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Neger

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Das Wort Neger ist ein meist abwertend verwendeter, von rassistischen Vorurteilen geprägter Begriff zur Bezeichnung von Menschen dunkler Hautfarbe. Er wurde in Zusammenhang mit dem Kolonialismus im 17. Jahrhundert aus dem französischen nègre und dem spanischen negro als Nachfolgeformen des lateinischen Wortes niger („schwarz“) entlehnt. Er erlangte mit dem Aufkommen des europäischen Imperialismus und pseudowissenschaftlichen Rassismus im 19. Jahrhundert weite Verbreitung, sowohl in der Gelehrten-[1], der Literatur-[2] und der Alltagssprache[3]. Nach dem Ende des Kolonialismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist seine Verwendung stark zurückgegangen und beschränkt sich heute im wesentlichen auf die Vulgär- und Umgangssprache.

Geschichte

Bis in das 18. Jahrhundert war der Ausdruck „Mohr“ (von lat. maurus, für Mauren) gängig, der jedoch keine Aussage über die Hautfarbe, sondern nur über die Herkunft machte. Im Unterschied zum Begriff „Neger“ umfasste die Bezeichnung „Mohr“ zwar ebenfalls eine große Palette von Stereotypen, diese waren allerdings sowohl positiv als auch negativ: So wurden dunkelhäutige Heilige und Helden aus Legenden verehrt und besungen (z. B. Feirefîz in Wolfram von Eschenbachs „Parzivâl“, Kaspar und Balthasar, Mauritius oder Bilkis, die Königin von Saba). Gleichzeitig gab es besonders seit der massenhaften Versklavung von Afrikanerinnen und Afrikanern rassistische Stereotype wie das Absprechen von Vernunft durch europäische Intellektuelle, die zu einer Entmenschlichung bis zur Herabstufung zu Affen führte.

Mit dem Aufkommen der modernen Rassentheorien kam der Ausdruck „Neger“ in die deutsche Sprache. Mit dem Rassismus prägte sich ein zunehmend herablassender Blick auf Menschen dunkler Hautfarbe, den schon Kant, der den Rassebegriff in die deutsche Sprache einführte, in seinen Vorlesungen 17901791 skizzierte: sie seien wie Kinder und benötigten Erziehung, zudem hätten „die Neger von Afrika [...] von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.“

Bei der Berliner Kongokonferenz von 1884/85 wurden die afrikanischen Kolonien konsequent als „Schutzgebiete“ bezeichnet und mit dem Schutz der „Neger“ gegen die Versklavung (durch arabische oder französische Sklavenhändler) sowie ihrer „Verfleißigung“ begründet. Dabei waren in den Schutzgebieten „Haussklaven“, also rechtlose Diener – nicht aber Plantagensklaven – erlaubt. Die übrige Bevölkerung sollte durch Steuern und Strafmaßnahmen zu „Fleiß“ erzogen werden. Jeder Widerstand wurde als ein Beweis der angeborenen „Faulheit“ und damit der Notwendigkeit weiterer Gewalt gewertet.

Eine weitere ethnozentristische Zuschreibung ist die der Triebhaftigkeit. In Zeiten zwanghafter Sexualrepression wurden „exotische“ Menschen als sexuell aufgeladen gesehen (vgl. Exotismus). In den Kolonien kam es zunehmend zu Vergewaltigungen durch die Besatzungstruppen, was ein weiterer Anlass für die antikolonialen Aufstände wurde (vgl. Herero, Nama).

Gleichzeitig hatten in deutschen Kinos Kolonialfilme Hochkonjunktur, in denen dunkelhäutige Darsteller den eurozentrischen Blick befriedigen sollten: Sie wurden als dumme Diener gezeichnet, die auf den Schutz und Rat der weißen deutschen Helden angewiesen waren. Einer von wenigen schwarzen Schauspielern, die auch größere Nebenrollen angeboten bekamen, war Louis Brody (18921951). In ähnlich verzerrender, oft bewusst grotesker Form griff die Werbeindustrie der Zwischenkriegszeit den rassistischen Stereotyp des „Negers“ auf und verwendete ihn für vielfältige Produkte, insbesondere aus dem Bereich der Tabak- und Kolonialwaren. Neben Bezeichnungen wie „Negerkuss“ und „Mohrenkopf“ sind z. B. einige bis heute verwendete Warenzeichen Relikte dieser Zeit.

1918 gründete sich in Hamburg der „Afrikanische Hilfsverein“, der ein Zusammenschluss von Menschen afrikanischer Herkunft war, die in Deutschland als „Neger“ diskriminiert wurden. Ziel des Vereines war vor allem ein Zusammenhalt gegen Diskriminierung und im Umgang mit Behörden.

Nach der Niederlage Deutschlands im 1. Weltkrieg kamen mit der französischen Armee auch dunkelhäutige Soldaten in die besetzten Gebiete im Rheinland. In der nationalsozialistischen Propaganda wurden Kinder, die aus Partnerschaften zwischen diesen Soldaten und einheimischen Frauen hervorgingen, als „Rheinland-Bastarde“, welche die „deutsche Rassenreinheit“ gefährden würden, angefeindet und verfolgt.

Im nationalsozialistischen Deutschland gehörten die Nachkommen der im Rheinland stationierten Soldaten zu den rassistisch Verfolgten. Mindestens 400 von ihnen wurden zwangssterilisiert.

Diskriminierung

Bis heute haben Menschen mit dunkler Hautfarbe in der von hellhäutigen Europäern geprägten Wirtschaft wie die meisten nichteuropäischen Ethnien selbst in den großen Industrienationen schlechtere berufliche Chancen, auch wenn sie die Landessprache perfekt beherrschen. Dazu gehört z. B. die Beschränkung der Berufsmöglichkeiten außerhalb von Tätigkeiten, die dem eurozentristischen Blick entsprechen, wie dienende und helfende Berufe, oder in der Unterhaltungsindustrie die Sparten Musik, Sport und Erotik. Rassistische und vorurteilsbeladene Haltungen sind weiterhin in Teilen europäisch dominierter Gesellschaften anzutreffen. Auch in der Wissenschaft und Erziehung werden immer wieder rassistische Bilder von „Negern“ verbreitet.

Gleichzeitig ist die Fixierung auf das Opfersein von „Negern“ ein elementarer Bestandteil des eurozentrischen Blicks, der in den letzten Jahrhunderten die Einrichtung von Schutzgebieten in Afrika hervorbrachte.

Elemente des eurozentristischen Blicks

Mit dem Begriff „Neger“ sind eine Vielzahl von rassistischen und eurozentristischen Stereotypen verbunden. Diese Bilder oder Projektionen haben vor allem mit eigenen Versagungen und Ängsten zu tun: Sexualrepression, Entfremdung und/oder Ohnmachtserfahrungen sind psychodynamische Grundlagen für das Suchen von vermeintlich Schwächeren, um die eigene Person aufzuwerten. Einige Elemente des eurozentristischen Blicks auf die „Neger“ sind:

  • Inferiorität, die „Neger“ seien den „Weißen“ unterlegen;
  • Superiorität, die „Neger“ seien den „Weißen“ auf bestimmten Gebieten überlegen (z. B. „haben den Rhythmus im Blut“);
  • Viktimisierung, die Darstellung als Opfer bzw. als schwach;
  • Infantilisierung, das Zum-Kind-Machen;
  • Triebhaftigkeit und Naturhaftigkeit, insbesondere die übertriebene Darstellung von Sexualität;
  • Kulturlosigkeit, der Beitrag Afrikas zur Zivilisation wird geleugnet.

Bis heute halten sich die rassistischen und eurozentristischen Bilder des „Negers“ und werden unter anderem in der Werbung und in anderen Medien reproduziert.

Da die akademische Wertung von Kulturen allgemein weitgehend durch eurozentrische Konzepte dominiert wird, wurde das von Marimba Ani im Jahre 1994 veröffentlichte Buch „Yurugu“, welches eines der ersten, umfassenden Gegenwerke zum akademischen Eurozentrismus darstellt, rasch zum Kultbuch. Derzeit (Stand 2004) sind nur noch teure antiquarische Ausgaben erhältlich.

Der Begriff „Neger“ in der Schriftsprache

Der Begriff in Nachschlagewerken

Neger ... Menschenrasse Afrikas, deren Verbreitung über den Kontinent sehr verschieden gedeutet worden ist ... Ratzel fasst als N. alle dunklen, wollhaarigen Afrikaner zusammen und schließt nur die hellen Südafrikaner ebenso wie die helleren Nord- und Ostafrikaner aus. Die meisten N. haben hohe und schmale Schädel...; dazu gesellt sich ein Vortreten des Oberkiefers und schiefe Stellung der Zähne ... Den der Rasse eigentümlichen Geruch führt Falkenstein auf eine etwas öligere Beschaffenheit des Schweißes zurück, der bei unreinlicher Lebensweise leicht ranzige Säure entwickelt... Meyers Konversations-Lexikon. Bd. 12. Leipzig, Wien 1897. Seite 826 (Zitiert nach Arndt/Hornscheidt: Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster 2004.)
Neger 1) N., ältere Bezeichnung Mohren, Nigritier, Äthiopier ... einheitl. Menschenrasse in Afrika südl. von der Sahara bis zum Kapland ... dunkle Hautfarbe, vom tiefsten Braunschwarz sich abstufend bis zum Graubraun, Schokoladebraun und rötlichem Braun, wolliger Haarwuchs. Diese Verschiedenheit beruht zumeist auf Mischung mit den anderen Rassenelementen Afrikas, der pygmäsich-negriden Urschicht des Urwaldes ..., der "hamitischen" Rasse ... und der orient. Rasse (... Araber) ... Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden. Bd. 13. Leipzig 1934: 252. (Zitiert nach Arndt/Hornscheidt: Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster 2004.)

Der Begriff in der Zeit der Aufklärung

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)
  • Auch beim Menschen könnte man, wenn man im logischen Sinne redet, die Arten unterscheiden, und wenn man beim Äußeren stehen bliebe, Verschiedenheiten im physischen Sinne ausfinden, welche als spezifische gelten konnten. So hat es einen Reisenden gegeben, welcher annahm, daß die Neger, die Chinesen und endlich die Amerikaner weder untereinander noch mit den uns gleichenden Völkern von gleicher Rasse wären.[4]
  • Ein Neger hat eine vernünftige Seele; jeder, der eine vernünftige Seele hat, ist ein Mensch, folglich ist der Neger ein Mensch.[5]
Kant (1724–1804)
  • In den heißen Ländern reift der Mensch in allen Stücken früher, er reicht aber nicht die Vollkommenheit temperierter Zonen. Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der amerikanischen Völkerschaften.Die Mohren und andere Völker zwischen den Wendekreisen können gemeiniglich erstaunend laufen. Sie sowohl als andere Wilde haben auch mehr Stärke als andere civilisirte Völker, welches von der freien Bewegung, die man ihnen in der Kindheit verstattet, herrührt. Die Hottentotten können mit bloßen Augen ein Schiff in eben einer so großen Entfernung wahrnehmen, als es der Europäer mit dem Fernglase vermag.[6]
  • Die Mohren ...haben eine dicke Haut, wie man sie denn auch nicht mit Ruthen, sondern gespaltenen Röhren peitscht, wenn man sie züchtigt, damit das Blut einen Ausgang finde und nicht unter der dicken Haut eitere.[7]
  • Die Negers von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische steigt.[8]
Hegel (1770–1831)
  • Afrika ist das Kinderland der Geschichte. Bei der Bestimmung des afrikanischen Geistes müssen wir auf die Kategorie der Allgemeinheit ganz Verzicht leisten. Bei den Negern ist das Bewußtsein noch nicht zu einer festen Objektivität gekommen, wie z. B. Gott, Gesetz, worin der Mensch die Anschauung seines Wesens hätte, wodurch ganz das Wissen von einem absoluten Wesen fehlt. Der Neger stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Unbändigkeit dar. Obgleich sie sich der Abhängigkeit vom Natürlichen bewußt sein müssen, so führt dies doch nicht zum Bewußtsein eines Höheren.[9]

Der Begriff in der Literatur des 20. Jahrhunderts

  • Der erste Muezzin des Propheten war ein Neger. Dieser glückliche Umstand bereicherte den Islam um ein weiteres Element der Toleranz. (Peter Bamm: Frühe Stätten der Christenheit, München 1955, S. 313)

Trivia

„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger“ – dieser Heinrich Lübke zugeschriebene Ausspruch auf einer Afrikareise 1962 ist nicht belegt, gleichwohl zu einer Modernen Sage geworden. Belegt ist, dass Lübke in Tananarive (heute Antananarivo), der Hauptstadt Madagaskars, das Präsidentenpaar mit den Worten „Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Tananarive!“ grüßte und später über das Land sagte: „Die Leute müssen ja auch mal lernen, dass sie sauber werden.“

Literatur

  • Marimba Ani: Yurugu – An African-Centered Critique of European Cultural Thought and Behavior. Africa World Press, Trenton, N.J., USA, 1994, ISBN 086543249X
  • Susan Arndt (Hrsg.): AfrikaBilder. Studien zu Rassismus in Deutschland. Unrast Verlag, Münster 2001, ISBN 3-89771-407-8
  • Susan Arndt und Antje Hornscheidt (Hrsg.): Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast Verlag, ISBN 3-89771-424-8
  • U. Bitterli: Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Die europäisch-überseeische Begegnung. dtv, München 1982
  • F. Böckelmann: Die Gelben, die Schwarzen und die Weißen. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1999
  • Erwin Ebermann (ed.).: "Afrikaner in Wien: zwischen Mystifizierung und Verteufelung.". LIT-Verlag. 2003. ISBN 3-8258-5712-3.
  • Grada Kilomba-Ferreira: Die Kolonisierung des Selbst – der Platz des Schwarzen. In: Hito Steyerl/Encarnación Gutiérrez Rodríguez (Hrsg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik, Unrast Verlag, Münster 2003, ISBN 3-89771-425-6
  • Grada Kilomba-Ferreira: „Don't You Call Me Neger!“ – Das N-Wort, Trauma und Rassismus. In: ADB & cyberNomads (Hrsg.): TheBlackBook. Deutschlands Häutungen. IKO Verlag, Frankfurt am Main & London 2004
  • R. Gronemeyer (Hrsg.): Der faule Neger. Vom weißen Kreuzzug gegen den schwarzen Müßiggang. Rowohlt Verlag, Reinbek 1991
  • H. Melber: Der Weißheit letzter Schluss. Rassismus und kolonialer Blick. Brandes & Apsel, Frankfurt 1992, ISBN 3-86099-102-7
  • Institut für Auslandsbeziehungen (Hrsg.): Exotische Welten – Europäische Phantasien. Ausstellungskatalog, 1987
  • Julia Kristeva: Fremde sind wir uns selbst. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990.
  • M. Lorbeer, B. Wild (Hrsg.): Menschenfresser – Negerküsse. Das Bild von Fremden im deutschen Alltag. 2. Auflage, Eichborn, Frankfurt am Main 1993
  • P. Martin: Schwarze Teufel, edle Mohren. Hamburger Edition, Hamburg 2001
  • K. Oguntoye, M. Opitz, D. Schultz (Hrsg.): Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. 2. Auflage, Orlanda, Berlin 1991, ISBN 3-922166-21-0

Siehe auch

Wiktionary: Neger – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
  1. s. etwa Karl Marx, Das Kapital, Bd. I, 1867
  2. s. etwa Theodor Fontane, Effi Briest, 1895 6. Kapitel
  3. z.B. bei William Edward Burghardt Du Bois als Eigenbezeichnung, s. Deutsches Historisches Museum
  4. Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Entstanden 1701-1704. Erstdruck in: OEuvres philosophiques latines et françoises, Amsterdam/Leipzig 1765. Der Text folgt der ersten deutschen Übersetzung durch Carl Schaarschmidt von 1873. S. 336
  5. Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. a. a. O., S. 463
  6. http://www.ikp.uni-bonn.de/Kant/aa09/316.html
  7. http://www.ikp.uni-bonn.de/Kant/aa09/313.html
  8. Immanuel Kant: AA II, S. 253, Immanuel Kant: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, Darmstadt 1970, S. 880
  9. Hegel: Phil[osophie] d[er] Gesch[ichte]. Zitiert in: Karl Marx: Die deutsche Ideologie. Marx-Engels-Gesamtausgabe, Berlin und Wien 1932.