Enigma-M4
Die ENIGMA-M4 ist eine Rotor-Schlüsselmaschine, die im Zweiten Weltkrieg im Nachrichtenverkehr der deutschen Marine zur geheimen Kommunikation zwischen dem Befehlshaber der U-Boote (BdU) und den im Atlantik operierenden deutschen U-Booten verwendet wurde. Im Gegensatz zu den von den anderen Wehrmachtsteilen benutzen ENIGMA-Varianten (siehe auch: Übersichtsartikel zur ENIGMA), also beispielsweise der von Heer und Luftwaffe eingesetzten ENIGMA I und der von den deutschen Geheimdiensten verwendeten ENIGMA-G, zeichnet sich die ENIGMA-M4 durch vier Walzen aus. Damit ist sie kryptographisch deutlich stärker als die übrigen ENIGMA-Varianten, die nur drei Rotoren benutzen und konnte deshalb durch die Alliierten lange Zeit nicht gebrochen werden. Das Wort „Enigma“ (αίνιγμα) kommt aus dem Griechischen und bedeutet Rätsel.
Aufbau
Prinzip und grundlegender Aufbau der ENIGMA ist im bereits erwähnten Übersichtsartikel beschrieben. Im Gegensatz zur dort im Mittelpunkt der Erläuterungen stehenden ENIGMA I ist die ENIGMA-M4 durch einige Besonderheiten gekennzeichnet. Der wichtigste Unterschied ist der Einsatz von vier Walzen gegenüber nur drei bei den anderen Modellen. Die vier Walzen wurden aus einem Sortiment von insgesamt acht plus zwei Walzen ausgewählt. Dabei musste zwischen den auch bei der ENIGMA I verwendeten Walzen I bis V sowie den von der ENIGMA-M3 bekannten Walzen VI bis VIII und den speziell für die ENIGMA-M4 neu konstruierten beiden Walzen unterschieden werden, die eine geringere Dicke als die bisherigen aufwiesen und daher als „dünne“ Walzen bezeichnet wurden. Statt mit römischen Zahlen wurden die beiden dünnen Walzen mit griechischen Buchstaben, nämlich „Beta“ und „Gamma“ gekennzeichnet. Diese Walzen konnten zwar manuell jeweils in eine von 26 Drehstellungen gedreht werden, im Gegensatz zu den Walzen I bis VIII wurden sie während des Verschlüsselungsvorgangs jedoch nicht weitergedreht.
Die Tabelle zeigt das Verdrahtungsschema der bei der ENIGMA-M4 verfügbaren acht drehbaren Walzen (I bis VIII), der beiden nicht rotierenden dünnen Walzen („Beta“ und „Gamma“) und der beiden ebenfalls dünnen Umkehrwalzen (B und C):
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z I E K M F L G D Q V Z N T O W Y H X U S P A I B R C J II A J D K S I R U X B L H W T M C Q G Z N P Y F V O E III B D F H J L C P R T X V Z N Y E I W G A K M U S Q O IV E S O V P Z J A Y Q U I R H X L N F T G K D C M W B V V Z B R G I T Y U P S D N H L X A W M J Q O F E C K VI J P G V O U M F Y Q B E N H Z R D K A S X L I C T W VII N Z J H G R C X M Y S W B O U F A I V L P E K Q D T VIII F K Q H T L X O C B J S P D Z R A M E W N I U Y G V
Beta L E Y J V C N I X W P B Q M D R T A K Z G F U H O S Gamma F S O K A N U E R H M B T I Y C W L Q P Z X V G J D
UKW B dünn E N K Q A U Y W J I C O P B L M D X Z V F T H R G S UKW C dünn R D O B J N T K V E H M L F C W Z A X G Y I P S U Q
Bedienung

Bei der ENIGMA-M4 standen acht unterschiedliche Walzen zur Verfügung, die mit römischen Zahlen (I bis VIII) durchnummeriert waren und die an jeder der drei rechten Positionen im Walzensatz eingesetzt werden konnten. Die zwei weiteren etwas dünneren Walzen fanden nur an der Position ganz links im Walzensatz Platz. Diese mit den griechischen Buchstaben „Beta“ und „Gamma“ gekennzeichneten Walzen wurden von den Funkern der U-Boote knapp als die „Griechenwalzen“ bezeichnet. Schließlich standen noch zwei Umkehrwalzen zur Verfügung, die sich ebenfalls durch ihre geringere Dicke von den in der ENIGMA I eingesetzten Umkehrwalzen B und C unterschieden und als Umkehrwalzen „B dünn“ und „C dünn“ bezeichnet wurden. Der Benutzer wählte nach Vorgabe einer geheimen „Schlüsseltafel“, die für jeden Tag wechselnde Einstellungen vorsah, eine der beiden Umkehrwalzen, eine der beiden Griechenwalzen sowie drei der acht Walzen I bis VIII aus und setzte diese nach der im Tagesschlüssel unter der Überschrift „Walzenlage“ vorgeschriebenen Anordnung ein.
Die Schlüsseltafel stellte tabellarisch für einen kompletten Monat die jeweils gültigen Tagesschlüssel dar, die um Mitternacht gewechselt wurden. Unten sind beispielhaft nur drei Monatstage dargestellt, wobei, wie damals üblich, die Tage absteigend sortiert sind. Dies erlaubt es dem Verschlüssler, die „verbrauchten“ Codes der vergangenen Tage abzuschneiden und zu vernichten.
Tag UKW --Walzenlage-- Ringstellung ---- Steckerverbindungen ---- 31 B Beta I IV III 16 26 08 AD CN ET FL GI JV KZ PU QY WX 30 C Gamma II V I 18 24 11 BN DZ EP FX GT HW IY OU QV RS 29 B Beta III I VI 01 17 22 AH BL CX DI ER FK GU NP OQ TY
Beispiel für den 31. des Monats: UKW B, Walzenlage Beta I IV III bedeutet, als Umkehrwalze ist die Walze B (dünn) zu wählen. Die Griechenwalze Beta ist links (als nichtrotierende Walze), dann Walze I (als langsamer Rotor) und Walze IV und schließlich Walze III rechts (als schneller Rotor) einzusetzen. Die Ringe, die außen am Walzenkörper angebracht sind und den Versatz zwischen der internen Verdrahtung der Walzen und dem Buchstaben bestimmen, zu dem der Übertrag auf die nächste Walze erfolgt, sind auf den 16., 26. beziehungsweise 8. Buchstaben des Alphabets einzustellen, also auf P, Z und H.
Die Ringstellung wurde oft (wie hier) numerisch und nicht alphabetisch verzeichnet, wohl um Verwechslungen mit den anderen Teilschlüsseln vorzubeugen. Als Hilfe für den Bediener ist innen im Gehäusedeckel der ENIGMA eine Umrechnungstabelle angebracht.
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
Schließlich sind die an der Frontplatte angebrachten doppelpoligen Steckbuchsen mit entsprechenden doppelpoligen Kabeln zu beschalten. In der Regel wurden genau zehn Kabel eingesteckt. Die jeweils obere Buchse eines Buchsenpaars hat einen etwas größeren Durchmesser (4 mm) als die untere (3 mm), so dass die Stecker nur in einer Orientierung eingesteckt werden können. So wird sicher die gewünschte elektrische Überkreuzung und damit die Vertauschung der beiden Buchstaben erreicht. Sechs Buchstaben bleiben ungesteckert.
Nach Einstellung von Walzenlage, Ringstellung und Steckerverbindungen schließt der Bediener die oberhalb des Walzensatzes angebrachte Klappe und die Frontklappe. Letzteres bewirkt ein festes Andrücken der Stecker und eine sichere Kontaktgabe (sowie einen Schutz vor Ausspähen des Schlüssels). Nun muss der Benutzer noch die vier Walzen in eine definierte Anfangsstellung, genannt die Grundstellung, drehen, und die ENIGMA-M4 ist zur Verschlüsselung bereit.
Entzifferung

Basierend auf den Ergebnissen, die polnische Codeknacker bereits vor dem Zweiten Weltkrieg erzielen konnten, arbeiteten britische Kryptoanalytiker seit Ausbruch des Krieges im etwa 70 km nordwestlich von London gelegenen Bletchley Park (BP) an der Entzifferung der ENIGMA. Das wichtigste Hilfsmittel dabei war eine spezielle elektromechanische Maschine, genannt die Turing-Bombe, die vom englischen Mathematiker Alan Turing ersonnen wurde. Mithilfe der Turing-Bombe gelang es bald nach Beginn des Krieges zunächst die von der Luftwaffe und später auch die vom Heer verschlüsselten Funksprüche zu entziffern.

Etwas hartnäckiger zeigten sich die Verschlüsselungsverfahren der Kriegsmarine, die eine Variante (ENIGMA-M3) mit drei aus acht Walzen (I bis VIII) sowie eine ausgeklügelte Spruchschlüsselvereinbarung nutzte. Hier gelang den Engländern der Einbruch erst im Mai 1941 nach Erbeutung des deutschen U-Boots U 110 mitsamt einer intakten M3-Maschine und sämtlicher Geheimdokumente (Codebücher). Eine Unterbrechung („Black-out“) gab es dann, als am 1. Februar 1942 die M3 (mit drei Walzen) exklusiv bei den U-Booten durch die M4 (mit vier Walzen) abgelöst wurde. Dieses von den Deutschen „Schlüsselnetz Triton“ und von den Engländern „Shark“ (deutsch: „Hai“) genannte Verfahren konnte zehn Monate lang nicht gebrochen werden, eine Zeit, in der die deutsche U-Bootwaffe erneut große Erfolge verbuchen konnte. Der Einbruch in Shark gelang erst im Dezember 1942, nachdem der britische Zerstörer HMS Petard im Mittelmeer das deutsche U-Boot U 559 aufbrachte. Ein Prisenkommando enterte das Boot und erbeutete wichtige geheime Schlüsselunterlagen wie Kurzsignalheft und Wetterkurzschlüssel, mit deren Hilfe es die Codeknacker in Bletchley Park schafften, auch die ENIGMA-M4 zu überwinden. Nun kamen auch die Amerikaner zu Hilfe, die unter Federführung von Joseph Desch in der National Cash Register Company (NCR) in Dayton, Ohio, ab April 1943 mehr als 120 Stück Hochgeschwindigkeitsvarianten der Turing-Bombe produzierten, die speziell gegen die M4 gerichtet waren. Danach waren die deutschen U-Boote nie mehr sicher.

Unmittelbare Folge der amerikanischen Entzifferungen war – beginnend mit U 118 am 12. Juni 1943 – die Versenkung von neun der zwölf deutschen U-Tanker („Milchkühe“) innerhalb weniger Wochen im Sommer 1943. Dies führte zu einer Schwächung aller Atlantik-U-Boote, die nun nicht mehr auf See versorgt werden konnten, sondern dazu die lange und gefährliche Heimreise durch die Biskaya zu den U-Boot-Stützpunkten an der französischen Westküste antreten mussten.
Authentischer Funkspruch
Als Beispiel dient eine Mitteilung von Kapitänleutnant Hartwig Looks, Kommandant des deutschen U-Boots U 264, die am 19. November 1942 mit einer ENIGMA-M4 verschlüsselt wurde. Vor der Verschlüsselung übertrug der Funker den Text in eine Kurzfassung, die er dann Buchstabe für Buchstabe mit der M4 verschlüsselte und schließlich den Geheimtext im Morsecode sendete. Da die ENIGMA nur Großbuchstaben verschlüsseln kann, wurden Zahlen ziffernweise ausgeschrieben, Satzzeichen durch „Y“ für Komma und „X“ für Punkt ersetzt, Eigennamen in „J“ eingeschlossen sowie wichtige Begriffe oder Buchstaben als Schutz vor Missverständnissen durch Übertragungsfehler verdoppelt oder verdreifacht. Außerdem war es bei der Marine üblich, den Text in Vierergruppen anzuordnen, während Heer und Luftwaffe Fünfergruppen benutzten. Kurze Mitteilungen und orthographische Fehler erschweren Entzifferungen, die sich auf statistische Analysen stützen.
Klartext
- Von Hartwig Looks:
- Funktelegramm 1132/19, Inhalt:
- Bei einem Angriff durch Wasserbomben wurden wir unter Wasser gedrückt. Der letzte von uns erfasste Standort des Gegners lag um 08:30 Uhr bei Marqu AJ 9863, Kurs 220 Grad, Geschwindigkeit 8 Seemeilen. Wir stossen nach. Wetterdaten: Luftdruck um 14 Millibar fallend. Wind aus NNO Stärke 4, Sichtweite 10 nautische Seemeilen.
Kurztext
- Von Looks:
- FT 1132/19 Inhalt:
- Bei Angriff unter Wasser gedrückt, Wabos. Letzter Gegnerstand 0830 Uhr
- AJ 9863, 220 Grad, 8 sm. Stosse nach. 14 mb. fällt, NNO 4, Sicht 10.
Klartext vor der Übertragung
VON L OOKS F T 1 1 3 2 1 9 INHA LT BEI ANGRIFF UNTER ... vonv onjl ooks jhff ttte inse insd reiz woyy qnns neun inha ltxx beia ngri ffun terw asse rged ruec ktyw abos xlet zter gegn erst andn ulac htdr einu luhr marq uant onjo tane unac htse yhsd reiy zwoz wonu lgra dyac htsm ysto ssen achx ekns vier mbfa ellt ynnn nnno oovi erys icht eins null
Geheimtext
NCZW VUSX PNYM INHZ XMQX SFWX WLKJ AHSH NMCO CCAK UQPM KCSM HKSE INJU SBLK IOSX CKUB HMLL XCSJ USRR DVKO HULX WCCB GVLI YXEO AHXR HKKF VDRE WEZL XOBA FGYU JQUK GRTV UKAM EURB VEKS UHHV OYHA BCJW MAKL FKLM YFVN RIZR VVRT KOFD ANJM OLBG FFLE OPRG TFLV RHOW OPBE KVWM UQFM PWPA RMFH AGKX IIBG
Der Geheimtext konnte am 2. Februar 2006 mit folgenden Schlüsseleinstellungen entziffert werden:
- UKW B
- Walzenlage „Beta“ 2 4 1
- Stecker: AT BL DF GJ HM NW OP QY RZ VX
- Ringe: AAAV
- Spruchschlüssel: VJNA
- Quelle siehe unter Weblinks (unten): „Moderne Entzifferung der M4“
Chronologie
Im Folgenden sind einige wichtige Zeitpunkte zur Geschichte der ENIGMA-M4 aufgelistet:
23. Feb. 1918 | Erstes Patent zur ENIGMA | |
1. Feb. 1942 | Indienststellung der M4 |
Literatur
Ausführliches Literaturverzeichnis siehe Übersichtsartikel zur ENIGMA
- Arthur O. Bauer: Funkpeilung als alliierte Waffe gegen deutsche U-Boote 1939–1945. Selbstverlag, Diemen Niederlande 1997. ISBN 3-00-002142-6
- Friedrich L. Bauer: Entzifferte Geheimnisse, Methoden und Maximen der Kryptographie. Springer, Berlin 2000 (3. Aufl.). ISBN 3-540-67931-6
- Stephen Harper: Kampf um Enigma. Die Jagd auf U-559. Mittler, Hamburg 2001. ISBN 3-8132-0737-4
Weblinks
- Enigma Simulation für Windows (ENIGMA I, ENIGMA-M3 und M4, Freeware Download)
- The pinch from U 559
- Moderne Entzifferung der M4