unmut, an diesen Geschäften in der Regel mehr verdiente, als Hitchcock für die jeweilige Arbeit als Regisseur und zum Teil als Produzent erhielt.

Hitchcocks erster amerikanischer Film sollte eigentlich die Verfilmung des Untergangs der Titanic werden, doch das Projekt kam nicht zustande. Statt dessen nahm er sich einem Roman der Britin Daphne du Maurier an, einem Melodram in einem englischen Herrschaftshaus im ausgehenden 19. Jahrhundert. Rebecca war ein düster-romantisches märchenhaftes Meldodram, psychologisch dicht und atmosphärisch. Selznick unterband hierbei jeden Ansatz Hitchcocks, von der weitgehend humorfreien Romanvorlage abzuweichen. Rebecca gewann trotz dieser widrigen Umstände 1940 den Oscar für den besten Film, den Selznick als Produzent erhielt. Einen weiteren Oscar erhielt der Kameramann George Barnes, eine Nominierung der Komponist Franz Waxman, der im Jahr darauf auch für Verdacht nominiert wurde und später noch für zwei weitere Hitchcockfilme die Musik schrieb.

Selznick legte nach Rebecca aus steuerlichen Gründen eine mehrjährige Pause ein und so konnte Hitchcock in den Folgejahren einige Wunschprojekte für andere Studios verwirklichen. In seinem zweiten amerikanischen Spielfilm Der Auslandskorrespondent einem ansonsten eher unpolitischen Spionagethriller, den er 1940 für (United Artists) drehte, appellierte er an das noch neutrale Amerika, in den Krieg einzutreten. Das Drehbuch schrieb ein letztes Mal Charles Bennett, mit dem Hitchcock in England wenige Jahre zuvor erfolgreich zusammengearbeitet hatte. Mit Der Auslandskorrespondent begann gleichzeitig die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Ben Hecht, der herangezogen wurde, um den Schlussmonolog zu schreiben. Hecht wirkte bis 1951 an sechs weiteren Drehbüchern für Hitchcock mit.

1941 entstanden zwei Filme für RKO: Verdacht war der erste von insgesamt vier Filmen, die Hitchcock zwischen 1941 und 1959 mit Cary Grant drehte. Grant wurde innerhalb dieser Filme zu Hitchcocks Alter Ego auf der Leinwand, zu der Person, die Hitchcock im wirklichen Leben gerne gewesen wäre, wie es Hitchcocks Biograph Donald Spoto formulierte. Der zweite Film für RKO war Mr. und Mrs. Smith nach einem Drehbuch von Norman Krasna. Diesen Film, ein einmaliger Ausflug in das klassische, aber für Hitchcock untypische Genre der Screwball-Komödie, drehte er ausschließlich der mit den Hitchcocks befreundeten Hauptdarstellerin Carole Lombard zuliebe.

Sein Lieblingsmotiv des unschuldig Verfolgten variierte Hitchcock 1942 für Universal in Saboteure. Für dasselbe Studio drehte er ein Jahr später Im Schatten des Zweifels, einen sehr persönlichen Film mit eindeutigen autobiographischen Zügen. Der Film behandelt das Motiv des Einzugs des Bösen und Dämonischen in die „heile Welt“ und das der Schuldübertragung bzw. der „doppelten Persönlichkeit“ – zwei von Hitchcocks zentralen Themen.

Hitchcock und der Zweite Weltkrieg

Hitchcock vermied es Zeit seines Lebens, politische Statements abzugeben oder gar in seinen Filmen zu transportieren. Seine Auswanderung in die USA fiel rein zufällig mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zusammen und die Vorwürfe der Drückebergerei, die er sich von ehemaligen britischen Kollegen gefallen lassen musste, gingen nicht spurlos an ihm vorbei. Insbesondere Michael Balcons Angriffe trafen ihn hart. Balcon hatte 1940 die filmschaffenden Emigranten in der Presse pauschal als Deserteure beschimpft und Hitchcock explizit erwähnt. Hitchcock, der wusste, dass er in Hollywood seinem Land weit mehr dienen konnte, als in England (ein Vorgehen, das von Churchill nicht nur gebilligt, sondern sogar unterstützt wurde), war tief getroffen und schlug öffentlich zurück.[8]

Drei von Hitchcocks Filmen aus dieser Zeit wurden anfangs explizit als Propaganda-Filme geplant, auch wenn in zwei davon nicht viel von diesem Ansinnen übriog blieb. Die beiden Spionagethriller Der Ausladskorrespondent und Saboteure aus den Jahren 1940 und 1942 handeln vordergründig über Nazi-Kolloberateure, bleiben jedoch politisch oberflächlich und nur Der Ausladskorrespondent wirkt durch die in letzter Minute angefügte Schlussszene aufrüttelnd.

1943 wird Hitchcock deutlicher. Das Rettungsboot (20th Century Fox), ein Film nach einer ausschließlich auf einem Rettungsboot spielenden Geschichte von John Steinbeck, hatte die Botschaft, dass die freie Welt gegen den Natinalsozialismus nur gemeinsam eine Chance hat. Er zeigt dies am Beispiel einer Handvoll britischer und amerikanischer Schiffbrüchiger, die, ideologisch heillos zerstritten, nicht in der Lage sind, gegen den ebenfalls an Bord anwesenden Nazi vorzugehen. Hitchcock erhielt für Das Rettungsboot eine seiner insgesamt sechs Oscar-Nominierungen (fünfmal Regie, einmal bester Film als Produzent), er konnte den Preis jedoch nie gewinnen.

Ein Jahr zuvor sollte Hitchcoch für den patriotischen Durchhaltefilm Auf ewig und drei Tage, wie über ein Dutzend andere britische Emigranten in Hollywood auch, eine Szene nach eingenem Entwurf drehen. Dazu kam es aber aus Termingründen nicht. Seine fertig geschriebene Szene wurde dann von dem französischen Regisseur René Clair gedreht.[9]

Im Auftrag des britischen Informationsministeriums drehte Hitchcock 1944 in London zwei Kurzfilme: Mit Gute Reise und Aventure Malgache sollten Frankreichs Kriegsanstrengungen unterstützt werden. Im Rahmen dieser Arbeit traf er wieder auf seinen alten Bekannten Angus McPhail, der die Drehbücher für beide Filme schrieb. 1945 half Hitchcock als dramaturgischer Berater bei dem Dokumentarfilm The Memory of the Camps über die deutschen Konzentrationslager.

Zwei Filme mit Ingrid Bergman und die letzte Arbeit für Selznick

Zwei außergewöhnliche Werke aus dieser Schaffensperiode drehte Hitchcock mit Ingrid Bergman: In Ich kämpfe um dich (1945) experimentierte Hitchcock inhaltlich und formal mit dem Thema Psychoanalyse, für die damalige Zeit ein Wagnis. Die Traumsequenzen des Films wurden auf Wunsch von Hitchcock vom surrealistischen Maler Salvador Dalí umgesetzt. Dieser Film entstand erstmals nach Rebecca wieder unmittelbar für Selznick, der sich diesmal zwar relativ wenig in die Dreharbeiten einmischte, dafür aber aber den Film nach einer Probevorführung eigenmächtig um über 20 Minuten kürzte.[10] George Barnes, der bereits für Rebecca den Oscar als bester Kameramann erhalten hatte, wurde erneut nominiert, ohne den Preis allerdings zu gewinnen. Das Drehbuch erarbeitete Hitchcock zusammen mit Ben Hecht und seinem alten Freund Angus McPhail.

Berüchtigt (1946) ist ein Liebesfilm im Gewand eines Spionagethrillers. Der Film konzentrierte sich für einen Hitchcockfilm ungewöhnlich stark auf Beziehung und Gefühle der von Ingrid Bergman und Cary Grant dargestellten Hauptfiguren. David O. Selznick, dem die Geschichte um Nazis in Südamerika, die Uran in Weinflaschen verstecken, nicht geheuer war, verkaufte den Film als Gesamtpaket aus Drehbuch, Drehbuchautor, Regisseur Hitchcock sowie den Hauptdarstellern an RKO, die ihn anschließend produzierte. Im Zuge der Dreharbeiten zu diesen beiden Filmen entwickelte Hitchcock eine sehr persönliche, jedoch einseitige Beziehung zu Ingrid Bergman. Ähnliches sollte sich in späteren Jahren bei der Arbeit mit seinen Hauptdarstellerinnen Vera Miles und Tippi Hedren wiederholen.

Das Gerichtsdrama Der Fall Paradin war 1947 Hitchcocks letzter Film für Selznick, der als Produzent wieder sehr stark Einfluss nahm. Er wählte nicht nur sämtliche Hauptdarsteller gegen Hitchcocks Vorstellungen aus, sondern schrieb auch noch selbst das Drehbuch. Während des Drehens veränderte Selznick dieses überdies permanent, was Hitchcocks gewohnter Arbeitsweise und seinen Prinzipien zuwider lief. Hitchcock nahm es in der Gewissheit hin, dass nach Ende der Dreharbeiten die schwierige Zusammenarbeit mit dem exzentrischen Produzenten endlich ein Ende haben würde. Trotz aller Differenzen bekannte Selznick noch Jahre später, Hitchcock sei der einzige Regisseur gewesen, dem er voll und ganz vertraute.

1947–1957: Hitchcock als unabhängiger Produzent

Schritt in die Unabhängigkeit – Gründung der Transatlantic Pictures

Die 1940er-Jahre gelten als das „goldene Zeitalter“ des Kinos, viele Millionen Menschen strömten wöchentlich in die Lichtspielhäuser. Auch die meisten Filme Hitchcocks aus dieser Zeit waren erfolgreich, machten ihn und ihre Produzenten reich und Hitchcock auch in Amerika bekannt. Jetzt galt es, die völlige Kontrolle über die Filme zurückzugewinnen, doch dazu musste er sein eigener Herr werden. 1948 lief der Vertrag mit David O. Selznick aus, und Hitchcock gründete gemeinsam mit Sidney Bernstein, der zu diesem Zeitpunkt Besitzer einer großen britischen Kino-Kette war, die Produktionsfirma Transatlantic Pictures. Hitchcock war mit Bernstein bereits seit den 1920er Jahren befreundet.

Der Film Cocktail für eine Leiche (1948) war für Hitchcock und Transatlantic Pictures der erste Farbfilm. In einer Art Kammerspiel, das nur in einer einzigen Wohnung spielt, experimentierte Hitchcock mit sehr langen Einstellungen. Dieser Film behandelte die typischen Hitchcock-Motive der Schuldübertragung und der latenten Homosexualität. Er ist ein Lehrbeispiel für den Hitchcockschen Suspense, blieb jedoch vor allem aus technischen Gründen in Erinnerung: Hitchcocks Umgang mit der Farbe und vor allem die bis zu zehn Minuten langen ungeschnittenen Szenen, die den Eindruck eines mehr oder weniger in einer Einstellung gedrehten Films hinterlassen. Mit drei Ausnahmen war es Hitchcock gelungen, die Schnitte, die durch die Länge der verfügbaren Filmrollen und durch Umbauten in der Kulisse nötig waren, so zu verstecken, dass das Publikum selbst bei aufmerksamer Betrachtung Mühe hat, sie zu entdecken. Eine der Hauptrollen spielte James Stewart, mit dem Hitchcock bis 1958 drei weitere Male zusammenarbeiten sollte. Stewart galt neben Cary Grant als das zweite Leinwand-Alter-Ego Hitchcocks. Im Gegensatz zu den charmanten, leichtfüßigen und humorvollen, wenn auch zuweilen unseriös erscheinenden Figuren Grants jedoch spielte Stewart ernste, eher ambivalente Rollen, instabile Charaktere, Männer mit körperlichen Makeln oder psychischen Problemen. Figuren, mittels derer Hitchcock eines seiner Lieblingsthemen, die Brüchigkeit der heilen, bürgerlichen Welt, ideal umsetzen konnte.

Hitchcocks nächster Film Sklavin des Herzens (1949), ein für ihn untypischer melodramatischer Kostümfilm, war vor allem ein Vehikel für Ingrid Bergman. Trotz der Starbesetzung und obwohl der Film insbesondere aus technischer Sicht sehr ambitioniert war und verschiedene typische Motive Hitchcocks verwendete, wurde er kommerziell ein Debakel. Nach diesen beiden kommerziellen Misserfolgen ging Transatlantic in Konkurs und die geschäftlichen Wege von Hitchcock und Bernstein trennten sich wieder.

Nachdem sein Berater und Agent Myron Selznick 1944 gestorben war, wurden Hitchcocks Interessen von mehreren anderen Personen wahrgenommen, bevor er 1948 mit Lew Wasserman zusammentraf. Wasserman war seit 1946 Präsident der weltgrößten Künstleragentur Music Corporation of America (MCA), der sich Hitchcock 1948 anschloss. Von da an betreute Wasserman Hitchcock exklusiv. Hitchcock und Wasserman wurden enge Freunde und die Zusammenarbeit sollte sich in den folgenden Jahrzehnten für beide auszahlen.

Rückkehr zu Schwarzweiß – Die Zeit bei Warner Brothers

Hitchcock stand nun als Produzent vollständig auf eigenen Füßen. Er schloss einen äußerst lukrativen Vertrag mit Warner über vier Filme, bei denen er als Regisseur und Produzent bei der Auswahl der Stoffe und bei der künstlerischen Umsetzung völlig freie Hand hatte. Der erste dieser Filme war der Thriller Die rote Lola (1950) mit Marlene Dietrich, der im Londoner Theatermilieu spielte, und für den Hitchcock in seine Heimat zurückkehrte. Hitchcock stellte in Die rote Lola sein Lieblingsmotiv des unschuldigen Verfolgten auf den Kopf, indem dieser sich am Ende doch als der wahre Mörder entpuppt. Der Film wurde kein großer Erfolg. Hitchcock litt darunter, dass der Empfang in London kühler ausgefallen war, als erwartet. Er spürte noch deutlich die Ressentiments, die ihm entgegen schlugen, wegen der ihm unterstellten Drückebergerei im Zweiten Weltkrieg.

Der Fremde im Zug (1951), ein klassischer Thriller Hitchcockscher Prägung, brachte schließlich nach fünf Jahren Flaute wieder einen überragenden Erfolg. Mit diesem Film begann eine der längsten und fruchtbarsten Zusammenarbeiten in Hitchcocks Karriere. Der Kameramann Robert Burks filmte von da an bis 1964 alle Hitchcock-Filme mit Ausnahme von Psycho. Im Laufe dieser Zeit entwickelte sich ein beinahe blindes Verständnis zwischen den beiden, Burks’ Name ist untrennbar mit Hitchcocks erfolgreichster Phase verbunden. Wie schon in Die rote Lola spielte Hitchcocks Tochter Patricia in dieser Patricia Highsmith-Verfilmung eine Nebenrolle. 1952 folgte der dritte Film in Folge in Schwarzweiß. Obwohl Hitchcock in vielen seiner Filme religiöse Motive anklingen ließ oder klerikale Elemente einbaute, ist Ich beichte, ein Film über einen katholischen Priester, der die Wahrung des Beichtgeheimnises höher wertet als das eigene Leben, der eindeutigste filmische Bezug auf Hitchcocks eigene starke katholische Prägung. Ich beichte festigte künstlerisch Hitchcocks Ruf, war jedoch kommerziell ein Misserfolg. Im Nachhinein bezeichnete es Hitchcock als Fehler, Ich beichte gedreht zu haben.

Das Kino steckte seit Anfang der 1950er Jahre in seiner ersten Krise, das Fernsehen hielt Einzug in die Wohnzimmer und lief der großen Leinwand den Rang ab. Mit neuen technischen Verfahren wie dem Breitbildformat Cinemascope oder dem auf räumliche Effekte bauenden 3D-Verfahren sollten wieder Zuschauer gewonnen werden. Bei Anruf Mord (1954) ist die Verfilmung eines damals sehr populären Theaterstücks, das auf Drängen von Warner Brothers im 3D-Verfahren aufgenommen wurde. Über dieser Entscheidung war Hitchcock nicht glücklich, da sie die Bewegungsfreiheit der Kamera deutlich einschränkte und den Zuschauer als externen und neutralen Beobachter definierte, statt ihn in das Geschehen hineinzuziehen. Hitchcock nutze die ihm verbliebenen Möglichkeiten so gut es ging und setzte nur recht wenige Effekte ein, wegen derer es sich lohnt, die 3D-Version anzuschauen. Bei Anruf Mord war der erste von drei Filmen in Folge, die Hitchcock mit Grace Kelly drehte. Hitchcock und Kelly verstanden sich persönlich sehr gut und waren bis zu Hitchcocks Tod befreundet. Einer noch weitergehenden Zusammenarbeit stand nur Kellys spätere Heirat mit Fürst Rainier von Monaco und ihr damit zusammenhängender Rückzug aus dem Filmgeschäft 1956 entgegen.

Alles in allem war die Zeit bei Warner Brothers für Hitchcock nach den Erfahrungen bei Selznick eine positive Zeit. Er versprach Warner daher, für sie so bald wie möglich ohne Gage einen weiteren Film zu drehen. Dieses Versprechen löste er zwei Jahre später mit Der falsche Mann ein.

Erfolgreiche Jahre in künstlerischer Freiheit – Die Filme bei Paramount und das Fernsehen

Vom Beginn seiner Karriere bis Anfang der 1950er Jahre hatte Hitchcock knapp 40 Spielfilme gedreht. Unter diesen waren etliche Meisterwerke, aber auch schwächere Werke oder gar Filme, die er nur auf Drängen des jeweiligen Produzenten drehte und für die er selbst wenig bis kein Interesse aufbringen konnte. Die Zusammenarbeit mit Warner Brothers bedeutete hier bereits eine Wende. Hitchcock konnte sich seine Stoffe aussuchen und hatte weitgehende künstlerische Freiheiten. Die Erfahrung mit Bei Anruf Mord und dem aufgezwungenen 3D-Verfahren zeigte ihm jedoch auch hier seine Grenzen. Folgerichtig schloss Hitchcock 1953 einen Vertrag mit Paramount ab, der ihm völlige künstlerische Freiheit bescherte und der dafür sorgen sollte, dass Hitchcock von nun an nur noch Wunschprojekte realisierte, was sich erst Mitte der 1960er Jahre wieder ändern sollte.

1954 begann somit Hitchcocks erfolgreichste Ära: In Das Fenster zum Hof ist neben Grace Kelly ein weiteres Mal James Stewart zu sehen. Wie schon in Cocktail für eine Leiche spielt die Handlung fast ausschließlich in einem einzigen Raum. Die Hauptfigur sitzt während des gesamten Films im Rollstuhl und beobachtet – sozusagen stellvertretend für den Zuschauer – durch ein Teleobjektiv das Geschehen in den gegenüberliegenden Häusern. Hitchcock ist in Das Fenster zum Hof in der Lage, mit geringsten Mitteln aus lediglich einem vagen Verdacht Spannung zu erzeugen und bis zum Finale aufrecht zu halten. Das Fenster zum Hof wird von vielen Hitchcock-Fans als ihr Lieblingsfilm bezeichnet.

Über den Dächern von Nizza (1955) ist ein leichter, romantischer Thriller, in dem neben Grace Kelly Cary Grant spielt, den Hitchcock nach zwei Jahren Filmpause reaktivierte. Um dem Glamour dieses an der Côte d’Azur angesiedelten Films etwas entgegenzusetzen, drehte Hitchcock im selben Jahr noch einen ungewöhnlich kleinen Film, die schwarze Komödie Immer Ärger mit Harry, in dem Shirley MacLaine neben John Forsythe ihren ersten Filmauftritt hatte. Edmund Gwenn, der schon zwischen 1931 und 1942 dreimal für Hitchcock gespielt hatte, spielte fast achtzigjährig eine seiner wenigen Filmhauptrollen.

1955 nahm Hitchcock – rund 10 Jahre nach seiner Frau – die amerikanische Staatsbürgerschaft an und begann mit Doris Day und James Stewart die Dreharbeiten zu Der Mann, der zuviel wußte (1956), einem Remake seines gleichnamigen Films aus dem Jahre 1934, das einzige Remake seiner Karriere. Wie Cocktail für eine Leiche, Das Fenster zum Hof, Immer Ärger mit Harry und Vertigo verschwand Der Mann, der zuviel wußte für viele Jahre komplett von der Bildfläche und ist erst seit Mitte der 1980er Jahre wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Rechte an diesen Filmen lagen bei Hitchcock und waren Teil des Nachlasses an seine Tochter.

Ebenfalls 1955 startete Hitchcocks eigene wöchentliche Fernsehserie Alfred Hitchcock Presents, die ab 1962 The Alfred Hitchcock Hour hieß. Hitchcock war Produzent und übernahm in vielen Folgen die Moderatorenrolle. 17 Folgen von Alfred Hitchcock Presents und einen Beitrag für The Alfred Hitchcock Hour inszenierte Hitchcock selbst. Darüber hinaus drehte Hitchcock eine Folge für die Serie Suspicion sowie eine Folge der Fernsehserie Startime. Das Ende der zehnjährigen Fernseharbeit Hitchcocks hatte mit seinem nachlassendem Interesse zu tun – nachdem er von 1955 bis 1959 drei Folgen pro Jahr inszenierte, waren es von 1960 bis 1962 insgesamt nur fünf, danach keine mehr. Hinzu kam, dass die Produktion den Auftraggebern zu teuer wurde und die Zeit von Serien mit jeweils abgeschlossenen Folgen, sogenannten „Anthologies“, zu Ende ging.

Mit Der falsche Mann wagte Hitchcock 1956 wieder einmal ein Experiment und wurde einem seiner Grundprinzipien untreu. In dem in Schwarzweiß gehaltenen Film mit Henry Fonda in der Hauptrolle wird an authentischen Schauplätzen die auf Tatsachen beruhende Geschichte eines Mannes erzählt, der zu Unrecht verurteilt wird. Mit diesem Film löste Hitchcock sein Versprechen gegenüber Warner Bros. ein, einen weiteren Film für die Produktionsgesellschaft ohne feste Gage (allerdings gegen Gewinnbeteiligung) zu drehen. Nachdem Hitchcock mit dem ersten Drehbuchentwurf von Maxwell Anderson unzufrieden war, griff er wieder einmal auf seinen alten Freund Angus McPhail zurück, der das Drehbuch zur allseitigen Zufriedenheit fertigstellte.

Der Aufbau eines kreativen Arbeitsumfelds

Hitchcocks anhaltender Erfolg in den 1950er Jahren ist auch dem Umstand geschuldet, dass er es verstand, nach und nach Mitarbeiter um sich zu scharen, mit denen er im künstlerischen Bereich auf einer Linie lag. Diese Personen hatten einen großen Anteil an der gleichbleibend hohen Qualität der Filme in diesen Jahren. So stammten die Drehbücher der vier Filme von Das Fenster zum Hof bis Der Mann, der zuviel wusste von John Michael Hayes. Es ist allgemein anerkannt, dass sich Hitchcocks und Hayes' Erzählstil ausgezeichnet ergänzten. Die Zusammenarbeit beider endete jedoch 1956 in Missstimmung. Das Fenster zum Hof war auch der Beginn der Zusammenarbeit mit der Kostümbildnerin Edith Head, die bis zum Ende für fast alle seiner Filme die Kostüme entwerfen sollte. Hitchcock, der die Garderobe seiner weiblichen Stars in der Regel selbst aussuchte und Schnitt und Farbgebung zm Teil detailliert vorgab, fand in Edith Head eine Meisterin ihres Fachs und eine ideale Ergänzung seines küstlerischen Teams.

Ein weiterer Glücksfall war das Zusammentreffen mit dem Cutter George Tomasini. Dieser war ab dem selben Zeitpunkt bis zu seinem plötzlichen Tod 1964 für den Schnitt fast aller Hitchcock-Filme bis einschließlich Die Vögel verantwortlich. Tomasini verstand es, Hitchcocks Intentionen umzusetzen und sein Anteil am Gesamterscheinumgsbild von Hitchcocks Meisterwerken der 1950er und frühen 1960er Jahre ist nicht zu unterschätzen. Mit Herbert Coleman, der zuvor bei Paramount als Regieassistent und künstlerischer Berater gewirkt hatte, arbeitete Hitchcock ebenfalls erstmals bei Das Fenster zum Hof zusammen. Hitchcock setzte ihn bis 1969 mehrfach als „Second Unit Director“ und als „Associate Producer“ ein. Beide verband ebenfalls eine Freundschaft.

Immer Ärger mit Harry war die erste Zusammenarbeit Hitchcocks mit dem Komponisten Bernard Herrmann, der bis einschließlich Marnie (1964) alle Filmmusiken für Hitchcock komponieren sollte. Herrmann gilt seitdem als der Hitchcock-Komponist. Er verstand es wie kein anderer, die Hitchcocksche Art der Spannungserzeugung in Form von Musik umzusetzen. Seine Filmmusiken für Vertigo und Der unsichtbare Dritte sind Klassiker, und diese Filme ziehen einen großen Teil ihrer Wirkung aus Herrmanns Musik. Mit Der Mann, der zuviel wusste begann die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Art Director Henry Bumstead, der Hitchcock von John Michael Hayes empfohlen worden war und der maßgeblich die Ausstattung und damit das Gesamterscheinungsbild des Films bestimmte. Hitchcock war mit Bumsteads Arbeit so zufrieden, dass er ihn später bei drei weiteren Filmen verpflichtete, die ebenfalls durch ihre prächtige Ausstattung bestechen sollten: Vertigo, Topas und Familiengrab.

Suzanne Gauthier, eine Angestelle von Paramount, wurde 1955 Hitchcocks Assistentin und später bis zu seinem Tod seine Privatsekretärin und enge Vertraute. 1957 stellte Hitchcock Peggy Robertson ein, um die Szenenanschlüsse zu überwachen. Mit ihr hatte er bereits 1949/1950 zusammen gearbeitet, seinerzeit noch unter ihrem Mädchennamen Peggy Singer, und sie in guter Erinnerung behalten. Die Zusammenarbeit entwickelte sich positiv und Robertson stieg bald zu persönlichen Assistentin Hitchcocks auf, was sie bis 1979 bleiben sollte.

1957–1964: Der Höhepunkt der Karriere und die Wende

Vier Meisterwerke: Vertigo, Der unsichtbare Dritte, Psycho und Die Vögel

Was das künstlerische Schaffen betrifft, besteht unter Kritikern weitgehende Einigkeit, dass die Jahre zwischen 1958 und 1963 den Höhepunkt in Hitchcocks Karriere darstellen. In diesen Jahren inszenierte Hitchcock vier inhaltlich sehr unterschiedliche Meisterwerke von außergewöhnlicher Qualität, die das Kino nachhaltig beeinflusst und verändert haben. Diese vier Filme befinden sich in der Liste der 100 besten amerikanischen Thriller des American Film Institute auf den Plätzen 1, 4, 7 und 18.

1957 drehte Hitchcock seinen letzten Film für Paramount: Vertigo – Aus dem Reich der Toten (1958). Das Drehbuch entstand in gemeinsamer intensiver Arbeit von Hitchcock und Samuel A. Taylor. Zu seiner Entstehungszeit war der Film mit James Stewart und Kim Nowak in den Hauptrollen nicht besonders erfolgreich. Inzwischen gilt dieser vielschichtige, geheimnisvoll wirkende Film um Obsessionen und Täuschungen jedoch für viele als sein bestes und tiefsinnigstes Werk. In der Abgründigkeit und Düsterkeit von Vertigo kündigte sich bereits Hitchcocks Spätwerk an.

Der unsichtbare Dritte, den Hitchcock 1959 für MGM drehte, wird allgemein als die Summe und Krönung des klassischen Hitchcock-Themas angesehen, bei dem ein Unschuldiger um seine Reputation und um sein Leben kämpft. Es ist Hitchcocks letzter Film mit Cary Grant und Grants wahrscheinlich bekanntester Film. Hitchcock und sein Drehbuchautor Ernest Lehman konzipierten Der unsichtbare Dritte als eine Abfolge von Abenteuern, die der von Grant gespielte Held auf der Suche nach der Lösung des Rätsels überstehen muss. Der unsichtbare Dritte und die Leichtigkeit und Eleganz dieses Films haben sehr viele danach entstandene Filme beeinflusst, nicht zuletzt auch die in den 1960er Jahren entstandenen James-Bond-Filme oder die Indiana-Jones-Filme. Der unsichtbare Dritte war für lange Zeit Hitchcocks letzter vorwiegend heiterer Film.

1960 folgte Psycho, einer seiner bekanntesten Spielfilme und sein letzter Schwarzweiß-Film. Psycho ist ein für Hitchcocks Verhältnisse ungewöhnlich brutaler Film, den er aus Kostengründen mit den Mitarbeitern seiner eigenen Fernsehproduktionsfirma Shamley Productions drehte. Hitchcock drückte mit diesem Film dem damals in den USA sehr populären Genre des Horror-B-Movies nachhaltig seinen Stempel auf und schockte das Publikum über alle Maßen. Den Tod der Hauptfigur nach nur einem Drittel des Films gab es nie zuvor in einem „großen“ Hollywood-Film. Die „Duschszene“ gehört zu Hitchcocks bekanntesten und den meistanalysierten Filmszenen überhaupt. Der Grafikdesigner Saul Bass, der für diesen und die beiden vorangegangenen Filme die Titelsequenzen schuf, entwarf nach Hitchcocks Vorgaben die gezeichneten Storyboards, nach der diese Szene gedreht wurde, die Aufnahmen dauerten eine Woche.

Erstmals seit sehr langer Zeit verging ein Jahr, ohne dass Hitchcock einen neuen Film begann. 1960 kündigte er öffentlich zwei Projekte an, die jedoch nie konkret weiter verfolgt wurden. Ein weiteres Projekt konnte aufgrund äußerer Umstände nicht verwirklicht werden: Hitchcock wollte einen Film namens The Blind Man drehen, der ausschließlich in Disneyland spielt. Dies scheiterte allerdings noch während der Drehbucharbeiten (für die er Ernest Lehman verpflichtete) am Widerstand von Walt Disney persönlich, der Psycho für einen „widerlichen Film“ hielt und die Dreherlaubnis verweigerte.

Erst Mitte 1961 nahm Hitchcock seinen nächsten Film in Angriff. Die Vögel (1963) ist ein weiterer Horrorfilm, ein apokalyptisches und in Bezug auf Dramaturgie und Spannungsaufbau stilbildendes Werk, das zudem völlig ohne Filmmusik und nur mit elektronischen Geräuscheffekten auskommt, die von dem deutschen Komponisten Oskar Sala geschaffen und auf dem nur von ihm beherrschten Trautonium gespielt wurden. Die weibliche Hauptrolle spielte Tippi Hedren, die Hitchcock im Werbefernsehen entdeckte und die bis dahin keine Filmerfahrung besaß. Er bot ihr, ohne auch nur einmal mit ihr gesprochen zu haben, einen Exklusivvertrag über sieben Jahre und sie nahm das Angebot an.

Die Vögel entstand für Universal, die kurz zuvor teilweise von MCA übernommen worden waren und für die Hitchcock von nun an alle Filme drehen sollte. Somit arbeitete Hitchcock ab diesem Zeitpunkt für seinen Freund Lew Wasserman, der Präsident von Universal wurde und seine Agententätigkeit aufgeben musste. Hitchcock unterzeichnete im Frühjahr 1962 einen entsprechenden Vertrag und bezog einen eigens für ihn eingerichteten Büro-Komplex auf dem Universal-Gelände.

Hitchcock als Idol der französischen Filmemacher

Bereits seit Mitte der 1950er Jahre war Hitchcock in Europa, insbesondere in Frankreich, hoch angesehen. Die Vertreter der Nouvelle Vague feierten ihn als Idol. Als Hitchcock im Mai 1960 nach Europa reiste, wurde er in Paris von Dutzenden jungen Filmemachern anlässlich eines ihm zu Ehren abgehaltenen Filmfestivals frenetisch gefeiert und er genoss diese Anerkennung, obwohl er das Ausmaß der Begeisterung nicht ganz verstand – er sah sich selbst nie als Autorenfilmer. Die internationale Ausgabe der Herald Tribune schrieb, dass Hitchcock in dieser Woche „das Idol der französischen Avantgarde“ geworden sei.

Im August 1962, noch während der Schnittarbeiten an Die Vögel, nahm sich Hitchcock eine Woche Zeit, um dem damals 30-jährigen französischen Filmkritiker und Regisseur François Truffaut ein 50-stündiges Interview zu geben. Truffaut befragte Hitchcock chronologisch zu dessen bisherigen 48 Filmen. Das Interview erschien 1966, nach einen weiteren kurzen ergänzenden Interview in Buchform. Das Buch Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? und das Engagement von Filmkritikern und -theoretikern trugen dazu bei, die Rezeption von Filmen allgemein zu verändern und auch Hitchcock verdankt ihnen, heute nicht nur als Regisseur von Unterhaltungsfilmen anerkannt zu sein, sondern als eigenständiger Künstler zu gelten.

Marnie als Wendepunkt

Nach Die Vögel gibt es in Hitchcocks Arbeit einen Bruch. Die folgenden drei Filme der 1960er Jahre konnten künstlerisch und kommerziell an die vorangegangenen Erfolge nicht heranreichen. Gründe dafür können in der Entwicklung des Mediums gesehen werden, die veränderte Produktionsbedingungen und neue Themen mit sich brachte, womit Hitchcock Probleme hatte. Als eine der Hauptursachen für den nachlassenden Erfolg Hitchcocks wird jedoch auch seine persönliche Entwicklung in dieser Zeit und insbesondere das Zerwürfnis mit der Hauptdarstellerin Tippi Hedren im Verlauf der Dreharbeiten zu Marnie (1964) angesehen. Dies war nicht das erste Mal, dass Hitchcock sich mit einer seiner Schauspielerinnen überwarf, doch nie zuvor waren die Folgen derart weitreichend. An den Dreharbeiten verlor er jedes Interesse, zeitweilig schien es sogar so, als würde er das Gelingen des Films bewusst sabotieren.[11]

Marnie ist ein Psychogramm einer verstörten, traumatisierten Frau, das damals bei Publikum und Kritik in Erwartung eines weiteren Meisterwerks weitgehend durchfiel. Der Film bedient sich psychologischer Erklärungsmodelle, die überholt und undifferenziert wirken und enthält für Hitchcock untypisch viele handwerkliche Fehler. Diese waren darauf zurückzuführen, dass das alleine gelassene Team zum Ende der Dreharbeiten hin immer mehr improvisieren musste. Hitchcocks Methode einer akribischen Vorbereitung und der Tatsache, dass sein Team seit Jahren eingespielt war, ist es zu verdanken, dass der Film dennoch nicht zu einem Fiasko wurde. Denn auch ohne Hitchcocks übliches Engagement, Schlüsselszenen so lange und sorgfältig zu drehen, bis sie seiner Intention vollständig entsprechen, waren Kameramann, Ausstatter, Cutter und der restliche Stab in der Lage, die Drehbuchvorgaben weitestmöglich umzusetzen. Aus der zeitlichen Distanz lässt sich die im Wesentlichen den widrigen Umstände geschuldete augenscheinliche Künstlichkeit mancher Schlüsselszenen ebenso wie die Farbgebung des Films oder die für Hitchcocks Verhältnisse löchrige Dramaturgie auch als Stilmittel und als Ausdruck des geistigen Zustands der Titelfigur werten.

Marnie war in mehrerlei Hinsicht ein Wendepunkt in Hitchcocks Karriere. Tippi Hedren war die letzte typische „Hitchcock-Blondine“. Marnie war der letzte Film, den Hitchcocks langjähriger Kameramann Robert Burks drehte. Kurz nach Abschluss der Arbeiten an Marnie starb Hitchcocks Cutter George Tomasini, mit dem er zehn Jahre lang zusammen gearbeitet hatte. Hitchcock war 65 Jahre alt, hatte seinen ersten künstlerischen und kommerziellen Misserfolg seit rund fünfzehn Jahren hinter sich und in kurzer Zeit zwei Stützen seines Teams verloren. Schwierige Jahre lagen vor ihm.

1964–1980: Das Spätwerk

Der Filmmarkt verändert sich – Unrealisierte Projekte

Hitchcocks Karriere war schon früh, spätestens aber seit der schwierigen Zusammenarbeit mit David O. Selznick von seinem Bemühen geprägt gewesen, sich innerhalb des Studiosystems Unabhängigkeit zu erkämpfen und zu bewahren. Mit wachsender Bekanntheit seiner Person und mit zunehmendem Erfolg seiner Filme hatte er es bis Anfang der 1950er Jahre geschafft, die Kontrolle über seine Arbeit und seine Filme zu erhalten. Diese Position konnte er bis Anfang der 1960er-Jahre behaupten. Nach Die Vögel jedoch wurden seine Filme kommerziell weniger erfolgreich. Gleichzeitig wurden Filmproduktionen immer aufwändiger, die kommerzielle Komponente des Filmemachens nahm an Bedeutung zu, die neuen ökonomischen Bedingungen erschwerten die Zusammenarbeit mit bewährten Mitarbeitern. Hinzu kam, dass gesellschaftliche und zeitgeistige Veränderungen dazu führten, dass zunehmend modernere Themen gefragt waren, und damit begann eine Zeit, in der der mittlerweile rund 65-jährige Hitchcock Probleme hatte, geeignete Stoffe zu finden und zu realisieren. Mit Ausnahme von Frenzy sollte keiner der Filme, die er nach Marnie noch drehte, mehr ein Wunschprojekt sein. In Hitchcocks nun folgenden letzten Filmen finden sich zudem mehrfach Szenen auffälliger Gewalttätigkeit oder mit für Hitchcock untypischer Freizügigkeit, die als Konzession an den veränderten Publikumsgeschmack gelesen werden können.

Gleichzeitig wurden Hitchcocks späte Jahre auch davon überschattet, dass sich diverse Projekte, die Hitchcock reizten und die er mehr oder weniger intensiv plante, zerschlugen: An Mary Rose, einer Mystery- und Phantasygeschichte, reizte ihn die unheimliche Komponente einer übersinnlichen Begegnung mit der eigenen Zukunft, doch Universal untersagte ihm das Projekt. Auch das Projekt R.R.R.R., mit dem Hitchcock zum komischen Thriller zurückkehren wollte, wurde trotz mehrjähriger Realisierungsversuche schließlich aufgegeben.

Die Rückkehr zum Spionagefilm – Erste große Ehrungen

Schließlich entschloss er sich, zum Genre des Spionagefilms zurückzukehren, in dem er bereits in den 1930er-Jahren in England große Erfolge gefeiert hatte. In Der zerrissene Vorhang (1966) wollte er die Geschichte eines Überläufers ins feindliche Lager aus der Perspektive von dessen nichtsahnender Frau zeigen. Der zerrissene Vorhang war Hitchcocks 50. Spielfilm, was mit einer groß angelegten Marketingkampagne begleitet werden sollte. Nicht nur aus diesem Grund setzte Universal die aktuellen Stars Paul Newman und Julie Andrews als Hauptdarsteller durch, die Hitchcock für Fehlbesetzungen hielt. Außerdem konnte er nicht verstehen, wieso Schauspieler mehr verdienen sollten als er. Hinzu kam, dass erstmals seit rund zehn Jahren wichtige Positionen seines Stabs mit Personen besetzt waren, mit denen er vorher noch nie zusammen gearbeitet hatte. Überdies kam es zum Bruch mit Bernard Herrmann, als dieser nicht die von Universal gewünschte, auch für den Schallplattenverkauf geeignete Unterhaltungsmusik vorlegte, sondern die von ihm gewohnte „schwere“ orchestrale Filmusik, was Hitchcock als Vertrauensbruch betrachtete. Der zerrissene Vorhang fällt handwerklich und dramaturgisch gegenüber Hitchcocks letzten Filmen (einschließlich Marnie) deutlich ab und wurde von der Kritik durchweg verrissen.

Hitchcock unternahm Mitte 1966 ausgedehnte Reisen, hielt Vorträge, beispielsweise vor Filmstudenten und erfuhr Ehrungen für sein bisheriges Lebenswerk. Unmittelbar danach widmete er sich seinem nächsten Projekt, der Geschichte eines missgestalteten psychopathischen Frauenmörders, die Hitchcock mit geringem Budget ohne große Stars drehen wollte. Er wollte Universal entgegenkommen, die „zeitgemäßere“ Themen einforderten. Um so größer war seine Enttäuschung, dass das bereits fertig ausgearbeitete Drehbuch von den Vertretern von Universal kurz und bündig abgelehnt wurde. Hitchcock zog sich für ein Jahr ins Privatleben zurück.

Anfang 1968 entschloss sich Hitchcock unter dem Druck der langen Pause seit dem letzten Film und der noch längeren Zeitspanne seit dem letzten Erfolg, den Roman Topas von Leon Uris zu verfilmen, dessen Rechte Universal kurz zuvor erworben hatte. Mit der Drehbucherstellung durch den damit beauftragten Uris gab es Probleme, so dass Hitchcock letztendlich auf seinen Freund Samuel A. Taylor zurückgriff, mit dem er erfolgreich das Drehbuch von Vertigo erarbeitet hatte. Taylor gelang es, unter großem zeitlichem Druck ein angesichts der widrigen Umstände brauchbares Drehbuch zu erstellen. Doch die Probleme setzten sich fort und erstmals nach Verdacht (1941) gab es während des Drehens noch keinen brauchbaren Schluss für den Film. Das letztlich im Film verwendete Ende wurde ohne Hitchcocks Zutun mit Taylors Hilfe von Universal zusammengebastelt. Vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen mit namhaften, aber unpassenden Hollywoodstars bei Hitchcocks vorhergehendem Film wurden für Topas europäische Stars wie Claude Jade, Karin Dor, Michel Piccoli und Philippe Noiret verpflichtet. Doch die Besetzung einiger Rollen zog sich noch bis weit in die Dreharbeiten hinein. Diese verliefen dementsprechend unruhig. Mit dem fertigen Film, bis dahin Hitchcocks teuerster, war niemand zufrieden, auch Hitchcock nicht.

Nach dem dritten Misserfolg in Folge begann man langsam, sich darauf einzurichten, dass die Zeit der großen Hitchcockfilme vorbei sei. Hitchcock hatte jedoch in seiner Karriere bereits die eine oder andere Durststrecke erlebt und sah das Ende seiner Karriere noch nicht in Sicht: „Ich habe meinen letzten Film noch nicht gedreht. Topas ist mein 51. Film, aber wann ich meinen letzten Film drehen werde, ist von mir, meinen Finanziers und Gott noch nicht entschieden worden.“, sagte er im September 1969.

Frenzy und die triumphale Rückkehr nach London

Im Spätsommer 1970 nahm Hitchcock sein nächstes Projekt in Angriff. Frenzy (1972) spielt in London und ist die Geschichte eines psychopathischen Frauenmörders oder in Hitchcocks Worten: „die Geschichte eines Mannes, der impotent ist, und sich deshalb durch Mord ausdrückt“ [12]. Hitchcock wurde in England begeistert empfangen. Frühere Spannungen, die entstanden waren, als ihm Drückebergerei vorgeworfen worden war, nachdem er vor Kriegsausbruch in die USA emigrierte – ein Vorwurf, der ihn lange Zeit hart traf und den er als ungerecht empfand – waren endgültig Vergangenheit. Nach langer Zeit verliefen Drehbucharbeit und zunächst auch die Dreharbeiten wieder einmal weitgehend reibungsfrei. Hitchcock genoss es, wieder in England zu sein und mit Engländern zu arbeiten. Er dokumentierte in Frenzy auch seine Verbundenheit zur alten Heimat, indem er versuchte, im Film ein London zu schaffen, wie er es aus früheren Jahren kannte. Er ließ den bereits verkommenen und kurz vor dem Abriss stehenden Obst- und Gemüsemarkt in Covent Garden wieder herrichten, flocht leicht anachronistisch wirkende Details in die Handlung ein und beharrte beispielsweise bei den Dialogen auf vielen altmodisch wirkenden Wendungen.

Hitchcock nahm anfangs die Dreharbeiten so ernst wie lange nicht mehr und achtete peinlichst genau auf jedes Detail. Doch plötzlich – mitten während der Dreharbeiten – erlitt seine Frau Alma einen Herzanfall. Hitchcock wurde aufgrund dieses Schocks „müde und untätig“, wie sich der Hauptdarsteller Barry Foster erinnerte[13], und die Crew war, ähnlich wie bei den drei vorangegangenen Filmen, anschließend weitgehend auf sich alleine gestellt. Doch diese Probleme sieht man dem fertigen Film nicht an. Frenzy wurde ein harter, brutaler, zum Teil bitterer und sarkastischer und mit tiefschwarzem britischen Humor durchzogener Film, sein erster humorvoller Film seit Der unsichtbare Dritte. Frenzy kam im Sommer 1972 in die Kinos und war Hitchcocks letzter großer Erfolg.

Große Ehrungen

Ab Mitte der 1960er-Jahre hatte sich das Ende von Hitchcocks Karriere abgezeichnet und seit dieser Zeit häuften sich die Rückblicke und Ehrungen für den weltberühmten alternden Regisseur: Immer wieder erntete Hitchcock Bewunderung, wenn er Werbeauftritte für seine Filme absolvierte, Vorträge hielt und beispielsweise vor Studenten auftrat. In New York erhielt Hitchcock 1966 vom Bürgermeister die kulturelle Ehrenmedaille der Stadt. Als weitere Auszeichnungen folgten die Ehrenmitgliedschaft des Drama Club in Harvard, die Einrichtung eines Alfred-Hitchcock-Tages im Bundesstaat Massachusetts, eine Belobigung der Universität von Boston und in London die Ehrenmitgliedschaft der Association of Cinematograph, Television and Allied Technicians (ACTT). 1968 erhielt er im Rahmen der Oscar-Verleihung den Irving G. Thalberg Memorial Award für sein langjähriges Wirken als Produzent. Bald darauf erhielt er die Ehrendoktorwürde der University of California.

Zwei weitere Ehrungen erfolgten durch Frankreich, wo Hitchcock besonders anerkannt war: Im September 1969 wurde Hitchcock in Hollywood die französische Kunst- und Literaturauszeichnung Ordre des Arts et des Lettres verliehen, 1971 wurde ihm in Paris von Henri Langlois, dem langjährigen Leiter der Cinémathèque Française, der Orden der Ehrenlegion verliehen und Hitchcock als Ritter der Ehrenlegion ausgezeichnet. Ebenfalls 1971 wurde Hitchcock von Prizessin Anne mit der ersten Ehrenmitgliedschaft der Society of Film and Television ausgezeichnet. 1972 erhielt er den Golden Globe für sein Lebenswerk. Anfang 1973 präsentierte das Los Angeles County Museum of Art in Zusammenarbeit mit dem American Film Institute eine große Retrospektive seiner Werke, 1974 erfolgte eine große Ehrung im Rahmen eines Gala-Abends durch das New Yorker Filmmuseum Film Society of Lincoln Center.

Der letzte Film – Ernsthafte gesundheitliche Probleme

Hitchcocks letzte Jahre standen im Zeichen zunehmender altersbedingter gesundheitlicher Probleme. Darunter litt auch die Vorbereitung zu seinem nächsten Film, der auch sein letzter werden sollte. Im Frühjahr 1973 entschloss sich Hitchcock, den Roman The Rainbird Pattern von Victor Canning zu verfilmen. Für das Drehbuch gewann er Ernest Lehman, mit dem er 14 Jahre zuvor erfolgreich bei Der unsichtbare Dritte zusammengearbeitete. Doch diesmal ging die Drehbucherstellung nicht mehr so reibungslos vonstatten. Hitchcock war merklich müde geworden und er wirkte zeitweilig völlig desinteressiert. Weitere gesundheitliche Probleme kamen hinzu. Er litt zunehmend unter Arthritis und er hatte Schwindelanfälle. Er litt nach dem Einsetzen eines Herzschrittmachers Ende 1974 unter einer Kolitis, bald darauf folgte eine Nierenstein-Operation. Seine Schmerzen betäubte er zunehmend mit Alkohol. Zwei Jahre benötigte die Fertigstellung des Drehbuchs, so lange wie nie zuvor in seiner Karriere.

Mit Familiengrab, wie der Film schließlich hieß, kehrte Hitchcock zum heiteren Unterhaltungsthriller zurück. Die turbulenten Geschichte zweier Gaunerpärchen, die sich bei ihrer Arbeit gegenseitig ins Gehege kommen, erinnert in ihren besten Momenten an Hitchcocks Glanzfilme aus den 1950er-Jahren und enthält einige erinnerungswürdige Szenen und Einfälle, zum Beispiel eine spektakuläre Auto-Jagd oder die Entführung eines Bischofs mitten aus der Kirche. Im Rahmen seiner gesundheitlichen Möglichkeiten brachte sich Hitchcock mit einem lange nicht gezeigten Elan in die Dreharbeiten ein. Der Kameramann Leonard South, mit dem Hitchcock seit 1951 zusammen arbeitete, sagte hierzu: „Er ist immer noch ein Meister der Technik, ganz egal wie müde er im Augenblick scheint. […] Er hat immer Recht und veranlasst nie eine Kamerabewegung, ohne einen wirklichen Grund dafür zu haben. Will er das Publikum bewegen, gelingt ihm das durch Kamerabewegungen, nicht unbedingt durch die Schauspieler. Bis jetzt gibt es einfach keinen besseren als ihn.[14]

Die Dreharbeiten gestalteten sich reibungslos und in einer entspannten Atmosphäre. Die Überwachung der Schnittarbeiten musste Hitchcock dann jedoch weitgehend seinen Mitarbeiterinnen Peggy Robertson und Suzanne Gauthier überlassen, da sich sein Gesundheitszustand deutlich verschlechterte und er einem Herzinfarkt nahe war. Alma erlitt zudem einen zweiten Schlaganfall. Familiengrab wurde nach seiner Premiere im Frühjahr 1976 überwiegend freundlich aufgenommen und Hitchcock schöpfte aus der Sympathie, die ihm entgegenschlug, kurzzeitig Kraft, neue Pläne zu schmieden und neue Filmideen aufzugreifen.

Arbeit an The Short Night – Die letzten Jahre

Doch erst Anfang 1978 nahm er sein nächstes Projekt in Angriff, die Verfilmung des Romans The Short Night von Ronald Kirkbride. Im Laufe eines Jahres entstanden zwei unterschiedliche Drehbücher von Ernest Lehman und von David Freeman, und Hitchcock selbst steuerte die Dialoge zu diversen Szenen bei. Doch zu einer Verfilmung kam es nie. Aufgrund des sich weiter verschlechternden Gesundheitszustands – Hitchcock hätte die diversen komplizierten Außenaufnahmen keinesfalls persönlich leiten können – wurde das Projekt von Universal im Frühjahr 1979 gestoppt.

Im März 1979 wurde Hitchcock vom American Film Institute für sein Lebenswerk geehrt. Zwei Monate später schloss er sein Büro auf dem Gelände der Universal-Studios. Gleichzeitig entließ er seine langjährige Assistentin Peggy Robertson, kurz darauf musste auch Suzanne Gauthier gehen. Am 3. Januar 1980 wurde Hitchcock in Hollywood seine Erhebung zum Knight Commander of the Order of the British Empire überreicht, die einem Ritterschlag entspricht. Am Morgen des 29. April 1980 starb Alfred Hitchcock in seinem Haus in Los Angeles an Nierenversagen. Sein Körper wurde eingeäschert, die Asche wurde verstreut.

Inhalte und Formen – Das Hitchcock-Universum

Hitchcock ist einer der größten Erfinder von Formen in der Geschichte des Films. Die einzigen Regisseure, die in dieser Hinsicht mit ihm verglichen werden können, sind allenfalls Murnau und Eisenstein. [...] Bei ihnen verschönert die Form den Inhalt nicht nur, sondern sie schafft ihn erst.“

Eric Rohmer/Claude Chabrol[15]

Arbeitsweise: Von der Stoffauswahl bis zum Endschnitt

In rund 50 Jahren hat Alfred Hitchcock 53 Spielfilme als Regisseur begonnen und beendet. Die weitaus größte Zahl dieser Filme gehört zum Genre des Thrillers an und weist ähnliche Erzählmuster und Motive auf, immer wiederkehrende Elemente, visuelle Stilmittel und Effekte, die sich wie ein roter Faden durch sein Gesamtwerk ziehen. Diese Elemente variierte und perfektionierte Hitchcock im Laufe der Jahre, sie sind jedoch für seine Arbeitsweise und sein Filmverständnis von Anfang an typisch und stilbildend. Einer der wichtigsten Aspekte der Arbeitsweise Alfred Hitchcocks war, dass er von der Stoffauswahl bis zum Endschnitt normalerweise nichts dem Zufall überließ, sondern die völlige Kontrolle über die Herstellung des Films beanspruchte. Dies gelang ihm zumeist dadurch, dass er von Anfang an das Endprodukt im Auge hatte und alle Arbeitsschritte an diesem Ziel ausrichtete. Die literarischen Drehbuchgrundlagen waren nach Hitchcocks Filmverständnis Mittel zum Zweck, ebenso die zur Verfügung stehende Filmtechnik.

Stoffauswahl und Drehbucherstellung, Bildsprache, Szenenaufbau und Storyboards

Wenn das Kino von heute auf morgen wieder ohne Tonspur auskommen müsste und wieder zu einer stummen Kunst werden würde, wäre ein gut Teil der Regisseure zur Arbeitslosigkeit verurteilt; unter den Überlebenden aber wäre Alfred Hitchcock, und man würde endlich begreifen, dass er der beste Regisseur der Welt ist.“

François Truffaut (1962)[16]

Hitchcocks Filme basieren oft auf Kurzgeschichten oder Romanen, gelegentlich auf Entwürfen von Autoren oder auf Bühnenstücken und manchmal auch auch auf eigenen Ideen. Selten dagegen basierten seine Filme auf anerkannter, hochwertiger Literatur. Wenn Hitchcock existierende Vorlagen benutzte, übernahm er einzelne Grundzüge und Grundmotive der Handlung und entwickelte daraus zusammen mit dem jeweiligen Drehbuchautor oft eine völlig neue Geschichte, mit anderen Charakteren, Handlungsorten und Inhalten. Hochwertige, komplexe Literatur sperrte sich gegen diesen Umgang und Hitchcock scheute daher deren Verfilmung, auch aus Respekt gegenüber literarisch hochwertigen Vorlagen, blieb in der Regel doch von der Vorlage im fertigen Film nicht viel übrig. Hitchcock wurde nach 1932 bei keinem seiner Filme offiziell als Autor in Vor- oder Abspann erwähnt. Er erklärte diese Zurückhaltung so: „Ich will nie einen Titel als Produzent oder Autor. Ich habe das Design des Films geschrieben. Mit anderen Worten, ich setze mich mit dem Autor zusammen und entwerfe den ganzen Film vom Anfang bis zum Ende […] Dann geht der Autor weg und arbeitet das aus. Er charakterisiert die Personen und schreibt die Dialoge.“ Sein Anteil am Drehbuch war bei den meisten dieser Filme dennoch groß. Gelegentlich hat er im Nachhinein noch die Dialoge ganzer Szenen verändert oder ergänzt, etwa um die Spannungs-Dramaturgie zu verbessern (Beispiel: Das Rettungsboot) oder um autobiographische Bezüge einzubauen (Beispiel: Ich beichte).

Hitchcock war ein Regisseur, der früh begann, seine Filme über das Visuelle zu konzipieren und zu entwickeln, sich darüber von anderen britischen Filmemachern abzugrenzen und eine eigene Handschrift zu entwickeln. Dies drückt sich auch in seiner Arbeitsweise bei der Filmkonzeption und bei den Dreharbeiten aus. Ein wesentlicher Aspekt bei Hitchcocks Arbeitsweise ist die Entwicklung der einzelnen Szenen aus „Bildern“, die expliziten Kameraeinstellungen entsprechen, und die er bereits im Kopf hatte. So wurden vor Drehbeginn präzise Storyboards erstellt, in denen durch gezeichnete Skizzen Einstellung für Einstellung festgelegt war, wie das fertige Filmbild aussehen würde. Bei anderen Regisseuren, die ebenfalls Storyboards benutzen, verdeutlichen diese die Drehbuchinhalte, während bei Hitchcock das „Bild“ immer im Vordergrund stand und das eigentliche Drehbuch nur die Einstellungen und Szenen verband und die Dialoge beinhaltete. So war, noch bevor ein Bild für den Film gedreht war, für Hitchcock klar, mit welchen Bildern, mit welcher Einstellungsgröße, in welchem Kamerawinkel, in welchem Rhythmus eine Figur, eine Szene oder eine Emotion am besten auszudrücken war. Daran hielt er sich anschließend so genau wie möglich, so dass man sagen kann, dass ein Film – zumindest in Hitchcocks Vorstellung – bereits vor Drehbeginn im Hinblick auf den schöpferischen Prozess fertig war. Dutzende Hitchcocksche Szenen, die auf diese Weise entstanden sind, sind in das kollektive Gedächtnis übergegangen. Vielleicht die berühmtesten: Die Duschszene aus Psycho, der Flugzeugangriff auf Cary Grant und die Jagd auf Mount Rushmore in Der unsichtbare Dritte, die Versammlung der Vögel auf dem Klettergerüst in Die Vögel, der Mord mit der Schere in Bei Anruf Mord, die Suche nach der Krawattennadel im Kartoffellaster in Frenzy oder Cary Grant mit dem leuchtenden Milchglas auf der Treppe in Verdacht.

Die Dialoge waren für Hitchcock immer nur ein notwendiger Bestandteil des Films, da er seine Geschichten vorwiegend visuell entwickelte und pflegte, Emotionen über Bilder auszudrücken. Er wusste jedoch, dass der Gesamteindruck des Films zu einem Großteil auch von guten, geschliffenen Dialogen abhängt. Hitchcock griff daher für die Drehbucherstellung gerne auf erfahrene Autoren zurück, die in der Lage waren, flüssige, geistreiche Dialoge zu schreiben. Zudem mussten diese Autoren in der Lage sein, Hitchcocks „Bildsprache“ interpretieren und verstehen zu können und beides zu integrieren, daher waren ihm Dramatiker, denen das Spiel mit dem Publikum und der Umgamg mit Dialogen vertraut war, lieber, als Romanautoren. Im Laufe der Jahre entwickelte sich hierbei eine sehr kreative Zusammenarbeit mit einzelnen Autoren, zu nennen sind insbesondere die Drehbuchautoren John Michael Hayes, Ben Hecht, Ernest Lehman und Samuel A. Taylor sowie die Theaterautoren Eliot Stannard und Charles Bennett. Die jeweils einmalige Zusammenarbeit mit Thornton Wilder, George Tabori und Jay Presson Allen erwies sich ebenfalls als reibungslos. Auf befreundete Autoren wie Angus McPhail oder Hume Cronyn griff er gelegentlich zurück, wenn er bei einem Drehbuch Hilfe benötigte. Bei anderen namhaften Autoren, mit denen er die Zusammenarbeit suchte, traten jedoch Probleme in der Zusammenarbeit oder im künstlerischen Verständnis auf: bei John Steinbeck, Raymond Chandler und bei Leon Uris. Mit einigen Autoren, mit denen er zuvor erfolgreich zusammenarbeitete, überwarf er sich später und ersetzte sie unangekündigt durch andere.

Hitchcocks visueller Arbeitsstil drückt sich auch in den Expositionen vieler seiner Filme aus. Er führte den Zuschauer anhand von „Mini-Stummfilmen“ in das Geschehen ein und brachte ihm die handelnden Figuren, die Umstände, die Vorgeschichte und die Grundstimmung der folgenden Handlung ohne die Verwendung von Dialogen nahe. Die Länge dieser Einführungen variierte zwischen wenigen Sekunden und mehreren Minuten. Erstmals verfolgte er diese Technik 1929 in seinem ersten Tonfilm Erpressung. Einige weitere bekannte Beispiele solcher stummen Expositionen: 1936 in Sabotage, 1951 in Der Fremde im Zug, 1952 in Ich beichte, 1954 in Bei Anruf Mord und Das Fenster zum Hof, 1955 in Über den Dächern von Nizza und 1964 in Marnie.

Dreharbeiten und Improvisation

Ich schaue nie durch den Sucher, aber mein Kameramann weiß genau, dass ich weder Luft noch Raum um die Personen herum haben möchte und dass die Zeichnungen, die wir gemeinsam angefertigt haben, ganz genau reproduziert werden müssen. Man darf sich nie von dem Raum vor der Kamera beeindrucken lassen. Man muss sich vorstellen, dass man, um das gewünschte Bild zu bekommen, eine Schere nimmt und das Überflüssige, den unnötigen Raum wegschneidet.

Alfred Hitchcock [17]

Hitchcocks Filmverständnis bedingte eine bestimmte Arbeitsweise bei den Dreharbeiten: Hitchcock drehte in den meisten Fällen immer nur die Einstellungen, die er für den fertigen Film benötigte und die seinem „Bild“ der jeweiligen Szene entsprachen – seiner Ansicht nach Überflüssiges ließ er weg – sowohl überflüssige Einstellungen und Varianten als auch überflüssiges Beiwerk in den einzelnen Szenen und Einstellungen. Jedes am Ende tatsächlich sichtbare Detail hat letztendlich Relevanz. Aufgrund dieser visuellen Arbeitsweise kamen die vielen bekannten typischen „hitchcockschen“ Kameraeinstellungen zustande, die alle gemein haben, dass der Bildausschnitt exakt das wiedergibt, was für das Verständnis der Szene wesentlich ist, und der Zuschauer keinesfalls durch Dinge abgelenkt wird, die für die Handlung keine Bewandtnis haben. Auf diese Weise gelang es Hitchcock, den Zuschauer in das Geschehen auf der Leinwand hinein zu ziehen und ihm nicht die Gelegenheit zu geben, sich als neutraler Beobachter zu fühlen, der sich allzu gerne von unwichtigen Details ablenken lässt.

Man kann improvisieren und man muss improvisieren, aber ich glaube, das sollte in einem Büro geschehen, wo keine Elektriker und keine Schauspieler warten. Da kann man improvisieren, soviel man will – im Voraus. […] Ich drehe einen vorgeschnittenen Film. Mit anderen Worten, jedes Stück Film ist entworfen, um eine Funktion zu erfüllen.

Alfred Hitchcock [18]

Hitchcock war kein Regisseur, der gerne bei den Dreharbeiten improvisierte. Nach seinem Filmverständnis war der Film zu Beginn der Dreharbeiten so weit entworfen, dass es keine Möglichkeit der Improvisation mehr gab oder geben musste. Alles war im Vorhinein durch Drehbuch und Storyboards festgelegt, nur in Einzelfällen, wenn der Rhythmus oder die Wirkung einer Szene noch nicht stimmte, probierte er Alternativen aus, die jedoch wieder dem selben Grundsatz gehorchten: Einstellungen und Schnittfolgen, und damit das Design der Szene wurden vorab festgelegt. Auch diese Alternativen waren singulär und nicht beliebig kombinierbar. Diese Arbeitsweise, die er seit Beginn seiner Regisseurtätigkeit pflegte, stand – wie er nach seiner Übersiederlung nach Hollywood bald erkennen musste – im Gegensatz zu der damals dort üblichen Methode, die einzelnen Szenen mehrfach durchgehend aus unterschiedlichen Kamerapositionen zu drehen, um später im Schneideraum nicht nur die Möglichkeit einer Vielzahl von Schnittvariationen zu besitzen, sondern damit auch das Tempo und die Atmosphäre einer Szene neu zu definieren. Gegenüber Truffaut erklärte er: „Ich gebe doch immer damit an, dass ich beim Drehen nie ins Drehbuch schaue. Ich kenne den Film ganz und gar auswendig. Ich habe Angst davor gehabt, im Atelier zu improvisieren, weil, selbst wenn man im Augenblick Ideen hat, bestimmt keine Zeit bleibt nachzuprüfen, was sie taugen. Zu viele Arbeiter, Beleuchter, Mechaniker sind drumherum, und bei überflüssigen Ausgaben bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Ich könnte das nicht, was andere Regisseure machen. Sie lassen ein ganzes Team warten und setzten sich hin, um zu überlegen. Nein, das könnte ich nicht.“

In ganz wenigen Fällen ließ Hitchcock Improvisation zu. So ließ er bei Mord – Sir John greift ein! aus der Not heraus – die Drehbucharbeiten waren in Verzug – die Schauspieler eine Woche lang ihre Dialoge improvisieren. Mit dem Ergebnis war er so unzufrieden, dass er nie weider auf diese Vorgehensweise zurückgriff.[19] Allerdings geschah es bei späteren Filmen, dass einzelne für den Gesamtzusammenhang eher unwichtige Szenen spontan improvisiert wurden. Ein Beispiel ist die Kutschfahrt in Geheimagent.

Das Arbeitsumfeld

Ein weiteres Merkmal von Hitchcocks Arbeitsweise ist die Tatsache, dass er sich, wann immer möglich, bei der Filmproduktion mit Mitarbeitern umgab, die sein Vertrauen genossen, seine Vorstellungen kannten und vor allem in der Lage waren, an ihrer Umsetzung mitzuwirken. Diese arbeiteten dann häufig über lange Jahre mit ihm zusammen. In erster Linie ist hier seine Frau Alma zu nennen, die anfangs direkt an seinen Filmen mitwirkte, später im Hintergrund wirkte, aber Zeit seines Lebens als Hitchcocks engste Mitarbeiterin galt. Auch was die administrative Ebene betrifft, umgab sich Hitchcock mit engen Mitarbeitern, etwa was Produzenten oder Agenten betrifft. Eine besonders herausgehobene Stellung nahmen dabei seine langjährigen persönlichen Assistentinnen Joan Harrison, Suzanne Gauthier und Peggy Robertson ein, die ihm vor allem in späteren Jahren viele Arbeiten abnahmen und die sein vollstes Vertrauen genossen.

Ähnliches gilt für den erweiterten künstlerischen und den technischen Bereich. Hitchcock brauchte Kameramänner, Cutter und Komponisten, mit denen er eine gute gemeinsame Arbeitsebene finden konnte und die seine Arbeitsweise verstanden. Solche Mitarbeiter ergänzten ihn gut und prägten zu ihrer jeweiligen Zeit den „Hitchcock-Stil“ mit. Besonders zu erwähnen sind hierbei die Komponisten Bernard Herrmann, Louis Levy und Dimitri Tiomkin, die Kameramänner George Barnes, Robert Burks, John J. Cox, Bernard Knowles, Harry Stradling und Leonard J. South, die Szenenbildner, Grafiker und Designer Robert F. Boyle, Henry Bumstead, Albert Whitlock und Saul Bass, die Cutter Ivor Montagu und George Tomasini und die Kostümbildnerin Edith Head, die die Art der Zusammenarbeit mit Hitchcock wie folgt beschrieb: „Loyalität war Hitchcock besonders wichtig. Er war Mitarbeitern gegenüber so loyal, wie er es von ihnen erwartete.“[20]

Umgang mit Einmischung und Zensur

Hitchcock musste sich im Verlauf seiner Karriere immer wieder äußeren Rahmenbedingungen anpassen, zum Beispiel den Wünschen von Produzenten, engen Zeitplänen, den Terminplänen der Studios und der Stars, begrenzten Budgets oder unfertigen Drehbüchern bei Drehbeginn. Zudem galt in den USA bis 1967 der Hays Code (oder Production Code), eine Sammlung von Richtlinien über die Zuläsigkeit der Darstellung von Gewalt und Sexualität im Film, deren Einhaltung streng überwacht wurde und der sich kein Regisseur entziehen konnte. So war es damals unter anderem unmöglich, im Film einen Mörder ungestraft davon kommen zu lassen.

Aufgrund seiner Arbeitsweise, jede Einstellung exakt so zu drehen, wie er sie für den fertigen Film benötigte, hatte er gegenüber den Produzenten und ihre persönlichen oder kommerzielle Interessen mehr Kontrolle über den Film. Ein Umschneiden war praktisch nicht möglich. So verärgerte er in seinen ersten Hollywoodjahren einen Produzenten wie David O. Selznick, der dazu neigte, sich in die Dreharbeiten einzumischen. Solcherlei Eingriffe in die Freiheit seines künstlerischen Schaffens waren ihm normalerweise zuwider, zudem mochte er es nicht zu improvisieren. Eingriffe von außen bedeuteten jedoch von Fall zu Fall auch eine künstlerische Herausforderung. In einigen Fällen schaffte es Hitchcock, Beschränkungen durch die Zensur kreativ zu umgehen. Beispiele:

  • In Mr. und Mrs. Smith verzerrte er die (eindeutigen) Geräusche einer Toilette so, dass man sie für eine Dampfheizung halten konnte – und so gab er es gegenüber der Zensurbehörde auch an, und kam damit durch.
  • In Berüchtigt sollte ein langanhaltender Kuss zwischen Ingrid Bergman und Cary Grant zu sehen sein. Da die Länge von Küssen im Film damals auf drei Sekunden reglementiert war, inszenierte Hitchcock den Kuss als Folge von einzelnen, kurz durch Dialogsätze unterbrochenen Küssen.
  • In Psycho zeigte er eine Toilette, in der ein Papierzettel hinuntergespült wurde. Indem er das Bild der Toilette mit einer dramaturgischen Funktion versah – das Verschwinden eines Beweisstücks musste erklärt werden – verhinderte er, dass die Szene geschnitten wurde.
  • Bereits 1934 überlistete Hitchcock die britische Zensur. In der ersten Version von Der Mann, der zuviel wusste zeigte er die Belagerung eines Ganovenschlupfwinkels durch die Polizei. Die Dramaturgie erfordete, dass die Polizei bewaffnet war, was damals in der Realität allerdings nicht der Fall war und wogegen die Zensur Einspruch erhob. Man ließ sich jedoch auf den Kompromiss ein, dass sich die Polizei im Film die Waffen bei einem örtlichen Waffenschmied besorgen durfte, um zu betonen, dass Schusswaffen nicht zur Grundausstattung der Londoner Polizei gehören. Durch einen einzigen kurzen Zwischenschnitt – ein mit Gewehren voll beladener Laster kam an und die Waffen wurden an die Polizisten verteilt – gelang es Hitchcock jedoch, beim Zuschauer genau den zuvor gewünschten Eindruck zu erzeugen.

In manchen Fällen musste er jedoch klein beigeben und die Drehbücher entsprechend anpassen. So war es Anfang der 1940er Jahre nicht möglich, einen bewussten Selbstmord einer schwangeren Frau zu zeigen. Daher kam das Ende, das Hitchcock eingentlich für Verdacht vorgesehen hatte, nicht zustande und er kam in die prekäre Situation, noch bis Kurz vor Schluss der Dreharbeiten, kein passendes Ende für den Film zu haben. In Ich beichte verhinderte ebenfalls die Zensur, dass das frühere Verhältnis zwischen dem Priester und der verheirateten Frau eindeutigere Züge (bin hin zu einem unehelichen Kind) annehmen konnte, so dass er auf diese Elemente verzichten musste.

Hitchcocks größter Sieg gegen die Zensur war jedoch die Schlussszene von Der unsichtbare Dritte. Cary Grant und Eva Marie Saint befinden sich in einem Schlafwagen. Er zieht sie zu sich nach oben in das obere Bett und sie küssen sich. Es erfolgt ein Umschnitt und man sieht einen Zug in einen Tunnel rasen. Dies ist, so Bill Krohn in Hitchcock at Work, die expliziteste Beschreibung des Sexualakts in einem US-Film zu Zeiten des Production Code.[21]

Formale Elemente

Einflüsse auf Hitchcock als Regisseur

Hitchcock sah zeit seines Lebens viele Filme anderer Regisseure, obwohl er nie viel Aufhebens darum machte. Er vermied es, von sich aus andere Filme explizit öffentlich zu diskutieren oder zu bewerten. Er machte allerdings keinen Hehl daraus, dass er die meisten Filme alleine schon aus technischer Sicht uninteressant fand. Hitchcock, dessen Filmvokabular in erster Linie visuell augerichtet war und der wie wenige andere in der Lage war, die Gedanken und Emotionen seiner Figuren völlig ohne Worte auszudrücken, erklärte hierzu 1966 vor Harvard-Studenten: „Die meisten Filme, die wir heutzutage sehen, sind nicht mehr als Fotografien von redenden Menschen. Sie sind nicht das wahre Kino.“ [22]

Hitchcock hatte jedoch auch Vorbilder. Beeindruckt war er in seiner Jugend vor allem von der Werken von D. W. Griffith, der mit seinen Werken technisch und stilistisch das damalige Filmwesen revolutionierte. Darüber hinaus bewunderte er Fritz Lang, Ernst Lubitsch, Charlie Chaplin, Buster Keaton, Douglas Fairbanks sen., Mary Pickford und F. W. Murnau. Murnaus Der letzte Mann über den sozialen Abstieg eines Hotelportiers (die Dreharbeiten konnte Hitchcock 1922 in München beobachten) kommt völlig ohne Zwischentitel aus und ist ein Meilenstein der Filmgeschichte. Hitchcock meinte später: „‚Der letzte Mann‘ war beinahe der perfekte Film. Er erzählte seine Geschichte ohne Titel; Von Anfang bis Ende vertraute er ganz auf seine Bilder. Das hatte damals einen ungeheueren Einfluss auf meine Arbeit.“ [23]

Abgesehen von diesen stilistischen Einfüssen vermied es Hitchcock jedoch, in seinen eigenen Werken, vorhandene Stile zu kopieren oder andere Filme oder Regisseure zu zitieren. In Hitchcocks Werk sind keine Filme, Szenen oder Einstellungen bekannt, von denen man sagen könnte, dass sie bewusste Zitate oder Kopien aus entsprechenden Filmen anderer Regisseure wären. Lediglich in seinen Anfangsjahren als Stummfilmregisseur in England versuchte er – häufig zum Unwillen seiner Produzenten bzw. Geldgeber – technische Mittel und Stilelemente des damaligen US-Films und des deutschen Films in den britischen Film einzuführen. Die Betonung des Visuellen im deutschen Expressionismus prägte seinen eigenen Umgang mit filmischen Mitteln. Und vom US-Film übernahm er damals unter anderem die Technik, mit Hilfe von Beleuchtungeffekten Tiefe zu schaffen und den Vorder- vom Hintergrund absusetzen, etwas das bis in die 1930er Jahre im britischen Film absolut unüblich war.

Ohne dass Hitchcock als ein typischer Regisseur des Film noir angesehen werden könnte, erinnern viele seiner Filme aus den 1940er und 1950er Jahren an die düsteren Filme, die den US-amerikanischen Kriminalfilm zwischen etwa 1941 und 1958 bestimmten. So gibt es in Hitchcocks Werk einige motivische oder visuelle Überschneidungen mit der Filmgattung, die in einer Zeit der Ungewissheit und Perspektivlosigkeit im Amerika der Weltkriegs- und Nachweltkriegszeit wurzelte, etwa die bei Hitchcock immer wiederkehrenden Elemente Schuld, Verführung und das Kriminelle im Allgemeinen. Mit dem Film noir gemeinsam haben viele Filme Hitchcocks die bedrohlich wirkende Kulisse, der sich die Hauptfiguren häufig gegenüber sehen, wie etwa in Im Schatten des Zweifels und Berüchtigt, in denen jeweils eine Frau der wachsenden Bedrohung durch einen Mörder ausgesetzt ist, oder in Der Fremde im Zug, Ich beichte und besonders Der falsche Mann, wo das Motiv der allgegenwärtigen Bedrohung der Hauptfiguren eine Rolle spielt. Dieser Film spielt in besonderem Maße mit den Motiven von Angst und Verdammnis von Figuren, die durch scheinbar unausweichliche Ereignisse in die Enge getrieben werden. Vertigo erinnert in der Grundkonstellation und der alptraumhaften Zwanghaftigkeit der Geschehnisse an manche Klassiker des Genres, wie zum Beispiel Frau ohne Gewissen, hebt sich jedoch formal und stilistisch deutlich vom Film noir ab.

Darüber hinaus zeichnen sich einige weitere Filme Hitchcocks dieser Zeit durch jene kontrastreiche, expressionistische Bildgestaltung aus, die typisch für den Film noir ist,[24] eine Bildgestaltung, die jedoch auch schon seit den 1920er Jahren zu Hitchcocks eigenem künstlerischem Repertoire gehörte und von der visuellen Stilistik des Stummfilms beeinflusst ist.

Methoden der Spannungserzeugung

Suspense und Überraschung

Die landläufige Form der Spannungserzeugung besteht darin, dass der der Zuschauer zusammen mit den Filmfiguren im Ungewissen ist und sich die Handlung bis zu einer überraschenden Auflösung hin entwickelt. Die klassische, auf das Überraschungsmoment aufbauende, Form des Kriminalfilms ist der Whodunit, in dem sich dem Zuschauer erst am Schluss die Täterschaft offenbart und er bis dahin, zusammen mit dem Detektiv, allerlei richtigen und falschen Fährten zu folgen hat. Diese Form des Spannungsaufbaus lehnte Hitchcock ab. In seiner gesamten Karriere drehte Hitchcock einen einzigen „echten“ Whodunit, 1931 den Film Mord – Sir John greift ein!. In einigen anderen Filmen offenbart sich die Täterschaft zwar auch erst am Ende, der Zuschauer ist aber nicht auf der Suche nach dem Täter, da er ihn entweder (vermeintlich) bereits kennt oder weil die Tätersuche nicht im Mittelpunkt des Geschehens steht. Beispiele sind Psycho, Der Fall Paradin, Ich kämpfe um dich, Über den Dächern von Nizza und Die rote Lola.

Hitchcock arbeitet statt dessen typischerweise mit sich entwickelnder und anhaltender Spannung, also damit, dass sich ein Geschehen abspielt, dessen mögliche Konsequenzen für den Zuschauer nicht als plötzlicher und unvorhersehbarer Schock eintreffen, da dieser über die Umstände informiert ist. Hitchcock benutzte hierfür den Begriff Suspense, der, da es keine deutsche Entsprechung gibt, auch hierzulande verwendet wird. Die Spannung entsteht daraus, dass dem Zuschauer ab einem gewissen Zeitpunkt Informationen oder Umstände bekannt sind, von denen der „Held“ oder allgemein die handelnden Personen nichts wissen. Dies kann sich zum Beispiel um die Täterschaft handeln oder um eine andere grundlegende Information. Suspense kann jedoch auch in einzelnen Szenen auftreten. Durch diesen Informationsvorsprung wird der Zuschauer auf der einen Seite aus der Diegese und der ursprünglichen Identifikation mit den Figuren gerissen und zum distanzierten Beobachter einer Handlung aus einer Überblicksperspektive. Zugleich bringt dieser Informationsvorsprung den Zuschauer dazu, in besonderer Weise mit den Helden zu fiebern: Er wird zum Mitwisser, sieht Ereignisse kommen, möchte den Figuren helfen, kann es aber nicht.

Beispiele für diese Art der Spannungserzeugung finden sich in fast allen Filmen Hitchcocks. Nur zwei Beispiele:

  • In Berüchtigt weiß der Zuschauer, dass die bei einem mutmaßlichen Naziverschwörer eingeschleuste Alicia Huberman (Ingrid Bergman) von diesem enttarnt wurde und langsam vergiftet wird. Ihre Schwäche und Geistesabwesenheit bei ihren Treffen wird von ihrem Partner Devlin (Cary Grant) aber als Alkoholismus missverstanden, so dass er die aufziehende Gefahr, im Gegensatz zum Zuschauer, zunächst nicht erkennt und ihre schleichende Ermordung weitergeht, wobei sich die Spannung, ob sie gerettet werden kann, immer mehr steigert.
  • In Vertigo – Aus dem Reich der Toten lernt Scottie nach dem Tod von Madleine, die er beschattet hatte und deren „Selbstmord“ er nicht verhindern konnte, eine Frau kennen, die ihn an Madeleine erinnert und die er in traumatischer Besessenheit in die „Verstorbene“ verwandeln will. Der Zuschauer erfährt schon zu Beginn ihrer Bekanntschaft, dass beide Frauen identisch sind und die folgende verhängnisvolle Entwicklung kann nur in ihrer Unausweichlichkeit und Tragweite wahrgenommen werden, weil der Zuschauer nicht wie die Hauptfigur durch die Auflösung am Ende des Films überrascht wird.

In einigen Filmen wird das klassische Suspense dahingehend variiert, dass handelnde Personen die Rolle des Zuschauers übernehmen – sie wissen um die Bedrohung, können aber nicht eingreifen:

  • In Das Fenster zum Hof dringt Lisa (Grace Kelly) in die Wohnung des verdächtigen Nachbarn ein, um nach Beweisen für einen möglichen Mord zu suchen. Ihr Partner Jeff (James Stewart) beobachtet das Geschehen von der gegenüber liegenden Wohnung aus und sieht dabei den Nachbarn vorzeitig zurückkommen. Er vermutet sie in Lebensgefahr, kann ihr aber nicht helfen. Hier übernimmt der Held sozusagen die Rolle, die normalerweise bei dieser Form der Spannungserzeugung der Zuschauer innehat, als hilfloser Beobachter bedrohlicher Entwicklungen.
  • In Der Fremde im Zug versucht der Schurke, seinem Widerpart einen Mord in die Schuhe zu schieben, indem er einen belastenden Gegenstand, ein Feuerzeug, am Tatort hinterlegt. Der andere weiß jedoch davon, will es verhindern, muss aber, während der Schurke schon auf dem Weg zum Tatort ist, noch ein Tennisspiel bestreiten und möglichst schnell gewinnen, um den Schurken aufzuhalten. Das Geschehen bezieht seine Spannung daraus, dass sich das Tennisspiel in die Länge zieht, während der Schurke auf dem Weg zum Vollzug seiner Tat ist, und so die Gefahr für den Helden immer größer wird. Auf dem Höhepunkt der Spannungserzeugung wendet sich das Geschehen: Das Feuerzeug fällt dem Schurken in einen Gully und er versucht, während sein Verfolger sich dem Ende des Matches nähert, verzweifelt, das Feuerzeug aus dem Gully zu ziehen, um rechtzeitig am Tatort zu sein. In diesem Fall bezieht der Suspense nicht nur den Zuschauer als Mitwissenden ein, sondern auch die beiden Figuren, die sich, wissend von der gegenseitigen Bedrohung, sozusagen ein Rennen liefern. Überdies spielt Hitchcock hier mit dem Wechsel von Perspektiven und der Lenkung der Identifikation des Zuschauers und beweist, dass Suspense auch benutzt werden kann, um eine Identifikation mit dem „Bösen“ herzustellen.

In Hitchcocks Werk finden sich aber auch Fälle, in denen er zuerst eine Suspense-Situation aufbaut und diese plötzlich umkippen lässt, indem er einen völlig unerwarteten Überraschungseffekt auslöst. Hitchcock verwendet hier Suspense, um von diesen nachfolgenden Schockmomenten abzulenken:

  • In Sabotage wird ein kleiner Junge von einem Saboteur beauftragt, ein Paket zu einem Ort zu bringen. Der Zuschauer weiß, dass in dem Paket eine Bombe ist, die mit einem Zeitzünder vesehen ist, und es entsteht Suspense aus dem Wissen, dass das Paket, das der Junge transportiert, irgendwann explodieren wird. Der Spannungsbogen wird dadurch, dass der Junge alle Gelegenheiten nutzt, seine Zeit zu vertrödeln, so weit gespannt, dass der Zuschauer immer ungeduldiger auf die Auflösung wartet. Als die Bombe dann jedoch tatsächlich explodiert und den Jungen tötet, ist dies ein unerwarteter Schock, denn vor allem aufgrund der Tatsache, dass ein Kind das Opfer der Bedrohung ist, war die Erwartung des Publikums, dass es beim Suspense, in dem Fall der Bedrohung bleiben würde. Hitchcock hat die Tatsache, dass er die Bombe explodieren und das Kind töten ließ, im Nachhinein als „schweren Fehler“[17] bezeichnet.
  • In Psycho finden sich gleich zwei berühmte Suspense-contra-Schock-Szenen. Die eine ist die Duschszene mit dem Mord an der Hauptfigur, die Hitchcocks üblichem Vorgehen zuwiderläuft: Zum einen ist Marion Crane (Janet Leigh) mit verschiedenen Insignien einer typischen Hauptfigur eines Hitchcockfilms augestattet, so dass niemand erwartet, dass sie bereits in der ersten Hälfte des Films stirbt. Zum anderen schaltet Hitchcock der Duschszene selbst einen Suspense-Moment vor. Norman Bates (Anthony Perkins) beobachtet Marion Crane durch ein Loch in der Wand beim Ausziehen. Sie geht unter die Dusche. Wenn der Zuschauer infolge dessen überhaupt irgendetwas Unangenehmes erwartet (er befindet sich immerhin in einem Hitchcock-Film) dann im schlimmsten Fall eine Vergewaltigung durch Norman, aber keinesfalls einen bestialischen Mord durch die Mutter. Dieser Mord geschieht somit völlig überraschend, ein Umstand, dem diese Szene und der Film allerdings ihre Berühmtheit verdanken.
  • Gegen Ende von Psycho sucht Lila Crane (Vera Miles) Norman Bates' Mutter, die der Zuschauer für die Mörderin hält und daher bereits auf das Schlimmste gefasst ist. Gleichzeitig verfolgt aber Norman Lila und die Aufmerksamkeit und Hoffnung des Zuschauers wird somit darauf gelenkt, ob und dass Lila die Mutter findet, bevor Norman Lila findet. Somit trifft der anschließende Schockeffekt beim Anblick der mumifizierten Mutter unmittelbar auf einen Moment der Erleichterung (die Mutter ist gefunden) und wirkt daher um so stärker.
  • In Der Fremde im Zug möchte Guy Brunos Vater aufsuchen, um ihm von den Plänen seines Sohns zu berichten. Die Atmosphäre in dem Haus ist unheimlich, so dass der Zuschauer irgendetwas Schlimmes erwartet. Tatsächlich taucht plötzlich ein großer bedrohlicher Hund auf und die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird auf die Frage gelenkt, ob Guy es schafft, unbeschadet an dem Hund vorbei zu kommen. Als ihm dies nach einiger Zeit gelingt, ist der Zuschauer erleichtert und wird plötzlich und unvermittelt davon überrascht, dass nicht Brunos Vater, sondern Bruno selbst im oberen Stockwerk auf Guy wartet.
MacGuffins

Eine bevorzugte Methode, um die Handlung voranzutreiben oder Suspense zu erzeugen, war für Hitchcock der MacGuffin: ein Detail, das die Handlung vorantreibt, die Neugierde weckt und die Figuren motiviert, sich auf die Reise zu machen, das aber für die Entwicklung der Charaktere und den Zuschauer eigentlich völlig bedeutungslos, da austauschbar ist. In Berüchtigt wird Ingrid Bergman von Cary Grant darauf angesetzt, im Hause der Nazikollaborateure herumzuschnüffeln. Im Keller findet sich schließlich Uranerz, abgefüllt in Weinflaschen. Es hätte auch irgendetwas anderes sein können, es hat für die Geschichte selbst keine Bedeutung sondern ist nur Vorwand für die Suche und die sich daraus ergebenden dramatischen Verwicklungen. Weitere Beispiele für MacGuffins:

  • Die „Geheimklausel“ in Der Auslandskorrespondent,
  • die „Melodie“ in Eine Dame verschwindet,
  • die „Weltfriedensformel“ in Der zerrissene Vorhang.
  • Über Sinn und Wesen der mysteriösen „39 Stufen“ im gleichnamigen Film ist bis kurz vor Ende des Films überhaupt nichts weiter bekannt.
  • Der MacGuffin in Der unsichtbare Dritte sind schlicht „Regierungsgeheimnisse“.
  • In Psycho benutzt Hitchcock unterschlagenes Geld, das die Sekretärin zur Flucht treibt und so in „Bates Motel“ führt, um das Publikum anfangs gezielt in die Irre zu leiten und für einen Kriminalfall zu interessieren, der mit der eigentlichen Handlung nur am Rande zu tun hat.
  • Ein Gürtel als Beweisstück für einen Mord in Jung und unschuldig.

Das Kino als „Ein Stück Kuchen“

Hitchcocks Credo lautete: „For me, the cinema is not a slice of life, but a piece of cake.“ (zu deutsch: „Für mich ist das Kino keine Scheibe vom Leben, sondern ein Stück vom Kuchen.“) Film war für ihn immer eine artifizielle Kunstform und er bestand darauf, dass der Film einer anderen Dramaturgie zu folgen habe als das Leben. Filmische Mittel sollten nicht anstreben oder beanspruchen, das wahre Leben darzustellen, sondern zu dramatisieren und zu fiktionalisieren. Zu Truffaut sagte er:

‚Ein Stück Leben‘ filmen, das mache ich nie, das Leben haben die Leute bei sich zuhause oder auf der Straße oder sogar vor der Kinotür. Sie brauchen kein Geld dafür auszugeben, ein Stück Leben zu sehen. Aber auch den Phantasieprodukten gehe ich aus dem Weg. Es ist wichtig, dass der Zuschauer sich in den Personen selbst wiedererkennt. Filme zu drehen, das bedeutet für mich zuerst und vor allem, eine Geschichte zu erzählen. Diese Geschichte darf unwahrscheinlich, aber sie darf nie banal sein. Sie sollte dramatisch und menschlich sein. Das Drama ist ein Leben, aus dem man die langweiligen Momente herausgeschnitten hat.

Alfred Hitchcock [17]

Nur einmal – in Der falsche Mann – wich er von diesem Grundsatz ab, nicht ohne zu Beginn des Films selbst auf der Leinwand zu erscheinen, um das Publikum auf die Authentizität des nun Folgenden hinzuweisen. Aber auch in diesem Film werden die dem Film zugrundeliegenden Ereignisse dramatisiert und der Akzent liegt auf jenen Elementen, die nicht dokumentarisch sind – der subjektiven Perspektive des unschuldig Verdächtigten und seiner hilflosen Frau.

Hitchcock und die „Wahrscheinlichkeitskrämer“

Hitchcock nahm bewusst in Kauf, dass man seinen Filmen vorwerfen konnte, Gesetze der Plausibilität zu missachten. Kritiker, die ihm das vorwarfen nannte er „Wahrscheinlichkeitskrämer“ und er verteidigte sein Vorgehen: „Wenn man alles analysieren wollte und alles nach Erwägungen der Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit konstruieren, dann würde keine Spielfilmhandlung dieser Analyse standhalten, und es bliebe einem nur noch eines übrig: Dokumentarfilme zu drehen.“ [17] Tatsächlich gab es in vielen Hitchcock-Filmen Details und Wendungen, auch entscheidende, die einer peniblen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nicht standhielten. Jedoch waren Hitchcocks „Zufälle“ nie plump. Er nutzte sie, um Suspense zu erzeugen oder, ähnlich einem McGuffin, die Handlung voranzutreiben. Er vertraute darauf, dass die Zuschauer diese unwahrscheinlichen Details akzeptieren würden, da er diese nicht dazu einsetzte, um vorangegengene Geschehnisse zu erklären und somit den Zuschauer zu verprellen. Drei bekannte Beispiele für solche unwahrscheinlichen Zufälle in Hitchcocks Filmen sind:

  • In Rebecca identifizierte Laurence Olivier eine fremde tote Frau als seine eigene, somit galt Rebecca, die eigentlich durch seine Schuld zu Tode kam und die noch am Meeresgrund lag, als ertrunken. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass zeitgleich mit Rebeccas Tod im Meer in unmittelbarer Nähe eine weitere Frau ertrinkt, die zudem noch von niemand vermisst wird, so dass die falsche Identifikation jahrelang nicht auffällt.
  • In Ich beichte ermordet der Küster zufällig den Mann, der seinen Chef, den Pfarrer, erpresste, und genau diesem Pfarrer beichtet der Küster direkt danach seine Tat.
  • In Die Vögel befindet sich zum Zeitpunkt der Belagerung des kleinen Cafés durch die Vögel dort zufällig eine Ornithologin, die in dieser Szene den Anwesenden (un den Zuschauern) die wissenschaftliche Sicht der Dinge erklärt.

Doch Unwahrscheinlichkeiten hatten auch bei Hitchcock ihre Grenze. So wollte er für Der unsichtbare Dritte eine Szene in einem Detroiter Automobilwerk drehen. Cary Grant und eine zweite Person gehen in einer langen ungeschnittenen Einstellung an einem Fließband entlang, auf dem in diesem Moment ein Auto komplett zusammengebaut wird, von der ersten Schraube an. Am Ende der Szene öffnen sie die Tür des soeben fertiggestellten Autos und heraus fällt ein Toter, und zwar genau die Person, über die sich die beiden die letzten Minuten unterhalten haben. Nach realistischen Maßstäben ist dies ein Ding der Unmöglichkeit, nach dramatischen Gesichtspunkten ein Gedanke, der auf weitestgehende Weise Hitchcocks Vorstellungen davon, die Realität zu transzendieren, verdeutlicht. Hitchcock ließ diese Idee schließlich fallen, da er nicht wusste, wie er sie in den Film integrieren sollte.

Filmtechnische Effekte, Tricktechnik, Farbe und Musik

Hitchcocks Filmverständnis, wonach sich der Film seine eigene Realität schafft und kein Abbild des wahren Lebens sein kann oder sein sollte, impliziert, dass Film auch mehr können muss, als nur eine reine Wiedergabe realen Geschehens. Die Nutzung sämtlicher Möglichkeiten, mit filmtechnischen Verfahren Illusionen zu erzeugen und genau das wiederzugeben, was der Regisseur sich vorstellt, ist nach diesem Verständnis nicht nur legitim, sondern unmittelbar erforderlich. Die Anwendung von Tricktechniken war daher für Hitchcock nie ein Selbstzweck sondern ureigenstes Wesensmerkmal zur Umsetzung seines filmkünstlerischen Anspruchs. Hitchcock hat die Entwicklung der Tricktechnik aufmerksam beobachtet und schon sehr früh – gelegentlich zum Missfallen seiner Produzenten – neue Trickverfahren eingesetzt, wie zum Beispiel das Schüfftan-Verfahren oder Matte Painting. Bei Saboteure (1942) arbeitete er mit Travelling Matte Shots. Bei Die Vögel (1963) griff er auf sämtliche damals verfügbaren Tricktechniken zurück, unter anderem auch auf das ansonsten für Animationsfilme verwendete Rotoskopieverfahren [25].

Die Anordnung der Bilder auf der Leinwand, die etwas ausdrücken soll, darf nie von den tatsächlichen Gegebenheiten abhängig gemacht werden. Unter keinen Umständen. Die Filmtechnik erlaubt einem, alles zu bekommen, was man will, alle Bilder so zu realisieren, die man sich vorgestellt hat. Es gibt also keinen Grund, auf etwas zu verzichten, oder sich auf einen Kompromiss einzulassen zwischen dem gewünschten und dem erreichten Bild. Wenn nicht alle Filme wirklich einwandfrei sind, liegt das daran, dass es in unserer Industrie zuviele Leute gibt, die nichts von der Bildsprache verstehen. [...]
Die Technik muss die Handlung bereichern. Es geht nicht darum, die Kamera so zu platzieren, dass der Kameramann begeistert ist. Die einzige Frage, die ich mir stelle, ist, ob die Positionierung der Kamera an der oder der Stelle der Szene die maximale Kraft gibt. Die Schönheit der Bilder und der Bewegung, der Rhythmus, die Tricks, das alles muss der Handlung untergeordnet und geopfert werden.“

Alfred Hitchcock [17]

Hitchcock hat seit dem Aufkommen des Tonfilms mit dramaturgieunterstützenden Toneffekten gearbeitet, und er hat Musik nicht nur untermalend, sondern dramaturgisch eingesetzt. In Mord – Sir John greift ein! (1930) hat er, da ein nachträgliches Bearbeiten der Tonspur zu diesem Zeitpunkt technisch noch nicht möglich war, ein komplettes Orchester hinter den Kulissen versteckt, um die entsprechenden Stellen musikalisch zu untermalen. In Der Mann, der zuviel wußte (1956) schließlich wird Musik, sowohl orchestral wie auch gesungen, aktiv inszeniert und dramaturgisch eingebunden und sie spielt eine wesentliche Rolle in der Gesamtdramaturgie des Films. Den Umgang Hitchcocks mit dem Medium Ton charakterisiert sehr gut die Beobachtung der Schauspielerin Teresa Wright, der Hauptdarstellerin von Im Schatten des Zweifels: "Bei Hitch geschah alles aus einem bestimmten Grund. Wenn ein Schauspieler mit den Fingern trommelte, war das nicht ein zweckloses Trommeln, es hatte einen Rhythmus, ein musikalisches Muster – es war wie ein Geräusch-Refrain. Ob jemand nun ging oder mit Papier raschelte oder einen Umschlag zerriss oder vor sich hin pfiff, ob das Flattern von Vögeln oder ein Geräusch von draußen war, alles wurde sorgfältig von ihm orchestriert. Er komponierte die Toneffekte wie ein Musiker Instrumentenstimmen." [26]

In Hitchcocks Filmen tauchen immer wieder ungewöhnliche filmische Operationen auf, wie beispielsweise eine gegenläufige Zoom-Fahrtbewegung in Vertigo (später auch als Vertigo-Effekt bezeichnet), lange Kamerafahrten wie die aus einer Totale eines großen Raums bis in die Naheinstellung eines Schlüssels in einer Hand (in Berüchtigt) oder auf ein zuckendes Auge (in Jung und unschuldig) oder die aus ungefähr 70 Einstellungen bestehende 45 Sekunden lange Mordszene unter der Dusche in Psycho und viele andere mehr. Solche Kameraeinstellungen, Fahrten, Schwenks und Schnitte sind wie die Verwendung von Ton und Musik weder beiläufig noch zufällig und in der Regel auch nicht Selbstzweck oder Ausdruck von Technikverliebtheit. Sie sind der Dramaturgie untergeordnet und sie sind elementare Bestandteile von Hitchcocks Art und Weise, Gefühle und Stimmungen zu vermitteln und Suspense zu erzeugen. Ähnliches gilt für den Umgang mit Farbe, die häufig symbolisch oder dramaturgisch eingesetzt wird, etwa in Marnie oder in Vertigo.

Nur einmal griff Hitchcock aus Experimentierfreude auf einen filmteschnischen Kniff zurück, die sich nicht unmittelbar aus der Dramaturgie ergab. In Cocktail für eine Leiche (1948) drehte er bis zu zehn Minuten lange Einstellungen, die er zum großen Teil sogar über unsichtbare Schnitte ineinander übergehen ließ. Er wollte damit bei dieser Theaterverfilmung die Einheit von Zeit und Raum dukumentieren. Später gab er zu, dass es ein Fehler war, damit gleichzeitig den Schnitt als wesentliches gestaltendes Instrument der Dramaturige aus der Hand zu geben. Als noch größeren Fehler sah er jedoch später an, dass er ein Jahr später in Sklavin des Herzens die gleiche Methode wiederholte und bis zu sieben Minuten lange ungeschnittene Einstellungen drehte, für die es keine Notwendigkeit gab.

Inhaltliche Motive

Gilt Hitchcock von der formalen Seite her als „Master of Suspense“, so ist er inhaltlich der „Meister der Angst“. Die Angst ist das über allem stehende Motiv, das sich in allen seinem Werk auf die unterschiedlichste Art und Weise ausdrückt: Die Angst des unschuldig Verfolgten, die Angst vor dem Identitätsverlust, die Angst vor dem Bösen, dem Mysteriösen dem Unergründlichen und dem Unabwendbaren, die Angst vor Entdeckung, die Angst vor der eigenen Vergangenheit und nicht zuletzt die Angst, die Freiheit zu verlieren und die Angst vor dem Eingesperrtsein. Hitchcock wird in Hinblick darauf, wie er sich in seinen Werken dem Thema Angst näherte, mitunter mit Kafka, Dostojewski und Poe verglichen.[27]

Hitchcock kokettierte Zeit seines Lebens mit seiner eigenen panischen Angst vor der Polizei. Diese gehe, so erzählte er bei vielen Gelegenheiten, auf eine Begebenheit aus seiner Kindheit zurück. Hitchcock erzählte, dass er mit fünf Jahren, nachdem er etwas angestellt hatte, von seinem Vater mit einem Zettel auf das nahegelegene Polizeierevier geschickt worden sei. Der Polizist las den Zettel und sperrte Alfred für fünf oder zehn Minuten in eine Zelle mit dem Kommentar, dies würde die Polizei mit ungezogenen Jungen so machen.

Der unschuldig Verfolgte und der Identitätsverlust

Die Grundkonstellation vieler von Hitchcocks Filmen liegt in der existentiellen Bedrohung einer Person, wobei die Ursache der Bedrohung zumeist im Unklaren bleibt. In manchen Fällen ist dies ein nicht zu entkräftender Verdacht, in anderen Fällen eine Bedrohung an Leib und Leben, oft beides gleichzeitig. Die Bedrohung kann infolge nicht erklärlicher oder auch selbst gewählter Umstände erfolgen, diese Bedrohung kann greifbar sein oder nicht, sie kann real sein oder eingebildet. Die Betroffenen werden aus ihrer alltäglichen Ordnung gerissen und ihrer Identität beraubt – sie erleiden einen Identitätsverlust. Dieses Motiv spielt Hitchcock, angefangen von seinem ersten Film bis hin zu seinem letzten, in allen Varianten durch. Einige Beispiele:

  • In den beiden Filmen Die 39 Stufen und Der unsichtbare Dritte tritt das Motiv des Identitätsverlusts offen zutage. Die Hauptdarsteller werden jeweils fälschlicherweise des Mordes verdächtigt, sie werden von feindlichen Agenten und von der Polizei verfolgt, müssen ihre wahre Identität verbergen und müssen mehrfach die eines anderen annehmen.
  • Die extremste Form des Identitätsverlsutes tritt in zwei Filmen auf, in denen die männlichen Hauptdarsteller zeitweilig und unbewusst die Identität eines Toten übernehmen: Anthony Perkins in Psycho und Gregory Peck in Ich kämpfe um dich.
  • In Bei Anruf Mord wird Grace Kelly des Mordes verdächtigt und zum Tode verurteilt. Ihr Ehemann, dem sie vertraut, ist jedoch der alleinige Verursacher aller sie belastenden Umstände. Sie legt sozusagen ihr Schicksal, ihr Leben und ihre Identität in seine Hände und er ist dabei, diese Identität vollständig zu vernichten.
  • In Der falsche Mann wird Henry Fonda aufgrund einer Verwechslung verhaftet und vor Gericht gestellt. Die bis dahin makellose Existenz des Musikers wird mit einem Schlag zunichte gemacht, seine Persönlichkeit und seine Identität wird (unwissentlich) von dem anderen, dem wahren Täter aufgesogen und zerstört.

Schuld und Sühne

In Hitchcocks Filmen ist fast niemand schuldlos. Seinen „unschuldig Verfolgten“ verleiht er in vielen Fällen Doppelbödigkeit, indem diese einen ambivalenten Charakter oder zwiespältige Motive haben. Der unschuldig Verfolgte, so Hitchcock zu Truffaut, ist „unschuldig, aber nur im Bezug auf das, was man ihm vorwirft.“ Er wird durch das, was ihm im Laufe des Film widerfährt, auch symbolisch für seine Defizite und Vergehen bestraft. Bekannte Beispiele hierfür sind:

  • In Der Mieter wird Ivor Novello fälschlicherweise als Mörder verdächtigt und beinahe gelyncht. Er ist jedoch selbst entschlossen, am Mörder seiner Schwester Selbstjustiz zu verüben.
  • In Ich kämpfe um dich wird Gregory Peck verdächtigt, einen Arzt ermordet zu haben. Bei der Aufklärung des Falls stellt sich heraus, dass er an einer Amnesie aufgrund eines Schuldkomplexes leidet: Er trägt die Schuld am Unfalltod seines Bruders viele Jahre zuvor.
  • In Bei Anruf Mord ist Grace Kelly zwar nicht die Mörderin des Erpressers – es war Notwehr. Sie hat jedoch ihren Ehemann mit einem anderen Mann betrogen. Das folgende Unheil kann daher auch als Strafe für ihren Ehebruch angesehen werden.
  • In Das Fenster zum Hof ist der Voyeurismus von James Stewart Ausgangspunkt des Falles und Ursache, dass er am Ende überhaupt in Gefahr gerät. Die Strafe ist ein zweites gebrochenes Bein, durch den Sturz aus dem Fenster am Ende des Films.
  • In Frenzy ist Jon Finch zwar nicht der Mörder, aber ein unsympathischer, jähzorniger Nichtsnutz, dem jeder einen Mord zutraut.

Schuldübertragung

Eine Steigerung des Schuldmotivs ist bei Hitchcock das der Schuldübertragung vom eigentlichen Schuldigen auf eine weitere Person. Hitchcock macht einzelne Figuren zu Mitwissern und zwingt sie zu einer Gewissensentscheidung zwischen „richtig“ und (vermeintlich oder tatsächlich) „falsch“, wobei die Person sich mitschuldig macht, da sie aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Polizei gehen will oder kann, zum Beispiel da sie selbst verdächtigt wird oder von dieser Tat profitiert. Hitchcock macht sogar den Zuschauer zum Komplizen, indem er ihn zeitweise dazu bringt, sich mit dem Schurken zu identifizieren. Das Motiv der Schuldübertragung ist bei Hitchcock grundlegend und steht in sehr vielen seiner Filme im Mittelpunkt oder wird zumindest angedeutet. Einige zentrale Werke:

  • Der offensichtlichste Fall der Schuldübertragung liegt in Sklavin des Herzens vor, wo Joseph Cotton aus Liebe die Schuld auf sich nimmt, die Ingrid Bergman auf sich geladen hat, als sie in Notwehr ihren eigenen Bruder getötet hat.
  • In Ich beichte gerät ein Priester unter Tatverdacht für einen Mord, den ein anderer in einem Priestergewand beging, für den er jedoch selbst ein Motiv besaß und vor allem, indem der Mörder dem Priester den Mord beichtet und ihn so zum Mitwisser macht.
  • In Der Fremde im Zug begeht jemand einen Mord „stellvertretend“ für jemanden, der den Tod der Ermordeten tatsächlich wünscht und von ihm profitiert. Der Mörder erwartet nun die „Gegenleistung“, die der andere verweigert.
  • In Vertigo macht der wahre Mörder die Hauptfigur durch ein Komplott zunächst scheinbar zum Schuldigen am Tod der ihr anvertrauten Person. Anschließed macht sich das Opfer der Intrige tatsächlich am Tod der Frau schuldig, die er liebt.
  • In Im Schatten des Zweifels weiß Nichte Charlie, dass ihr „Lieblings-“Onkel Charlie ein Frauenmörder ist. Sie könnte ihn der Polizei ausliefern, zögert jedoch und ist erleichtert, als diese den Fall für abgeschlossen erklärt, nachdem ein weiterer Verdächtiger zu Tode kam. Selbst mehrere Mordanschläge auf sie bringen sie nicht dazu, ihren Onkel auszuliefern. Zum Schluss ist sie es, die ihn dann in Notwehr tötet.
  • Ein besonders extremer Fall von Schuldübertragung liegt in Verdacht vor. Alles deutet darauf hin, dass Cary Grant seine von Joan Fontaine gespielte Ehefrau ermorden will. Am Ende kehrt sich alles um: Sämtliche Verdachtsmomente lassen sich (scheinbar) harmlos erklären, ihr Verdacht gegen ihn ist es – nicht seine Mordabsicht – der die Ehe in Gefahr bringt. Der Zuschauer, der zuvor hin und hergerissen war, in der Hoffnung, Cary Grant dürfe kein Mörder sein, nimmt die Erklärungen bereitwillig auf und erteilt Grant die Absolution. Tatsächlich ist jedoch nichts geklärt und das Ende bleibt offen. Für alles, was (möglicherweise) weiter passiert, macht der Zuschauer sich somit mit schuldig.
  • In einigen Filmen konzentriert Hitchcock beide Aspekte in einer Person, es ergibt sich das „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“-Motiv der gespaltenen Persönlichkeit. In mehreren Filmen wirkt der Mörder nach außen hin liebenswürdig oder sympathisch, und er wirkt sogar anscheinend an der Klärung des Falles mit oder bietet dem unschuldig Verdächtigten seine Hilfe an. Beispiele hierfür sind Frenzy, Psycho, Im Schatten des Zweifels, Der Fremde im Zug, Bei Anruf Mord und Riff-Piraten.

Schuld und Bedrohung im sexuellen Kontext

In vielen von Hitchcocks Filmen ergeben sich Schuld und Bedrohung aus einem sexuellen Bezug heraus. Waren dies in den früheren Filmen noch konkrete sexuelle Fehltritte, die zum Unheil für die Beteiligten führten, so wurden im Laufe der Jahre diese Bezüge subtiler.

  • In mehreren vor allem frühen Filmen erleiden die Hauptfiguren Schaden unmittelbar aufgrund sexueller Fehltritte. Beispiele sind Irrgarten der Leidenschaft, Downhill, Easy Virtue oder Bis aufs Messer, später Ich beichte. In Erpressung kann sich die Hauptdarstellerin gegen eine Vergewaltigung nur durch Mord retten, nachdem sie jedoch zuvor den Angreifer animierte.
  • In Rebecca steht Laurence Olivier bis über deren Tod hinaus in Abhängigkeit von seiner ersten Ehefrau. Dieses Motiv greift Hitchcock später in Vertigo wieder auf.
  • In Der Fall Paradin genügt bereits der Gedanke an Ehebruch, der Gregory Peck beinahe die Existenz kostet.
  • In einigen späteren Filmen ereilt das Unheil Personen, die sich nicht an einen Partner binden wollen und ihre angebliche Unabhängigkeit mit Ausflüchten verteidigen. Das Motiv der Bindungsangst tritt erstmals in Im Schatten des Zweifels auf, später in Das Fenster zum Hof, Vertigo, Der unsichtbare Dritte und Die Vögel. In Marnie tritt die Bindungsangst in Kombination mit Frigidität auf.
  • In Berüchtigt ist der Zusammenhang zwischen Sex, Schuld und Bedrohung zentral. Ingrid Bergman wird von Cary Grant gezwungen, mit einem feindlichen Spion, ein Verhältnis einzugehen. Als sie dies tatsächlich tut, wird sie von Grant, der sie liebt, hierfür verachtet. Er macht sie für seine eigene Skrupellosigkeit verantwortlich. Seine Eifersucht lässt ihn beinahe zu spät erkennen, dass sie langsam vergiftet wird, und zwar von dem Mann, der sie eigentlich noch mehr liebt, als er selbst.

Sexuelle Abnormitäten, die im Zusammenhang mit Schuld und Verbrechen stehen, deutete Hitchcock in einigen Filmen an oder führt sie explizit aus:

  • Die Homosexualität der beiden Mörder in Cocktail für eine Leiche wird (entgegen der Vorlage) nie angesprochen, lässt sich aber aus dem Kontext erschließen.
  • In Vertigo wird eine nekrophile Veranlagung James Stewarts durch einzelne Schlüsselszenen angedeutet. Hitchcock gab diesen Bezug gegenüber Truffaut unumwunden zu. Die damalige Zensurpraxis ließ jedoch deutlichere bezüge nicht zu.
  • Bereits in Erpressung spielte Fetischismus eine gewisse Rolle, ein Motiv, dass knapp 30 Jahre später in Vertigo und in Psycho ausgebaut wurde.
  • Voyeurismus ist ein Hauptmotiv in Das Fenster zum Hof und spielt auch in Psycho eine Rolle. In Erpressung kam noch die Homosexualität des Täters hinzu, der zudem Transvestit war.

Angedeutet wird in mehreren Filmen ein erotischer Bezug der männlichen Hauptfiguren zu ihren Müttern. Beispiele:

  • In Berüchtigt wirken Claude Rains und Leopoldine Konstantin in manchen Szenen wie ein Ehepaar. Dieser Eindruck wird durch den geringen Altersunterschied der Schauspieler von nur 4 Jahren verstärkt.
  • In Der Fremde im Zug verbindet Robert Walker mit seiner Mutter eine Art Hassliebe (beide sind erkennbar geisteskrank) und er möchte seinen eigenen Vater ermorden lassen (Andeutung eines Ödipus-Komplexes).
  • In Psycho wird dieses Motiv am weitesten ausgebaut, indem die Mutter ber ihren Tod hinaus von ihrem Sohn Besitz ergreift und „Nebenbuhlerinnen“ ermordet.

Schließlich war Hitchcock, vor allem in späteren Jahren, vom Motiv der Vergewaltigung fasziniert. Er inszenierte mehrfach vollendete oder versuchte Vergewaltigungen (schon früh in Erpressung, später dann in Marnie und Frenzy) oder er arrangiert Mordszenen wie Vergewaltigungen (Im Schatten des Zweifels, Bei Anruf Mord, Psycho). In drei nicht realisierten Projekten sollten Vergewaltiger oder Vergewaltigungen eine zentrale Rolle spielen: In dem Film No Bail for the Judge, den er 1960 mit Audrey Hepburn inszenieren wollte (und der ausschließlich aufgrund Hepburns unerwarteter Schwangerschaft nicht zustande kam), in einem Film namens Frenzy über einen missgestalteten Frauenmörder, den er 1966 drehen wollte (und der nichts mit dem gleichnamigen Film von 1972 zu tun hat) und in seinem letzten Projekt The short Night, das er ab 1978 verfolgte und das er nicht mehr zu Ende bringen konnte.

Symbolik

Neben den bei Hitchcock dominierenden Hauptmotiven, existieren unterschiedliche Nebenmotive oder Symbole, die er in sehr vielen Filmen immer wieder einsetzt und die alle eine gewisse Bedeutung haben. Stark mit Hitchcock konnektiert sind als Symbole Treppen, Vögel und Fesseln, im übertragenen Sinne auch Ringe, weiterhin Kirchen und Friedhöfe, aber auch Essen.

  • Vögel als Vorboten des Unglücks, als Symbol für ein aus den Fugen geratenes Leben oder als unmittelbares Symbol für den Tod verwendete Hitchcock seit seinem ersten Tonfilm Erpressung. Im Zusammenhang mit Verbrechen tauchen Vögel unter anderem auf in Sabotage, Jung und unschuldig, Eine Dame verschwindet, Über den Dächern von Nizza, Vertigo, Psycho und in Topas. In Die Vögel wird diese Bedrohung schließlich zentral.
  • Treppen in unterschiedlicher Form inszeniert Hitchcock in Dutzenden Filmen. Treppen sind immer bedrohlich. Sie sind ein Symbol für das Unbekannte und Gefährliche und sie trennen die reale, bodenständige Ebene von der mysteriösen, abgründigen Ebene. Die Treppen hinauf oder hinab zu steigen, bedeutet eine Gefahr, den Verlust der Freiheit oder gar des Leben oder aber auch die Rettung. Bedeutende „Treppenszenen“ gibt es in Berüchtigt, Der Mann, der zuviel wusste (1956), Psycho, Die Vögel, Der Fremde im Zug, Im Schatten des Zweifels, Vertigo, Frenzy, Verdacht und Ich kämpfe um dich. Bezeichnenderweise beginnt Hitchcocks erster Film Irrgarten der Leidenschaft mit einer Treppenszene, und sein letzter Film Familiengrab endet mit einer solchen.
  • Handschellen und Fesseln stehen für Abhängigkeiten und Ausgelieftertsein. Diese Symbole haben bei Hitchcock jedoch immer auch einen sexuellen Kontext. In sehr vielen Fällen findet man das Motiv zweier aneinander geketteter Menschen, zwischen denen gleichzeitig ein sexuelles Spannungesverhältnis besteht. Exemplarisch kann sein erster Thriller Der Mieter gesehen werden, wo Handschellen in drei Schlüsselszenen das Dreiecksverhältnis zwischen den drei Hauptpersonen, dem Mädchen, dem Verdächtigen und dem Polizisten, symbolisieren. In Die 39 Stufen verbringen Madeleine Carroll und Robert Donat einige Zeit mit Handschellen gefesselt auf der Flucht. Hitchcock erklärte die Verwendung dieser Symbolik so: „Psychologisch betrachtet haben die Handschellen natürlich eine tiefere Beduetung. Irgendwie hat es schon etwas mit Fetischismus zu tun und hat auch sexuelle Untertöne. Als ich einmal in Paris das Kriminalmuseum besuchte, bemerkte ich, dass sexuelle Abartigkeiten sehr häufig im Zusammenhang mit Fesselung standen.“ [28] In einigen Filmen ersetzen Ringe, durch die zwei Menschen symbolisch aneinander gekettet sind, die Funktion der Fesseln, zum Beispiel in Im Schatten des Zweifels, Der Weltmeister oder in Das Fenster zum Hof.
  • Hitchcock, dessen katholische Erziehung auf seine Werke einen großen Einfluss ausübte, verwendet gerne Kirchen als Orte des Verbrechens und Geistliche als zwielichtige Figuren, zum Beispiel in Familiengrab, Geheimagent, Der Mann, der zuviel wusste (1956), Ich beichte, Vertigo, Der Auslandskorrespondent und in Riff-Piraten.
  • Es gibt in einigen Hitchcock-Filmen eine symbolische Verbindung von Essen, Sex und Tod, am offensichtlichsten in Frenzy, wo der Mörder ein sexuell abnormer Gemüsehändler ist und der ermittelnde Polizist von seiner Frau mit Nouvelle Cuisine malträtiert wird. Aber auch in so frühen Filmen wie Erpressung oder Sabotage ist dieser Zusammenhang eindeutig. Das verbindende Element ist in vielen Fällen das Messer, das sowohl mit Essen, mit Tod und, als Phallussymbol, mit Sex in Verbindung steht. Das Messer ist bei Hitchcock ein bevorzugtes Mordinstrument.
  • Auffällig ist auch, dass Hitchcock bedrohliche Szenen entgegen dem Klischee häufig nicht in unheimlichen, dunklen Räumen stattfinden lässt, sondern bei hellem Tageslicht und an scheinbar harmlosen Orten wie einem mit Menschen übersäten Marktplatz (Der Mann, der zuviel wußte (1956) und Der Auslandskorrespondent), in einer menschenleeren Landschaft, auf einer öffentlichen Versteigerung und in einer Hotelhalle (Der unsichtbare Dritte), auf einer idyllischen Bergstraße (Über den Dächern von Nizza), auf einer Party (Berüchtigt und Jung und unschuldig) oder in einem mit lauter freundlichen Menschen besetzten Eisenbahnzug (Eine Dame verschwindet).

Die Figuren bei Hitchcock

Hitchcock und die Schauspieler

Am Anfang von Hitchcocks Karriere, zu den Zeiten der ersten Tonfilme in England, war es üblich, dass Theaterschauspieler nebenher für den Film arbeiteten, um zusätzlich Geld zu verdienen. Da Film damals in England als Unterhaltung für die Unterschicht galt, sahen viele dieser Schauspieler diese Arbeit als unter ihrer Würde an – entsprechend gestaltete sich die Arbeitsatmosphäre. Aus dieser Zeit stammt Hitchcocks oft zitierter Ausspruch: „Alle Schauspieler sind Vieh“. Die Aussage bezog sich auf diejenigen Theaterschauspieler, die nur mit Widerwillen des Geldes wegen nebenher als Filmschauspieler arbeiteten. Der Spruch hat sich danach verselbständigt und wurde oft als genereller Ausdruck der Geringschätzung Hitchcocks Schauspielern gegenüber angesehen. Tatsächlich hatte Hitchcock jedoch große Achtung vor Schauspielern – hatten sie doch eine sehr wichtige Aufgabe, nämlich sein „perfekt“ vorentworfenes Bild des Films möglichst verlustfrei auf die Leinwand zu transferieren. Hitchcock war klar, dass der von ihm zuvor in Gedanken und auf Papier entworfene Film beim Drehen nur verlieren kann. Die Aufgabe der Schauspieler war es, diese Verluste so gering wie möglich zu halten.

Hitchcock musste im Laufe der Zeit immer wieder mit Schauspielern drehen, die ein anderes Filmverständnis hatten, als er. Zu Beginn waren es vor allem britische Theaterschauspieler wie John Gielgud oder Michael Redgrave, die wenig Begeisterung für den Film aufbringen konnten und demzufolge eher desinteressiert agierten. Aber auch eine Hollywoodschauspielerin wie Sylvia Sidney war nur schwer in der Lage, sich auf Hitchcocks spezielle Arbeitsweise einzulassen. Exzentriker wie Charles Laughton (in Riff-Piraten) und Peter Lorre (in Geheimagent) ließen ihn verzweifeln. Später waren es vor allem „schauspielernde“ Schauspieler, insbesondere Anhänger des Method Acting wie Montgomery Clift oder Paul Newman, die einen eigenen künstlerischen Anspruch hegten, was ihm absolut suspekt war. Hochachtung hatte er jedoch vor denjenigen „Stars“, die sich professionell in den Dienst der Rolle stellten: Cary Grant, James Stewart, Grace Kelly, Ingrid Bergman, James Mason, Doris Day, Marlene Dietrich, Teresa Wright, Madeleine Carroll, Joseph Cotten und Shirley MacLaine, um nur einige zu nennen. Ihnen ließ er sogar teilweise Freiheiten bei der Ausgestaltung ihrer Rollen. So durfte Joseph Cotten seine Garderobe für Im Schatten des Zweifels selbst aussuchen, während Marlene Dietrich in Die rote Lola sogar dem Kameramann und dem Beleuchter Anweisungen geben durfte, wie sie am besten auszuleuchten und aufzunehmen sei.

Hitchcock haderte damit, dass ihm Produzenten immer wieder „Stars“ aufnötigten, von denen er wusste, dass sie vom Typ her für die jeweilige Rolle ungeeignet sind. Mit Julie Andrews und Paul Newman (Der zerrissene Vorhang), Gregory Peck, Alida Valli und Louis Jourdan (Der Fall Paradin), Robert Cummings und Priscilla Lane (Saboteure) sowie Anne Baxter und Montgomery Clift (Ich beichte) war er alles andere als glücklich. In anderen Fällen hätte er gerne Stars eingesetzt, konnte dies jedoch nicht, da es damals noch eine strikte Trennung zwischen A- und B-Movies gab. Thriller galten von vornherein als zweitklassig. So hatte Hitchcock zum Beispiel keine Chance für den Thriller Der Auslandskorrespondent (1940) Gary Cooper zu bekommen und musste mit Joel McCrea Vorlieb nehmen. Später bereute Cooper seine Absage.[29]

Eine größere Freiheit genoss er bei der Auswahl der Nebendarsteller, die er auch nutzte. Er legte großen Wert auf die Glaubwürdigkeit bis in die kleinsten Nebenrollen, die er zumeist sehr bewusst besetzte. Immer wieder griff er auch auf Schauspieler zurück, die er Jahre oder Jahrzehnte zuvor in London im Theater gesehen hatte, die er gut in Erinnerung hatte und die die jeweiligen Filme bereicherten. Beispiele sind Patricia Collinge in Im Schatten des Zweifels, Cedric Hardwicke, in Verdacht und Cocktail für eine Leiche, Leo G. Carroll in insgesamt sechs Filmen, Tallulah Bankhead in Das Rettungsboot oder Cathleen Nesbitt in Familiengrab. Es gibt in Hitchcocks Filmen nur sehr wenige Nebenrollen, die er im Nachhinein selbst als Fehlbesetzungen bezeichnete, etwa John Loder als Polizist in Sabotage, Macdonald Carey als Polizist in Im Schatten des Zweifels, Otto Kruger in Saboteure oder Alastair Sim als Vater in Die rote Lola.

Die Hauptrollen

In den Filmen Alfred Hitchcocks entwickelte sich bei den Hauptrollen im Laufe der Zeit eine Reihe typischer Figuren, Charaktere und Rollenmuster heraus, die immer wieder auftauchten und die jeweils bestimmte Eigenschaften verkörpern und ein bestimmtes Identifikatiospotential besitzen. Der klassischen Rollenverteilung im Thriller, der „starke Mann“ und die zu beschützende „schwache Frau“, setzt Hitchcock in vielen Filmen deutlich subtiler gezeichnete Rollenmuster gegenüber. Die Männerrollen wirken oft ambivalent oder gar schwach, während die Frauen den Männern oft ebenbürtig sind, gelegentlich auch überlegen. Hitchcock kehrt in diesen Fällen die klassischen Geschlechterrollen um, dann übernehmen die Frauen die Führungsrollen, oder die Geschichte wird zumindest aus ihrer Position erzählt. Für die Männer bleibt in diesen Fällen der zwielichtige oder der zu beschützende Part übrig.

Die Protagonisten in Hitchcocks Filmen sind Normalbürger. Sie haben in der Regel nichts mit kriminellen Machenschaften zu tun. Es sind keine Polizisten oder Abenteurer, auch professionelle Agenten oder Spione findet man nur selten unter den Hauptfiguren, obwohl Hitchcock viele Filme drehte, die im Agentenmillieu spielen. Polizisten als Hauptfiguren sieht man bei Hitchcock nie. Meist werden die Protagonisten, ob männlich oder weiblich, durch Zufall oder unbekannte Umstände in geheimnisvolle Machenschaften gezogen. Ohne darauf vorbereitet zu sein, wird ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen, sie werden durch Schicksalswendungen aus ihrem alltäglichen Leben in abenteuerliche Situationen hineingezogen, von Gangstern oder der Polizei verfolgt, unschuldig verdächtigt und mit Gefahr für Leib und Leben konfrontiert. Den Zuschauern wird auf diese Weise das beunruhigende Gefühl vermittelt, dass auch sie jederzeit in derartige Situationen geraten könnten.

Die „kühlen Blonden“

Ich war nie besonders scharf auf Frauen, die ihren Sex wie Tand um den Hals trugen.

Alfred Hitchcock [30]

Der Rollentyp der am eindeutigsten mit Hitchcock in Verbindung gebracht wird, ist der der „kühlen Blonden“, der jungen, schönen, kühlen, hintergründigen und gelegentlich undurchsichtigen Blondine. Dieser Typ kristallisierte sich in Hitchcocks Filmen im Laufe der Zeit als die „typische“ weibliche Protagonistin heraus. Diesem in der allgemeinen Wahrnehmung zentralen Rollentypus näherte sich Hitchcock allerdings nur nach und nach an. Dieser Typ der „kühlen Blonden“ erscheint vor allem in Hitchcocks berühmtesten und erfolgreichsten Filmen der 1950er und 1960er Jahre, verkörpert durch Grace Kelly, Eva Marie Saint, Kim Novak, Janet Leigh und Tippi Hedren. In früheren Filmen standen Anny Ondra, Madeleine Carroll, Joan Fontaine und vor allem Ingrid Bergman für diesen Typus, selbst in seinen ganz frühen Filmen traten blonde Hauptdarstellerinnen auf.

Madeleine Carroll bezeichnete Hitchcock selbst als „erste Blondine, die ein richtiger Hitchcock-Typ war.“ [31] Seine Vorliebe für Blondinen erklärte Hitchcock gegenüber Trufaut wie folgt: „Ich glaube, die in sexueller Hinsicht interessantesten Frauen sind die Engländerinnen. Ich finde, die englischen Frauen, die Schwedinnen, die Norddeutschen und die Skandinavierinnen sind interessanter als die romanischen, die Italienerinnen und die Französinnen. Der Sex darf nicht gleich ins Auge stechen. Eine junge Engländerin mag daherkommen wie eine Lehrerin, aber wenn Sie mit ihr in ein Taxi steigen, überrascht sie Sie damit, dass sie Ihnen in den Hosenschlitz greift.“ [32]

Die Hitchcock-Blondine ist in ihrer Rolle eine Frau, deren oberflächliche Kühle nur die Folie für eine stark entwickelte Sexualität darstellt. Diese wiederum ist ein Mittel, die männlichen, meist bürgerlichen Hauptfiguren unvermittelt in Verwirrung zu stoßen und ihnen den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Besonders deutlich wird dies in Der unsichtbare Dritte wenn (Eva Marie Saint) zunächst gegenüber Cary Grant zweideutige Bemerkungen macht, dann plötzlich den völlig überraschten, sowieso schon desorientierten Fremden – gerade knapp mit dem Leben davon gekommenen und wegen Mordes gesucht – küsst, und ihn ohne Zögern in ihrem Schlafwagenabteil unterbringt. Nicht der Mann, sondern die blonde Frau spielt hier den aktiven Part, eliminiert hergebrachte soziale und sexuelle Hierarchien und akzentuiert die Fragilität des männlichen, bürgerlichen Weltbildes.

Es fällt auf, dass Hitchcock vor allem seinen jungen blonden Darstellerinnen schon früh mehr Aufmerksamkeit widmete, als den anderen oder gar den Männern. Dies deutet auf eine sich mit der Zeit steigernde Verquickung privater und beruflicher Interessen hin, die sich bin hin zu einer Obsession ausweitete. Die Sorgfalt, mit der Hitchcock bereits in den 1930er und 1940er Jahren Madeleine Carroll, Carole Lombard und insbesondere Ingrid Bergman in Szene setzte, resultierte auch aus einer persönlichen Zuneigung, die Hitchcock zu diesen Schauspielerinnen entwickelte. In den 1950er Jahren setzte sich dies in der Arbeit mit Grace Kelly und Vera Miles fort. Während sich diese Zuneigung bei Carroll, Lombard und Kelly auf rein freundschaftlicher Ebene bewegte, deutete sich erstmals im Falle Ingrid Bergmans eine Veränderung an. Hitchcock begann, sich auch auf privater Ebene für die verheiratete Schauspielerin zu interessieren und versuchte, Ingrid Bergman langfristig an sich zu binden. Als sie sich jedoch 1949 in den italienischen Regisseur Roberto Rossellini verliebte und mit ihm nach Italien zog, traf dies Hitchcock schwer, und er nahm diese vermeintliche Missachtung seiner Person sehr persönlich.

Sieben Jahre später war es Vera Miles, die Hitchcocks Aufmerksamkeit erregte und die er mit einem mehrjährigen Exklusiv-Vertrag an sich band. Er wollte sie mit Vertigo, seinem persönlichsten Film, zum großen Star machen. Doch Vera Miles wurde schwanger und kam für die Rolle nicht mehr in Frage. Hitchcock verzieh ihr dies nie. Er speiste sie in der Folgezeit mit Fernsehrollen ab und setzte sie in Psycho nur ein, da er sie ohnehin bezahlte und er den Film so preiswert wie möglich drehen wollte. Für Kim Novak ließ er von der Kostümbildnerin Edith Head eine komplette Garderobe schneidern, die nicht etwa als Filmgarderobe für Vertigo, sondern für ihr privates Leben gedacht war. Hitchcock wollte die größtmögliche Kontrolle über seine weiblichen Stars ausüben.

Mit Tippi Hedren wiederholte sich die Geschichte schließlich ein weiteres Mal. Bereits während des Drehs zu Die Vögel war Hedren während der tagelangen Aufnahmen von auf sie einstürzenden, echten Vögeln körperlich verletzt und so stark beansprucht worden, dass sie für eine Woche zur Erholung ins Krankenhaus musste. Hitchcock war recht offensichtlich in Hedren verliebt und setzte seine Bemühungen während der Arbeit an Marnie fort. Er versuchte, Tippi Hedren völlig unter seine Kontrolle zu bekommen, und zwar künstlerisch wie privat, was ihr zunehmend missfiel. Nach einem eindeutigen Annäherungsversuch, den Tippi Hedren ebenso bestimmt zurückwies, kam es schließlich zum Bruch. Hitchcock weigerte sich von da an, persönlich mit Hedren zu sprechen und Anweisungen wurden nur über Dritte übermittelt. Die zuvor offen bekundete Zuneigung schlug ins Gegenteil um und Hitchcock ließ keine Gelegenheit aus, Tippi Hedren bei anderen herabzusetzen. Über diese Episode hat Hitchcock nie öffentlich gesprochen, und Hedren hat sich in Interviews nur Andeutungen gestattet. Es gilt als gesicherte Erkenntnis, dass der Regisseur sich von diesen Schwierigkeiten lange nicht erholen konnte und in seiner kreativen Schaffenskraft beeinträchtigt war. Tippi Hedren blieb die letzte „Hitchcock-Blondine“.

Seine Obsessionen hat Hitchcock eindeutig erkennbar in seinen Filmen verarbeitet. Insbesondere Vertigo und Berüchtigt, aber auch Marnie oder Im Schatten des Zweifels, die alle von Obsessionen und Neurosen von Männern handeln, die Frauen manipulieren, gelten allgemein als stark autobiografische Filme.

Die klassischen Helden

Der klassische Held, der starke, unverletzliche Mann, der alle noch so schwierigen Situationen souverän meistert und der die schwache Frau beschützt, ist in Hitchcocks Filmen praktisch nicht zu finden, lediglich in einem Film, in Mord – Sir John greift ein! wird dieser Typus durch Herbert Marshall verkörpert, der eine zum Tode verurteilte Frau durch eigene Ermittlungen rettet. In einigen anderen Filmen ist es zwar so, dass die männliche Hauptfigur positiv besetzt ist und innerhalb der Schwierigkeiten, in die sie kommt, wenig beschädigt wird. Doch dadurch, dass etwa die weiblichen Hauptfiguren dem Protagonisten ebenbürtig sind und somit das Element des „Beschützers“ der weiblichen Heldin wegfällt, wird das Rollenprofil des Helden variiert und relativiert. Beispiele dafür sind die Figuren von Robert Donat in Die 39 Stufen, Michael Redgrave in Eine Dame verschwindet, Joel McCrea in Der Auslandskorrespondent und Robert Cummings in Saboteure.

Der Schauspieler, der diesen Rollentypus ideal verkörpte, war Cary Grant in Über den Dächern von Nizza und in Der unsichtbare Dritte. Mit Charme und Leichtfüßigkeit meistern die von ihm dargestellten Figuren die Herausforderungen, vor die sie gestellt werden. Die Ambivalenz der meisten Hauptfiguren Hitchcocks ist hier relativ gering ausgeprägt. Aber zum einen sind diese Rollen ein Beispiel für Variationen des klassischen Rollenschemas zwischen Mann und Frau, indem Cary Grant jeweils das Objekt der erotischen Annäherungen einer Frau ist und von dieser „eingefangen“ wird. Hinzu kommt zum anderen, dass auch die beispielsweise von Cary Grant dargestellten Figuren innerhalb der Schwierigkeiten, in die sie geraten, im Verdacht stehen, kriminell zu sein, zeitweise die Kontrolle über den Lauf der Dinge verlieren und somit keine ungebrochenen Helden sein können.

Die „starken“ Frauen

Diese Rollenverteilung zwischen Mann und Frau kehrt Hitchcock in einigen Filmen auch um. Dann ist die (starke) Frau dem (schwachen) Mann überlegen und rettet ihn letztendlich aus der Gefahr. Beispiele sind Jung und unschuldig (die Tochter des Polizeichefs verhilft einem Verdächtigen zur Flucht und löst letztendlich den Fall), Ich kämpfe um dich (eine Psychologin dringt ins Unterbewusste des Mordverdächtigen vor und rettet ihn vor der sicheren Verurteilung) sowie die beiden Der Mann, der zuviel wußte, in denen jeweils die Ehefrau zuerst einen geplanten Mord verhindert und dann das eigene Kind aus den Klauen der Verbrecher rettet. Diesen Filmen ist gemein, dass die jeweiligen weiblichen Hauptfiguren von Anfang an oder ab einem gewissen Zeitpunkt die Initiative übernehmen und sich das Geschehen aufgrund ihres Eingreifens zum Guten wendet, während die Männer zunehmend passiver werden.

Die männlichen Antihelden

Den wenigen, vergleichsweise positiven, ungebrochenen Helden bei Hitchcock steht jedoch eine Vielzahl von anders angelegten Hauptfiguren gegenüber, die zudem im Laufe der Karriere Hitchcocks stärker an Gewicht gewinnen: Ambivalente oder gar zum Teil negativ gezeichnete Figuren, sogenannte „Antihelden“. Diese haben körperliche Makel, psychische Probleme oder charakterliche Schwächen, sind „Verlierertypen“ oder wirken unsympathisch. Sie können beispielsweise Schaden durch Fehlverhalten anrichten oder dadurch, dass sie sich durch Obsessionen oder Traumata leiten lassen. Sie wirken schwach und geraten in Situationen, in denen sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind, und meist machen sie sich schuldig. Mit ihren Schwächen akzentuieren sie die Brüchigkeit der alltäglichen Welt. Während sie als Identifikationsfigur im Sinne eines makellosen, unantastbaren Vorbilds nicht taugen, tragen ihre Ambivalenz, ihre Schwächen und die Brüchigkeit ihrer Existenz dazu bei, dass das Massenpublikum sich in diesen Figuren wiederfinden kann.

Der Prototyp des Antihelden bei Hitchcock sind die von James Stewart gespielten Figuren: In Cocktail für eine Leiche muss der von Stewart dargestellte Lehrer erkennen, dass zwei seiner Studenten eine seiner Theorien zum Anlass nahmen, einem Mord zu verüben und ihn zu rechtfertigen, am Ende steht er hilflos vor diesem menschlichen Abgrund, in den er nicht nur hineingezogen wurde, sondern den er auch mit heraufbeschworen hat. In Das Fenster zum Hof stellt Stewart einen Figur dar, die bindungsscheu sowie körperlich beeinträchtigt und voyeuristisch veranlagt ist und dadurch in Schwierigkeiten kommt. In Der Mann, der zuviel wusste (1956) ist er als Vater nicht in der Lage, seinen Sohn aus den Klauen von Entführern zu retten, dies schafft am Ende seine Frau. Und in Vertigo lässt er sich zuerst unwissentlich und unter Ausnutzung seiner traumatischen Höhenangst als Helfershelfer für einen Mord missbrauchen. Später macht er sich durch seine sich entwickelnden Obsessionen schuldig am Tod der Frau, die er liebt.

Weitere männliche typische Antihelden mit Schwächen und Makeln werden von Gregory Peck dargestellt: In Ich kämpfe um dich verursacht er als Kind den Tod des eigenen Bruders. Das Ergebnis ist ein Schuldkomplex, Gedächtnisverlust und ein hilfloser Held, der als Mörder gesucht wird und auf fremde Hilfe angewiesen ist. In Der Fall Paradin verfällt er als verheirateter Rechtsanwalt einer Mörderin und setzt beim Versuch, sie gegen ihren Willen vor dem Galgen zu retten, Ruf, Karriere und Ehe aufs Spiel.

Die Figur des Antihelden zieht sich von den frühesten bis zu seinen letzten Filmen durch Hitchcocks Werk. Einige weitere Beispiele sind: Ivor Novello in Der Mieter (1927), John Gielgud in Geheimagent, Laurence Olivier, in Rebecca, Farley Granger in Der Fremde im Zug, Montgomery Clift, in Ich beichte, Henry Fonda in Der falsche Mann, Sean Connery in Marnie, Paul Newman in Der zerrissene Vorhang und Jon Finch in Frenzy.

Aber auch Cary Grant spielt in zwei seiner Hitchcockfilme Figuren, bei denen ihre Schattenseiten sich zweitweise vor den Charme und die anderen positiven Merkmale seiner Figuren schieben, Figuren mit explizit ambivalentem Charakter: In Verdacht ist er ein Hochstapler, der sich über beide Ohren verschuldet, seine Frau belügt und von ihr verdächtigt wird, sie ermorden zu wollen. In Berüchtigt erwartet er als Geheimdienstmitarbeiter von der Frau, mit der er eine Liebesbeziehung hat, dass sie aus staatsbürgerlichem Pflichtbewusstsein mit einem anderen Mann schläft. Als sie dies tut und den anderen sogar heiratet, übersieht er in seiner Eifersucht lange, dass sie dabei ist, vergiftet zu werden und wird beinahe schuldig an ihrem Tod.

Die „schwachen“ Frauen

In vielen Filmen bedient Hitchcock auf den ersten Blick das klassische Motiv der schwachen zu beschützenden Frau. Doch während das Klischee verlangt, dass der strahlende Held sich für sie einsetzt und sie rettet, ist sie bei Hitchcock oft auf sich alleine gestellt, da ihr männlicher Gegenpart nicht willens oder in der Lage ist, sie zu retten. In einigen dieser Fälle geht von der männlichen Hauptfigur sogar ein tatsächliches oder vermeintliches Bedrohungspotential aus. Beispiele hierfür sind: Sylvia Sidney in Sabotage, Joan Fontaine in Rebecca und in Verdacht], Grace Kelly in Bei Anruf Mord, Teresa Wright in Im Schatten des Zweifels und Tippi Hedren in Marnie.

In anderen Fällen ist der vermeintliche Beschützer schwach oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass er helfen könnte. Beispiele sind: Maureen O'Hara in Riff-Piraten, Ingrid Bergman in Berüchtigt und in Sklavin des Herzens, Anne Baxter in Ich beichte, Tippi Hedren in Die Vögel, Vera Miles in Der falsche Mann und Julie Andrews in Der zerrissene Vorhang. In den beiden letztgenannten Filmen hat Hitchcock explizit versucht, die Geschichte aus Sicht der Frau zu erzählen, was ihm jedoch in beiden Fällen nach eigener Aussage nicht wie gewünscht gelungen ist.

Die Nebenrollen

Die Mütter

Sehr komplex ist das von Hitchcock in seinen Filmen transportierte Mutterbild. In vielen seiner Filme, ab Mitte der 1940er Jahre regelmäßig, davor vereinzelt, tauchen dominante Mütter auf, die einen beunruhigenden Einfluss auf ihre Zöglinge, meist Söhne ausüben und zum Teil Auslöser oder Ursache wesentlicher dramatischer Ereignisse sind. Nicht selten sind es abgründige, herrschsüchtige, dämonische Figuren, gelegentlich zur Karikatur verzerrt. In einigen früheren Filmen tauchen Mütter dominant oder besitzergreifend auf, jedoch nicht böse, zum Beispiel in Der Mieter, Erpressung, Jung und unschuldig und Mr. und Mrs. Smith, später noch einmal in den beiden eher leichten Filmen Über den Dächern von Nizza und Der unsichtbare Dritte, beide male verkörpert durch Jessie Royce Landis.

Zu der Frage, in wie weit das von Hitchcock in seinen Filmen transportierte Mutterbild von der eigenen Mutter mit geprägt ist, gab es von ihm selbst keinerlei Aussagen. Das wenige, was man aus seiner Kindheit weiß, legt jedoch den Schluss nahe, dass einiges von dem, was Hitchcock später durch die Mütter in seinen Filmen transportierte, autobiographische Ursprünge hatte. [33] Hitchcocks Mutter starb nach langer Krankheit im August 1942, während der Dreharbeiten zu Im Schatten des Zweifels. Dieser bereits von vornherein stark autobiographisch geprägte Film nimmt eindeutige Bezüge auf das Verhältnis zwischen Hitchcock und seiner Mutter. Die dominante Mutter, die so sehr auf das Wohlergehen ihrer Familie achtet, heißt wie seine eigene Mutter Emma. Ein weiterer eindeutiger Bezug in diesem Film ist die kranke und gebieterische Mutter des von Krimis und Mordmethoden besessene Freundes der Familie Herb Hawkins (eine von vielen Selbstprojektionen Hitchcocks in diesem Film), die man nie sieht, von der dieser jedoch oft spricht.[34]

Wenige Jahre später ist es die Mutter in Berüchtigt (Leopoldine Konstantin), die ihren Sohn zum Mord an der Frau, die er liebt, antreibt. Sie ist damit die erste Mutter in Hitchcocks Filmen, die uneingeschränkt böse ist. Es folgt Der Fremde im Zug (1951), wo der Eindruck erweckt wird, dass der Mörder Bruno, selbst geisteskrank, unter dem Einfluss seiner ebenfalls geisteskranken Mutter steht. Der extremste Fall des Hitchcockschen Mutterbilds tritt in Psycho (1960) zutage, wo sogar noch die tote Mutter von ihrem Sohn (Anthony Perkins) Besitz ergreift und ihn zu ihrem mordenden Werkzeug werden lässt. In Die Vögel (1963) erträgt es die Mutter von Mitch (Jessica Tandy) nicht, dass ihr erwachsener Sohn (Rod Taylor) sich für eine andere Frau interessiert. Und in Marnie (1964) überträgt Marnies Mutter ihren Schuldkomplex auf ihre Tochter und zerstört damit beinahe deren Leben.

Auffallend ist, dass die betroffenen, unter dem Einfluss ihrer Mutter stehenden Söhne zumeist erwachsen, gelegentlich sogar schon deutlich über 30, 40 oder gar 50 Jahre alt sind und die jeweiligen Schauspieler in der Realität gelegentlich nur wenig jünger als ihre „Mütter“ waren, was die Schwäche der Söhne ihren Müttern gegenüber unterstreicht. Beispiele hierfür sind Leopoldine Konstantin als Mutter von Claude Rains in Berüchtigt (Sie war zum Drehzeitpunkt 60, er 56 Jahre alt) oder Jessie Royce Landis (54) als Mutter des im wirklichen Leben sogar ein Jahr älteren Cary Grant in Der unsichtbare Dritte.

In weiteren Filmen treten bestimmende Mütter in Kurzauftritten auf oder werden gar nur erwähnt. Hier manifestiert sich die bedrohliche Seite unterschwellig, in einzelnen Blicken, Gesten oder Bemerkungen, oder auch nur aus dem Kontext. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Mutter des Mörders Bob Rusk in Frenzy, die in einer Szene nur kurz am Fenster erscheint, was dem Zuschauer in Kenntnis des Hitchcock-Kontextes über den Charakter „Bob Rusk“ mehr erklärt, als lange psychologische Abhandlungen es je könnten.

In zwei Filmen variiert Hitchcock dieses Rollenmuster, hier übernehmen Haushälterinnen die Funktion der dämonischen Mütter. In Rebecca und in Sklavin des Herzens treten die Haushälterinnen als „Beschützerin“ der männlichen Protagonisten auf und intrigieren gegen die Ehefrau.

Die Schurken

Besonderes Gewicht gab Hitchcock in vielen seiner Filme den Gegenspielern der Protagonisten. Im Gegensatz zu den Hauptfiguren sind diese häufig professionelle Agenten, Spione oder Verschwörer, wobei ihr Profil oft weit über das des reinen Gegenspielers hinausgeht und es sich um differenziert gezeichnete Figuren handelt. Zuweilen wirken sie auffällig charmant oder sogar sympathisch. Mitunter übertreffen sie die Hauptfiguren dabei sogar an Sympathie und Ausstrahlung, wobei solche komplex gezeichneten, vielschichtigen „Bösen“ teilweise mit schwächeren, farbloseren „Guten“ korrelieren (beispielsweise Robert Walker gegenüber Farley Granger in Der Fremde im Zug) oder gar als die eigentlichen Hauptfiguren gelten können (Joseph Cotten in Im Schatten des Zweifels). Oft konkurrieren Held und Bösewicht um dieselbe Frau und die Liebe des eigentlich „Bösen“ erscheint tiefer und aufrichtiger als die des eigentlich „Guten“. Besonders auffällig ist dies in Berüchtigt (Claude Rains gegenüber Cary Grant) und in Der unsichtbare Dritte (James Mason wiederum gegenüber Cary Grant). Durch die Zeichnung der Figuren und mit Hilfe der Dramaturgie gelingt es Hitchcock dabei sogar teilweise, dem Zuschauer eine Identifikation mit dem „Schurken“ nahezulegen.

Hitchcocks erster sympathischer Schurke war Robert Young als Charmeur in Geheimagent, den er absichtlich gegen dessen angestammten Rollentyp besetzte. Erinnerungswürdig bleiben vor allem Joseph Cotten als charmanter Witwenmörder in Im Schatten des Zweifels, Walter Slezak als sympathischer Nazi in Das Rettungsboot, Robert Walker als charmanter Frauenmörder in Der Fremde im Zug, Anthony Perkins als linkischer, von seiner Mutter gepeinigter Mörder in Psycho und Barry Foster in Frenzy.

Weitere Nebenfiguren

Eigentlich positiv besetzte Figuren wie Priester, Polizisten oder andere Vertreter des Staates sind oft zwiespältige Figuren, stellen zuweilen sogar eine Bedrohung für die Protagonisten dar oder sind nicht in der Lage, sie zu beschützen – auch das trägt dazu bei, scheinbar feste Trennlinien zwischen Gut und Böse aufzulösen und ein Gefühl der Verunsicherung heraufzubeschwören.

Polizisten, die das Recht verdrehen, die aus persönlichen Motiven handeln und daher Fehler machen, die tollpatschig sind, die schlampig arbeiten oder sich allzu schnell mit einfachen Lösungen zufrieden geben, kommen in Der Mieter, Erpressung, Die 39 Stufen, Sabotage, Jung und unschuldig, Im Schatten des Zweifels, Sklavin des Herzens, Die rote Lola, Bei Anruf Mord, Das Fenster zum Hof, Über den Dächern von Nizza, Der falsche Mann, Psycho und in Frenzy vor.

Darüberhinaus finden sich vereinzelt professionelle Agenten, Spione oder Geheimdienstmitarbeiter unter den Nebenfiguren, meist zwiespältige Figuren, deren Funktion darin besteht, die Atmosphäre der Verunsicherung zu steigern und die sowohl auf der Gegenseite stehen können – etwa das Ehepaar Drayton in dem späteren Der Mann, der zuviel wußte – oder den Hauptfiguren helfen oder assistieren können, wobei sie häufig auch zu dessen Schwierigkeiten beitragen – beispielsweise der „General“ Peter Lorre in Geheimagent oder Leo G. Carroll als CIA-Mitarbeiter in Der unsichtbare Dritte.

Hitchcock als filmisches Vorbild

Kaum ein Regisseur hat einen vergleichbar großen und weitreichenden Einfluss auf das Kino ausgeübt wie Alfred Hitchcock. Seine Filme und vor allem sein persönlicher Erzählstil, der ihn auszeichnete und mit dem er so nachhaltig identifiziert wurde, haben das Genre des Thrillers und seine Formen geprägt. Viele Elemente aus seinem Werk sind inzwischen in das Standardrepertoire des Kinos eingegangen, ohne dass sie noch bewusst oder direkt mit Hitchcock in Verbindung gebracht werden. Insbesondere der Einsatz von Suspense als spannungserzeugendem Mittel oder die Verwendung von McGuffins als handlungsvorantreibendes Element ist in heutigen Thrillern eine Selbstverständlichkeit und gehört zum Standardhandwerkszeug des Filmemachens. Häufig werden Filme, die besonders spannend sind, mit Hitchcock in Verbindung gebracht; die Wendung „spannend wie ein Hitchcock“ ist zu einer Art Redewendung geworden, die sogar über das Gebiet des Films und der Fiktion hinausreicht.

Es gibt aus den letzten mehr als sechs Jahrzehnten unzählige Beispiele für Thriller oder Dramen, teils von sehr namhaften Regisseuren, die einen weitergehenden Einfluss von Hitchcock zeigen, indem bewusst typische Motive Hitchcocks übernommen werden oder Hitchcocksche Stilelemente kopiert oder variiert werden. Manche dieser Filme sind als Hommage des jeweiligen Regisseurs an Hitchcock zu verstehen, in anderen Fällen wurde Hitchcocks Stil „nur“ übernommen, da er sich als erfolgreich und wirksam erwiesen hat.

USA

Hitchcocks Arbeit fand in den USA zu seinen Lebzeiten zwar Anerkennung, er war dort jedoch bis zum Ende nur einer unter vielen „großen“ Regisseuren. Der Einfluss, den Hitchcock auf andere Hollywood-Regisseure auswirkte, war und ist durch seine Art der Spannungserzeugung geprägt und durch die Fähigkeit, auf unterhaltsame Weise spannende Geschichten zu erzählen. Der Titel „Master of Suspense“ zeugt von dieser Anerkennung. Insbesondere seine Erfolgsfilme aus den 1950er bis Anfang der 1960er Jahre ließen in den Folgejahren manche Filme entstehen, die inhaltlich oder stilistisch oft mit Hitchcock in Verbindung gebracht werden. Das Motiv des unschuldig Verfolgten und das der hilflosen, bedrohten Frau, stehen in diesen Filmen im Mittelpunkt.

Einige klassische Beispiele für von Hitchcock inspirierte Hollywood-Filme sind: Das Haus der Lady Alquist von George Cukor (1944), Die Spur des Fremden von Orson Welles (1946), 23 Schritte zum Abgrund von Henry Hathaway (1956), Mitternachtsspitzen von David Miller (1960), Botschafter der Angst von John Frankenheimer (1962), Charade von Stanley Donen (1963), Die 27. Etage von Edward Dmytryk (1964), Arabeske von Stanley Donen (1964), Warte bis es dunkel ist von Terence Young (1967), Höhenkoller von Mel Brooks (1977) und Das unsichtbare Auge von John Carpenter (1978).

Viele Hollywood-Regisseure hat Alfred Hitchcock mehr oder weniger direkt geprägt:

  • Steven Spielbergs Filme sind nach eigener Aussage stark von Hitchcock beeinflusst. Auch wenn Spielberg nicht direkt stilistische Motive kopiert oder adaptiert oder nur wenige seiner Filme thematische Parallelen aufzeigen, hat Spielberg doch Hitchcocks Erzählstil verinnerlicht. Ein Film wie Schindlers Liste (1993) wäre in dieser Form ohne den Einfluss Hitchcocks nicht möglich gewesen. Der weiße Hai (1975) erinnert in Spannungsaufbau und Dramaturgie an Hitchcocks Die Vögel und die Indiana-Jones-Filmreihe (1981-1989) ist stark von Der unsichtbare Dritte (1959) beeinflusst.
  • Als Regisseur, der ganz offensichtlich von Hitchcock geprägt ist, gilt Brian de Palma. De Palma arbeitet mit vielen Verweisen und Zitaten auf Hitchcock-Filme. Überdies übernahm er in einigen Filmen deutlich Grundstrukturen aus Hitchcocks Filmen. So übernimmt er in Dressed to Kill (1980) das Grundmotivs aus Psycho und entwickelt es weiter. Der Film enthält diverse Zitate aus weiteren Hitchcock-Filmen. 1976 lehnte sich sein Film Schwarzer Engel stark an Vertigo an. 1984 in Der Tod kommt zweimal spielt de Palma mit eindeutigen Bezügen auf Das Fenster zum Hof und Vertigo.
  • Einigen weiteren zeitgenössischen amerikanischen Regisseuren wird gelegentlich eine Stilverwandtschaft mit Hitchcock nachgesagt, oder sie berufen sich in ihren Werken mitunter auf Hitchcock, zum Beispiel John Carpenter, David Fincher, David Mamet oder Quentin Tarantino [35].

Europa

In Frankreich wurde Hitchcocks Werk seit Ende der 1940er Jahre von den Verfechtern der Auteur-Theorie, jungen Filmkritikern, die sich gegen das etablierte französische sogenannte „Qualitäts-Kino“ wandten, aufmerksam verfolgt und bewundert. Sie postulierten zum Beispiel über die Filmzeitschrift Cahiers du cinéma den geistigen Besitz eines „Autors“ (in der Regel des Regisseurs), der die alleinige künstlerische Gewalt über Stoffauswahl und -umsetzung haben sollte, an einem Film. Sie sahen in Hitchcock eines ihrer Idole. Einige Jahre später, ab den späten 1950er Jahren, begannen einige dieser Kritiker, selbst Filme zu drehen. Es entstand die Nouvelle Vague. Deren Protagonisten begriffen sich als Cineasten, die zugleich „Filmpolitik“ betrieben, die sich mit Film auf einer filmtheoretischen Ebene auseinandersetzten und ihre Vorstellungen vom Kino formulierten. Hitchcock wurde von maßgeblichen Vertretern dieser Richtung wie François Truffaut und Claude Chabrol gefeiert und in Büchern und Artikeln entsprechend gewürdigt.

1955 erschien das erste Buch über Alfred Hitchcock, geschrieben von den damaligen Filmkritikern und späteren Regisseuren Eric Rohmer und Claude Chabrol. 1956 erschien ein Hitchcock-Sonderheft der Cahiers du cinéma, das maßgeblich zur Popularität Hitchcocks in Frankreich beitrug. Im Mai 1960 reiste Hitchcock zu einem Filmfestival, das die Cinématheque Française ihm zu Ehren in Paris abhielt. Er wurde von den versammelten jungen Filmemachern frenetisch gefeiert. Im August 1962 gab Hitchcock dem damals 30-jährigen französischen Filmkritiker und Regisseur François Truffaut ein 50-stündiges Interview. Truffaut befragte Hitchcock chronologisch zu dessen bisherigen 48 Filmen. Das Interview erschien 1966 in Buchform, Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, und gilt seitdem als ein Meilenstein der Filmliteratur.

Die Filme von Francois Truffaut und Claude Chabrol zeigen den Einfluss von Hitchcock. Bei Truffaut betrifft dies lediglich einzelne Filme. In seinem 1968 entstandenem Film Die Braut trug schwarz rächt eine Frau den Tod ihres Ehemanns und bringt nach und nach seine fünf Mörder um. Der Film ist in vielerlei Hinsicht eine Hommage an Hitchcock. Ein Jahr später drehte Truffaut Das Geheimnis der falschen Braut, die Geschichte eines Mannes, der sich in eine Betrügerin und Mörderin verliebt, ihr verfällt und der auch nicht von ihr lassen kann, als sie ihn selbst betrügt und zu töten versucht. Der Film ist stark von verschiedenen inhaltlichen und stilistischen Motiven aus Vertigo Marnie und Verdacht beeinflusst. In seinem letzten Film Auf Liebe und Tod (1983) wird ein unschuldiger Mann eines Mordes beschuldigt. Seine Sekretärin, die versucht, seine Unschuld zu beweisen, wird immer tiefer in die mysteriöse Geschichte hinein gezogen. Der Film ist voll von hitchcockschen Motiven und enthält viele Anspielungen auf Hitchcocks Filme. Weitere Filme, die Truffaut selbst in der Tradition Hitchcocks sah, waren Die süße Haut und Fahrenheit 451.[36]

Claude Chabrol drehte eine Vielzahl Filme, in denen eine scheinbar heile bürgerliche Welt angegriffen und durcheinander gebracht wird. Für ihn ist der Thriller ein Mittel der Analyse und Kritik an der bourgeoisen Gesellschaft. Eines der hitchcockschen Hauptmotive, das der Schuldübertragung sowie das der doppelten oder der gespaltenen Persönlichkeit, taucht bei Chabrol immer wieder auf. Einige wenige Beispiele für Hitchcocks Einfluss sind Schrei, wenn du kannst (1959), Das Auge des Bösen (1961), Der Schlachter (1970) und Masken (1986). Weitere französische Regisseure, die sich gelegentlich des hitchcockschen Repertoires bedient haben waren zum Beispiel Henri-Georges Clouzot oder René Clément.

Außerhalb Frankreichs war in Europa der unmittelbare Einfluss Hitchcocks auf andere Filmemacher deutlich geringer. Einige europäische oder europäischstämmige Regisseure habe jedoch einzelne Filme gedreht, denen eine Stilverwandschaft mit Hitchcocks Filmen anzuerkennen ist oder die unmittelbar als Hommage an Hitchcock gedacht sind. Einige Beispiele sind: Ministerium der Angst von Fritz Lang (1943), Die Wendeltreppe von Robert Siodmak (1945), Zeugin der Anklage von Billy Wilder (1957), Es geschah am hellichten Tag von Ladislao Vajda (1958), Frantic von Roman Polanski (1988) oder Schatten der Vergangenheit von Kenneth Branagh (1991).

Der Regisseur Dario Argento, der als Meister des Horrors gilt, lieferte 2005 mit dem Film Do You Like Hitchcock? einen Thriller ab, der berühmte Szenen und Zitate von Hitchcock-Klassikern mit seinen eigenen charakteristischen Horrerelementen verknüpft. Dabei sind deutlich Anleihen aus folgenden Hitchcockfilmen zu sehen: Der Fremde im Zug, Das Fenster zum Hof, Bei Anruf Mord sowie Vertigo - Aus dem Reich der Toten.

Selbstvermarktung und der Kampf um Unabhängigkeit

Wir Regisseure machen einen Film erfolgreich. Der Name des Regisseurs sollte im Bewusstsein des Publikums mit der Qualität eines Produktes gleichgesetzt werden. Schauspieler kommen und gehen, doch der Name des Regisseurs sollte klar im Bewusstsein des Publikums haften bleiben.

Alfred Hitchcock [37]

Schon am Anfang seiner Karriere, als er in Großbritannien mit den ersten Stummfilmen Erfolge feierte, war Hitchcock bewusst, wie wichtig es ist, den eigenen Namen zu vermarkten. Viele seiner späteren Tätigkeiten sind auch Teil von Hitchcocks Strategie, sich selbst sowie seine markante Figur und sein Gesicht sowie seinen Namen darzustellen und sich damit als Marke zu etablieren und zu vermarkten. Hitchcocks Selbstvermarktung wiederum war auch Reaktion auf seine Erfahrung, immer wieder in seiner künstlerischen Autonomie beschnitten worden zu sein. Sie diente auch dazu, eine Machtposition im Produktionsprozess seiner Filme zu erlangen und war somit Teil seines fast lebenslangen Kampfes um Unabhängigkeit bei seinen Tätigkeiten als Regisseur.

Bereits Anfang der 1930er-Jahre, als er mit dem Erfolg seiner Filme in England populär wurde, erkannte er die Möglichkeiten, die in der Öffentlichkeitswirkung seiner Filme und seiner Person lagen und gründete die Hitchcock Baker Prod., eine Gesellschaft, die bis zu seiner Umsiedlung nach Amerika ausschließlich dafür zuständig war, Öffentlichkeitsarbeit für und mit seiner Person zu betreiben.[38] 1938 beauftragte er die Küstleragentur Selznick-Joyce, deren Mitinhaber Myron Selznick, der ältere Bruder des Hollywood-Moguls David O. Selznick war, seine Interessen wahrzunehmen. Nach Selznicks Tod Ende der 1940er-Jahre wechselte er zur Music Corporation of America (MCA), der damals weltgrößten Künstleragentur. Er wurde dort ab 1948 persönlich und exklusiv von deren Präsidenten Lew Wasserman vertreten, ab 1962 dann von einer neu gegründeten Gesellschaft unter Herman Citron, mit dem er bereits zuvor langjährig zusammenarbeitete.[39]

Als Regisseur unter Produzenten, die die Rolle des Regisseurs nach Hitchcocks Empfinden zu wenig achteten, hatte Hitchcock unter Beschneidungen seiner Möglichkeiten gelitten, vor allem von 1927 bis 1934 bei British International Pictures und von 1939 bis 1947 als Objekt der Einmischungen von David. O. Selznick. Im Zusammenhang mit solchen negativen Ohnmachtserfahrungen stehen Hitchcocks Bestrebungen, Zugriff auf die Position des Produzenten zu bekommen, was ihm ab Ende der 1940er Jahre gelang. Obwohl sein Einfluss ab Mitte der 1960er Jahre wieder sank, blieb Hitchcock von Cocktail für eine Leiche bis zu seinem letzten Film Produzent seiner Filme.

Hitchcocks Einfluss und das Gebiet seiner Selbstvermarktung schlossen unterschiedlichste Felder ein: Obwohl von den Filmgesellschaften üblicherweise für die Promotion eigene Abteilungen oder externe Agenturen beauftragt werden, trugen bei Hitchcocks Filmen die Werbekampagnen deutlich die Handschrift des Regisseurs. Hitchcock etablierte bereits 1927 ein stilisiertes Selbstportrait als Logo, das seit dem und bis heute als unverwechselbares Markenzeichen für Hitchcock steht.[40] Die Trailer für seine Kinofilme waren häufig nicht nur Zusammenschnitte des angekündigten Films, sondern stellten Hitchcock ins Zentrum. Legendär sind zudem Hitchcocks Auftritte in seinen eigenen Filmen. Hinzu kamen lukrative Lizenzverträge, beispielsweise für eine Fernsehserie, ein Krimi-Magazin und eine Buchreihe von Kinderkrimis. Durch diese Promotions-Arbeit erhielt das Produkt „Hitchcock“ einen hohen Wiedererkennungswert und wurde dauerhaft in der öffentlichen Wahrnehmung installiert.

Fernsehen

Auf den Rat seines Agenten Lew Wasserman hin stieg Hitchcock 1955 in das Fernsehgeschäft ein. Hitchcock gründete die Fernsehproduktionsfirma Shamley Productions und produzierte bis 1965 seine eigene wöchentliche Fernsehserie. Insgesamt entstanden mehr als 350 Fernsehfilme innerhalb dieser Reihen. Der Status als Produzent der Serie sicherte Hitchcock für seine Fernsehaktivitäten Unabhängigkeit und Kontrolle über die Produktionen und ermöglichte es ihm, diese zur Selbstvermarktung zu nutzen. Das Tagesgeschäft legte er in die Hände von langjährigen Mitarbeitern: Joan Harrison, seine ehemalige persönliche Assistentin, produzierte die Serie bis 1963. Ihr Nachfolger wurde der Schauspieler Norman Lloyd, zuvor bereits Co-Produzent der Serie und seit Saboteure mit Hitchcock bekannt. Schließlich fungierte sein enger Vertrauter Herbert Coleman 1965 als Produzent.

Die Fernsehserien waren nicht nur nach Hitchcock benannt, in vielen Folgen übernahm er auch die Moderatorenrolle und begrüßte das Publikum am Anfang der Folgen, indem er mit ungerührter Miene makabre Ansagetexte sprach. Diese Auftritte steigerten seine ohnehin schon große Popularität und machten ihn zu einer nationalen Berühmtheit.

Hitchcocks bisweilen etwas heimtückischer Humor zeigt sich auch in der Auswahl der Titelmusik für die Serie Alfred Hitchcock Presents. Er verwendete dafür das Hauptthema von Charles Gounods Marche funèbre d'un marionette (Trauermarsch einer Marionette), das sich im Weiteren zu einer Erkennungsmarke für Hitchcocks Public Relations entwickelte, während der Komponist weitgehend unbekannt geblieben ist.

Auch Hitchcocks weitere Regiearbeiten für andere Fernsehserien wurden von Shamley Productions produziert.

Bücher und Zeitschriften

Neben seiner Film- und Fernseharbeit steigerte Hitchcock seinen Bekanntheitsgrad auch durch die Vergabe von Nutzungsrechten an seinem Namen für Bücher und Zeitschriften. Das Gesicht und der Name „Hitchcock“ sollten auf diese Weise einen sehr hohen Wiedererkennungswert gewinnen.

1956 schloss Hitchcock einen Lizenzvertrag mit HSD Publications ab, der die Überlassung seines Namens für das Krimi-Magazin Alfred Hitchcock’s Mystery Magazine zum Inhalt hatte. Die Zeitschrift enthält Mystery- und Kriminalgeschichten, Buchrezensionen und Rätsel und erscheint noch heute unter dem selben Titel.

Seit 1964 erschien in den USA die Jugend-Krimi-Reihe (The Three Investigators), auf deutsch seit 1968 als Die drei ???. Der Journalist und Autor Robert Arthur kannte Alfred Hitchcock persönlich und bat ihn, seinen Namen zur Vermarktung dieser geplanten Buchreihe verwenden zu dürfen. Hierzu baute er eine Figur „Alfred Hitchcock“ in die Handlung mit ein. In den USA hielt sich der Erfolg der Bücher in Grenzen, während die Serie in Europa – besonders in Deutschland – nach wie vor ein großer Erfolg ist. Aus den deutschen Büchern entstand wiederum eine erfolgreiche Hörspielreihe, in der die Figur „Hitchcock“ sogar eine Sprechrolle erhielt. Hierdurch wurde der Name Hitchcock in Deutschland auch bei vielen Menschen bekannt, die nie einen Film von ihm gesehen hatten.

Trailer

Hitchcock setzte im Laufe der Jahre immer stärker darauf, seine Filme über den immer größer werdenden Wiedererkennungswert seiner Person zu vermarkten. Während von den Filmgesellschaften üblicherweise für die Promotion eigene Abteilungen oder externe Agenturen beauftragt werden, trugen bei Hitchcocks Filmen die Werbekampagnen deutlich die Handschrift des Regisseurs. Die Kino-Trailer waren häufig nicht nur Zusammenschnitte des angekündigten Films, sondern stellten den Komiker Hitchcock in den Vordergrund, der in der Rolle eines „Master of Ceremony“ seine eigenen Filme vorstellte und den Zuschauer durch die Kulissen führte.

Cameo-Auftritte

Aus der Not geboren, nämlich dem Mangel an Statisten in seinen ersten britischen Filmen, sah man den Regisseur immer wieder im Hintergrund auftauchen. Daraus entwickelte er eine weitere Spezialität, auf die das Publikum seiner Spielfilme später gespannt wartete: Hitchcocks obligatorischer Cameo-Auftritt entwickelte sich zu einem seiner bekanntesten Markenzeichen. Diese Art der Selbstpräsentation steigerte seinen Wiedererkennungswert und trug viel zu seinem Ruhm bei, ist sie doch eine der wenigen Möglichkeiten, die ein Regisseur hat, sich selbst dem Publikum zu präsentieren. Auf der anderen Seite wurde dieser Running Gag im Laufe der Zeit zu einer lästigen Pflicht, da das Publikum zu Anfang des Films immer weniger auf die Handlung achtete als vielmehr auf Hitchcock lauerte. Aus diesem Grund legte Hitchcock in späteren Filmen seinen Auftritt möglichst weit an den Filmanfang. Da Hitchcock erst nach seinen frühesten Auftritten seine Cameoauftritte zu einem offiziellen Markenzeichen machte, ist bei seinen frühen Filmen teilweise nicht geklärt, ob und wann Hitchcock tatsächlich auftritt.

Alle bekannten Hitchcock-Cameos (chronologisch):

Film Auftritt/Rolle Film Auftritt/Rolle
Der Mieter Erst an einem Schreibtisch in einer Redaktion, dann als Zuschauer einer Verhaftung (nach 3 bzw. 92 min.). Easy Virtue Mit einem Gehstock hinter einem Tennisplatz (nach 15 min.).
Erpressung Liest in der U-Bahn eine Zeitung und wird dabei von einem Jungen gestört (nach 11 min.). Mord – Sir John greift ein! Geht an dem Haus vorbei, in dem der Mörder arbeitet (nach 60 min.).
Der Mann, der zuviel wußte von 1934 Überquert die Straße in einem Regenmantel (nach 33 min.). Die 39 Stufen Schmeisst Müll weg, während Robert Donat und Lucie Mannheim fluchtartig das Theater verlassen (nach 6 min.).
Sabotage Geht an einem Kino vorbei (nach 9 min.). Jung und unschuldig Vor dem Gerichtsgebäude mit einer Kamera in der Hand (nach 15 min.).
Eine Dame verschwindet In der Londoner Victoria Station, mit dunklem Mantel und einer Zigarette (nach 90 min.). Rebecca Steht hinter der Telefonzelle, aus der George Sanders anruft (nach 123 min.).
Der Auslandskorrespondent Mit Mantel, Hut und Tageszeitung, kurz nachdem Joel McCrea sein Hotel verlassen hat (nach 11 min.). Verdacht An einem Briefkasten (nach 45 min.).
Mr. und Mrs. Smith Auf der Straße geht er an Robert Montgomery vorbei (nach 41 min.). Saboteure Steht vor einem Drugstore als das Auto des Saboteurs stehen bleibt (nach 60 min.).
Im Schatten des Zweifels Hat beim Kartenspiel im Zug nach Santa Rosa ein „Full House“ (nach 17 min.). Ich kämpfe um dich Kommt aus dem Fahrstuhl im Hotel Empire mit einem Geigenkasten und einer Zigarette (nach 36 min.).
Berüchtigt Auf der Party in Rains Wohnung, trinkt Champagner und verschwindet dann (nach 60 min.). Der Fall Paradin Kommt an der Cumberland Station aus dem Zug mit einem Cellokasten in der Hand (nach 36 min.).
Cocktail für eine Leiche Geht nach dem Vorspann über die Straße. Sein Markenzeichen ist kurz unter der Neonreklame zu sehen (nach 52 min.). Sklavin des Herzens Er ist auf dem Empfang des Gouverneurs mit blauem Mantel und braunem Hut zu sehen, außerdem später auf der Treppe im Regierungspalast (nach 3 bzw. 14 min.).
Die rote Lola Dreht sich nach Jane Wyman um, die sich gerade als Marlene Dietrichs Dienstmädchen verkleidet hat (nach 38 min.). Der Fremde im Zug Steigt mit einem Kontrabass in einen Zug (nach 10 min.).
Ich beichte Geht am oberen Bildrand an einer Treppe vorbei (nach 1 min.). Das Fenster zum Hof Zieht im Apartement des Musikers eine Uhr auf (nach 25 min.).
Immer Ärger mit Harry Bei der Ausstellung von John Forsythe (in jener Szene, in der der spätere Bilder-Käufer eingeführt wird) überquert er hinter einer parkenden Limousine die Straße (nach 21 min.). Über den Dächern von Nizza Er sitzt neben John Robie (Cary Grant) im Bus (nach 10 min.).
Der Mann, der zuviel wusste von 1956 Mit dem Rücken zur Kamera auf dem Markt in Marrakesch, bei dem Akrobaten, kurz vor dem Mord (nach 25 min.). Der falsche Mann Am Anfang des Films tritt Hitchcock persönlich auf und spricht den Prolog. Dieser Auftritt ist somit seine einzige Sprechrolle in seinen Kinofilmen.
Vertigo – Aus dem Reich der Toten In der Nähe des Büros von Gavin Elster, der die Beschattung seiner Frau in Auftrag gibt, überquert er in einem grauen Anzug eine Straße (nach 10 min.). Der unsichtbare Dritte Rennt hinter einem Bus her, dessen Tür sich vor seiner Nase schließt (nach 2 min.).
Psycho Er steht, vom Inneren von Marions Büro aus sichtbar, auf der Straße und trägt einen Cowboyhut (nach 7 min.). Die Vögel Verlässt die Tierhandlung mit zwei weissen Terriern in dem Moment, in dem Tippi Hedren eintritt (nach 2 min.).
Marnie Verlässt ein Hotelzimmer und geht durch den Korridor (nach 5 min.). Der zerrissene Vorhang Sitzt mit einem Baby auf dem Schoß im Hotelfoyer (nach 8 min.).
Topas Am La Guardia Flughafen in New York steht er aus einem Rollstuhl auf und begrüßt jemanden (nach 28 min.). Frenzy Am Anfang des Films, als die Leiche in der Themse gefunden wird, steht er in der Menge und ist der einzige, der dem Redner nicht applaudiert (nach 3 min.).
Familiengrab In seinem letzten Film sieht man seine Silhouette hinter der Milchglasscheibe einer Türe mit der Aufschrift: „Registratur für Geburten und Sterbefälle“ (nach 38 min.).

In zwei Filmen hatte Hitchcock keinen eigentlichen Cameo-Auftritt, trat jedoch auf Fotos in Erscheinung:

  • In Das Rettungsboot konnte er unmöglich als Passant erscheinen, da der Film ausschließlich in einem kleinen Rettungsboot auf dem Meer spielt. Er ist daher in einer zufällig im Boot liegenden Zeitung in einer Werbeanzeige für eine Diät mit Namen „Reduco“ auf einem „Vorher-Nachher-Foto“ zu sehen. Laut Hitchcocks Aussage in einem späteren Interview sei die erste Idee gewesen, ihn als Leiche am Rettungsboot vorbei treiben zu lassen, doch dies wurde verworfen, da Hitchcock nach eigenen Angaben zu grosse Angst vor dem Ertrinken hatte.
  • In Bei Anruf Mord spielt die Handlung fast ausschließlich in einem einzigen Raum einer Wohnung. Daher ist Hitchcock auf einem an der Wand hängenden Foto einer Wiedersehensfeier von College-Absolventen an einem Tisch sitzend zu sehen.

Preise und Ehrungen

Hitchcock wurde sechs mal für den Oscar nominiert, fünf mal für die beste Regie, ein mal für den besten Film (als Produzent). Er konnte den Preis nie gewinnen, was ihn zu dem Kommentar veranlasste: „Immer nur Brautjungfer, nie die Braut.“.

Filmografie

In der Reihenfolge der Produktion
R = Regie; B = Buch; P = Produktion;
(R) = Hitchcock drehte als Regisseur nur einzelne Szenen und wird im Abspann nicht genannt;
R(TV) = Regiearbeiten für das Fernsehen; D = Darsteller (Statist); TA = Treatment Advisor
* ohne namentliche Nennung
Uraufführung, Quelle: IMDB (Kinofilme), Spoto (Fernsefilme)

1922-1929

Jahr Land Beteiligung Titel (Anmerkungen) Uraufführung
1922 GB P*/R Number 13 (Stummfilm, unvollendet, verschollen) keine
1923 GB (R) Always Tell Your Wife (Stummfilm) Feb. 1923
1923 GB B Weib gegen Weib (Woman to Woman) (Stummfilm) 1923
1923 GB B The White Shadow (Stummfilm) 1923
1924 GB B Seine zweite Frau (The Prude’s Fall) (Stummfilm) Mai 1924
1924 GB B Ehe in Gefahr (The Passionate Adventure) (Stummfilm) 1924
1925 D/GB B/(R) Die Prinzessin und der Geiger (The Blackguard) (Stummfilm) 04.09.1925
1925 D/GB R Irrgarten der Leidenschaft (The Pleasure Garden) (Stummfilm) 03.11.1925
1926 D/GB R Der Bergadler (The Mountain Eagle) (Stummfilm, verschollen) Mai 1926
1927 GB R/B*/D* Der Mieter (The Lodger) (Stummfilm) 14.02.1927
1927 GB R Downhill (Stummfilm) 24.10.1927
1927 GB R/D* Easy Virtue (Stummfilm) 05.03.1928
1927 GB R/B Der Weltmeister (The Ring) (Stummfilm) 01.10.1927
1928 GB R/B* The Farmer’s Wife (Stummfilm) März 1928
1928 GB R/B Champagne (Stummfilm) Aug. 1928
1929 GB R Der Mann von der Insel Man (The Manxman) (Stummfilm) 06.12.1929
1929 GB R/B/D* Erpressung (Blackmail) 30.06.1929

1930-1939

Jahr Land Beteiligung Titel (Anmerkungen) Uraufführung
1930 GB R/B Juno and the Paycock 29.06.1930
1930 GB (R) Elstree Calling (Hitchcock ist einer von insgesamt vier Regisseuren) 1930
1930 GB R/B/D* Mord – Sir John greift ein! (Murder!) 31.07.1930
1930 D/GB R/B Mary 02.03.1931
1931 GB R/B Bis aufs Messer (The Skin Game) 26.12.1931
1931 GB R/B Nummer siebzehn (Number Seventeen) 1932
1931 GB R/B Endlich sind wir reich (Rich and Strange) 10.12.1931
1932 GB P Lord Camber’s Ladies 28.10.1932
1933 GB R Waltzes from Vienna März 1934
1934 GB R Der Mann, der zuviel wußte (The Man Who Knew Too Much) Dez. 1934
1935 GB R/D* Die 39 Stufen (The 39 Steps) Juni 1935
1936 GB R Geheimagent (Secret Agent) Mai 1936
1936 GB R Sabotage (Sabotage) 02.12.1936
1937 GB R/D* Jung und unschuldig (Young and Innocent) Nov. 1937
1938 GB R/D* Eine Dame verschwindet (The Lady Vanishes) 01.11.1938
1939 GB R Riff-Piraten (Jamaica Inn) 15.05.1939

1940-1949

Jahr Land Beteiligung Titel (Anmerkungen) Uraufführung
1940 USA (R) The House Across the Bay (Hitchcock drehte nur einzelne wenige Szenen, nachdem der Regisseur des Films Archie Mayo verstorben war.) 01.03.1940
1940 USA R/D* Rebecca (Rebecca) 27.03.1940
1940 USA R/D* Der Auslandskorrespondent (Foreign Correspondent) 16.08.1940
1941 USA R/D* Mr. und Mrs. Smith (Mr. & Mrs. Smith) 31.01.1941
1941 USA P/R/D* Verdacht (Suspicion) 14.11.1941
1942 USA R/B*/D* Saboteure (Saboteur) 22.04.1942
1943 USA R/D* Im Schatten des Zweifels (Shadow of a Doubt) 12.01.1943
1943 USA B* Auf ewig und drei Tage (Forever and a Day) (Hitchcoch schrieb nur eine Szene, die dannn von René Clair gedreht wurde.) 21.01.1943
1944 GB R Gute Reise (Bon Voyage) (Kurzfilm) 1944
1944 GB R Aventure Malgache (Aventure malgache) (Kurzfilm) später
19445 GB TA Memories of the Camps (Dokumentarfilm über die Befreiung der deutschen Konzentrationsalager. Erstmals 1985 im Rahmen der US-TV-Dokumentarreihe Frontline ausgestrahlt) 07.05.1985
1944 USA R Das Rettungsboot (Lifeboat) 14.01.1944
1945 USA (R) Watchtower Over Tomorrow (15-minütiger Dokumentar-Kurzfilm, Hitchcock war einer von vier Regisseuren) 29.03.1945
1945 USA R/D* Ich kämpfe um dich (Spellbound) 31.10.1945
1946 USA P/R/D* Berüchtigt (Notorious) 15.08.1946
1947 USA R/D* Der Fall Paradin (The Paradine Case) 31.12.1947
1948 USA P/R/D* Cocktail für eine Leiche (Rope) 23.08.1948
1949 USA P/R/D* Sklavin des Herzens (Under Capricorn) 08.09.1949

1950-1959

Jahr Land Beteiligung Titel (Anmerkungen) Uraufführung
1950 USA P/R/D* Die rote Lola (Stage Fright) 23.02.1950
1951 USA P/R/D* Der Fremde im Zug (Strangers on a Train) 30.06.1951
1953 USA P/R/D* Ich beichte (I Confess) 22.03.1953
1954 USA P/R Bei Anruf Mord (Dial M for Murder) 29.05.1954
1954 USA P/R/D* Das Fenster zum Hof (Rear Window) 01.08.1054
1955 USA P/R/D* Über den Dächern von Nizza (To Catch a Thief) 05.08.1955
1955 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Rache (Revenge) 02.10.1955
1955 USA P/R/D* Immer Ärger mit Harry (The Trouble with Harry) 03.10.1955
1955 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Zusammenbruch/Scheintot (Breakdown) 13.11.1955
1955 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Der Doppelgänger/Einen Doppelten für Mr. Pelham (The Case of Mr. Pelham) 04.12.1955
1956 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Maßarbeit (Back for Christmas) 04.03.1956
1956 USA P/R/D* Der Mann, der zuviel wußte (The Man Who Knew Too Much) 30.04.1956
1956 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Nasser Samstag (Wet Saturday) 30.09.1956
1956 USA P/R/D* Der falsche Mann (The Wrong Man) 22.12.1956
1956 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Mr. Blanchards Geheimnis/Der geheimnisvolle Nachbar (Mr. Blanchard’s Secret) 23.12.1956
1957 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Die Leiche im Kofferraum/Nur noch eine Meile (One More Mile to Go) 07.04.1957
1957 USA R(TV) Suspicion: Die Bombe im Keller/Die Bombe tickt (Four O’Clock) 30.09.1957
1957 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Das perfekte Verbrechen (The Perfect Crime) 20.10.1957
1958 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Mordwaffe: Lammkeule (Lamb to the Slaughter) 13.04.1958
1958 USA P/R/D* Vertigo – Aus dem Reich der Toten (Vertigo) 09.05.1958
1958 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Ein Sprung in den Teich/Ein riskanter Sprung (Dip in the Pool) 14.09.1958
1958 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Die Schlange im Bett (Poison) 05.10.1958
1959 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Banquo’s Chair 03.05.1959
1959 USA P/R/D* Der unsichtbare Dritte (North by Northwest) 28.07.1959
1959 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Ein Fressen für die Hühner (Arthur) 27.09.1959
1959 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Der Kristallgraben (The Crystal Trench) 04.10.1959

1960-1969

Jahr Land Beteiligung Titel (Anmerkungen) Uraufführung
1960 USA R(TV) Ford Startime: Zwischenfall an der Ecke (Incident at a Corner) 05.04.1960
1960 USA P/R/D* Psycho (Psycho) 16.06.1960
1960 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Treue um Treue (Mrs. Bixby and the Colonel’s Coat) 27.09.1960
1961 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Der Pferdewetter (The Horseplayer) 14.01.1961
1961 USA R(TV) Alfred Hitchcock Presents: Peng! Du bist tot! (Bang! You’re Dead) 17.10.1961
1962 USA R(TV) The Alfred Hitchcock Hour: Der letzte Zeuge (I Saw the Whole Thing) 11.10.1962
1963 USA P/R/D* Die Vögel (The Birds) 28.03.1963
1964 USA P/R/D* Marnie (Marnie) 22.07.1964
1966 USA P/R/D* Der zerrissene Vorhang (Torn Curtain) Juli 1966
1969 USA P/R/D* Topas (Topaz) 17.12.1969

1970-1976

Jahr Land Beteiligung Titel (Anmerkungen) Uraufführung
1972 USA P/R/D* Frenzy (Frenzy) 21.06.1972
1976 USA P/R/D* Familiengrab (Family Plot) 09.04.1976

Literatur

Biografien

Werkschauen

Sortiert in der chronologischen Reihenfolge der jeweiligen Originalausgabe.

Weitere Quellen

Fußnoten/Einzelnachweise

Hauptquellen sind die beiden Biografien von Taylor und Spoto sowie das Buch von Truffaut.

  1. Laut Spoto, S. 34, war St. Ignatius nie ein Internat, wie dies in anderen Quellen oft erwähnt wird.
  2. Vgl. Spoto, S. 74
  3. Vgl. Duncan, S. 23
  4. Vgl. Spoto, S. 95f
  5. Vgl. Duncan, S. 28
  6. Vgl. Spoto, S. 120
  7. Vgl. Spoto, S. 127
  8. Vgl. Spoto. S. 272
  9. Vgl. Taylor, S. 196
  10. Vgl. Taylor, S. 231
  11. Vgl. Spoto, S. 559
  12. Siehe Spoto, S. 597
  13. Siehe Spoto, S. 602
  14. Siehe Spoto, S. 624
  15. Eric Rohmer/Claude Chabrol, Hitchcock. Paris 1957; zitiert in Truffaut, 1966, dt. 1973, S. 14
  16. Brief von Truffaut an Hitchcock vom 2.6.1962; zitiert in de Baecque/Doubiana, 1996, dt. 2004, S. 323
  17. a b c d e Hitchcock zu Truffaut, August 1962
  18. siehe Spoto, 1984, S. 596f
  19. Vgl. Spoto, S. 160
  20. Siehe Duncan, S. 10
  21. Vgl. Krohn, S. 215ff
  22. Original: "Unfortunately, you see, most of the films we see today are what I term, "photographs of people talking." They aren't true pieces of cinema."; Vgl. Spoto, S. 225, 451f; Krohn, S. 265; http://www.thecrimson.com/article.aspx?ref=130210
  23. Siehe Spoto, S. 90
  24. vgl. Foster Hirsch in: Film Noir. The Dark Side of the Screen. (Auszug)
  25. siehe http://www.fxguide.com/fxtips-243.html
  26. Siehe Spoto, S. 299
  27. Vgl. Truffaut, S. 20
  28. Siehe Spoto, S. 117
  29. Vgl. Truffaut, S. 122
  30. Siehe Spoto, S. 182
  31. Siehe Spoto, S. 182
  32. Siehe Truffaut, S. 220
  33. Vgl. Spoto, S. 26ff
  34. Vgl. Spoto, S. 301ff
  35. siehe http://hitchcock.tv/people/tarantino.html
  36. vgl. de Baecque/Toubiana, S. 374
  37. Siehe Duncan, S. 9
  38. Vgl. Spoto, S. 156
  39. Vgl. Spoto, S. 500
  40. Siehe http://www.jerrybrito.com/blog/images/hitchcock.jpg

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