Tempelberg

Der Tempelberg (hebr. הר הבית Har haBeit, arabisch الحرم الشريف al-haram asch-scharif, DMG al-ḥaram aš-šarīf ‚das edle Heiligtum‘) ist ein Hügel im Südostteil der Jerusalemer Altstadt, oberhalb des Kidrontales. An seinem Gipfel befindet sich ein künstliches Plateau. Ursprünglich standen hier der salomonische Tempel und der nachfolgende herodianische Tempel. Heute befinden sich dort der Felsendom und die al-Aqsa-Moschee. Der Tempelberg ist einer der umstrittensten heiligen Orte der Welt.
Historische und religiöse Bedeutung
Vor 3000 Jahren errichteten der Bibel zufolge die Israeliten unter Salomo den ersten Tempel – Baubeginn 957 v. Chr. – an dieser Stelle, die den heiligsten Ort im Judentum bildet. Der Tempel war das Zentrum des israelitischen Gottesdienstes. Als Nebukadnezar II. Jerusalem eroberte, ließ er den Tempel 586 v. Chr. zerstören. Nach ihrer Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft errichteten die Juden an derselben Stelle den zweiten Tempel – Fertigstellung 516 v. Chr. –, den die Römer im jüdisch-römischen Krieg im Jahre 70 n. Chr. zerstörten. Die Zerstörungen beider Tempel im Abstand von 655 Jahren bilden zentrale Punkte in der jüdischen Geschichte. Der Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem war zentrales Anliegen der jüdischen Gebete in den letzten 2.000 Jahren. Die Westmauer oder Klagemauer ist ein Überrest der Mauern, die das ursprüngliche Tempelplateau stützen. Viele Juden verrichten dort Gebete und hinterlassen häufig Gebetszettel in den Mauerspalten.
Im jüdischen Glauben ist der Tempelberg der Nabel der Welt, von dem aus sie geschaffen wurde. Es soll auch der Ort sein, an dem der Patriarch (Erzvater) Abraham des israelitischen Volkes gemäß den Anweisungen Gottes (JHWH) seinen Sohn Isaak opfern sollte. Als Gott seinen Gehorsam sah, ließ er ihn durch einen Engel aufhalten.

Nach der Zerstörung des zweiten Tempels entstand auf dem Tempelberg zunächst ein römischer Jupiter-Tempel, später eine christliche Kirche. Nach der muslimischen Eroberung Jerusalems im Jahre 638 kam der Tempelberg in muslimischen Besitz. Die Bezeichnung al-haram asch-scharif ist jedoch sekundär und weder bei den Lokalhistorikern von Jerusalem noch in den christlichen Quellen nachweisbar; sie ist erst aus der post-mamelukischen Periode schriftlich überliefert. Korrelation von noch vorhandenen geodätischen Referenzpunkten wie den Resten der Umfassungsmauern mit modernen Tempelrekonstruktionen sowie die Vermessung des mit dem Felsendom überbauten Felsens durch den Briten Montagu Brownlow Parker im Jahre 1911 legen nahe, dass dieser Felsen identisch ist mit dem Standort der Bundeslade im Allerheiligsten des Tempels sowie einer im Mittelalter über dieser Stelle errichteten Kreuzfahrer-Kapelle. Für den Islam gilt der Tempelberg als eine der drei heiligsten Stätten. Gemäß der islamischen Überlieferung soll der Prophet Mohammed eine nächtliche Traumreise (Koran Sure 17, Vers 1) zu der „entferntesten Kultstätte“ unternommen haben. Mit Rückgriff auf diesen Koranvers ist dann die al-Aqsa-Moschee („die Entfernteste“) nach der islamischen Eroberung unter den Umayyaden errichtet worden.
Der Tempelberg ist die heiligste Stätte der Juden, die drittheiligste des Islam und auch für das Christentum von großer Bedeutung.
Geschichte
Muslime, Christen und Juden verbinden den Tempelberg mit vielen bedeutenden Ereignissen in ihren religiösen Überlieferungen.
Schöpfungsgeschichte am Tempelberg
Nach späterer rabbinischer Auffassung hat Gott an dieser Stelle die Erde entnommen, aus der er Adam formte (einige Christen haben sie später nach Golgatha verlegt). Hier hätten Adam, später Kain, Abel, Melchisedech und Noach ihre Opfer dargebracht.
Moriah
Nach Genesis 22, 2 heißt Moriah das Land, in dem der von Gott erwählte Berg stehe, auf dem Abraham auf Gottes Geheiß seinen Sohn Isaak als Brandopfer habe darbringen sollen. Nur noch im späten Chroniktext (2. Chronik 3, 1) taucht der Name Moriah auf. Dort bezeichnet er den Berg, auf dem König Salomo den Tempel Gottes zu bauen begonnen habe. In der jüdischen, christlichen und muslimischen Tradition wird angenommen, diese beiden Berge seien identisch.
Aron/erster Tempel
In der Bibel ist Aron (oder Arauna) der Jebusiter erster Besitzer des Tempelbergs (2. Samuel 24, 18–25) oberhalb Jerusalems. Er hatte dort einen Dreschplatz, den König David ihm für 50 Lot Silber abkaufte, um einen Altar zu errichten. Weil David seine Hände in vielen Kriegen mit Blut besudelt hatte, war ihm ein Tempelbau verwehrt, so dass sein friedlicherer Sohn Salomo diese Aufgabe ca. 950 v. Chr. erfüllte. Dieser Tempel wurde 586 v. Chr. durch Nebukadnezar II. und die Babylonier zerstört. Ab 521 v. Chr. – nach Ende der babylonischen Gefangenschaft – wurde ein provisorischer Tempel mit persischer Hilfe wieder aufgebaut und 516 v. Chr. fertig gestellt.
Marienkirche/Felsendom/Al-Aqsa-Moschee
Der oströmische Kaiser Justinian ließ hier eine Marienkirche bauen, die Al-Walid (705–715) zur al-Aqsa-Moschee umbaute.

Nach der islamischen Eroberung von Palästina wurden an dieser Stelle der Felsendom (691), später die Al-Aqsa-Moschee errichtet. Während der Kreuzzüge war der Tempelberg von 1099–1187 im Besitz der Kreuzfahrer, in der Al-Aqsa-Moschee befand sich der Hauptsitz des Templerordens. Die gegenwärtige Gestalt rührt aus den Umbauten Saladins und seiner Nachfolger nach der Rückeroberung 1187.
Heutiger Tempelberg
Im ersten israelisch-arabischen Krieg (1948) wurde die Bebauung des Tempelbergs von Granaten teilweise zerstört, in den folgenden Jahren durch technische und finanzielle Hilfe aus Jordanien, Saudi-Arabien und Ägypten wieder aufgebaut.
Im Sechs-Tage-Krieg (1967) gelangten israelische Soldaten an die Klagemauer, die seit dieser Zeit wieder zugänglich ist. Der Tempelberg wird durch den Waqf verwaltet, dem nahezu vollständige Autonomie bewilligt wurde.
Kontroverse

Viele Israelis lehnen die in ihren Augen arabische „Besetzung“ des Tempelberges ab. Eine kleine fundamentalistische Gruppe mit dem Namen „Gläubige Bewegung Tempelberg und Eretz Israel“ will auf dem Tempelberg den dritten jüdischen Tempel errichten. Diese Gruppe wird nur von einer Minderheit der israelischen Öffentlichkeit unterstützt.
In den letzten Jahren hat die muslimische Waqf begonnen, illegal eine große unterirdische Moschee in den sogenannten Ställen Salomos zu bauen. Dabei wird mit großem Baugerät gearbeitet. Von jüdischer Seite wird der Waqf vorgeworfen, dadurch bedeutende archäologische Zeugnisse der jüdischen Vergangenheit des Heiligen Ortes zu zerstören. Überprüfungen dieses Bereichs durch jüdische Archäologen wurden vom Waqf verboten.
Viele Archäologen fürchten auch, dass diese Arbeiten zur Destabilisierung des Tempelbergs und der Klagemauer führen. Im Herbst 2002 wurde eine Beule von ungefähr 70 cm im südlichen Mauerteil des Komplexes festgestellt. Man fürchtete Schäden oder einen Einsturz des Mauerteils. Da der Waqf keine eingehende israelische Kontrolle erlaubte, kam es zu einer Vereinbarung mit Israel, dass eine Gruppe jordanischer Ingenieure die Mauer im Oktober untersuchen konnte. Nach ihrem Gutachten erfolgten Mitte 2003 die entsprechenden Reparaturen.
Quellen
Literatur
- Heribert Busse, Georg Kretschmar: Jerusalemer Heiligtumstraditionen. Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1987
- Werner Caskel: Der Felsendom und die Wallfahrt nach Jerusalem. Westdeutscher Verlag, Köln 1963