Cantors zweites Diagonalargument
Cantors zweites Diagonalargument ist ein mathematischer Beweis dafür, dass die Menge der reellen Zahlen überabzählbar ist. Der Mathematiker Georg Cantor fand ihn im Jahr 1877.
Mit seinem ersten Diagonalargument zeigte Cantor, dass die Menge der rationalen Zahlen abzählbar ist, er gab eine umkehrbar eindeutige Abbildung (eine Bijektion) zwischen der Menge der natürlichen Zahlen und der Menge der rationalen Zahlen an. Diese Abbildung erlaubt es anschaulich, alle rationalen Zahlen in eine unendlich lange Liste (eine Folge) untereinander zu schreiben.
Durch Widerspruch zeigte er, dass es für die reellen Zahlen keine solche Liste gibt, d.h. keine Bijektion zu den natürlichen Zahlen.
Für David Hilbert hat Cantor damit ein Paradies eröffnet, aus dem er sich nicht mehr vertreiben lassen wollte. Auf Kritik gestossen ist Cantors Beweis der Überabzählbarkeit der reellen Zahlen durch das zweite Diagonalverfahren bei Leopold Kronecker, Hermann Weyl , L.E.J. Brouwer, Henri Poincaré und Ludwig Wittgenstein, der prinzipielle Einwände geltend machte.
Im Gegensatz zur allgemeinen Meinung ist dieser Beweis nicht Cantors erster Beweis der Überabzählbarkeit der reellen Zahlen. Cantors erster Überabzählbarkeitsbeweis wurde 1874, drei Jahre vor seinem Diagonalargument, veröffentlicht. Der erste Beweis arbeitet mit anderen Eigenschaften der reellen Zahlen, und kommt ganz ohne ein Zahlensystem aus.
Beweis der Überabzählbarkeit der reellen Zahlen
Wir nehmen zuerst einmal an, es gäbe eine Folge, die alle reellen Zahlen im Intervall [0, 1[ enthält. Dann werden wir zeigen, dass es mindestens eine Zahl zwischen 0 und 1 gibt, die nicht in der Folge vorkommt. Dies ist ein Widerspruch zur Annahme. Deshalb kann es keine solche Folge geben.
Die Zahlen in dieser als gegeben vorausgesetzten Folge sehen in ihrer Dezimalbruch-Entwicklung so aus:
- z1 = 0, a11 a12 a13 ...
- z2 = 0, a21 a22 a23 ...
- z3 = 0, a31 a32 a33 ...
- z4 = ...
- ...
Hier sind die zi reelle Zahlen und die Dezimalstellen dieser reellen Zahlen. Die Diagonalelemente sind hervorgehoben, aus diesen konstruieren wir eine neue Zahl.
Nun konstruieren wir eine reelle Zahl x zwischen 0 und 1, die nicht in der Folge vorkommt. Dazu gehen wir von oben nach unten alle Zahlen durch.
Jede Zahl der Folge definiert auf folgende Weise eine Dezimalstelle von x.
Wenn = 5 ist, setzen wir = 0, sonst = 5. Mit dieser Definition ist sichergestellt, dass x eine andere Zahl ist als .
Wenn = 5 ist, setzen wir = 0, sonst = 5. Mit dieser Definition ist sichergestellt, dass x eine andere Zahl ist als .
So gehen wir durch die ganze Folge und erhalten eine Zahl x, die sich von allen Zahlen in der Folge unterscheidet.
Die Folge enthält also nicht alle reellen Zahlen zwischen 0 und 1. Da aber vorausgesetzt wurde, dass die gegebene Folge alle reellen Zahlen zwischen 0 und 1 enthält, haben wir einen Widerspruch erzeugt. Es kann also keine Folge alle reellen Zahlen zwischen 0 und 1 enthalten. Das Intervall [0, 1] ist deshalb überabzählbar. Damit ist auch ganz R überabzählbar.
Strenggenommen ist der Beweis noch dadurch zu komplettieren, dass man die Teilmengenbeziehung N ⊂ R erwähnt; zusammen mit der Nichtexistenz einer Bijektion von N nach R erhält man, dass R eine größere Mächtigkeit als N hat, also überabzählbar ist.